Vorsitzender Richter Hans Hofmeyer

183. Verhandlungstag 20.08.1965

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

183. Verhandlungstag, 20.8.1965

Fortsetzung der mündlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters

Vorsitzender Richter:

Das Urteil gegen den Angeklagten Schlage. Der Angeklagte kam nach seiner Einlassung Ende 1940 oder Anfang 1941 nach Auschwitz. Diese Einlassung wird auch bestätigt durch den Zeugen Paschke. Schlage ist zunächst als Wachsturmmann beschäftigt worden, kam aber sehr bald in die Stellung eines Hilfsfuriers und ist später zu dem Kommandanturstab nach Auschwitz versetzt worden. Es ließ sich nicht mehr genau feststellen, zu welchem Zeitpunkt das gewesen ist, vermutlich im März oder April 1943. Und zwar hat das Gericht den Schluß daraus gezogen, daß der Angeklagte Schlage auch noch dem Palitzsch unterstanden hat, der um diese Zeit im Lager war.

Seine Angaben über seine Tätigkeit bei dem Kommandanturstab haben im Laufe der Hauptverhandlung gewechselt. Ursprünglich erklärte er, er sei sechs bis acht Wochen Arrestaufseher gewesen und sei dann nach Golleschau gekommen, und zwar in eine Zementfabrik, wo er später wegen Häftlingsbegünstigung abgelöst worden sei. Im Laufe der Hauptverhandlung hat Schlage seine Angaben dann dahin gewechselt, daß er behauptet, nur noch vertretungsweise als Blockführer vom Dienst in Block 11 gearbeitet zu haben. Nach seiner weiteren Einlassung will er im September oder Oktober in das Lazarett gekommen sein und von dort im April oder Mai erst wieder entlassen worden sein.

Über die Tätigkeit des Angeklagten in Block 11 gehen die Zeugenaussagen sehr auseinander. Der Zeuge Filip Müller will den Angeklagten Schlage im Mai oder Juni 42 in dem Block 11, dem sogenannten Bunker, gesehen haben. Der Zeuge Kret hat den Angeklagten Schlage angeblich im Mai 1942 im Block 11 gesehen. Der Zeuge Kret, dem das Gericht in jeder Beziehung vertraut hat, hat erklärt, er habe seinerzeit von Schlage 35 Stockschläge erhalten. Damals allerdings habe er sich das Gesicht des Schlage nicht näher gemerkt, er glaubt ihn jedoch bei seiner zweiten Einlieferung im Jahr 1944 wiedererkannt zu haben.

Der Zeuge Włoch war Blockschreiber auf Block 11 im Februar 1942 bis zum Dezember 1942. Dieser Zeuge Włoch erklärt, er habe Schlage erst im Spätherbst 1942 auf dem Block angetroffen, wo Schlage dann bis zur Entlassung des Zeugen am 6.4.43 geblieben sei. Dieser Aussage wiederum steht die Aussage der Zeugin Bergerhausen entgegen, die erklärt hat, Schlage habe sie in ihrer Familie in Golleschau bereits im Frühjahr 1943 besucht. Die Zeugin Bergerhausen hat noch ihren Verlobungstag, nämlich den 24.1.43, genau in Erinnerung und hat erklärt, daß Schlage etwa zehn bis 14 Tage nach diesem Tag von ihrem Vater in die Familie eingeführt worden sei.

Der Zeuge Mirbeth hat den Angeklagten Schlage nach seiner Aussage bereits im April 1943 in Golleschau wieder abgelöst, als Schlage seinerzeit abgeführt worden sei. Der Zeuge Pilecki, der von Dezember 42 bis zum Mai 44 als Blockschreiber tätig war, hat Schlage mehrfach dort gesehen. Er kann sich allerdings nicht mehr auf die einzelnen Zeiten erinnern. Er weiß lediglich, daß bei seinem Weggehen im Mai 44 Schlage Hauptblockführer vom Block 11 gewesen sei.

Der Zeuge Głowacki kann eine bestimmte Zeit nicht angeben. Der Zeuge Petzold hat ihn angeblich im Juni oder August 44 gesehen. Der Zeuge Petzold kann aber insofern sich in einem Irrtum befinden, da er ausweislich des Bunkerbuchs am 20.8.43 bereits im Bunker in Haft gewesen ist. Die Zeugen Fabian und Weis können bestimmte Zeiten nicht angeben. Der Zeuge Kral hat zwar den Namen Schlage gehört, er hat ihn jedoch nie gesehen. Nach den Feststellungen aus den vorhandenen Unterlagen ist Schlage am 3.11.43 in das Reservelazarett in Kattowitz aufgenommen worden.

Nach dem Eröffnungsbeschluß wird dem Angeklagten zur Last gelegt, in den Jahren 42 bis 43 als Arrestaufseher in Block 11 des Stammlagers in einer unbestimmten Anzahl von Fällen bei der Auswahl von im Keller des Arrestblocks untergebrachten Häftlingen zur Tötung durch Genickschuß an der Schwarzen Wand zwischen Block 10 und 11 und auch an diesen Erschießungen selbst teilgenommen zu haben, wobei er wußte, daß diese Exekutionen ohne ordentliches Gerichtsverfahren durchgeführt worden sind und daher widerrechtlich waren. Schlage selbst hat zugegeben, daß er einmal die Türen zu den Arrestzellen selbst aufgeschlossen habe und auch bei der »Bunkerentleerung« dabeigewesen sei. Er sei jedoch nicht mit in den Hof gegangen.

Der Zeuge Boratyński, der vom 17.12.42 bis zum 9.3.43 im Bunker des Blocks 11 eingesessen hat, erklärt, Schlage habe mehrmals die Zellentüren aufgeschlossen. Der Zeuge Głowacki hat gesehen, wie Schlage die Gefangenen in den Waschraum geführt und zur Schwarzen Wand getrieben hat und im Hof für Ordnung gesorgt hat. Der Zeuge schildert, daß es bei den Opfern, die zur Exekution geführt worden sind, wiederholt zu Unruhen gekommen sei, in denen die [Gefangenen] noch Ausrufe ausgestoßen hätten oder auch Bewegungen gemacht hätten, die ein Eingreifen des Wachpersonals erforderlich gemacht hätten. Der Zeuge Pilecki hat gesehen, wie Schlage auf den Hof ging und dort einen Karabiner hinbrachte. Der Zeuge Włoch hat die Vorgänge nur vom Hörensagen gehört. Der Zeuge Weis will gesehen haben, daß Schlage geschossen hat. Der Zeuge kann aber nicht angeben, ob die Opfer, die dabei erschossen worden sind, nach sogenannten Bunkerentleerungen zur Exekution gebracht wurden oder ob es sich bei diesen Opfern um solche Personen handelte, die nach Standgerichtsurteilen oder Sondergerichtsurteilen nach Auschwitz zur Exekution geführt worden sind.

Nach alledem muß festgestellt werden, daß Schlage an den Erschießungen nach sogenannten Bunkerentleerungen beteiligt war, wenn auch nicht feststeht, daß er bei diesen Exekutionen persönlich geschossen hat. Insoweit besteht zwar ein starker Verdacht gegen den Angeklagten Schlage, aber eine sichere Feststellung ließ sich nicht treffen. Es konnte jedoch weiter festgestellt werden, daß Schlage vor diesen Exekutionen die ausgesuchten Opfer zunächst im Waschraum beaufsichtigte, von wo aus dann der Bunkerkalfaktor Jakob die Opfer zur Schwarzen Wand brachte, wobei Schlage dafür Sorge trug, daß die Aktion ihren reibungslosen Verlauf nahm, indem er eventuellen Widerstand gebrochen hat. Darüber hinaus wurde festgestellt, daß Schlage auch nach der »Bunkerentleerung« den Karabiner zur Exekution gebracht hat. Die übrigen Erschießungen, die von Weis zum Beispiel geschildert worden sind, können sich auch auf Personen beziehen, die unter Umständen vorher durch Standgerichte oder Sondergerichte verurteilt worden waren.

Der Zeuge Fabian hat gesehen, wie der Angeklagte Schlage im Jahr 44 einen Mann, eine Frau und ein Kind erschossen hat. Dieser Fall ist nicht angeklagt und das Verfahren ist insoweit nicht eröffnet worden. Da Nachtragsanklage nicht erhoben worden ist, konnte somit dieser Fall auch nicht zur Entscheidung kommen.

Das gleiche gilt von einem Fall, den der Zeuge Pilecki geschildert hat. In diesem Fall soll eine Frau, und zwar eine schwangere Frau, im Waschraum von Schlage erschossen worden sein. Dieser Fall, der von dem Zeugen Pilecki durchaus glaubhaft geschildert worden ist, ist jedoch nicht durch den Eröffnungsbeschluß erfaßt. Andererseits kann jedoch festgestellt werden, was der Zeuge Pilecki bezüglich der Person des Schlage erklärt hat, nämlich, wie der Zeuge sich wörtlich ausdrückte: »Schlage war ein Sadist.«

Was schließlich der Zeuge Knuth-Siebenlist bezüglich der Erschießung eines polnischen Häftlings ausgesagt hat, und zwar eines Häftlings mit Vornamen Kazimierz, der nach längerem Aufenthalt in der Stehzelle zunächst entlassen und nach drei Wochen wieder in den Bunker geholt worden sein soll, konnte nicht verwertet werden, da nach Angabe dieses Zeugen zwar ein Befehl aus Berlin beziehungsweise ein Urteil nicht vorgelegen haben soll. Da der Zeuge Knuth-Siebenlist nicht mehr persönlich vernommen werden konnte, da er inzwischen verstorben ist, blieben verschiedene Fragen offen.

Knuth-Siebenlist nennt diesen Angeklagten zunächst nicht Schlage, sondern Schlagge. Dieser Name hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Namen Plagge. Von Plagge aber steht fest, daß er in dem Bunker verschiedene Erschießungen vorgenommen hat. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß dieser Zeuge hier einer Namensverwechslung zum Opfer gefallen ist. Im übrigen steht nicht fest, wieso dem Zeugen bekanntgeworden ist, daß kein Erschießungsbefehl aus Berlin, wie er sich ausdrückt, vorgelegen habe, das heißt also daß kein Sondergerichtsurteil vorgelegen habe. Im übrigen hat der Zeuge Knuth-Siebenlist angeblich nur gehört von dem Bunkerkalfaktor Jakob, daß der polnische Häftling Kazimierz erschossen worden sei, wobei Jakob ebenfalls von Schlagge gesprochen haben soll. Diese Aussage ist daher nicht sicher genug, um eine Verurteilung darauf stützen zu können.

Im Laufe des Verfahrens ist dann eine Nachtragsanklage gegen den Angeklagten Schlage erhoben worden.[1] Und zwar wird ihm zur Last gelegt, im Januar oder Februar 43 in einem Stehbunker einen Artisten, einen Musiker oder Artisten, wie es heißt, verhungern haben zu lassen. Dieser Häftling habe während des Urlaubs des Angeklagten von anderen Häftlingen immer etwas zu essen bekommen. Nach der Urlaubsrückkehr des Angeklagten Schlage sei jedoch ganz bewußt jede weitere Nahrungszufuhr unterbunden worden, so daß der Häftling in der Folgezeit verhungert sei.

Diese Beschuldigung beruht einzig und allein auf der Aussage des Zeugen Severa, der laut Bunkerbuch vom 21.1.43 bis zum 13.2.43 im Arrest eingesessen hat. Der Zeuge Severa schildert den Tod eines Gefangenen, der während seiner Haftzeit ebenfalls im Bunker gewesen sei und dort in einer Stehzelle untergebracht gewesen sei. Dieser Gefangene sei im Bunker Hungers gestorben. Der Zeuge konnte in der Hauptverhandlung den Namen dieses Gefangenen nicht nennen. Auf Befragen von seiten des Gerichts, ob es sich vielleicht um den Bruno Graf gehandelt haben könne, hat der Zeuge diese Frage bejaht, und er glaubte, sich auf diesen Namen wieder erinnern zu können.

Dieser Aussage stehen jedoch gewisse Bedenken gegenüber. Der Zeuge hatte sich ursprünglich an den Zeugen Langbein gewandt und ihm seine Erlebnisse geschildert. In diesem Brief hat er auch den Namen von Angeklagten genannt, nicht aber den Namen des Angeklagten Schlage. Der Zeuge behauptet, er habe den Namen Schlage erst später in der Zeitung gelesen und habe daher diesen Vorfall auch erst in der Hauptverhandlung zur Sprache bringen können. Er hat jedoch auch von Schlage bei dem Untersuchungsrichter nicht gesprochen, obwohl ihm dort die Bilder des Angeklagten und auch die Namen der Angeklagten genannt worden sind. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung zunächst abgestritten, derartige Bilder gesehen oder eine Liste gelesen zu haben, und erst auf besonderen Vorhalt aus den Akten mußte er zugeben, daß ihm tatsächlich Bilder vorgezeigt worden sind.

Bei seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung konnte er keine Auskunft darüber geben, daß der Bruno Graf ihm vor seinem Tod in einer persönlichen Unterredung gesagt habe, daß Schlage ihn zum Hungertod verurteilt habe. Bei seiner zweiten Vernehmung in der Hauptverhandlung hat er jedoch die Bemerkung gemacht, Bruno Graf habe ihm erzählt, Schlage habe ihn zum Hungertod verurteilt und bei seiner Einlieferung zu ihm gesagt: »Du bleibst jetzt hier, bis du vor Hunger verreckst.« Der Zeuge hat auch bei seiner ersten Vernehmung vor dem Schwurgericht ausgesagt, er habe nur von Funktionshäftlingen gehört, daß Graf nichts mehr zu essen bekommen sollte. Bei seiner zweiten Vernehmung hat er erzählt, er sei Zeuge gewesen davon, daß Schlage selbst den Funktionshäftlingen verboten habe, dem Bruno Graf noch etwas zu essen zu bringen. Diese Anweisung habe Schlage vor seiner Zellentür gegeben, und der Zeuge habe dies mit eigenen Ohren gehört.

Ganz abgesehen von diesen Widersprüchen ist in der Aussage des Zeugen Severa auch insofern ein Bedenken, das die Richtigkeit dieser Aussage nicht glaubwürdig erscheinen läßt, nämlich Schlage soll etwa zehn oder 14 Tage, wie bereits gesagt, nach dem Verlobungstag der Zeugin Bergerhausen, der am 24.1.43 war, in Golleschau gewesen sein. Das bedeutete aber, daß gerade in der Zeit, in der Bruno Graf verhungert sein soll, nämlich am 5. Februar 43, der Angeklagte gar nicht im Bunker in Auschwitz, sondern in Golleschau gewesen sein muß. Andererseits steht fest, daß der Oberscharführer Gehring den Bruno Graf in den Bunker eingeliefert hat. Und es ist daher auch sehr denkbar, daß dieser an Graf die Worte gerichtet haben kann: »Du bleibst hier, bis du vor Hunger verreckst.«

Wenn auch der allerstärkste Verdacht gegen den Angeklagten bestehen geblieben ist, daß er an dem Hungertod des Bruno Graf mitschuldig ist, so konnten doch letzte Zweifel nicht ausgeräumt werden, so daß eine Verurteilung wegen dieser Beschuldigung nicht erfolgen konnte. Das gleiche gilt für den Vorwurf, der Angeklagte habe einen Häftling Roman im Bunker verhungern lassen. Der einzige Zeuge, Breiden, hat zwar diesen Hungertod selbst erlebt und davon berichtet. Er weiß jedoch nicht, ob Schlage zu dieser Zeit im Bunker tätig war.

