Zeuge Kurt Uhlenbroock
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess
»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63
Landgericht Frankfurt am Main
86. Verhandlungstag, 4.9.1964
Vernehmung des Zeugen Kurt Uhlenbroock
Vorsitzender Richter:
Sind Sie damit einverstanden, daß wir Ihre Aussage auf ein Tonband aufnehmen zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts? Ja. Ihre Personalien zunächst. Sie heißen mit Vornamen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Kurt Robert
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Kurt Robert. Doktor [...] Uhlenbroock
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Erich Willi Hans.
Vorsitzender Richter:
Ja, und Ihr Rufname?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Kurt.
Vorsitzender Richter:
Kurt Robert Doktor Uhlenbroock. Wie alt sind Sie?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
56 Jahre.
Vorsitzender Richter:
56 Jahre alt. Verheiratet?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Von Beruf?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Arzt.
Vorsitzender Richter:
Arzt. Wohnhaft in?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Hamburg.
Vorsitzender Richter:
In Hamburg. Sind Sie verwandt oder verschwägert mit den Angeklagten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nein. Herr Doktor Uhlenbroock, Sie waren ebenfalls im Konzentrationslager Auschwitz. Wollen Sie uns ganz kurz zunächst sagen, in welcher Eigenschaft Sie dort waren und wieso Sie hingekommen sind?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin im Zuge eines gegen mich eröffneten Kriegsgerichtsverfahrens im Sommer 1942 nach Auschwitz gekommen.[1]
Vorsitzender Richter:
Bei welcher Einheit waren Sie vorher, und welches Kriegsgerichtsverfahren hat sich da ergeben?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich war Chirurg am Feldlazarett der Polizeidivisionen an der Südfront Leningrad. Ich wurde vor ein Kriegsgericht gestellt unter dem Begriff der Wehrkraftschädigung, weil ich angeblich meine Verwundeten zum Teil habe sterben lassen, um Material gegen einen höheren SS-Führer zu gewinnen.
Vorsitzender Richter:
Also es wurde das Kriegsgerichtsverfahren eröffnet gegen Sie. Und ist es auch durchgeführt worden?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Es ist durchgeführt worden, ich bin freigesprochen wegen erwiesener Unschuld.
Vorsitzender Richter:
Und zwar wann und wo war das?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das Kriegsgerichtsverfahren lief ab in seinem Termin, soweit ich erinnere, im November 1942 in Berlin.
Vorsitzender Richter:
Und wann waren Sie in Auschwitz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nach meiner Erinnerung im letzten Drittel des Monats August und dann mit Unterbrechungen auch noch im September 1942.
Vorsitzender Richter:
1942. Also zwei Monate lang? [...] Nicht ganz, mit Unterbrechungen.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin aber sehr viel beurlaubt gewesen. Ich bin krank gewesen die ganze Zeit und habe in Lazaretten gelegen respektive bin in Lazarettbehandlung gewesen, so daß nach dem, was ich also nur aus der Erinnerung schätzen kann, etwa eine Zeit von 14 oder 16 Tagen insgesamt mein Aufenthalt in Auschwitz verbleibt.
Vorsitzender Richter:
Und was war nun Ihre Tätigkeit in Auschwitz? Wurden Sie dort eingesetzt als Arzt oder waren Sie dort Gefangener? Ich verstehe das nicht ganz.
Vorsitzender Richter:
Die Auffassung differiert. Die Staatsanwaltschaft hat in dem gegen mich laufenden Ermittlungsverfahren die Auffassung vertreten, ich müsse dort eine Funktion ausgeübt haben. Ich habe die Auffassung vertreten, daß ich keine Funktion ausgeübt habe.
Vorsitzender Richter:
Keine Funktion?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nun, wo waren Sie denn untergebracht in Auschwitz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich war in Auschwitz untergebracht in einem Raum oberhalb des Offizierskasinos.
Vorsitzender Richter:
Und mußten Sie sich zum Dienst melden?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Wie lautete denn Ihr Befehl, mit dem Sie nach Auschwitz geschickt worden sind?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe in dem Sinne keinen Befehl gehabt. Ich bin in Hamburg abgeholt worden durch zwei SS-Offiziere und bin von diesen SS-Offizieren nach Oranienburg gebracht worden, zum Konzentrationslager Oranienburg. Von dort aus bin ich weiterhin nach Auschwitz gekommen.