Nach Auffassung des Schwurgerichts konnte dem Angeklagten Schlage der gesamte Umfang seiner Verbrechen auch nicht nur annähernd nachgewiesen werden. Das Schwurgericht ist vielmehr von der ursprünglichen Einlassung des Angeklagten ausgegangen, nach der er acht bis zehn Wochen Dienst als Arrestaufseher getan hat, bevor er nach Golleschau gekommen ist. Während dieser Zeit ist der Bunker wöchentlich »entleert« worden, wie man sich damals auszudrücken pflegte.

Wie oft diese sogenannten Entleerungen vorgenommen worden sind, läßt sich ebenfalls nicht ganz genau feststellen. Die Aussagen der Zeugen gehen auch hierbei auseinander. Das Gericht hat sich jedoch den Feststellungen in dem sogenannten Broad-Bericht angeschlossen, nach denen jeweils am Wochenende, das heißt einmal in der Woche, derartige sogenannte Bunkerentleerungen vorgenommen worden sind. Das würde bedeuten, daß während der Anwesenheit des Angeklagten Schlage als Arrestaufseher, das heißt also innerhalb der acht Wochen, mindestens acht »Bunkerentleerungen« vorgenommen wurden, bei denen jeweils mindestens zehn Menschen ausgesucht und zur Erschießung gebracht worden sind.

Diese Erschießungen waren, wie bereits gesagt wurde, unrechtmäßig, da sie ohne Urteil erfolgt sind, was dem Angeklagten Schlage selbstverständlich auch bekannt war. Schlage hat in diesen Fällen jeweils die Zellen aufgeschlossen, er hat die ausgesuchten Menschen zum Waschraum befördert, er hat sie von dem Waschraum hinaus auf den Hof getrieben und hatte im Hof auch die Aufsicht darüber, daß alles so durchgeführt werden konnte, wie es gewünscht war. Er selbst hat den Karabiner in diesen Fällen mitgebracht, das heißt, er hat sich an diesen Erschießungen auch beteiligt, und zwar in Form der gemeinschaftlichen Beihilfe, da ihm nicht nachgewiesen werden kann, daß er selbst in diesen Fällen geschossen hat und daß er diese Erschießungen auch als eigene Tat gewollt hat.

Der Angeklagte Schlage war nach Auffassung des Gerichts ein williger Befehlsempfänger. Wie der Zeuge Pilecki glaubhaft bekundet hat, war der Angeklagte grausam und wurde in seiner Brutalität nur von Gehring übertroffen. Das ergibt sich auch daraus, daß er Leute, die sich in der Nähe des Blocks 11 aufhielten, in den Block hereinholte und sie dort fürchterlich geschlagen hat. Während seiner Bewährung, in Anführungszeichen, ist er dann auch zum Hauptblockführer ernannt worden.

Das Gericht hat deshalb 80 Fälle von Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord für erwiesen angesehen und hat den Angeklagten mit Rücksicht auf seinen Tatbeitrag und seine brutale Gesinnung in jedem Fall mit einer Zuchthausstrafe von vier Jahren belegt. Aus diesen Einzelstrafen ist eine Gesamtstrafe von sechs Jahren Zuchthaus gebildet worden. Die bürgerlichen Ehrenrechte mußten dem Angeklagten ebenfalls auf sechs Jahre aberkannt werden. Die Untersuchungshaft ist dem Angeklagten auf diese Strafe angerechnet worden. [Pause]

Der Angeklagte Hofmann ist der Sohn eines Metzgers. Er hat nach der Schulentlassung das Tapeziererhandwerk gelernt und war infolge der damaligen allgemeinen Arbeitslosigkeit in verschiedenen Berufen tätig. 1932 trat er der NSDAP und der SS bei und agierte 1933 in Hof als Hilfspolizist. Ende November 33 kam er bereits zur Wachtruppe nach Dachau und blieb nun bis zum Ende des Kriegs dauernd in Schutzhaftlagern. Er avancierte relativ schnell. Im Jahre 36 wurde er Unterscharführer, 37 Oberscharführer, 39 Hauptscharführer, 41 Untersturmführer, 42 Obersturmführer, 44 Hauptsturmführer.

Am 1. Dezember 42 kam er nach Auschwitz und war dort bis zum März 43 zunächst 2. Schutzhaftlagerführer, erhielt dann von März 43 bis September 43 die Stellung des Lagerführers im Zigeunerlager und kam bis zum November 43 wieder ins Stammlager, als 3. Schutzhaftlagerführer, bis er am 22.11.43 bis zum 15.5.44 1. Schutzhaftlagerführer im Stammlager wurde.

Der Angeklagte ist bereits in München am 19.12.1961 wegen zweier Fälle des Mordes, begangen im Konzentrationslager in Dachau, zu lebenslangem Zuchthaus bestraft worden. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen; es wird jedoch von dem Angeklagten gesagt, daß er das Wiederaufnahmeverfahren betreibe. Gleichzeitig läuft gegen den Angeklagten ebenfalls ein Strafverfahren wegen Mords, begangen im Konzentrationslager in Natzweiler, vor dem Schwurgericht in Hechingen.

Die Einlassung des Angeklagten geht dahin: Er habe dreimal Dienst auf der Rampe getan, er sei auch mit in die Gaskammer gegangen, habe im übrigen die Gutscheine für Sonderrationen verteilt. Er gibt aber auf Vorhalt zu, bei dem Hineintreiben der Menschen in die Gaskammern nachgeholfen zu haben und die Aufsicht gehabt zu haben über das Gesamtgeschehen, wobei er auch beobachtet hat, daß das Giftgas in die Gaskammern hineingeworfen wurde.

Der Zeuge Arie Fuks hat den Angeklagten mehrfach, wenn auch nicht regelmäßig, auf der Rampe gesehen. Der Zeuge Bracht, dessen Aussage verlesen worden ist, hat den Angeklagten ebenfalls bei Selektionen gesehen. Er hat dabei auch miterlebt, wie er ein Mitglied des »Sonderkommandos« mißhandelt hat. Der Zeuge Gibian glaubt, den Angeklagten auf der Rampe gesehen zu haben. Er glaubt auch, daß er dort die Aufsicht hatte. Der Zeuge Krokowski hat von einem Kameraden gehört, daß Hofmann von der Rampe gekommen sei. Der Zeuge Seweryn hat dem Gericht gegenüber erklärt, Schwarz und Hofmann hätten das Ganze auf der Rampe geleitet.

Es läßt sich auch in diesem Fall keine genaue Feststellung der Zahlen treffen, wie oft der Angeklagte auf der Rampe gewesen ist. Das Schwurgericht ist von der Aussage des Angeklagten ausgegangen und hat folgende Feststellung getroffen: Der Angeklagte war in einer ungewissen Anzahl von Fällen, mindestens aber dreimal, im Rampendienst tätig. Er hatte dort die Aufsicht, er ist mit an die Gaskammer gegangen, er hat die Leute in die Gaskammer hineingeschoben und hat auch die Einschüttung des Gases beobachtet.

Dem Angeklagten wird dann weiterhin zur Last gelegt, auch bei sogenannten Bunkerentleerungen beteiligt gewesen zu sein. Zunächst ist zu sagen, daß die Vergehen oder Verbrechen, die bei den sogenannten Bunkerentleerungen begangen [+ worden] sind, nicht etwa der Verjährung unterliegen, da am 9.8.1961 der Beschluß über die Eröffnung der Voruntersuchung ergangen ist und insoweit die Verjährung unterbrochen wurde. Nach Einlassung des Angeklagten ist er zwei- bis dreimal bei sogenannten Bunkerentleerungen anwesend gewesen, und zwar zusammen mit dem Lagerführer Aumeier und Grabner. Bei den anschließenden Erschießungen will der Angeklagte zwar anwesend gewesen sein, ohne aber dort eine Funktion ausgeübt zu haben. Im November 43 sind nach seiner Darstellung keine »Bunkerentleerungen« mehr vorgenommen worden.

Der Zeuge Pilecki, der von Dezember 42 bis 44 Schreiber in Block 11 war, erwähnt zwar Grabner und Aumeier und erklärt, daß unter Umständen auch die Sachbearbeiter der Politischen Abteilung bei den sogenannten Bunkerentleerungen über das Schicksal der eingesperrten Häftlinge entschieden hätten. Er hat aber Hofmann dabei nicht erwähnt.

Der Zeuge Broch konnte dem Gericht zur Ermittlung der Wahrheit nicht dienen, da seine Aussage nicht für glaubhaft angesehen worden ist. Er hat zunächst erklärt: »Wenn Hofmann Lagerführer war, war er auch bei den Selektionen.« Später hat er erklärt, er habe nicht Hofmann, sondern Schwarz gemeint. Mit einer solchen Aussage konnte das Gericht nichts anfangen.

Der Zeuge Fejkiel hat den Angeklagten bei zwei »Bunkerentleerungen« gesehen; er hat aber nicht gesehen, ob der Angeklagte selbst dabei entschieden hat.

Der Zeuge Gabis, der am 9.9.43 von der Politischen Abteilung in den Bunker gebracht worden war, hat bei der Selektion Boger erlebt. Dieser Angeklagte Boger hat auch diesen Zeugen Gabis seinerzeit herausgeholt aus dem Bunker mit den Worten: »Du bist mein«, worauf der Angeklagte Hofmann nach der Aussage des Zeugen in seiner Liste hinter dem Namen des Zeugen ein Kreuz gemacht haben soll. Bei dieser Selektion sei auch Schwarz anwesend gewesen, nämlich der Vorgesetzte von Hofmann.

Das Gericht hat daraufhin festgestellt: Nach der eigenen Einlassung des Angeklagten war er dreimal bei »Bunkerentleerungen« zugegen, nach der Zeugenaussage Gabis hat er einmal die Liste geführt und hinter den Namen des Zeugen ein Kreuz eingetragen. Es ist aber nicht nachgewiesen, daß er selbst über Leben und Tod der Häftlinge entschieden hat. Und schließlich war er dann auch bei den Erschießungen zugegen.

Der Angeklagte gibt dann weiter zu, daß er Häftlingen ab und zu einmal ein paar Ohrfeigen gegeben habe. Eventuell könne er auch »Sport« angeordnet haben, dabei seien aber Menschen nicht gequält worden. Was der sogenannte Sport in Auschwitz war, darüber haben wir bereits eingehend gesprochen. Diese Einlassung des Angeklagten ist angesichts der Feststellungen, die das Gericht im Laufe des Prozesses über dieses sogenannte Sportmachen getroffen hat, gelinde gesagt, unverständlich. Ein sogenannter Sport mit völlig entkräfteten, verhungerten und gequälten Häftlingen wäre an sich schon eine Quälerei, auch wenn die ausgesuchten Teufeleien, die er in Auschwitz mit sich brachte, nicht geschehen wären.

Die Zeugen Friedrich und Schröder haben Aussagen gemacht, die nicht ganz zuverlässig sind. Sie sind von der Polizei gemeinschaftlich vernommen worden, so daß ihre heutige Aussage mit der im Vorverfahren nicht immer übereinstimmt. Infolgedessen hat das Gericht auch auf diese Aussagen nicht zurückgegriffen. Die Zeugen haben in der Hauptverhandlung erklärt, was sie im Vorverfahren gesagt hätten, müsse auf einem Irrtum beruhen, und klare Angaben konnten von diesen Zeugen nicht erwartet werden.

Auch der Zeuge Paul Morgenstern hat eine unverwertbare Aussage gemacht. Er kann offensichtlich die Person des Angeklagten Hofmann nicht mehr richtig im Gedächtnis haben. Wie er aussagt, haben im Hochsommer 43 die SS-Leute Plagge und Palitzsch den ersten »Sport« geleitet. Beim zweiten »Sportmachen« sollen nach Hörensagen, wie der Zeuge sich ausdrückt, Menschen gestorben sein. Es soll dabei auch ein Hauptsturmführer gewesen sein, den er offensichtlich mit Hofmann identifizieren will. Und er behauptet auch, Hofmann sei Arbeitseinsatzführer gewesen. Aber das stimmt alles nicht. Hofmann war Obersturmführer, er hatte auch mit dem Arbeitseinsatz nichts zu tun. Auf diese Aussage hat das Gericht deshalb keinen Wert gelegt.

Die Zeugin Hilli Weiß schließlich ist kommissarisch vernommen worden, und ihre Vernehmung steht in gewissen Widersprüchen mit ihren Aussagen in der Vorvernehmung.[2] Sie hat erklärt, sie habe von Hofmann den schlechtesten Eindruck. Er habe viel »Sport« gemacht und habe auch mit dem Knüppel geschlagen und die Leute am Boden getreten. Dies alles habe sie vom Lagerfenster aus gesehen und damals fünf bis sechs Tote erlebt, Leute, die sie selbst gekannt habe und deren Todesmeldung sie später habe schreiben müssen. Im Jahre 1960, in ihrer Vorvernehmung auf Blatt 6.100, hat sie erklärt: Von Hofmann kann ich nichts sagen. Er war nur kurze Zeit im Lager. Ich habe ihn nur ganz allgemein erlebt, kann jedoch keinerlei Verbrechen, Mord oder Totschlag ihm nachsagen. Angesichts dieser Diskrepanz in der Aussage der Zeugin konnte auch hierauf das Urteil nicht gestützt werden.

Das gleiche gilt auch für die Aussage der Zeugin Guttenberger, die als 17jähriges Mädchen im Zigeunerlager war, und zwar vom 16.3.43 bis zum Juli 44 in Quarantäne.

Vorsitzender Richter:

Und dann, am 1.8.44, ist sie nach Ravensbrück gekommen. Sie hat Hofmann angeblich ein halbes Jahr als Lagerführer erlebt. Einmal hat die Zeugin beim Steinetragen erlebt, wie Hofmann beanstandet hat, daß die Frauen nur jeweils fünf Steine getragen haben. Sie hat damals diesen Vorfall angeblich selbst miterlebt. Sie hat auch von der Lagerschreibstube aus gesehen angeblich, daß Palitzsch und Plagge »Sport« gemacht hätten. Dabei will sie auch Hofmann erlebt haben. Sie will auch erlebt haben, daß er dabei geschlagen habe. Hofmann habe auch sonst geschlagen. Es sind ihrer Meinung nach auch manchmal Leute liegengeblieben, die dann in den Krankenbau befördert worden sind und von denen sie gehört haben will, daß sie später gestorben wären.

Da die Zeugin Guttenberger mithin auch nicht feststellen konnte, ob durch die persönliche Einwirkung Hofmanns Menschen zu Tode gekommen sind, konnte auch insoweit trotz erheblichen Verdachts die Mitwirkung des Angeklagten an der Tötung von Menschen beim »Sportmachen« nicht festgestellt werden. Es ist zwar mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Angeklagte diesen »Sport« befohlen hat und daß auch Leute bei diesem »Sport« gestorben sind, eine sichere Feststellung konnte jedoch nicht getroffen werden.