Vorsitzender Richter:
Herr Doktor Uhlenbroock, das hört sich doch so an, als ob Sie gewissermaßen dort als Gefangener gewesen wären, als Häftling oder in einer Art Haft. Ich kann das ja nicht recht verstehen, was das heißen soll. Es lief gegen Sie ein Kriegsgerichtsverfahren. Entweder wurde da ein Haftbefehl gegen Sie erlassen, und dann wären Sie Untersuchungsgefangener gewesen. Oder aber es wurde kein Haftbefehl erlassen, dann wäre noch möglich gewesen eine Aufenthaltsbeschränkung oder dergleichen Dinge. Aber was Sie da in den Konzentrationslagern sollten, das weiß ich nicht recht.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe das Ganze ebenso wie das Kriegsgerichtsverfahren als eine reine Willkürhandlung aufgefaßt, die nur geschehen ist, um für das Kriegsgerichtsverfahren, wo ich ja gegen einen sehr hohen SS- Führer aussagen sollte, mürbe gemacht zu werden.
Vorsitzender Richter:
Hatten Sie denn Stubenarrest in der Zeit?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
In der ersten Zeit ja.
Vorsitzender Richter:
Wo?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Oben in dem Raum, in dem ich untergebracht war.
Vorsitzender Richter:
In Auschwitz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
In Auschwitz. Den durfte ich in den ersten Tagen nicht verlassen. Später durfte ich, weil kein Personal da war, mich zu versorgen, im Kasino essen. Aber diese Erinnerungen, die ich an die Zeit in Auschwitz habe, sind so überlagert durch die Sorgen, die ich während meines Kriegsgerichtsverfahrens hatte, und vor allen Dingen durch meine Krankheit, daß ich eben nur noch einzelne Erinnerungen an diese Zeit habe.
Vorsitzender Richter:
Herr Doktor Uhlenbroock, sind Sie nach Auschwitz auch in Begleitung von SS-Offizieren gekommen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nach meiner Erinnerung ja. Aber ich kann das nicht mehr genau sagen. Ich habe jahrelang darüber nachgedacht. Nach so vielen Jahren verwischen sich die Erinnerungen, daß man das nicht mehr so exakt sagen kann.
Vorsitzender Richter:
Haben Sie sich denn in Auschwitz irgendwo gemeldet?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe mich beim Kommandanten gemeldet.
Vorsitzender Richter:
Wer war das damals?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das war damals Höß.
Vorsitzender Richter:
Höß.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Aber zu dem Zeitpunkt, als ich kam, war Höß nicht da, sondern da war Herr Mulka da.
Vorsitzender Richter:
Nun, wenn Sie sich melden, müssen Sie sich doch melden mit irgendeinem Befehl, warum Sie da sind oder mit
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Ja, die Zusammenhänge weiß ich nicht mehr, Herr Vorsitzender, die kann ich nicht mehr erinnern.
Vorsitzender Richter:
So.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Wie die ganze Sache gewesen ist, weiß ich nicht mehr.
Vorsitzender Richter:
Dann sind Sie also zunächst im Stubenarrest gewesen. Und dann, als der Stubenarrest aufgehoben war, was haben Sie denn dann getan?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin die ganze Zeit krank gewesen.
Vorsitzender Richter:
Krank gewesen. Haben Sie auch mal eine ärztliche Versorgung irgendwo gehabt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin einmal gebeten worden, eine Notversorgung, eine Notoperation an einem Polen durchzuführen, der an der Schilddrüse erkrankt war, und das habe ich nach meiner Erinnerung auch getan.
Vorsitzender Richter:
Und wo war diese Operation?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Soweit ich mich erinnere, in einem Operationssaal im Lager.
Vorsitzender Richter:
Im Lager. Im Stammlager?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht.
Vorsitzender Richter:
Oder in Birkenau?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein, in Birkenau bin ich nie gewesen.
Vorsitzender Richter:
In Birkenau waren Sie nie. Also im Stammlager Auschwitz I. Da wurden Sie zu der Operation geholt, und nach der Operation sind Sie wieder zurückgegangen in Ihre Unterkunft oder wie?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja, ich war immer krank in dieser Zeit.