Es wird dann dem Angeklagten weiterhin zur Last gelegt, im Sommer 43 einen Häftling erschossen zu haben, der sich weigerte, in die Gaskammer zu gehen, und russische Kriegsgefangene im Freien aufgestellt zu haben, um sie dort erfrieren zu lassen. Der Zeuge Holtgreve, der von August 40 bis zum Januar 45 im Lager war, will an Weihnachten 44 den Angeklagten Hofmann erlebt haben, der bei der Aufhängung eines Menschen zugegen gewesen sei und noch eine Rede gehalten habe. Diese Feststellung des Zeugen ist jedoch objektiv nicht möglich, weil Hofmann zu dieser Zeit schon in einem anderen Konzentrationslager gewesen ist und sich nicht mehr in Auschwitz aufgehalten hat.

Dieser Zeuge will dann weiterhin gesehen haben, wie der Angeklagte Hofmann einen Häftling gezerrt und schließlich erschossen habe. Aber Einzelheiten kann der Zeuge für diese Tat nicht angeben; insbesondere kann er die Umstände nicht mehr schildern, unter denen sich dieser Vorfall abgespielt haben soll. Und es ist möglich, daß der Zeuge hier ebenfalls die Tat auf eine falsche Person projiziert, zumal er auch den Angeklagten noch Weihnachten 44 gesehen haben will, wo der Angeklagte gar nicht mehr im Lager war.

Auch bezüglich der Ermordung russischer Kriegsgefangener stützt sich die Anklage lediglich auf den Zeugen Holtgreve. Auch insoweit sind die Aussagen völlig unzuverlässig. Während er früher gesagt hat, der Angeklagte habe zehn bis zwölf russische Kriegsgefangene splitternackt sich ausziehen lassen, und er habe angenommen, daß sie gestorben seien, weiß er heute nicht mehr, ob sich dieser Vorfall im Sommer oder im Winter abgespielt hat.[3] Er bleibt jetzt bei der Auffassung, es habe sich auch nur um einen Gefangenen gehandelt. Aber auch selbst diese Darstellung scheint unrichtig zu sein, weil der Rest der russischen Kriegsgefangenen bereits 1942 nach Birkenau gekommen ist, so daß sich im Stammlager Auschwitz zu der Zeit, als der Zeuge in Auschwitz war, nämlich 43 oder 44, dieser Vorfall gar nicht mehr abgespielt haben kann.

Auch der Zeuge Fath, der etwas von Tötung russischer Kriegsgefangener durch den Angeklagten Hofmann ausgesagt hat, hat seinerzeit gemeint, es sei im strengen Winter 42 vorgekommen, daß russische Kriegsgefangene bei 18 bis 20 Grad Kälte umgefallen seien.[4] Er habe dann gehört, daß diese armen Menschen in den Keller geschleift und von den Blockältesten totgeschlagen worden seien. In der Hauptverhandlung hat der Zeuge erklärt, diese Kriegsgefangenen seien weder nackt ausgezogen gewesen noch habe er feststellen können, daß sie tot gewesen seien.

Bei den Vorwürfen im Eröffnungsbeschluß zu Ziffer 5 und 7 können infolgedessen keine konkreten Handlungen nachgewiesen werden. Es steht insbesondere nicht fest, daß durch die Schuld des Angeklagten Kriegsgefangene erfroren sind; sie sind möglicherweise durch Blockälteste im Keller totgeschlagen worden. Und es steht ferner nicht fest, ob und inwieweit der Angeklagte Hofmann diese Tatsachen gekannt und inwieweit er sie gebilligt oder gar befohlen hat.

Es wird dann schließlich dem Angeklagten Hofmann in Ziffer 8 des Eröffnungsbeschlusses zum Vorwurf gemacht, daß er im Kinderlager 40 bis 50 Kinder zur Vergasung ausgesondert habe. Dieser Vorwurf beruht allein auf der Aussage des Zeugen Grande. Auch dieser Zeuge ist nicht geeignet, die Anklage zu stützen beziehungsweise eine Verurteilung des Angeklagten zu rechtfertigen. Der Zeuge ist erheblich vorbestraft, auch wegen Betrugs im Rückfall. Er hat auch in der Hauptverhandlung bezüglich seines Vorlebens offensichtlich die Unwahrheit gesagt, und außer ihm ist kein Zeuge vorhanden, der diesen Vorfall bestätigen könnte.

Der Zeuge hat im Vorverfahren gesagt, Hofmann habe diese Kinder in Block 11 unterbringen wollen, während Schwarz sich dagegen gewehrt habe mit der Begründung, das gehe nicht. Sonst hat aber der Zeuge, wie er in dem Vorverfahren gesagt hat, bei dieser Unterhaltung nichts gehört.[5] In der Hauptverhandlung hat der Zeuge erklärt, beide seien einer Meinung gewesen, daß die Kinder vergast werden sollten. Der Zeuge hat auch nicht etwa feststellen können, daß die Kinder sofort vergast worden sind. Sondern die Kinder sollen erst viel später, nach Wochen oder Monaten erst, vergast worden sein. Jedenfalls sollen die Transportlisten seinerzeit an Hofmann übergeben worden sein.

In der Hauptverhandlung hat der Zeuge diese Darstellung gegeben. Früher hat er erklärt, Hofmann habe den Transport selbst angeführt. All diese Widersprüche in seiner Aussage haben das Gericht nicht veranlassen können, diesen Fall als festgestellt anzusehen. Der Angeklagte Hofmann schließlich hat sich darauf berufen, daß die Kinder auf die verantwortliche Anweisung des Lagerführers Schwarz geholt worden seien, und zwar seien sie nach Birkenau in das Lager BIIf, das heißt auf den Krankenbau, gebracht worden. Eine andere Bezeichnung ist die Bezeichnung BFII, das war die amtliche Bezeichnung für die Vergasungsstelle, nämlich Birkenau, Feuerstelle II. Ob nun die Kinder nach BIIf, nämlich in den Krankenbau, oder in das Gas verlegt worden sind, ließ sich in der Hauptverhandlung nicht klären.

Der Zeuge Grande hat in der Hauptverhandlung gesagt, er habe nie behauptet, daß die Kinder vergast worden seien. Früher aber, im Vorverfahren, hat er ganz genau gewußt, daß die Kinder vergast worden sind. Es kann auch nach diesen Angaben nur festgestellt werden, daß 40 bis 50 Kinder im Stammlager gelegen haben und daß diese nach Birkenau oder nach Rajsko verlegt worden sind. Es kann aber nicht festgestellt werden, daß die Kinder überstellt wurden, das heißt zu Tode gebracht wurden.

Im Eröffnungsbeschluß, Ziffer 9, ist dem Angeklagten eine Selektion im Januar 44 in der alten Wäscherei zum Vorwurf gemacht worden, bei der 600 Personen selektiert und zur Vergasung abtransportiert worden sein sollen. Dieser Vorwurf beruht auf der Aussage der Zeugen Wörl und Steiner.

Der Zeuge Wörl hat selbst nichts gesehen, er weiß nur von Hörensagen, daß angeblich Kaduk, Clausen und Hofmann eine Selektion vorgenommen haben sollen. Eine Selektion, die von Berlin angeordnet gewesen sei und von dem Lagerarzt Doktor Rohde trotz Einspruchs nicht aufgehalten werden konnte.

Der Zeuge Steiner schildert die Selektion ganz allgemein. Sie soll im Stammlager Auschwitz stattgefunden haben. Hofmann war jedoch bis zum Sommer 43 dauernd in Birkenau. Er kann also schwerlich gleichzeitig in Auschwitz bei einer Selektion sich betätigt haben. Der Zeuge weiß dann von einer weiteren Selektion im Winter 43/44, bei der etwa 150 bis 200 Häftlinge ausgewählt worden sein sollen. Von dieser Selektion sagt er ausdrücklich, Hofmann sei nicht anwesend gewesen, sondern nur Kaduk und Clausen. Für diesen Vorwurf ist damit ein direkter Zeuge nicht vorhanden. Der Zeuge Steiner hat Hofmann nicht gesehen. Aber auch der indirekte Zeuge Wörl, der nur von Hörensagen Kenntnis hat, kann nicht mit bestimmter Sicherheit belegen, daß Hofmann diese Selektion angeordnet beziehungsweise bei ihr mitgewirkt hat.

Anders ist es in dem Eröffnungsbeschluß zu Ziffer 6. Dem Angeklagten wird hier vorgeworfen, mit einer Flasche nach einem Häftling geworfen zu haben, so daß dieser Häftling an den Folgen der Verletzung sterben mußte. Diese Feststellung des Gerichts basiert auf der Aussage des Zeugen van Velsen, die auch durch die Aussage des Zeugen Bracht unterstützt wird.

Der durchaus glaubwürdige Zeuge van Velsen hat gesehen, wie der Angeklagte in der Nähe der Kantine einem Häftling die Mütze vom Kopf geworfen hat, und als der Häftling sich bückte, um die Mütze aufzuheben, habe er ihm eine Flasche an den Kopf geworfen, so daß der Häftling zusammengebrochen sei. Diese Darstellung hat der Zeuge bereits im Jahr 1945 in einem Bericht gegeben, den er damals gemacht hat, und bis zum heutigen Tag ist er bei dieser Darstellung geblieben. Nach Bekundung des Zeugen ist der Häftling in den Krankenbau gekommen, und von dem Häftlingsarzt Doktor Epstein ist dann dem Zeugen bestätigt worden, daß dieser Mann an den Folgen des Flaschenwurfs gestorben sei. Doktor Epstein hat die Leiche selbst gesehen.

Diese Darstellung des Zeugen van Velsen wird auch in etwa durch die Aussage des Zeugen Bracht bestätigt. Die Verteidigung hat zwar darauf hingewiesen, daß dieser Zeuge nicht glaubwürdig sei, da er angeblich aus seinem Bunker Vorgänge beobachtet haben wolle, die er nicht habe beobachten können. Aber immerhin hat dieser Zeuge bestätigt, was der Zeuge van Velsen sehr glaubhaft vorgetragen hat. Und dieser Zeugenaussage hat sich das Gericht auch angeschlossen.

Diese Tat des Angeklagten Hofmann stellt einen Mord dar. Ein gezielter Flaschenwurf aus einer Entfernung von fünf bis sechs Metern mit voller Wucht kann ohne weiteres den Tod eines Menschen zur Folge haben. Der Angeklagte Hofmann war sich dieser Tatsache auch vollkommen bewußt und hat trotzdem geworfen. Er hatte dabei auch den Vorsatz, den Häftling tödlich zu treffen. Denn zu diesem Zweck hat er dem Häftling zunächst die Mütze vom Kopf geworfen, und den Häftling in dem Augenblick getroffen, als dieser sich bückte, das heißt, als er gerade in der Position war, die für die Absicht des Angeklagten besonders vorteilhaft war. Der Angeklagte Hofmann hat diese Tat auch heimtückisch begangen. Denn der Häftling, der sich nach seiner Mütze bückte, konnte nicht ahnen, daß er totgeschlagen werden sollte. Diese Wehrlosigkeit und Arglosigkeit hat der Angeklagte Hofmann ausgenutzt. Er hat selbstverständlich dabei auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehabt, denn es war ihm klar, daß er zu einem solchen Verhalten nicht berechtigt gewesen ist.

Die weiteren Feststellungen aufgrund der Aussage des Zeugen van Velsen, daß der Angeklagte verantwortlich sei für den Tod von 1.000 Menschen, die auf Block 7 in Birkenau verhungert sind, konnte nicht zum Gegenstand des Urteils gemacht werden, da eine dahingehende Nachtragsanklage nicht in das Verfahren einbezogen worden ist.

Es ist selbstverständlich, daß durch diese Feststellung nicht das Gesamtverhalten des Angeklagten Hofmann in Auschwitz gewürdigt werden konnte. Andererseits gibt es nach dem Strafgesetzbuch kein Massenverbrechen. Und es konnte deshalb im Urteil nur das zugrunde gelegt werden, was dem Angeklagten auch einwandfrei nachgewiesen worden ist. Das bedeutet, daß der Angeklagte Hofmann in einem Fall einen Mord begangen hat, und zwar, als er dem Häftling die Mütze abgenommen und ihn heimtückisch mit dem Flaschenwurf getötet hat, zweitens: daß der Angeklagte dreimal bei dem Rampendienst tätig gewesen ist, daß er dort jeweils dafür gesorgt hat, daß je mindestens 750 Menschen bei einem Transport zu Tode gebracht worden sind.

Es ist nach Auffassung des Gerichts der Angeklagte hier auch als Mittäter und nicht etwa als Gehilfe zu bestrafen. Der Angeklagte war sich damals schon [darüber im klaren], daß dieses Umbringen der Menschen ein Unrecht war. Er hat selbst in der Hauptverhandlung ausgerufen: »Es war schrecklich, was Menschen von Menschen verlangen konnten.« Der Angeklagte war auch ein zuverlässiger, in Anführungszeichen, KZ-Bewacher. Er hat die Befehle ausgeführt, ohne nach ihrer moralischen Berechtigung zu fragen. Er ist seit Jahren im KZ eingesetzt gewesen und hatte sich dort auch bewährt, in Anführungszeichen. Er ist schließlich auch in Auschwitz zum Hauptsturmführer befördert worden. Er befand sich nicht in einem Befehlsnotstand. Sein Wille ist nie gebeugt worden und mußte nie gebeugt werden. Sein Tun war schließlich auch kausal für den Erfolg, denn ohne die Mitwirkung des Schutzhaftlagerführers wären die Dinge nicht möglich gewesen.

Es kann dem Angeklagten Hofmann geglaubt werden, daß er sich aus Dachau einmal an die Front gemeldet hat. In Auschwitz hat er das jedenfalls nicht getan. Er war auch für seine Auftraggeber ein unentbehrlicher Mann, der sich als brauchbar und als KZ-Bewacher bewährt hat. Er ist deshalb auch in relativ kurzen Zeitabständen stetig befördert worden und schließlich zum Lagerleiter avanciert, was nur möglich war, weil er alle Wünsche erfüllt hat, die man an ihn stellte.

Auch die Tatsache, daß er, wie der Zeuge van Velsen geschildert hat, 1.000 Menschen etwa in den Block 7 verbringen ließ, um sie dort verhungern zu lassen, spricht für eine Mittäterschaft des Angeklagten. Diese Tatsache, die zwar nicht hier als Tat abgeurteilt werden konnte, die aber doch ein Licht wirft auf die innere Einstellung des Angeklagten zu dem Gesamtgeschehen, hat dem Gericht die Auffassung vermittelt, daß der Angeklagte nicht als Beihelfer gehandelt hat, sondern als Mittäter, der diese ganze Politik und dieses ganze Wollen als eigenes gewollt hat und deshalb nicht nur eine fremde Tat unterstützt hat.

Das gleiche gilt von seiner Beteiligung an den »Bunkerentleerungen«. Der Angeklagte hat hierbei mindestens psychische Beihilfe geleistet, denn die SS-Leute wurden durch die Anwesenheit des Lagerführers bestärkt, und die Häftlinge endlich völlig willenlos gemacht und dadurch nicht in die Lage versetzt, diesem Geschehen irgendeinen Widerstand entgegenzusetzen. Das Gericht hat in jedem Fall mindestens eine Selektion und Erschießung von jeweils zehn Gefangenen unterstellt, weil auch hier exakte Zahlen nicht zu ermitteln waren. Zugunsten des Angeklagten ist daher von der äußerst niedrigen Zahl von zehn Menschen ausgegangen worden.