Vorsitzender Richter:
Kannten Sie den SDG Klehr?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe ihn jetzt aus der Akte ersehen, und er ist mit mir in Münster[2] konfrontiert worden. Aber eine Erinnerung an seine Person habe ich nicht mehr.
Vorsitzender Richter:
Hatten Sie mit ihm dienstlich etwas zu tun?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht mehr.
Vorsitzender Richter:
Nicht. Herr Rechtsanwalt Göllner, Sie haben den Zeugen benannt.
Verteidiger Göllner:
Herr Doktor Uhlenbroock, als Sie in Hamburg von den beiden SS-Offizieren abgeholt wurden, trugen Sie da die Polizeiuniform
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Nein
Verteidiger Göllner [unterbricht]:
Von Ihrem früheren Dienst in Leningrad? Sie hätten also sein müssen mindestens Polizeimajor. [...]
Vorsitzender Richter:
Das ist nicht gesagt. [...]
Verteidiger Göllner:
Aber Hauptmannsrang mindestens.
Vorsitzender Richter:
Eben, Hauptmannsrang.
Verteidiger Göllner:
Verzeihung. Vom Hauptmannsrang ab.
Vorsitzender Richter:
Er konnte auch Unterarzt sein oder Oberarzt. Also es ging noch weiter nach unten.
Verteidiger Göllner:
Es ging noch weiter nach unten, ja. Aber da er sagte, er wäre Leiter einer chirurgischen Station bei Leningrad gewesen im Feldlazarett, nehme ich an, daß er mindestens im Range eines Majors war.
Vorsitzender Richter:
Nun ja, das kann er uns ja vielleicht sagen, in welchem Rang er war. Das wird er vielleicht noch wissen von damals.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich war in der Zeit Stabsarzt der Polizei.
Vorsitzender Richter:
Stabsarzt.
Verteidiger Göllner:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Und im Frühjahr des Jahres 1942 wurde die Polizeidivision mit all den Offizieren und Mannschaften zur Waffen-SS aufgrund eines Führerbefehls übernommen, und in diesem Laufe sind wir auch dann mit übernommen worden.
Vorsitzender Richter:
Ja. In welchem Dienstrang?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich wurde entsprechend dem Dienstrang Stabsarzt Hauptsturmführer der Reserve. [...]
Verteidiger Göllner:
Sind Sie in dieser Uniform in Hamburg abgeholt worden, und haben Sie diese Uniform auch im Lager Auschwitz getragen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Soweit ich erinnere, bin ich im Sommer des Jahres 1942 unter Uniformverbot gestanden. Und wie ich jetzt nach Auschwitz gekommen bin, mußte ich meine Uniform wieder anziehen.
Verteidiger Göllner:
Die SS-Uniform oder die Polizeiuniform?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein, die SS-Uniform.
Verteidiger Göllner:
Und im Lager haben Sie diese auch getragen, bis Sie dort wieder wegkamen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Verteidiger Göllner:
Herr Doktor Uhlenbroock, stehen Sie irgendwie unter Angst oder unter Druck, weil gegen Sie ein Artikel im »Spiegel« im vorigen Jahr veröffentlicht worden ist[3] oder weil Sie in dem Buch des englischen Historikers Reitlinger[4] namentlich aufgeführt sind als einer der wenigen Ärzte von Auschwitz, die noch in Freiheit leben? Haben Sie deshalb hier eine gewisse Zurückhaltung in Ihrer Aussage an den Tag gelegt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Der Artikel des Engländers ist mir nicht bekannt. Der Artikel des »Spiegels« war in diesem Jahr, soweit ich mich erinnere.
Verteidiger Göllner:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich kann dazu nichts sagen, als daß dieser Artikel mich in meiner Tätigkeit als Arzt und auch rein menschlich gesehen außerordentlich belastet hat. Aber ich glaube nicht, daß ich hier unter irgendeinem Zwang stehe.
Verteidiger Göllner:
[Pause] Ich habe leider nicht die Akten eingesehen vom Landgericht Münster, wo Sie ja eingehend in dem Verfahren gegen den Arzt Professor Doktor Kremer vernommen worden sind. Wenn der Anlagenband zufällig bei den Gerichtsakten[5] sein sollte, Herr Direktor, wäre ich dankbar, wenn diese Akten
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Bitte? Ja, Herr
Verteidiger Göllner [unterbricht]:
Da ist ein eingehendes Protokoll. Ich habe es leider nicht gesehen
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Herr Rechtsanwalt, Sie wissen doch, daß im Schwurgericht die Protokolle den Inhalt der Zeugenaussagen nicht wiedergeben.