Der Angeklagte hat somit bei dem Flaschenwurf in einem Fall, bei dem Rampendienst in drei Fällen mitgewirkt, wobei die Tötung der jeweils 750 Menschen als in Idealkonkurrenz begangen von dem Gericht angesehen worden ist. Er hat weiterhin dreimal zehn, das heißt also 30 Menschen, mit zu Tode bringen helfen, wobei es sich ebenfalls um Mord gehandelt hat. Denn die Menschen, die im Bunker gesessen haben, waren weder durch ein Sondergericht noch durch ein Standgericht abgeurteilt. Der Angeklagte wußte, denn er war ja dabei, daß in jedem Einzelfall erst über das Schicksal dieser Menschen entschieden wurde. Das bedeutet, daß ihm die Unrechtmäßigkeit dieser Tötungen in vollem Umfange klargeworden ist. Diese 30 Fälle zusammen mit den drei Fällen des Rampendienstes und dem einen Fall des Flaschenwurfs ergaben 34 Fälle des Mordes, wobei 2.281 Menschen ihr Leben verloren haben. Aus diesem Grunde war der Angeklagte gemäß § 211 des Strafgesetzbuchs zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen. Die bürgerlichen Ehrenrechte waren ihm ebenfalls auf Lebenszeit abzuerkennen. [Pause]

Der Angeklagte Oswald Kaduk trat 1939 freiwillig in die Allgemeine SS ein. Er ist dann 1940 zur 15. Totenkopfstandarte nach Oranienburg eingezogen worden, hat verschiedene Ausbildungen durchgemacht, ist auch mit einer Einheit nach Finnland gekommen und wurde 1941 nach Auschwitz versetzt, wo er zunächst Dienst bei dem Wachsturmbann gemacht hat. Angeblich hat er sich von Auschwitz an die Front gemeldet; dieses Gesuch soll ihm jedoch abgeschlagen worden sein. Vom Wachsturmbann kam er zur Kommandantur und wurde zunächst Blockführer, später Rapportführer. Nach der Einlassung des Angeklagten will er in der Zeit vom 28.10.42 bis zum 21.8.43 in Lazarettbehandlung sich befunden haben. Diese Einlassung steht aber im Widerspruch mit der Auskunft der Wehrmachtsauskunftstelle, wonach der Angeklagte lediglich in der Zeit vom 25.10.42 bis zum 2.11.42 und vom 21.8.43 bis zum 28.9.43 sich in Lazarettbehandlung befunden haben kann. Der Angeklagte ist bis zur Auflösung des Lagers am 18.1.1945 in Auschwitz gewesen.

Nach dem Krieg wurde der Angeklagte am 8. Dezember 1946 festgenommen und wegen Zugehörigkeit zur SS und wegen seiner Tätigkeit im Lager Auschwitz von einem russischen Militärgericht am 25.8.47 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Am 26.4.56 wurde er begnadigt und aus dem Zuchthaus in Bautzen entlassen. Am 21.7.59 wurde er wegen der vorliegenden Sache erneut in Untersuchungshaft genommen.

Gegen den Angeklagten werden insgesamt 25 Anklagepunkte geltend gemacht. Es wird ihm zur Last gelegt, 1943 jüdische Häftlinge aus Holland bei der Kontrolle am Lagertor bewußtlos geschlagen zu haben, so daß sie später gestorben sind. Dieser Vorfall wird bestätigt durch den Zeugen Reineck. Der Zeuge hat aber in der Hauptverhandlung zugeben müssen, daß er die Mißhandlung nicht selbst gesehen, sondern daß er nur davon gehört habe. Im Gegensatz dazu hat er, was seine frühere Vernehmung auf Blatt 11.157 ergibt, erklärt, er habe diese Mißhandlung selbst, mit eigenen Augen, gesehen.[6] Auf den Vorhalt dieser Aussage hat er dann in der Hauptverhandlung gemeint, er habe diesen Vorfall doch selbst gesehen.

Aber die Erinnerung dieses Zeugen ist offensichtlich nicht mehr ganz zuverlässig. Es besteht die Gefahr, daß er eventuell Schlußfolgerungen gezogen hat, so daß er Hörensagen mit eigenen Beobachtungen verquickt hat. Und es steht nicht fest, daß die Gewährsleute, die ihm den Sachverhalt erzählt haben können, auch zuverlässig gewesen sind. Er hat den Angeklagten oft beim sogenannten Filzen gesehen, was auch andere Zeugen bestätigt haben. Auf Vorhalt hat er gemeint, die Funktionshäftlinge hätten alle Dinge im Lager erfaßt. Es besteht daher die Vermutung, daß er auch diesen Vorfall nur von Dritten erfahren hat. Er hat dem Gericht jedenfalls im einzelnen nicht die Kausalität zwischen dem Verhalten des Angeklagten Kaduk und dem Tod dieses Häftlings aus Holland glaubhaft bestätigen können.

Anders steht es mit dem Vorfall, den der Zeuge Skrein geschildert hat. Nach dieser Darstellung hat der Angeklagte im Jahr 1943 oder 44 einen Jungen, der von der Arbeit ermattet zurückgekommen und in dem Block eingeschlafen und infolgedessen nicht rechtzeitig zum Appell erschienen war, zu Tode getrampelt. Der Zeuge, ein Rechtsanwalt aus Wien, bestätigt diesen Vorgang und weist insbesondere darauf hin, daß der Angeklagte mit den Stiefelabsätzen auf den Brustkorb des Häftlings getreten habe. Während dieser Zeuge diesen Vorfall auf den Spätsommer 44 verlegt, hat der Zeuge Zalewski den gleichen Fall erlebt, der sich angeblich nach Meinung des Zeugen im Jahr 43 abgespielt haben soll.[7] Der Zeuge ist sich jedoch in seiner Zeitangabe nicht mehr ganz sicher. Es kann daher möglich sein, daß es sich bei diesen beiden Vorfällen in Wirklichkeit um den gleichen Fall gehandelt hat, was zugunsten des Angeklagten unterstellt worden ist.

Festgestellt wird, daß diese Tötung durch den Angeklagten Kaduk grausam war und aus Mordlust geschehen ist, aus einer gefühllosen und rohen Gesinnung. Der Anlaß zu dieser Tötung war ein völlig nichtiger. Es lag kein Befehl vor. Der Lagerführer soll vorher diesem [Häftling] eine Ohrfeige gegeben haben wegen seines Nichterscheinens. Die Tötung des [Häftlings] ist daher lediglich auf den eigenen Entschluß des Angeklagten zurückzuführen.

Die im Punkt 12 des Eröffnungsbeschlusses dem Angeklagten zur Last gelegte Erschießung von acht bis zwölf Menschen an der Schwarzen Wand im Mai oder August 44 konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Die Zeugen Ławrynowicz und Bartel haben gesehen, daß Kaduk mit einem Kleinkalibergewehr zu Block 11 gegangen ist. Sie haben aber nicht feststellen können, ob er dort selbst geschossen hat, wen er erschossen hat, aus welchen Gründen Menschen erschossen worden sind und ob bezüglich dieser Erschießungen Urteile vorgelegen haben. Ob die Häftlinge überhaupt erschossen worden sind, konnte nicht festgestellt werden.

Der Zeuge Głowacki bekundet, daß Kaduk mit einer Gruppe von Häftlingen auf Block 11 gegangen sei und daß dort geschossen worden sei. Diese Erschießungen von zehn Gruppen zu je acht bis zehn Personen fanden statt , ohne daß diese Menschen vorher in den Arrest eingeliefert worden sind, was aus dem Bunkerbuch hervorgeht. Daraus aber ergibt sich, daß es sich dabei nicht um sogenannte Bunkerentleerungen gehandelt hat, sondern um befohlene Exekutionen. Die Menschen, die von auswärts nach Auschwitz gebracht worden sind, um dort exekutiert zu werden, können unter Umständen zuvor von Standgerichten verurteilt worden sein. Es können auch Sondergerichtsurteile vorgelegen haben. Und es kann zum mindesten dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden, daß er von dem Verbrechenscharakter dieser Erschießungsbefehle überzeugt war, was gemäß § 47 des Militärstrafgesetzbuchs aber Voraussetzung für eine Verurteilung des Angeklagten wäre.[8]

Der Zeuge Fabian hat Kaduk angeblich schießen sehen, und zwar gemeinschaftlich mit Stiwitz, Lachmann und Palitzsch. Palitzsch aber war im Frühjahr 43 mit Hofmann nach Birkenau gekommen. Auch hier waren die Gründe für die Erschießung, die Fabian angeblich beobachtet haben will, nicht zu klären. Es ist auch hier deshalb nicht festzustellen, daß dem Angeklagten der verbrecherische Charakter der ihm gegebenen Befehle im Sinne des § 47 Militärstrafgesetzbuchs bekannt gewesen ist.

Die Zeugin Herrmann konnte in der Hauptverhandlung ihre frühere Aussage, daß sie den Angeklagten selbst aus Block 10 beobachtet habe, nicht mehr aufrechterhalten.[9]

Der Zeuge Wörl hat angeblich gesehen, daß Kaduk Menschen erschossen hat. Er will diese Feststellungen aus seinem Bunkerarrest gemacht haben. Der Zeuge war in der Zeit vom 28.8.43 bis 23.11.43 im Arrest. Er konnte nach den Feststellungen des Gerichts nicht aus dem Bunker sehen, was an der Schwarzen Wand vor sich gegangen ist. In der Anklage aufgeführt sind nur Erschießungen von Mai 43 und August 44, also zum Teil vor der Zeit, in der der Zeuge im Bunker eingesessen hat. Im August 44 aber haben an der Schwarzen Wand keine Erschießungen mehr stattgefunden. Zu dieser Zeit sind bereits die Menschen in Birkenau in der »Sauna« erschossen worden, während die Schwarze Wand niedergerissen gewesen ist. Woher der Zeuge daher seine Kenntnis hat, konnte in der Verhandlung nicht festgestellt werden.

Nach einem weiteren Vorwurf, der dem Angeklagten im Eröffnungsbeschluß, Punkt 18, gemacht worden ist, soll er im September 44 drei Häftlinge [+ so] mißhandelt haben, daß sie noch am gleichen Tag starben. Dieser Vorwurf beruht auf der Darstellung des Zeugen Doering. Der Zeuge erzählt, daß an dem Arbeitsplatz Häftlinge, die durch die schwere Arbeit ermattet waren und barfuß liefen, nach Auffassung des Angeklagten nicht schnell genug gearbeitet hätten. Der Angeklagte habe darauf mit den Häftlingen »Sport« gemacht. Dabei seien drei Häftlinge besonders von ihm gequält worden, und am anderen Tag sei einer gestorben und von den Leichenträgern abgeholt worden, was der Zeuge selbst gesehen hat.

Kaduk hat diesen »Sport« nach der Darstellung des Zeugen allein veranstaltet. Der Angeklagte läßt sich dazu ein, daß er in dieser Zeit im Lazarett gelegen habe. Die Einlassung des Angeklagten stimmt jedoch nicht. Nach Mitteilung der Wehrmachtsauskunftsstelle war er bis zum 28.9.43 im Lazarett, und nicht, wie er meint, von September 43 bis zum 10. Oktober. Es besteht daher gar keine Veranlassung, die Darstellung des Zeugen Doering nicht für glaubhaft zu halten. Das Verhalten des Angeklagten Kaduk bei diesem sogenannten Sportmachen war grausam. Er hat mindestens mit dem dolus eventualis gehandelt. Er hat es auf den Tod der Häftlinge ankommen lassen und hat sie so lang gequält, bis sie starben. Das heißt, er hat diesen einen Häftling, der dann tatsächlich auch gestorben ist, ermordet.

Der Zeuge Doering schildert dann einen weiteren Fall, der im Eröffnungsbeschluß unter Punkt 19 angeklagt ist und der außerordentlich grauenhaft und grausam war. Als der Zeuge Doering im Quarantänelager war, fehlte eines abends ein Häftling. Darauf kamen andere Funktionäre ins Quarantänelager, unter ihnen auch Kaduk. Es wurden sofort 18 Geiseln ausgesucht, und zwar je drei Geiseln aus den sechs Blöcken. Diese Geiseln wurden abgeführt. Beim weiteren Nachsuchen wurde der fehlende Häftling gefunden, und zwar lag er tot auf dem Holzplatz. Obwohl nun eine Veranlassung zur weiteren Festhaltung der Geiseln nicht bestanden hat, wurden drei Geiseln erschossen. Der Zeuge hat vier oder fünf Schüsse gehört und gesehen, daß Kaduk allein eine Pistole in der Hand hatte und sich der Stelle genähert hat, wo die Geiseln standen. Später hat er dann die drei Leichen dort liegen sehen. Andere Häftlinge haben diesem Zeugen seinerzeit im Lager berichtet, daß Kaduk geschossen habe. Dem Blockältesten hat Kaduk in Gegenwart des Zeugen geäußert: »Im Lager hat man nur bei der Arbeit zu sterben, und nicht wie ein Schwein in der Ecke.«

Der Angeklagte Kaduk hat diese drei Menschen ohne jede Veranlassung getötet, lediglich aus Mordlust und aus Freude an der Vernichtung von Menschenleben. Obwohl der fehlende Häftling gefunden worden war, hat er diese Tötung vorgenommen. Auch andere Fälle, die hier nicht zur Anklage stehen und deshalb auch nicht abgeurteilt werden können, haben diese Mordlust des Angeklagten unter Beweis gestellt.

Verteidiger Schallock:

Herr Präsident, ich kann im Augenblick nicht mehr folgen, ich habe Herzbeschwerden. Ist es möglich

Vorsitzender Richter:

Wir waren stehengeblieben bei der Begründung des Urteils gegen den Angeklagten Kaduk.

Der Zeuge Doering hat dann einen weiteren Fall geschildert, der im Jahr 1943 oder 44 vorgefallen sein soll. Der Zeuge hat gesehen, wie an einem Tag die Häftlinge den ganzen Tag Appell stehen mußten. Einer der Häftlinge mußte seine Notdurft verrichten und hat sich deshalb von seiner Stelle entfernt. Der Blockälteste ließ daraufhin den Häftling sich bücken und schlug ihn. Bei dieser Gelegenheit kamen Kaduk und Kurpanik dazu. Kurpanik gab dem Häftling eine Ohrfeige. Der Häftling schwankte und berührte dabei Kaduk. Kaduk schlug ihn und warf die Mütze an den Stacheldraht. Da der Stacheldraht elektrisch nicht geladen war, wurde der Zeuge durch die Berührung mit dem Draht auch nicht getötet. Er wurde aber von den Wachtposten erschossen.