Verteidiger Göllner:
Doch, es soll angeblich in diesem Verfahren ein Protokoll sein. Nicht nur der Zeuge wurde zur Sache vernommen, sondern merkwürdigerweise soll da eine Befragung gewesen sein. Ich will es sagen, weshalb: Bei dem Landgericht in Münster spielte die Frage der Ende August 1942 in Auschwitz erfolgten Typhus-Lagersperre und dieser Sonderaktion eine Rolle.[6] Und da wurde darauf abgestellt, ob der Zeuge Doktor Uhlenbroock daran beteiligt war oder ob er vor- oder nachher abgeordnet worden ist. Also das soll in Protokollform festgehalten sein, so wurde mir gesagt. Ich weiß es nicht.
Vorsitzender Richter:
Ja, die Akten sind, glaube ich, nicht hier, die sind am Gericht, diese Münster-Akten.
Verteidiger Göllner [unterbricht]:
Die Akten sind nicht hier? Ich habe auch nur das Urteil des Landgerichts Münster in Fotokopie bei den Akten gesehen. Ich möchte den Zeugen fragen, ob er außer dieser Notoperation an sonstigen ärztlichen Versorgungen im Block 21 oder 28 tätig gewesen ist.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Davon ist mir nichts in Erinnerung. Ich habe lediglich den Sohn des Kommandanten Höß einmal behandelt, soweit ich das erinnern kann. Aber aus dieser Zeit Auschwitz ist mir sehr wenig in Erinnerung geblieben.
Verteidiger Göllner:
Herr Zeuge, wo haben Sie Ihr Mittagessen eingenommen in Auschwitz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Soweit ich erinnere, in der ersten Zeit auf meinem Zimmer oben, und später habe ich, meine ich, im Kasino gegessen. Aber die zeitliche Verteilung kann ich nicht sagen.
Verteidiger Göllner:
Haben Sie dort mit den übrigen Ärzten des Lagers gegessen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht mehr. Ich glaube nicht. Ich bin der Meinung, daß ich hinterher gegessen habe, weil ich den Eindruck hatte, daß der Kommandant mich von den übrigen Ärzten fernhalten wollte, weil ich durch ein solches Verfahren belastet sei.
Verteidiger Göllner:
Haben Sie irgendwelche Maßnahmen in Auschwitz persönlich wahrgenommen, die mit Injektionen von Phenol oder Zyklon B in Berührung standen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein, nie.
Verteidiger Göllner:
Überhaupt nicht?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Verteidiger Göllner:
Welche Ärzte in Auschwitz haben Sie in der kurzen Zeit Ihres dortigen Aufenthalts persönlich kennengelernt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Mit Sicherheit nur den Doktor Entress. Und ich erinnere am Rande noch einmal den Standortarzt Doktor Wirths.
Verteidiger Göllner:
Wurden sie zu irgendwelchen Besuchen in den Blocks 21 und 28 einmal oder mehrmals mitgenommen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich kann nicht sagen, was in Block 21 und 28 gewesen ist. Ich kann nur sagen, daß ich nach meiner Erinnerung den schilddrüsenoperierten Polen zwei- oder vielleicht dreimal besucht habe, um mich zu überzeugen, wie die Operation abgelaufen war, wie die Wundheilung war.
Verteidiger Göllner:
Ich habe keine weiteren Fragen.
Vorsitzender Richter:
Herr Doktor Uhlenbroock, ich muß Ihnen aber folgendes vorhalten: Ich habe hier bei den Akten eine Abschrift eines Schreibens des Führungshauptamts, Chef des SS-Sanitätsamtes in Berlin vom 27. Mai 1942. Und zwar ging das damals an Ihre Adresse in Hamburg, Hochallee 127.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Und da steht drin: »Sie werden mit Wirkung vom 17.8.42 unter gleichzeitiger Aufhebung der am 11.6.42 verfügten Beurlaubung und des Uniformverbotes als Arzt für das Konzentrationslager Auschwitz zum SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Amtsgruppe DIII, kommandiert. Meldung am 17.8.42 beim leitenden Arzt der Amtsgruppe DIII des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts in Oranienburg. Unterschrift: SS-Oberführer.«[7] Das heißt doch erstens, daß am 27. Mai – bitte?
Richter Perseke:
Das Datum kann doch nicht stimmen, wenn das Bezug nimmt auf den 11.6.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Sprecher (nicht identifiziert):
Das kann nicht stimmen.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darf ich etwas dazu sagen, Herr Vorsitzender?
Vorsitzender Richter:
Ja, bitte schön.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Dieses Schriftstück ist doch eine Fälschung. Man kann doch am 27. Mai [...] nicht eine Geschichte zurückrufen, die am 11.6. befohlen wird, Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Das ist richtig. Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich darf dazu sagen, daß dieses Schriftstück nachträglich, und zwar erst im Jahre 1943, in meine Akte gekommen ist als Ersatz für ein anderes Schriftstück. Denn der Reichsführer SS hatte befohlen, weil mir durch dieses Gerichtsverfahren, diesen Willkürakt ein großes Unrecht geschehen sei, daß eine Wiedergutmachung erfolgen solle. Und in meiner Akte dürfe nichts sein, was meine spätere Beförderung hindern solle.
Vorsitzender Richter:
Ja, also das ist mir beim Verlesen eben auch aufgefallen, daß das Schreiben das Datum vom 27. Mai trägt und das aufgehoben wird mit Wirkung vom 27.8.42. Das ginge noch.
Vorsitzender Richter:
Das ist mir beim Verlesen eben auch aufgefallen, daß das Schreiben das Datum vom 27. Mai trägt und daß aufgehoben wird mit Wirkung vom 27.8.42 – das ginge noch – ein Verbot oder eine Beurlaubung und Uniformverbot vom 11.6.42. Nun wäre es ja denkbar, daß der 27. Mai ein Schreibfehler sei, daß das nicht 27. Mai, sondern 27. August heißen würde. Weil hier heißt es: »Sie werden mit Wirkung vom 17. August 42« und so weiter.
Aber ich kann das natürlich nicht beurteilen. Außerdem ist das hier eine unbeglaubigte Abschrift. Ich weiß nicht, wer die hergestellt hat und wie das Original aussieht.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darf ich dazu etwas sagen, Herr Vorsitzender?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Wenn Sie das Schreiben angucken – ich habe es in Fotokopie hier –, dann werden Sie erkennen, daß am 27. ursprünglich ein anderer Monat gestanden hat, der durchgestrichen ist.
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ja, das ist auch
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Es kann sich also nicht um einen Irrtum handeln, sondern um eine bewußte Abänderung dieses Datums.
Vorsitzender Richter:
Ja, wollen Sie es mir mal bitte geben. [Pause] Danke schön. Das ist aber auch eine Abschrift hier.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Eine Fotokopie.
Vorsitzender Richter:
Ja, das ist die Fotokopie von einer Abschrift. Und zwar ist das ja von unserem Aktenstück hier eine Fotokopie.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Also das ist nicht unbedingt stichhaltig. Denn diese Abänderung kann auch ein Schreibfehler sein, der in der Abschrift begangen worden ist. Diese Fotokopie entspricht ja nur dieser Abschrift hier, hat sogar noch unsere Seitenzahl dabei. Wie sind Sie denn eigentlich in den Besitz dieser Fotokopie gekommen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Die ist in der Ermittlungsakte mir zugestellt worden von der Voruntersuchung.
Vorsitzender Richter:
So. Na ja. Also jedenfalls hier steht drin, Sie hätten sich unter Aufhebung der Beurlaubung und unter Aufhebung des Uniformverbots als Arzt in Auschwitz am 17.8.42 zu melden. Und das, sagen Sie, das ist nicht wahr, das war eine Fälschung?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das kann nicht wahr sein. Das stimmt aus der ganzen Zusammenhangsgeschichte nicht.
Vorsitzender Richter:
Also, Herr Doktor Uhlenbroock, jetzt wollen wir mal diese Urkunde und die Richtigkeit der Urkunde zur Seite lassen. Sie müssen es doch wissen, ob Sie einen solchen Befehl bekommen haben – sich nämlich als Arzt in Auschwitz zu melden – oder nicht.