Diese Tötung des Menschen ist von dem Angeklagten Kaduk zu verantworten. Er hat ihn mittelbar getötet, indem der Wachtposten als Werkzeug tätig wurde. Der Angeklagte wußte genau, daß der Wachtposten Anweisung hatte, Häftlinge, die sich an den Drahtzaun begaben, zu erschießen. Er hat trotzdem vorsätzlich und aus Mordlust diesen Häftling an den Drahtzaun gehetzt. Er hat auch heimtückisch gehandelt, da die Häftlinge, die im Quarantäneblock lagen, neu waren, so daß sie das sogenannte Mützewerfen nicht kannten. Kaduk ist also für den Tod dieses Häftlings verantwortlich.

In dem Punkt 21 des Eröffnungsbeschlusses wird dem Angeklagten zur Last gelegt, daß er zur Zeit der Liquidierung des Zigeunerlagers in angetrunkenem Zustand in einen Block kam, in dem Zigeuner lagen, und wahllos herumgeschossen hat. Der Zeuge Eder hat gesehen, daß ein Mensch nach diesem Schießen in den Häftlingskrankenbau geschleift wurde, und zwar dorthin, wo die Leichen abgelegt wurden. Der Zeuge hat einen so glaubwürdigen Eindruck auf das Gericht gemacht, daß auch diese Tat als erwiesen angesehen werden muß. Der Zeuge Skrein hat zwar diesen Vorfall nicht selbst erlebt, er hat aber damals bereits von ihm erfahren.

Der Angeklagte Kaduk hat auf diese Schilderung nur zu sagen gewußt: »Ich gebe keine Erklärung ab.« Das Gericht hat festgestellt, daß diese Tötung ebenfalls aus Mordlust erfolgt ist. Es bestand gar keine Veranlassung zu schießen. Alles flüchtete, Kaduk hatte weder einen Befehl, zu erschießen, noch hatte er überhaupt einen Anlaß, zu schießen. Er schoß wild in das Lager hinein, eben aus Mordlust und ohne jede sonstige Veranlassung.

Der im Punkt 22 des Eröffnungsbeschlusses gemachte Vorwurf, Kaduk habe auch am 13.12.[10] bei einer Exekution mitgewirkt, kann dem Angeklagten nicht angelastet werden. Es ist nicht auszuschließen, daß bei dieser Exekution ein Todesurteil vorgelegen hat. Es ist insbesondere nicht nachzuweisen, daß der Angeklagte erkannt hat, daß diese Exekution aufgrund eines verbrecherischen Befehls vorgenommen worden ist.

Die in dem Punkt 24 des Eröffnungsbeschlusses dem Angeklagten weiterhin angelastete Tötung von drei Menschen auf dem sogenannten Evakuierungsmarsch ist durch den Zeugen Heinz Herrmann bestätigt worden. Der Zeuge ist in der letzten Kolonne gegangen und hat gesehen, daß der Angeklagte Kaduk mehr als zwei Häftlinge, die nicht mehr gehen konnten, erschossen hat. Auch diese Erschießungen waren grausam, denn sie betrafen hilflose, kraftlose Häftlinge, die sich hinschleppen mußten, weil ihnen der Tod vor Augen stand. Es war für die Häftlinge eine psychische und physische Quälerei, zumal gar keine Veranlassung zu ihrer Tötung vorlag. Das Motiv zu dieser Erschießung war ein niedriger Beweggrund. Es war der Wille, durch diese Tötungen die Herrschaft und die Willkür bis zum letzten Augenblick aufrechtzuerhalten.

Nicht nachgewiesen werden konnte dem Angeklagten die ihm in Punkt 25 des Eröffnungsbeschlusses vorgeworfene Tötung. Er soll nämlich nach dem Abmarsch der Häftlinge aus dem Lager Auschwitz noch einmal zurückgekehrt sein und dort einen Häftling namens Ackermann erschossen haben. Dieser Vorfall ist nur durch den Zeugen Toch bestätigt worden. In dem Ermittlungsverfahren hat er angegeben, den Vorfall aus dem Block 17 bemerkt zu haben; in der Hauptverhandlung will er ihn aus Block 28 gesehen haben. Der Name Ackermann ist ihm nach seiner Aussage erst später genannt worden. Ob der Zeuge Toch den Angeklagten so genau gekannt hat, daß er ihn zweifelsfrei wiedererkennen mußte, ist ebenfalls sehr fraglich. Es ist, wie gesagt, der einzige Zeuge, und der Vorfall ist dem Gericht nicht zur Gewißheit aufgeklärt worden. Ganz abgesehen davon, daß in dem Auschwitz-Heft festgestellt wird, daß Ackermann von einem SS-Sturmbannführer zusammen mit einer Abteilung SS-Männer erschossen worden ist, konnte der Vorfall dem Angeklagten auch aus den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen nicht einwandfrei zur Last gelegt werden.

Ebenso ist der Angeklagte nicht verurteilt worden wegen des im Eröffnungsbeschluß 1d aufgeführten Falls der Selektion in dem Jahr 1942 bis 45. Die Aussagen der Zeugen sind alle nicht klar und vor allen Dingen nicht eindeutig.

Der Zeuge Heinz Herrmann will im Winter 43/44 eine Selektion erlebt haben. Es ging damals das Gerücht, daß diese Leute nicht vergast werden sollen, wie der Zeuge sagt. Die Ausgesonderten wurden in einen besonderen Block aufgenommen und sollen nach Ansicht dieses Zeugen noch etwa drei Tage im Lager gewesen sein. Das gleiche gilt auch von der Selektion, die der Zeuge Steiner geschildert hat. Der Zeuge sagt dazu ausdrücklich, daß von Liebehenschel die Selektionen im Lager abgeschafft gewesen seien. Der Zeuge Friedrich sagt, daß bei den Selektionen auch kräftige Menschen dabeigewesen seien. Sie seien zunächst alle wieder in ihre Blocks gegangen, und am nächsten Tag seien sie dort weggekommen.

Der Zeuge Wörl hat selbst nicht gesehen, er hat nur gehört, daß 600 Menschen ausgesondert worden sein sollen. Hierfür habe ein Befehl aus Berlin vorgelegen. Doktor Rohde habe noch versucht, diesen Befehl rückgängig zu machen, aber dies sei ihm nicht gelungen. Kaduk hat er bei dieser Selektion selbst nicht gesehen. Es besteht natürlich auch hier der starke Verdacht, daß diese Selektionen zum Tode dieser Menschen geführt haben. Aber es sind trotzdem gewisse Unsicherheiten bei dieser Darstellung, da im allgemeinen Selektionen zum Tode nur durch Ärzte ausgeführt wurden. Der Angeklagte bestreitet, derartige Selektionen vorgenommen zu haben und behauptet, diejenigen Häftlinge, die er ausgesondert habe, seien als Arbeiter für andere Lager bestimmt gewesen, was auch daraus hervorgehe, daß kräftige Männer ausgesucht worden seien.

Anders aber steht es mit den Darstellungen, die der Zeuge Dürmayer gegeben hat. Dürmayer war Lagerältester im Spätherbst 1944. Er hat selbst dabeigestanden, als Kaduk mit den beiden anderen Rapportführern Häftlinge selektierte. Der Zeuge hatte in diesem Fall schon vorher von dem Lagerführer Hössler erfahren, daß zu viele Arbeitsunfähige im Lager seien und daß deshalb aus Berlin ein Befehl gekommen sei, die Arbeitsunfähigen zu vergasen. Der Zeuge erinnert sich, daß damals die Devise gelautet habe: »Die Muselmänner müssen weg.« Der Zeuge hat auch gesehen, daß die Ausgesonderten auf Lkws verladen und nach Birkenau ins Gas geschickt worden sind. Insgesamt wurden bei dieser Gelegenheit 1.000 Menschen ausgesondert. In diesem Fall steht fest, daß Kaduk selbst selektiert hat. Er hat bei dieser Gelegenheit die Schwachen selektiert, nicht die Arbeitsfähigen, und die Schwachen kamen nach seiner eigenen Einlassung in das Gas.

Auch in den übrigen Fällen, die von Herrmann, Steiner, Friedrich und Wörl geschildert werden, hat der Angeklagte Kaduk selektiert. Aber in diesen Fällen ist eben nicht einwandfrei erwiesen, daß die Menschen vergast worden sind. Vielmehr besteht insoweit immer noch eine gewisse Möglichkeit, daß sie auf Transport gegangen und in anderen Lagern zur Arbeit eingesetzt worden sind.

Korn erzählt von einer Selektion, die alle zehn bis 14 Tage im Lager [stattfand]. Er sagt, man hielt die Ausgesonderten für tot. Ob die Häftlinge, die ausgesondert wurden, auch tatsächlich getötet worden sind, das weiß der Zeuge nicht. Er hat lediglich die Schlußfolgerung gezogen, daß sie auch vergast worden seien.

Anders wiederum verhält es sich mit dem Vorfall, den der Zeuge Laks geschildert hat. Der Zeuge hat Kaduk im Badehaus bei einer Selektion gesehen. Wie der Zeuge schildert, mußten sich die Häftlinge damals nackt ausziehen und an dem Angeklagten vorbeimarschieren. Bei dieser Gelegenheit sind nach der gewissen Kenntnis dieses Zeugen zwei Häftlinge, die ihm namentlich bekannt waren, nämlich Hess und Grünfeld oder Grünberg, ausgesondert und dabei zum Tode bestimmt worden. Die genaue Zahl der damals ausgesonderten Häftlinge ließ sich nicht ermitteln. Das Gericht hat deshalb hier eine unbestimmte Zahl von Fällen angenommen, aber mindestens zwei Fälle, nämlich die von dem Zeugen genannten Männer namens Hess und Grünfeld oder Grünberg.

Die von dem Zeugen Dürmayer und dem Zeugen Laks geschilderte Selektionen, die zum Tod der ausgesonderten Häftlinge geführt haben, waren Beiträge zum Mord. Die Selektionen wurden durchgeführt aus einem niedrigem Beweggrund. Die schwachen und arbeitsunfähigen Häftlinge waren überflüssige Esser, die man auf diese Art und Weise beseitigen wollte. Die Tötung dieser Menschen war grausam, da der Gastod nach den Schilderungen verschiedener Zeugen zu den schrecklichsten Todeskämpfen führte. Es war eine seelische Grausamkeit, die ohnehin schwachen und elenden Menschen zu einem solchen Tode zu bestimmen. Denn diese Menschen wußten, was ihnen bevorstand. Den Opfern wurde daher nicht nur körperliche, sondern auch seelische Qual zugefügt. Das Gericht hat in diesen beiden von Dürmayer und Laks geschilderten Fällen keine Beihilfe angenommen, da das Gesamtverhalten des Angeklagten Kaduk darauf schließen läßt, daß er hier diese Taten selbst als eigene gewollt hat und daß es insbesondere seine auch in anderen Fällen erwiesene Mordlust gewesen ist, die hier ihn zum Tätigwerden veranlaßt hat.

Der Angeklagte Kaduk ist nun durch ein sowjetisches Gericht wegen seiner Tätigkeit in Auschwitz im Jahr 47 bereits mit 25 Jahren Freiheitsentzug oder Zwangsarbeit bestraft worden und ist aufgrund einer Begnadigung durch die sowjetzonale Behörde am 26.4.56 aus Bautzen entlassen worden. Seine Verteidigung hat darauf hingewiesen, daß eine neuerliche Bestrafung des Angeklagten wegen seines Verhaltens in Auschwitz deshalb nicht rechtlich zulässig sei. Die Verteidigung hat die Auffassung vertreten, daß das russische Militärgericht hier tätig geworden sei aufgrund einer Treuhänderschaft, die es für die deutsche Staatssouveränität seinerzeit ausgeübt habe.

Dieser Auffassung hat sich das Schwurgericht nicht angeschlossen. Nach Auffassung des Schwurgerichts, das sich insoweit dem Bundesgerichtshof anschließt, leitet ein Militärgericht seine Berechtigung zur Aburteilung von der Souveränität des Staates ab, für den es tätig wird. Insofern handelt es sich bei dem Urteil des russischen Militärgerichts nicht um ein inländisches, sondern um ein ausländisches Strafurteil. Und dieses Strafurteil ist nach den Vorschriften der §§ 3, 5 und 6 des Strafgesetzbuchs[11] nicht geeignet, um die Strafklage zu verbrauchen. Die Militärgerichte der Besatzungsmächte erlassen ihre Entscheidungen auch in erster Linie zum Schutze der Besatzungsmacht. Es kann daher gemäß § 7 des Strafgesetzbuchs eine zeitige Strafe, soweit sie verbüßt ist, angerechnet werden. Aber im übrigen will der § 7 des Strafgesetzbuchs[12] den Angeklagten nur so stellen, als ob ihn nur ein deutsches Gericht bestraft hätte.

In dem vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Angeklagte Kaduk nicht nach deutschen Gesetzen, sondern nach russischen Gesetzen verurteilt worden ist, so daß diese Verurteilung nicht als eine Verurteilung [nach inländischem Gesetz] angesehen werden kann. Auf die Verurteilung des Angeklagten Kaduk findet auch das Überleitungsgesetz keine Anwendung, da dieses Überleitungsgesetz sich nicht auf Urteile bezieht, die von der russischen Besatzungsmacht ausgesprochen worden sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Angeklagte durch die sowjetzonale Regierung begnadigt worden ist. Denn dieser Gnadenakt ist erfolgt aufgrund des Urteils einer ausländischen Macht, also nicht aufgrund eines inländischen Urteils.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Der Angeklagte Kaduk ist überführt erstens eines Mordes, der von dem Zeugen Skrein geschildert wurde, wobei er einen Häftling zu Tode getrampelt hat, zweitens wegen eines Falles, wo er beim »Sportmachen« einen Menschen totgequält hat, drittens wegen dreier Fälle, wobei drei Geiseln erschossen worden sind, viertens wegen eines Falles, wo er durch »Mützewerfen« zur Tötung eines Menschen beigetragen hat, fünftens wegen eines Falles, wobei er einen Zigeuner erschossen hat, sechstens wegen dreier Fälle, wobei er auf dem Evakuierungsmarsch Menschen, die nicht mehr fähig waren weiterzugehen, niedergeschossen hat. Der Angeklagte hat weiterhin bei zwei Selektionen mitgewirkt, und zwar bei der von dem Zeugen Dürmayer geschilderten Selektion, wobei mindestens 1.000 Menschen ausgewählt und zum Tode bestimmt worden sind, sowie bei der von dem Zeugen Laks beschriebenen Selektion, wobei eine unbestimmte Anzahl von Menschen im Badehaus selektiert wurde, mindestens aber zwei Personen.

In allen diesen Fällen hat das Gericht Mord in Mittäterschaft oder in Täterschaft angenommen, da der Angeklagte Kaduk in all diesen Fällen aus Mordlust gehandelt hat. Er hat auch gezeigt durch seinen Eifer und seine Aktivität, daß er selbst tätig werden wollte und daß die Menschen auch nach seinem Willen und seinem eigenen Vorsatz umgebracht werden sollten. Insgesamt hat er sich damit in zwölf Fällen des Mordes entweder als Mittäter beteiligt oder selbst die Tat ausgeführt. Insgesamt sind dabei mindestens 1.012 Menschen ums Leben gekommen. Er war deshalb zwölfmal zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen, und die bürgerlichen Ehrenrechte waren ihm auf Lebenszeit abzuerkennen.