Was Sie mir da erzählen, das ist ja doch gar nicht einzuordnen in die damaligen Verhältnisse: Sie kommen nach Auschwitz, setzen sich dort in ein Zimmer und sagen: »Ich bin krank.« Und dann werden Sie mal gerufen, dann machen Sie mal eine Notoperation, und im übrigen gehen Sie spazieren. Das hat es doch nicht gegeben im allgemeinen, nicht.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Herr Vorsitzender, dieser Fall von mir ist so einmalig und so eigenartig. Wenn Sie bitte berücksichtigen, daß ich praktisch ja wegen Tötung, also wegen Mordes angeklagt war, dann ist es nach dem Militärstrafgesetzbuch überhaupt nicht möglich, daß jemand unter einer solchen Anklage zur dienstlichen Verwendung herangezogen wird. Das ist meine Auffassung, und unter dieser Auffassung habe ich die ganze Zeit gestanden. Ich kann
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Wann ist denn das Urteil in Berlin gewesen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Mitte oder Ende November, Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Mitte oder Ende?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
November 1942.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Tja, also ich kann es nicht klären.
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Darf ich Ihnen etwas vorlegen, das diese Geschichte sehr exakt illustriert?
Vorsitzender Richter:
Danke schön.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe derzeit wegen meiner Gegensätze zur SS einen Offizialverteidiger der Waffen-SS abgelehnt und den derzeitigen Oberstaatsanwalt von Hamburg, Herrn Doktor Rücker, gebeten, mich zu verteidigen. Herr Doktor Rücker hat etwas später, im Jahre 1949, einen genauen Bericht über diese Dinge gefertigt, wo diese ganzen Willkürmaßnahmen drin waren.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nun, ich kann nicht genau lesen, von wann soll das Schreiben
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Das ist im Jahre 1949 gewesen.
Vorsitzender Richter:
Mir sieht das mehr aus, als ob das 45 wäre. [Pause] Sehr schlecht fotokopiert. Na ja. Also es sind von Ihrer Seite, Herr Rechtsanwalt Göllner, keine Fragen mehr zu stellen? Von seiten des Gerichts? Bitte schön.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Herr Doktor Uhlenbroock, wann kamen Sie zur Polizeidivision?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich glaube, im Januar 1940.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Von wo aus und als was?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich war vorher Arzt beim Befehlshaber der Ordnungspolizei in Polen mit dem Sitz in Krakau.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und davor? Wie kamen Sie dorthin, zu dem Befehlshaber der Polizei in Krakau?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Vom Polizeibataillon 101.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Waren Sie aktiver Polizeiarzt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wann eingetreten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Am 1. Januar 1938.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wo?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
In Hamburg.
Ergänzungsrichter Hummerich:
In Hamburg?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Bei der Hamburger Schutzpolizei oder
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Schutzpolizei.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Bei der Hamburger Schutzpolizei eingetreten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und kamen dann bei Kriegsbeginn zu den mobilen Teilen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und waren damit ausgerückt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Waren Sie Angehöriger der Allgemeinen SS gewesen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Sie waren also ganz regulärer... Laufbahn Polizeiarzt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wer war der höhere SS-Führer, der in Ihrem Kriegsgerichtsverfahren so eine große Rolle spielte?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das war der Adjutant vom Reichsarzt SS, ich glaube, er hieß Schumacher.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Und welche Vorwürfe machten Sie ihm?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich hatte das Feldlazarett der Polizei aufgestellt.
Ergänzungsrichter Hummerich:
In Leningrad Süd?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Sondern?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
In Berlin.
Ergänzungsrichter Hummerich:
In Berlin, ja?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Und vier Wochen bevor wir zum Abmarsch kamen, wurde ich plötzlich – ich war Chef des Feldlazaretts – als Chef ohne Grund abgelöst
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Sie hatten eine normale chirurgische Ausbildung im Frieden gehabt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja. Wurde ich als Chef abgelöst und blieb nur noch der leitende Chirurg des Feldlazaretts. Es kam an seiner Stelle der damalige, ich glaube, Standartenführer oder Obersturmbannführer Schumacher.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Das war dieser?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das war dieser.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Und er hat sämtliche Polizeileute dieses Lazaretts herausgeworfen und sie durch SS-Leute ersetzt. Denn er wollte nicht mit Polizeileuten zu tun haben. Da er sehr dem Alkohol zusprach und aus verschiedenen anderen Gründen mit dem Lazarett nicht klarkam, mußte er mich als leitenden Arzt zunächst behalten. Aber ich war ihm
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Für Chirurgie?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Für Chirurgie. Aber ich war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge. Und er hat auch, glaube ich, weitere Polizeiärzte, die für dieses Feldlazarett vorgesehen waren, durch SS-Ärzte ersetzt, um... Es kam mehrfach
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Nun war aber doch im Südabschnitt Leningrad nicht nur die Polizeidivision.