Der Angeklagte Stefan Baretzki ist im Jahre 1919 in Rumänien geboren. Er hat die Volksschule besucht, dann Strumpfwirker gelernt und diese Tätigkeit auch später ausgeübt. Er hat in der rumänischen Armee gedient und ist angeblich 1940 nach Deutschland umgesiedelt worden. Er selbst behauptet in der Hauptverhandlung, im Frühjahr 42 oder auch schon im Dezember 41 nach Auschwitz gekommen zu sein, wo er zunächst der Wachkompanie und später, etwa im Frühjahr 43, der Kommandantur als Läufer beigegeben worden sei. Nach seiner weiteren Einlassung will er im Juli oder August 43 nach Birkenau in das Lager BIId gekommen sein. Seine Beförderung zum Sturmmann sei 1942 oder 43 ausgesprochen worden, und später wäre er dann noch zum Rottenführer befördert worden.

Aufgrund einer Meldung der Kommandantur, die von Höß unterschrieben worden ist, ist der Angeklagte am 15.8.42 bestraft worden, weil er bei der Erschießung eines Häftlings auf der Flucht... Nein, Entschuldigung, er ist nicht bestraft worden. Es ist am 15.8.42 lediglich eine Meldung gemacht worden, daß der Baretzki bei der Erschießung eines Häftlings »auf der Flucht« mitgewirkt habe, und aus dieser Meldung hat das Gericht den Schluß gezogen, daß er damals noch Schütze im Wachsturmbann gewesen ist.[13] Am 28.5. bis 25.6.43 befand sich der Angeklagte seinerzeit in Untersuchungshaft wegen eines Strafverfahrens, in dem er am 6.9.43 21 Tage verschärften Arrest wegen einer Schlägerei erhalten hat.

Außer den in dem Eröffnungsbeschluß dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen ist ihm durch die Nachtragsanklage, die am 5.6.64 erhoben und gemäß § 266 der Strafprozeßordnung[14] mit Zustimmung des Angeklagten am 25.6.64 in das Hauptverfahren eingezogen worden ist, zur Last gelegt worden, daß er im Jahre 1944 in dem Lager BIId sich an der Tötung von Menschen beteiligt haben soll.[15] Zu diesem Vorwurf ist er am 4.5.1964 gehört worden. In dieser Nachtragsanklage wird ihm zur Last gelegt, im Sommer 44 in dem Lager BIId Angehörige des Kommandos Zerlegebetriebe in ein Löschbecken hineingetrieben und beim Herausklettern die Häftlinge wieder hineingestoßen zu haben, bis die schließlich elendig in diesem Teich ertrunken sind.

Der Zeuge Doering, ein Mechaniker aus Warschau, der ebenfalls Mitglied des Kommandos Zerlegebetriebe gewesen ist, schildert, daß sie Mitte 1944 mit dem Kommando morgens aus dem Lager herausgeführt worden seien. Bei der Rückkehr ins Lager am Spätnachmittag hätte aus der Anzahl der Häftlinge ein russischer Kriegsgefangener gefehlt, der bei der Arbeit eingeschlafen sei und sich an der Arbeitsstelle versteckt gehabt habe. Dieser Häftling sei erst zu spät aufgewacht und herausgekommen, so daß er dem bereits abgerückten Häftlingskommando nachgelaufen sei. Er sei bei seiner Ankunft von den Kapos mit Stöcken zusammengeschlagen worden. Hierauf hätten die in dem Kommando befindlichen russischen Kriegsgefangenen aufgeschrien, ohne jedoch irgendwelchen Widerstand geleistet zu haben. Daraufhin hätten die Kommandoführer zusammen mit den Kapos auf die Kriegsgefangenen eingeschlagen.

Dann sei das Häftlingskommando in das Lager eingerückt. Beim Einrücken sei jedoch ein Teil dieses Kommandos vor der Küche angehalten worden, und es sei ein sogenannter Strafappell abgehalten worden, der sich über Stunden hin erstreckt habe. Hierbei seien einige Häftlinge ohnmächtig geworden. Diese Häftlinge habe dann Baretzki, und zwar etwa vier bis sechs Personen, in das Feuerlöschbecken hineingeworfen. Sobald die Häftlinge den Versuch gemacht hätten, sich aus diesem Becken zu befreien, habe Baretzki ihnen auf die Hände geschlagen, bis sie schließlich abgesackt und ertrunken wären. Der Zeuge Doering hat an diesem Appell selbst nicht teilgenommen, da er mit seinem Kommando früher als der Hauptteil der übrigen in den Block gekommen sei und infolgedessen nicht mehr von diesem sogenannten Zählappell erfaßt worden wäre.

Der Einwand der Verteidigung, der Zeuge habe den Angeklagten Baretzki gar nicht erkennen können, wird durch die Aussage dieses Zeugen widerlegt. Der Zeuge war bereits ein Jahr im Lager BIId; er ist sich seiner Beobachtung ganz sicher. Er erscheint dem Gericht auch glaubwürdig, zumal er bei seinen übrigen Aussagen sehr vorsichtig war. Unter anderem sagte er, daß ihm erzählt worden sei, daß außer den vier bis sechs Menschen, deren Tötung er mit angesehen hätte, noch viel mehr Menschen in das Bassin hineingestoßen worden sein sollen. Den gleichen Vorgang schildert auch der Zeuge Lazanowicz, der ebenfalls bestätigt, daß diejenigen Häftlinge des Zerlegekommandos, die nicht mehr stehen konnten, von Baretzki kurzerhand in das Löschwasserbecken hineingestoßen worden seien.

Der Einwand der Verteidiger, der Zeuge sei ihnen deshalb unglaubwürdig, weil er behauptet habe, der Angeklagte Baretzki habe gut Polnisch gesprochen, ist nicht ausschlaggebend. Auch andere Zeugen haben bekundet, daß Baretzki ganze Sätze polnisch gesprochen habe. Es ist durchaus möglich, daß sich der Angeklagte, der Ukrainisch sprechen konnte, einige Redewendungen in polnischer Sprache angeeignet und diese auch leidlich gut ausgesprochen hat. Selbst wenn man unterstellt, daß der Angeklagte nicht fließend Polnisch gesprochen hat, so ist dies keine Veranlassung, dem Zeugen im übrigen seine Bekundungen nicht zu glauben.

Auch der Zeuge Hadas hat im Sommer oder Herbst 1943, als er in das Lager BIId kam, den Namen Baretzki wiederholt gehört, wenn nach ihm gerufen worden ist. Auch er war Angehöriger des Kommandos Zerlegebetriebe. Auch dieser Zeuge schildert einen ähnlichen Vorfall, der sich nach Angabe dieses Zeugen bereits im Herbst 43 oder im Frühjahr 44 abgespielt haben muß. Auch bei diesem Vorfall mußte eine Hundertschaft dieses Kommandos Zerlegebetriebe vor der Küche stehenbleiben. Baretzki hat auf die Leute eingeschlagen und diejenigen, die nicht mehr stehen konnten, in den Teich hineingestoßen. Wollten sich diese Häftlinge aus dem Becken retten, hat Baretzki ihnen auf die Hände getreten, so daß sie schließlich ertrunken sind. Dieser Vorfall war ein anderer als derjenige, den der Zeuge Doering geschildert hat, zumal dieser Zeuge auch in einer anderen Hundertschaft als Doering gearbeitet hat.

Auch der Zeuge Mikusz hat den Angeklagten Baretzki genau gekannt, da er viel mit ihm zu tun hatte. Auch diesem Zeugen ist ein Fall bekannt, bei dem Angehörige des Zerlegekommandos von Baretzki in das Becken hineingejagt worden sind. Der Zeuge schildert, daß im Sommer oder Herbst 44 – er meint, es sei aber eher im Sommer gewesen – etwas mit der Zahl des zurückkommenden Kommandos nicht gestimmt habe. Man habe daraufhin das Kommando nicht in das Lager eintreten lassen. Der Zeuge habe aber aus dem Block 2, wo die Schreibstube sich befand, beobachten können, daß Baretzki Häftlinge, die aus diesem Becken herauskriechen wollten, auf die Hände getreten habe, wobei es zwei Tote gegeben habe.

Diese Darstellung steht der Darstellung des Zeugen Doering nicht entgegen, da dieser Zeuge Mikusz nur diejenigen Toten gesehen hat, die nach dieser Aktion von der Feuerlöschpolizei aus dem Becken herausgefischt worden sind. Es kann also ohne Bedenken festgestellt werden, daß der Angeklagte Baretzki im Sommer 44 vier Menschen in den Feuerlöschteich hineingeworfen und mit dem Fuß auf ihre Hände getreten hat, bis diese Häftlinge ertrunken sind. Diese Tat des Angeklagten Baretzki war Mord in vier Fällen. Der Angeklagte hatte keinen Befehl, so zu handeln, sondern im Gegenteil war ihm ausdrücklich verboten, über das Leben der Häftlinge zu entscheiden. Der Angeklagte hat auch grausam und aus Mordlust gehandelt. Hierbei hatte er den Willen und den Vorsatz eines Täters.

Der Einwand der Verteidigung, daß der Angeklagte sich in einer heißen Wut oder in einer wütenden Erregung befunden habe und deshalb seine Tat nicht als grausam empfunden habe, ist unbeachtlich. Es ist zunächst nur wichtig, daß der Angeklagte die Tatumstände kannte, die sein Verhalten als grausam erscheinen lassen. Der Angeklagte hat aber auch nicht aus heftiger und entschuldbarer Gemütsbewegung gehandelt. Seine Handlungsweise erstreckte sich über mehrere Stunden. Es handelte sich deshalb nicht etwa um eine rasche Tat. Es kann unterstellt werden, daß Baretzki sich in einem gewissen Ärger und in einer gewissen affektiven Gemütsbewegung befunden hat. Seine Taten waren aber trotzdem nicht entschuldbar. Insbesondere deshalb nicht, weil er völlig unschuldige Menschen getötet hat und nach Stunden die Gemütsbewegung abgeklungen war, so daß der Angeklagte sich nicht mehr auf einen Affekt berufen kann. Nach Auffassung des Schwurgerichts war sich der Angeklagte durchaus der objektiven Tatumstände bewußt.

Einer Verurteilung des Angeklagten wegen dieser Tat stehen auch nicht etwa die Verjährungsbestimmungen entgegen. Die Tat ist im Sommer 44, also zwischen dem 21. Juni und dem 21. September, geschehen. Dies wird durch den Zeugen Doering bestätigt, der die Tat auf Mitte 44 verlegt. Nach Überzeugung des Gerichts ist infolgedessen diese Tat nicht vor dem 21.6. geschehen. Dieser Darstellung des Zeugen Doering ist hinsichtlich der Zeit der Vorzug zu geben, da er sich sehr bald nach seiner Entlassung aus dem Lager über diesen Vorfall Aufzeichnungen gemacht hat. Der Zeuge Mikusz will die Tat im Sommer oder im Herbst erlebt haben. Der Zeuge Lazanowicz will die Tat in der ersten Hälfte des Jahres 44 erlebt haben. Aus all diesen Darstellungen hat das Gericht den Schluß gezogen, daß die Tat nicht vor dem 21.6.44 begangen worden ist und daß die Strafverfolgungsverjährung durch die Befragung des Angeklagten Baretzki durch das Gericht am 5.6.64 unterbrochen worden ist.

Dem Angeklagten wird dann im Eröffnungsbeschluß zur Last gelegt, er habe in den Jahren 1942 bis 1945 als SS-Sturmmann beziehungsweise als Rottenführer und Blockführer im Lager Birkenau in einer unbestimmten Anzahl von Fällen auf der Rampe von Birkenau und im Lager Birkenau an Selektionen teilgenommen und dabei zahlreiche Häftlinge zur Vergasung ausgesondert und anschließend vergast. Insbesondere soll der Angeklagte bei der Verladung der zur Vergasung bestimmten Häftlinge auf Lastkraftwagen mitgewirkt und die Transporte zu den Krematorien gebracht haben. Der Angeklagte bestreitet diesen Vorwurf. Er gibt zwar zu, auf der Rampe gewesen zu sein, behauptet aber, er habe lediglich die ankommenden Häftlinge, die zum Lager aussortiert worden seien, von der Rampe in die »Sauna« geführt.

Der Zeuge Kulka senior hat den Angeklagten zwar auf der Rampe gesehen, er kann aber nicht angeben, ob der Angeklagte dort sich auch an den Selektionen beteiligt hat. Auf die Aussage der Zeugen Knuth-Siebenlist und Gotland hat das Gericht das Urteil nicht stützen können, da diese Zeugen widersprechende Angaben gemacht haben und nicht zuverlässig genug waren. Der Zeuge Vrba kann sich nicht erinnern, den Angeklagten auf der Rampe gesehen zu haben. Demgegenüber hat der Zeuge Kanał den Angeklagten auf der Rampe gesehen.

Der Zeuge Corrin kennt den Angeklagten Baretzki aus den verschiedenen Appellen, die der Angeklagte abgehalten hat. Er hat auch den Angeklagten Baretzki unter anderen SS-Leuten persönlich auf der Rampe gesehen, wenn Transporte aus Litzmannstadt gekommen waren. Baretzki hat diese Transporte in den Hof des Krematoriums geführt. Dies hat der Zeuge selbst gesehen und in Abrede gestellt, daß es sich dabei um einen Transport in die »Sauna« gehandelt haben könne.

Der Zeuge Bacon hat geschildert, der Angeklagte sei zu Kindern sehr milde gewesen. Er hat aber andererseits gesehen, daß der Angeklagte im Spätsommer 44 auf der Rampe mit einer Flasche auf einen Häftling eingeschlagen hat, so daß dieser zusammenfiel. Der Zeuge Kulka, Sohn, hat von dem Spielplatz der Kinder aus die Rampe beobachtet und einige Male im Frühjahr 44 sowie im Juli und August 44 sowie zwei weitere Male gesehen, daß Baretzki mit Geschrei und Drohung mit einem Stock die ankommenden Menschen in Reihen aufgestellt habe. Der Zeuge Mikusz hat gesehen, wie Baretzki die Leute in die Gaskammern geführt hat. Er sei meist betrunken von diesem Weg zurückgekommen. Der Zeuge hat dabei festgestellt, daß der Angeklagte Baretzki seinen Transport meist zwischen den beiden Lagern BIId und BIIc hindurchgeführt hat.

Auch die Zeugin Palarczyk hat gesehen, daß Baretzki selektiert hat. Anschließend hat die Zeugin beobachtet, daß der Angeklagte die Transporte in das Krematorium geführt hat. Der Angeklagte war der Zeugin persönlich bekannt, da er oft in die Schreibstube kam. Sie schildert den Angeklagten als einen Rumänen oder aus Wolhynien stammend. Die Behauptung des Angeklagten, er habe die ankommenden Menschen in die »Sauna« geführt, weist diese Zeugin zurück, mit der Begründung, daß die »Sauna« erst viel später gebaut worden sei.

Aus diesen Aussagen hat das Schwurgericht die Folgerung gezogen und festgestellt, daß der Angeklagte in mindestens fünf Fällen bei der Selektion geholfen hat und anschließend die ankommenden Menschen in die Krematorien geführt hat, wobei zugunsten des Angeklagten die Stärke des jeweiligen Transportes abzüglich der in das Lager aufgenommenen Häftlinge auf 1.000 Menschen bemessen ist.