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Es kam mehrfach zu Differenzen in dem Einsatz, und nun hat er folgendes gemacht: Um mich loszuwerden, wollte er nach außen hin demonstrieren, daß ich meinem Posten als Chirurg nicht gewachsen wäre. Zu dem Zweck hat er mich vor Leningrad, was völlig unmöglich ist, mit der Hälfte des Feldlazaretts und einem schwerkranken Internisten eingesetzt, um eine Sanitätskompanie der Wehrmacht, die etwa 160 Mann hat, also beinahe dreimal so stark ist wie ein Feldlazarett, abzulösen. Ich habe in dieser Zeit tagelang Boten um Boten, Kradfahrer um Kradfahrer zu ihm geschickt, er möge bitte mit dem übrigen Teil der Ärzte nach vorne kommen. Er hatte das
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Ja waren Sie nun auf der Höhe eines [...] Hauptverbandsplatzes? Oder waren Sie noch Feldlazarett?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Wir waren Feldlazarett, aber
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Sie waren aber vorgeschoben auf Hauptverbandsplatz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das war ja der Stellungskampf vor Leningrad, nicht wahr.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja, eben.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Und die vorderste Linie verlief etwa in Urc. Und sechs Kilometer später lag Krasnoie Selo. In Krasnoie Selo lösten wir eine Sanitätskompanie des Heeres ab.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ein Zug des Feldlazaretts hatte etwa 22 Mann. Ich sollte also mit 22 Mann die Arbeit leisten
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Gut. Und wem gegenüber machten Sie die Vorwürfe gegenüber Ihrem Chef? Weil es zum Kriegsgerichtsverfahren kam. Oder kam es umgekehrt zum Kriegsgerichtsverfahren aus Eigeninitiative von dem Chef?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein. Das kam in folgender Weise: Ich hatte große Verwundetenanfälle, die ich alleine als einziger Arzt nicht schaffen konnte.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Und zu diesem Zeitpunkt habe ich immer wieder Kradfahrer nach rückwärts geschickt, es möge der Chef des Feldlazaretts mit den übrigen Ärzten nachkommen, damit die Verwundeten versorgt werden können. In diese Situation platzte der Kommandeur einer anderen Division hinein und hat mich furchtbar angefahren, was das für eine Schweinerei wäre, daß ich nicht mehr Ärzte zur Verfügung hätte. Dieser hat dann bei dem Kommandanten der Südfront Leningrad Meldung erstattet. Und ich wurde jetzt gefragt, wieso diese Zusammenhänge wären. Aufgrund dieser Zusammenhänge
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Ach so. Sie haben also keine Meldung aus eigener Initiative gemacht, so aus
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Nein, nur um mich selbst zu verteidigen. Daraufhin wurde dieser betreffende Obersturmbannführer von irgendeinem hohen Offizier des Kommandanturbereiches der Südfront Leningrad aufgesucht und, soweit mir bekanntgeworden ist, in einem betrunkenen Zustande mit seinen Ärzten gefunden. Daraufhin hat man ihn genommen und ihn nach Hause geschickt. Und er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, nicht nur wegen dieser Geschichte – man hat ihm Feigheit vor dem Feinde vorgeworfen –, sondern auch, weil noch verschiedene andere Delikte aus früherer Zeit, die ich aber nicht kannte, vorhanden waren.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ah, und durch sein Kontern wurden Sie dann auch in ein Verfahren einbezogen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nun war folgendes: Der Herr war entweder Blutordensträger oder Träger des goldenen Parteiabzeichens. Jedenfalls hatte er dort oben in der Waffen- SS sehr viele Freunde. Und um meine Aussage zu entkräften und wertlos zu machen, wurde ich mit vor Gericht gestellt. Ich sollte also die Verfehlung eines höheren Vorgesetzten teilweise decken.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ach, das war das Verfahren?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das war das Verfahren.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Danke schön. Kannten Sie den Herrn Kremer aus Münster aus Auschwitz? Sie sind ja dort vernommen worden.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe Herrn Kremer gesehen in Münster. Aber ob ich ihn vorher gesehen habe, weiß ich nicht.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Also Sie bleiben bei Ihrer Münsterer Aussage[8], daß Sie ihn nicht als in Auschwitz gesehen identifizieren können?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich kann mich nicht erinnern.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Er war ja an sich einwandfrei zu der Zeit, die Sie uns heute angeben, in Auschwitz.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das ist möglich. Aber, Herr Richter, ich bin so mit eigenen Dingen belastet gewesen, denn ich stand ja unter dem... Wenn das Urteil durchgegangen wäre, hätte es für mich Todesstrafe bedeutet.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja, klar.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nicht wahr. Ich war also so mit eigenen Dingen beschäftigt, daß alle diese Randerinnerungen mehr oder minder verschwunden sind.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und Sie sagten vorhin, Sie seien Ende September, vielleicht Anfang Oktober von Auschwitz weg
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Nein, meine Erinnerung ist folgende: Ich bin bis zum 28. oder 29. August in Auschwitz gewesen. Dann bin ich nach Berlin gekommen, erneut zur Vernehmung, bin dann wieder um den 3. oder 4. September...