Der Angeklagte hat sich aber auch bei Lagerselektionen beteiligt. So hat der Zeuge Doktor Wolken am 15.4.44 eine Selektion beobachtet, die im Quarantänelager BIIa durch Doktor Thilo durchgeführt worden ist, wobei 184 Häftlinge ausgesondert wurden, die später von der Liste abgesetzt worden sind. Den Abtransport dieser ausgesonderten Häftlinge leiteten die Blockführer, die mit Stockhieben die Häftlinge auf die Lastwagen getrieben haben. Der Zeuge hat dabei die Mißhandlungen gesehen, die an den ihm bekannten Menschen, nämlich einem gewissen Oftringer und Katarzyński, vorgenommen worden sind. Er erklärt, Baretzki und Dargelis seien dabeigewesen, und es sei mehr als ein Häftling zu Tode gekommen. Der Zeuge hat für diese Aussage als Gedächtnisstütze einen Bericht zur Verfügung gehabt, den er im Jahr 1945 selbst angefertigt hat.

Der Zeuge Kulka senior hat ebenfalls bekundet, daß der Angeklagte in dem Lager BIId bei Häftlingsselektionen auf arbeitsunfähige Häftlinge gezeigt habe, um sie dem Arzt zum Zweck der Aussonderung vorführen zu lassen.

Vorsitzender Richter:

Der Zeuge Kanał hat erklärt, daß es ein Wunder gewesen sein müsse, wenn Baretzki bei derartigen Selektionen nicht dabeigewesen wäre. Er hat den Angeklagten insbesondere mehrmals gesehen, wenn die Verladungen der ausgesonderten Häftlinge überwacht worden sind. Der Zeuge hat bekundet, daß er den Angeklagten mindestens in acht Fällen gesehen habe, wie er sich beim Verladen von Häftlingen beteiligt habe.

Der Zeuge Corrin hat den Angeklagten zwar auch bei derartigen Selektionen gesehen, er kann aber nicht sagen, welchen Tatanteil der Angeklagte bei diesen Selektionen gehabt hat. Der Zeuge Kulka junior hat festgestellt, daß der Angeklagte den Doktor Mengele bei Lagerselektionen begleitet hat und bei diesen Selektionen die Ordnung aufrechterhielt. Und auch der Zeuge Bodek hat das gleiche bekundet. Trotzdem hat das Gericht das Urteil auf diese Aussage nicht gestützt, da sie nicht völlig sicher ist, und da nicht feststeht, ob der Zeuge sich nicht geirrt hat. Infolgedessen ist seine Aussage nicht berücksichtigt worden. Der Zeuge Szpalerski kann sich mit Bestimmtheit auf die Vorgänge damals nicht mehr erinnern.

Daraus hat das Gericht die Feststellung getroffen, daß der Angeklagte Baretzki in einer unbestimmten Anzahl von Fällen, mindestens jedoch in fünf Fällen, sich an Lagerselektionen beteiligt hat, wobei mindestens jeweils 50 Menschen, das heißt also insgesamt mindestens 250 Menschen, zum Tode ausgesondert worden sind.

In dem Eröffnungsbeschluß, Punkt 2, ist dann ein weiterer Fall angeklagt, bei dem das Gericht Feststellungen nicht treffen konnte. Angeblich soll der Angeklagte Baretzki einen Spezialschlag gehabt haben, mit dem er die Menschen totgeschlagen haben soll. Der Zeuge Kugelmann konnte uns darüber nichts sagen. Der Zeuge Sternol ist, wie bereits gesagt worden ist, für das Gericht nicht glaubwürdig genug gewesen. Und auch der Zeuge Hoffmann war nicht geeignet, ein Urteil auf seine Aussage zu stützen. Auf den Zeugen Budan ist verzichtet worden. Er hat es auch selbst gar nicht erlebt, daß der Angeklagte Baretzki jemanden totgeschlagen hat. Und auch der Aussage des Zeugen Gotland ist das Gericht nicht gefolgt, weil der Zeuge verschiedene Aussagen gemacht hat über die Geburt eines Kindes auf der Rampe, die so stark voneinander abwichen, daß das Gericht den Zeugen nicht als glaubwürdig angesehen hat.

Der Zeuge Polak hat gesehen, daß der Angeklagte mit dem Ellenbogen sehr gefährlich geschlagen und auch getreten habe. Er hat aber nicht feststellen können, daß der Angeklagte durch einen sogenannten Spezialschlag jemanden totgeschlagen habe. Auch der Zeuge Rosenstock kann nicht sagen, ob ein Häftling, der von dem Angeklagten mit dem Ellenbogen geschlagen worden ist, getötet wurde. Der Zeuge Lazanowicz weiß nichts von einem Spezialschlag des Angeklagten, er hat zwar andere Tötungen beobachtet, die aber nicht angeklagt sind und infolgedessen auch nicht zum Gegenstand der Beurteilung gemacht werden konnten. Soweit sich daher die Anklage auf die Tötung durch einen Spezialschlag des Angeklagten bezog, ist dieser Sachverhalt in der Hauptverhandlung nicht erwiesen worden.

Der Angeklagte gibt schließlich zu, daß er einmal zugesehen habe, wie ein Mensch aufgehängt wurde; er bestreitet aber entschieden, daß er dies selbst getan habe. Die Zeugen Arie Fuks, Knuth- Siebenlist, Lazanowicz beziehungsweise Mikusz haben zwar hier bei ihrer Vernehmung von Exekutionen gesprochen, bei denen Baretzki mitgewirkt habe. Diese Zeugen haben aber jeweils gehört, daß vor der Exekution ein Urteil oder ein entsprechender Vollzugsbefehl vorgelesen worden ist. Es kann deshalb bezüglich des Vorwurfs, Menschen erhängt zu haben, nicht der Beweis für eine strafbare Handlung des Angeklagten als erbracht angesehen werden, da nicht feststeht, ob diese Exekutionen aufgrund rechtswidriger Befehle stattgefunden oder ob eventuell Urteile vorgelegen haben. Darüber hinaus aber auch konnte dem Angeklagten Baretzki nicht nachgewiesen werden, daß er die Unrechtmäßigkeit der Befehle kannte und infolgedessen davon überzeugt war, das heißt wußte, daß diese Befehle ein Verbrechen zum Gegenstand hatten.

Der Vorwurf unter Ziffer 4 des Eröffnungsbeschlusses, der Angeklagte habe Menschen an den elektrisch geladenen Zaun gestoßen, ist lediglich von dem Zeugen Knuth-Siebenlist bestätigt worden, der von dem Schwurgericht nicht vernommen worden ist. Seine Aussage ist, wie bereits erwähnt, in manchen Fällen nicht recht klar.[16] Und da das Gericht einen persönlichen Eindruck von diesem Zeugen nicht gewinnen konnte, war es auch nicht möglich, aufgrund seiner Aussage zu einer Verurteilung in diesem Punkt zu kommen.

Das gleiche gilt von dem Vorwurf in Punkt 5 des Eröffnungsbeschlusses, der dem Angeklagten Baretzki gemacht wird, er habe sich an einer sogenannten Hasenjagd beteiligt. Der Zeuge Doktor Wolken, der sich auf einen Bericht aus dem Jahr 45 stützt, konnte zweifelsfreie Bekundungen insoweit nicht machen. Der Zeuge hat zwar erklärt, Baretzki sei bei der Erschießung von elf Häftlingen dabeigewesen. Es habe sich damals um Polen gehandelt, die angetreten gewesen seien und plötzlich von SS-Leuten mit Stöcken geschlagen wurden, so daß sie auseinander liefen. Der Zeuge erklärt: »Alle SS-Leute haben geschossen.« Der Zeuge selbst stand etwa 50 Meter von dem Schauplatz entfernt. Er ist kurzsichtig und hat auf die Frage, ob denn auch Baretzki geschossen habe, geantwortet: »Keiner hat nicht geschossen. Es ist schon so lange her.«

In seinem Bericht, auf den der Zeuge sich stützt, hat er lediglich gesagt, die Menschen seien von Wachtposten erschossen worden. Er nennt in diesem Bericht den Angeklagten Baretzki nicht.[17] Bei seiner Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft hat der Zeuge erklärt, es hätten die Posten und die Blockführer geschossen.[18] Es kann daher heute gar nicht mehr festgestellt werden, wer eigentlich geschossen hat und wer erschossen worden ist. In der Hauptverhandlung hat der Zeuge auf die Frage: »Wissen Sie denn, wer beteiligt war?« zunächst geantwortet: »Nein, das weiß ich nicht.« Es kann daher nicht ohne Irrtum festgestellt werden, daß auch der Angeklagte Baretzki sich an diesen Erschießungen beteiligt hat.

Was den Tod des Häftlings Liczka betrifft, so hat der Zeuge Doktor Wolken erklärt, er habe aus nächster Nähe gesehen, wie der Angeklagte Baretzki einen Häftling, der ihn nicht richtig gegrüßt habe, mit einem Stock derart geschlagen habe, daß der Mann zusammengebrochen sei. Der Zeuge hat diesen zusammengeschlagenen Häftling als Arzt selbst untersucht. Er hat festgestellt, daß die Nieren beschädigt waren, daß sich Blut im Urin befunden hat, und er hat ausgesagt, daß dieser Häftling am gleichen oder am nächsten Tag gestorben sei. Dieser Zeuge, der als Arzt ein sachverständiger Zeuge ist, hat den Stockschlag auf die Nieren als ursächlich für den Tod dieses Häftlings, der bereits ein »Muselmann« gewesen ist, erklärt.

Dieser Häftling Liczka, der nach Aussage des Zeugen Doktor Wolken, dem das Gericht geglaubt hat, von dem Angeklagten Baretzki totgeschlagen worden ist, wurde von dem Angeklagten auch ermordet. Das Opfer war arglos und wehrlos. Er brauchte in diesem Augenblick nicht mit einem Angriff auf sein Leben zu rechnen. Das heißt, die Tötung dieses Häftlings Liczka war heimtückisch. Der Angeklagte hat dabei auch mindestens mit dem bedingten Vorsatz gehandelt, da er sich darüber klar war, daß ein so geschwächter Mensch, der seinerzeit als »Muselmann« bezeichnet worden ist, durch einen Nierenschlag mit einem Stock unter Umständen totgeschlagen werden könnte. Der Angeklagte hat diesen Erfolg nach der Überzeugung des Gerichts auch gebilligt. Da diese Tötung von dem Angeklagten somit vorsätzlich und heimtückisch erfolgt ist, lag ein Mord vor.

Der Vorwurf in dem Punkt 7 des Eröffnungsbeschlusses, der Angeklagte habe einen Häftling im Gang einer Lagerbaracke totgeschlagen, ist nicht einwandfrei erwiesen worden. Der Zeuge Gwoździk hat im Vorverfahren bekundet, daß er den Angeklagten Baretzki allein mit einem Häftling in die Baracke habe gehen sehen und später feststellen können, daß dieser Häftling totgeschlagen gewesen sei. In der Hauptverhandlung hat er erklärt, außer Baretzki sei noch ein anderer Blockführer mit in diese Baracke gegangen. Durch diesen Widerspruch zwischen den Aussagen dieses Zeugen konnte eine unbedingte Feststellung, daß allein der Angeklagte Baretzki die Tötung vorgenommen habe, nicht getroffen werden. Es ist vielmehr möglich und nicht ausgeschlossen, daß der andere Blockführer die Tötung vorgenommen haben könnte, ohne daß Baretzki diese Tötung gewollt und gebilligt habe. Da außer dem Zeugen Gwoździk ei n anderer Zeuge nicht zur Verfügung steht, hat das Gericht insoweit eine Feststellung der Schuld des Angeklagten nicht treffen können.

Das gleiche gilt auch für den in Punkt 8 des Eröffnungsbeschlusses dem Angeklagten vorgeworfenen Fall, bei dem er eine Frau erschossen haben soll. Insoweit hat allerdings das Schwurgericht ganz erheblichen Verdacht, daß der Angeklagte auch hier als Täter in Frage kommt. Aber der ganze Hergang dieses Falles ist nicht so klar, daß das Gericht hier zu einer Verurteilung kommen konnte.

Es wird dem Angeklagten zur Last gelegt, daß er diese Frau, die mit einem Transport angekommen sei und von ihrem Bruder, der sich bereits im Lager befand, erkannt worden und angerufen worden sei, erschossen habe. Der Zeuge Montag will beobachtet haben, im Frühjahr 1944, wie ein Transport aus Łódź angekommen ist. Der Zeuge hat sich damals angeblich im Lager d befunden. Er will aus etwa drei bis vier Metern beobachtet haben, wie die Frau erschossen wurde, hinfiel und später weggetragen wurde.

Diese Darstellung des Zeugen bietet jedoch keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung. Es steht zunächst nicht fest, ob diese Frau, die angeblich von Baretzki »geschossen« worden sein soll, auch tatsächlich tot war. Der Zeuge erzählt, daß alles auseinandergestoben sei. Es erscheint durchaus denkbar, daß der Bruder seine Schwester angerufen hat, da er ja bereits im Lager war und die Ankommenden in Ruhe ansehen konnte. Wenn der Zeuge heute erklärt, die Frau habe ihren Bruder angerufen, so erscheint das schon an sich nicht sehr glaubhaft. Früher hat der Zeuge ausgesagt, der Bruder sei fortgelaufen, da Baretzki auf ihn angelegt habe.[19] Es kann vermutet werden, daß auch der Zeuge fortgelaufen ist, als Baretzki sich anschickte, in das Lager zu schießen.

Das Gericht hat ferner Bedenken, ob der Zeuge tatsächlich gesehen hat, wie Baretzki auf die Frau geschossen hat. Der Zeuge hat beobachtet, daß die Frau später fortgetragen wurde und nach Meinung des Gerichts den Schluß gezogen, daß Baretzki sie totgeschossen habe. Der Zeuge weiß jedoch nicht, ob Baretzki mit einem Gewehr oder mit einer Pistole geschossen hat. Hat der Zeuge wirklich den Schuß gesehen, oder sind das nur Vermutungen, die der Zeuge angestellt hat? Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß der Zeuge in Wirklichkeit den genauen Hergang gar nicht verfolgt hat, sondern daß er sich, genau wie die anderen Häftlinge, in Sicherheit gebracht hat, als Baretzki das Gewehr in das Lager richtete, und später nur Schlußfolgerungen gezogen hat, ohne selbst gesehen zu haben, wie der Angeklagte Baretzki geschossen hat.

Anders war es mit der Mitwirkung des Baretzki bei der Räumung des Theresienstädter Lagers im März 1944. Der Angeklagte behauptet, er habe Dienst im Lager d getan und habe mit dem Theresienstädter Lager überhaupt nichts zu tun gehabt. Der Zeuge Leischow konnte uns Konkretes insoweit nicht sagen, und er hat auch seine Angaben im Vorverfahren nicht bestätigt.[20] Der Zeuge Doering hat erklärt, Baretzki sei an der Liquidierung des Theresienstädter Lagers beteiligt gewesen. Der Zeuge hat selbst aus dem Lager d zugesehen und weiß, welche Rolle Baretzki bei dieser Räumung gespielt hat. Die Häftlinge wurden zunächst aus dem Lager zusammengestellt und in das Lager a abtransportiert, um sie zu täuschen.

Der Zeuge Erich Kulka, Vater, kann keine präzisen Angaben machen, da aus seinen Aussagen nicht hervorgeht, ob er die erste oder die zweite Liquidierung des Theresienstädter Lagers miterlebt hat. Jedoch hat sein Sohn, der Zeuge Dov Kulka, mit eigenen Augen gesehen, daß Baretzki an der Liquidierung des Lagers beteiligt war. Er hat gesehen, wie die Lastkraftwagen in das Lager a kamen. Im Lager a wurden die Juden zunächst untergebracht, wie bereits gesagt, um sie zu täuschen. Dort wurden die Kranken zunächst zurückgelassen, da man den Übrigen vortäuschen wollte, sie kämen auf einen Transport. Der Zeuge hat Baretzki bei der Verladung der Opfer in die Lkws gesehen, wobei er auch mit der Pistole gedroht haben soll. Die Häftlinge hatten ursprünglich vor, sich gegen diese Vergasung zu wehren. Aus diesem Grunde war eine besondere Täuschung und die Heranziehung aller Blockführer notwendig geworden. Das Gericht hat daraus den Schluß gezogen, daß Baretzki sich bei dieser Räumung aktiv beteiligt hat und diese Räumung mit durchgeführt hat.

Dem Angeklagten wird dann weiter zur Last gelegt, im Herbst 1944 bei dem Aufstand im Krematorium Leute erschossen zu haben. Der Angeklagte bestreitet dies, und die Tat ist ihm auch nicht nachgewiesen worden. Der Zeuge Polak hat keine eigenen Feststellungen gemacht. Nach Angabe dieses Zeugen hat ihm Baretzki lediglich erzählt, er habe mit der Maschinenpistole 15 Menschen erschossen. Die Häftlinge hätten sogar Handgranaten in der Tasche gehabt. Der Zeuge Montag hat nur gesehen, daß Baretzki Häftlinge mit dem Fahrrad einfangen wollte. Er hat nicht gesehen, daß auf die Häftlinge geschossen wurde; im übrigen stützt sich der Zeuge auf Erzählungen von Außenkommandos. Das Gericht konnte mit Sicherheit überhaupt nicht feststellen, daß bei dieser Verfolgungsjagd Häftlinge auch erschossen worden sind. Insbesondere war nicht feststellbar, ob Baretzki Häftlinge erschossen hat oder ob seine Erzählung, er habe 15 Personen mit der Maschinenpistole erschossen, nur aus Prahlerei erfolgt ist.

Auch unter dem Punkt 11 des Eröffnungsbeschlusses konnte nicht mit Gewißheit nachgewiesen werden, daß der Angeklagte insoweit schuldig geworden ist. Die Behauptung, Baretzki habe im Jahr 44 willkürlich und ohne jeden Anlaß einen jüdischen Häftling im Lager Birkenau mit der Pistole erschossen, beruht einzig und allein auf der Aussage des Zeugen Tischler. Dieser Zeuge ist in der Hauptverhandlung nicht erschienen.[21] Es konnte infolgedessen auch nicht klargestellt werden, woraus dieser Zeuge den Schluß gezogen hat, Baretzki habe ohne Anlaß und willkürlich auf den Juden geschossen. Der Zeuge hat die Erschießung nicht selbst gesehen; er hat nur die Verfolgung des fortlaufenden Gefangenen gesehen und später dessen Leiche gefunden. Da das Gericht einen persönlichen Eindruck von diesem Zeugen nicht gewinnen konnte, der nicht in die Bundesrepublik eingereist ist, weil er zu zehn Monaten Gefängnis bestraft wurde, war auch seine Darstellung nicht sicher genug, um hierauf das Urteil stützen zu können.

Die bisher festgestellten Taten des Angeklagten Baretzki sind auch durchaus nicht persönlichkeitsfremd gewesen. Dies ergibt sich aus den Bekundungen des Zeugen Dov Kulka, der im Spätsommer 44 beobachtet hat, wie der Baretzki mit einem Stock einem Häftling auf den Kopf geschlagen hat, so daß der Häftling abends starb. Diese Tat ist nicht angeklagt und nicht Gegenstand des Eröffnungsbeschlusses. Sie ergibt aber, daß der Angeklagte Baretzki roh und gefühllos gewesen ist. Der Zeuge Rosenstock hat im Sommer 44 einen ähnlichen Fall erlebt; möglicherweise stimmt dieser Fall mit dem eben erwähnten überein. Nach der Aussage dieses Zeugen war ein Häftling beim Appell nicht zu finden, er hatte sich in der Latrine versteckt. Baretzki soll diesem Häftling mit einem Gehstock auf den Kopf geschlagen haben. Nach Aussage des Arztes war dieser Häftling am Abend tot.

Ein weiterer Fall, der nicht Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses ist, der aber ebenfalls die Persönlichkeit des Angeklagten Baretzki beleuchtet, wird von dem Zeugen Hadas geschildert. Nach der Aussage dieses Zeugen hat der Angeklagte einen Häftling geschlagen, daß Blut floß. Als der Häftling die Hand vor das Gesicht hielt, um die weiteren Schläge abzuwehren, habe Baretzki ihn angeschrien: »Was, du willst einen SS-Mann schlagen?« Daraufhin habe er ihn mit dem Stock geschlagen, daß er hingefallen sei. Dann habe er den Stock genommen, habe ihn dem Häftling auf den Hals gelegt, sich mit beiden Füßen auf den Stock gestellt, bis der Häftling erstickt war.

Auch der Zeuge Erich Kulka hat bekundet, daß der Angeklagte Häftlinge, die ins Frauenlager gewinkt hätten, gezwungen habe, »Sport« zu machen, und wenn sie bei diesem »Sport« nicht mehr aufstehen konnten, hätte der Angeklagte diese Häftlinge kurzerhand erschossen. Der Zeuge Lazanowicz hat gesehen, wie der Angeklagte bei der Durchsuchung eines Juden Zigaretten gefunden habe. Der Angeklagte habe daraufhin die Zigaretten an die übrigen Häftlinge verteilt, den Juden aber, der die Zigaretten gehabt habe, habe er geschlagen und ihm zugerufen: »Deinetwegen ist Krieg und durch dich bin ich hier im Lager.« Der Häftling sei bei dem nachfolgenden Appell bewußtlos gewesen und später gestorben.

Das Gericht hat aufgrund dieser Feststellung den Angeklagten im Sinne der Nachtragsanklage in vier Fällen und im Sinne der Ziffer 6 des Eröffnungsbeschlusses in einem Fall, und zwar zum Nachteil des Liczka, für schuldig befunden, je einen vollendeten Mord begangen zu haben. Das Gericht hat weiter festgestellt, daß der Angeklagte bei dem Dienst an der Rampe und bei den Lagerselektionen Beihilfe zum Mord geleistet hat. Das Gericht hat den Dienst an der Rampe und die Begleitung zur Gaskammer als eine gleichartige Idealkonkurrenz, das heißt als eine Handlung im Rechtssinne, aufgefaßt. Das Gericht hat dabei festgestellt, daß der Angeklagte mindestens fünfmal je mindestens 1.000 Menschen mit zu Tode gebracht hat. Bei den Lagerselektionen hat der Angeklagte nach dem Spruch des Gerichts in fünf Fällen durch fünf selbständige Handlungen jeweils 50 Menschen mit zum Tode ausgesucht und ist infolgedessen insoweit ebenfalls der Beihilfe in fünf Fällen zur Tötung von jeweils 50 Menschen, die durch gleichartige Idealkonkurrenz vernichtet worden sind, [schuldig].

Die innere Einstellung des Angeklagten zu seinem Verhalten geht klar hervor aus den Fragen, die der Angeklagte an den SS-Führungsbeauftragten Knittel gestellt hat. Der Angeklagte wußte, daß es verboten war, unschuldige Menschen zu töten. Er hat deshalb nicht nur objektiv, sondern auch in subjektiver Beziehung rechtswidrig gehandelt. Der Angeklagte befand sich auch nicht in einer Notstandssituation, da sein Wille nicht gebeugt worden ist. Er hat erheblich mehr getan, als er überhaupt zu tun beauftragt war. Sein Verhalten läßt deutlich erkennen, daß er nicht durch einen Befehl gebeugt worden ist, sondern daß er die ihm gegebenen Befehle zum Teil willig ausgeführt [+ hat], zum Teil aber auch über diese Befehle hinaus selbständig tätig geworden ist.

Danach war der Angeklagte Baretzki wegen Mordes am Löschwasserbecken fünfmal zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen in fünf Fällen und in weiteren fünf Fällen, nämlich wegen des Rampendienstes, zu einer Einzelstrafe von je dreieinhalb Jahren Zuchthaus, fünfmal bezüglich der Lagerselektionen zu einer Einzelstrafe von je dreieinhalb Jahren Zuchthaus und einmal bezüglich des Theresienstädter Lagers zu fünf Jahren Zuchthaus, da es sich hierbei um 3.000 Menschen gehandelt hat, die besonders grausam und brutal den Weg ins Gas geschickt worden sind.

Das Gericht hat dem Angeklagten, soweit es sich um zeitige Freiheitsstrafen handelt, zugute gehalten, daß es sich um einen jungen Menschen handelte, um einen Auslandsdeutschen, der die Verhältnisse hier in Deutschland nicht gekannt hat. Das Gericht hat berücksichtigt, daß es auch bei ihm der Einfluß des Milieus war und insbesondere die weltanschauliche Schulung, der er sich unterziehen mußte. Er hat sich auch einmal an den Schulungsleiter gewandt wegen der Kinder, die dort umgebracht worden sind. Er ist, mit anderen Worten, durch den Einfluß des Milieus und der ihm zuteil gewordenen Schulung zum Mörder geworden, und infolgedessen ist das Gericht bei den auszuwerfenden Zuchthausstrafen an der untersten Grenze der gesetzlichen Möglichkeiten geblieben. Aus diesen Einzelstrafen wurde dann auf die verkündete Gesamtstrafe erkannt.

  1. Vgl. Nachtragsanklage der Staatsanwaltschaft vom 03.04.1964, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 03.04.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 97.
  2. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 15.07.1960 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 35, Bl. 6.096-6.102 u. polizeiliche Vernehmung vom 22.07.1960 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 36, Bl. 6.197-6.198 u. kommissarische Vernehmung vom 15.03.1965 in Hannover, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 93, Bl. 18.551-18.555 u. polizeiliche Vernehmung vom 15.07.1960, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 93, Bl. 18.556-18.662.
  3. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 18.05.1960 in Brake/Unterweser, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 33, Bl. 5.698-5.704 u. richterliche Vernehmung vom 02.07.1963 in Brake/Unterweser, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 86, Bl. 16.625-16.628.
  4. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 16.04.1959 in Ulm, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 6, Bl. 870-884 u. polizeiliche Vernehmung vom 25.02.1960 in Ulm, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 28, Bl. 4.571-4.583 u. polizeiliche Vernehmung vom 01.06.1960 in Ulm, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 36, Bl. 6.206-6.207R u. richterliche Vernehmung vom 02.07.1960 in Ulm, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 36, Bl. 6.210-6.210R.
  5. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 28.04.1959 in Hannover, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 7, Bl. 1.049-1.063 u. richterliche Vernehmung vom 14.11.1961 in Hannover, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 56, Bl. 10.498-10.505.
  6. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 60, Bl. 11.152-11.165R.
  7. Vgl. kommissarische Vernehmung vom 21.4.1965 in Warschau, Anlage 15 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 03.05.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 111.
  8. MStGB § 47: »I. Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: 1. wenn er den erteilten Befehl überschritten hat, oder 2. wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. II. Ist die Schuld des Untergebenen gering, so kann von seiner Bestrafung abgesehen werden.« Militärstrafgesetzbuch nebst Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Erläutert von Erich Schwinge. 6. Aufl., Berlin: Junker und Dünnhaupt Verlag, 1944, S. 100.
  9. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 30.09.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 15, Bl. 2.312-2.319b.
  10. 1944.
  11. StGB § 3: »I. Das deutsche Strafrecht gilt für die Tat eines deutschen Staatsangehörigen, einerlei, ob er sie im Inland oder im Ausland begeht. II. Für eine im Inland begangene Tat, die nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist, gilt das deutsche Strafrecht nicht, wenn die Tat wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht ist. III. Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem, der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätten handeln sollen, oder an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten sollte.« StGB § 5: »Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig von dem Recht des Tatorts, für Taten, die auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug begangen werden.« StGB § 6: »Im Ausland begangene Übertretungen sind dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge angeordnet ist.«.
  12. StGB § 7: »Eine im Ausland vollzogene Strafe ist, wenn wegen derselben Handlung im Inland abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen.«.
  13. Vgl. Schreiben der Kommandantur des KL Auschwitz an das SS- und Polizeigericht XV in Breslau, 4 Ks 2/63, Anlageband 1a, Bl. 74.
  14. StPO § 266: »I. Erstreckt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage auf weitere Straftaten des Angeklagten, so kann das Gericht sie durch Beschluß in das Verfahren einbeziehen, wenn es für sie zuständig ist und der Angeklagte zustimmt. II. Die Nachtragsanklage kann mündlich erhoben werden. Ihr Inhalt entspricht dem § 200 Abs. 1. Sie wird in die Sitzungsniederschrift aufgenommen. Der Vorsitzende gibt dem Angeklagten Gelegenheit, sich zu verteidigen. III. Die Verhandlung wird unterbrochen, wenn es der Vorsitzende für erforderlich hält oder wenn der Angeklagte es beantragt und sein Antrag nicht offenbar mutwillig oder nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt ist. Auf das Recht, die Unterbrechung zu beantragen, wird der Angeklagte hingewiesen.«.
  15. Vgl. Nachtragsanklage der Staatsanwaltschaft vom 04.06.1964, Anlage 1 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 05.06.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 99.
  16. Vgl. staatsanwaltschaftliche Vernehmungen vom 02.12.1959 u. vom 03.12.1959 in Hamburg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 19, Bl. 3.067-3.075 u. 3.076-3.093 sowie richterliche Vernehmung vom 04.02.1963 in Hannover, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 77, Bl. 14.421-14.427.
  17. Vgl. Otto Wolken: Chronik des Lagers Auschwitz II, BIIa, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 33, Bl. 5.649a- 5.659.
  18. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 14. u. 15.11.1960 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 40, Bl. 6.948-6.955.
  19. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 15.09.1959 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 13, Bl. 2.064-2.066 u. polizeiliche Vernehmung vom 13.05.1960 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 32, Bl. 5.535-5.536.
  20. Vgl. staatsanwaltschaftliche Vernehmung vom 14.03.1961 in Hamburg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 46, Bl. 8.098-8.116 u. richterliche Vernehmung vom 05.02.1963 in Hamburg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 77, Bl. 14.444-14.449.
  21. Vgl. kommissarische Vernehmung vom 25.09.1962 in Wien, 4 Ks 2/63, Bd. 73, Bl. 13.624-13.629 u. kommissarische Vernehmung vom 10.08.1964 in Wien, Anlage 1 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 24.08.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 101 u. kommissarische Vernehmung vom 25.09.1962 in Wien, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 91, Bl. 17.971-17.976.
0:00