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Von Berlin nach Auschwitz gekommen. Inzwischen war eine Intervention durch den Inspekteur des Polizeisanitätswesens in Berlin beim Reichsführer SS erfolgt. Und wie ich erfahren habe, hat sich der Kommandant des Konzentrationslagers, Höß, für mich eingesetzt. Ich wurde dann wegen meiner Krankheit zunächst nach Hamburg beurlaubt und bin nach meiner Erinnerung am 6. oder 7. von Auschwitz weg und bin erst am 16. oder 17. September wieder in Auschwitz eingetroffen. In der Zwischenzeit stand ich in Behandlung des Reservelazaretts IV in Hamburg.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Und dann blieben Sie in Auschwitz wie lange?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Diese Beurlaubung war auch notwendig, um mit meinem Verteidiger, Herrn Oberstaatsanwalt Doktor Rücker, zu sprechen. Dann bin ich einen Tag in Auschwitz gewesen und bin nach meiner Erinnerung dann sofort ins Reservelazarett Kattowitz gekommen. Da habe ich zwei oder drei Tage gelegen, und dann bin ich am 21. oder 22. September von Auschwitz weggekommen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Wo sind Sie hin?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nach Hamburg.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Nach Hamburg. Und da haben Sie auf Ihr Verfahren gewartet?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja. Zu dem Zeitpunkt war aber aufgrund der Intervention des Reichsführers mein Uniformverbot aufgehoben. Es war dann – weil nicht zulässig oder nicht gesetzlich – auch meine Wehrsoldbeschränkung, soweit ich erinnere, aufgehoben. Und ich hatte alle Freiheiten. Ich konnte gehen und konnte machen, was ich wollte.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Was hat Ihnen denn der Adjutant gesagt, als Sie sich in Auschwitz das erste Mal meldeten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe mit Herrn Mulka besprochen, wie meine Situation wäre, was mir vorgeworfen wäre und wie ich in diese ganze Geschichte hineingekommen wäre. Und Herr Mulka, das erinnere ich noch, hat mir gesagt, er wolle sich für mich verwenden.
Ergänzungsrichter Hummerich:
So. Danke schön, keine Fragen.
Vorsitzender Richter:
Von Seiten der Staatsanwaltschaft?
Staatsanwalt Kügler:
Herr Vorsitzender, ich darf in diesem Zusammenhang die Fotokopie der Offizierskarte des Zeugen Doktor Uhlenbroock vorlegen. Da findet sich eine Eintragung, die zunächst das bestätigt, was der Zeuge hier gesagt hat: »Nach Mitteilung des Kommandanturamtes wurde U. in der Hauptverhandlung vom 14.11.1942 freigesprochen. Vom Reichsführer SS bestätigt am 19.3.1943.«
Die Eintragung über den Verbleib des Zeugen, über seine dienstliche Beschäftigung, lautet für die fragliche Zeit vom 17.8.1942 bis zum 25.11.1942: »Kommandiert zum Wirtschafts-Verwaltungshauptamt D III«– das ist das Amt, das die Ärzte in den Konzentrationslagern eingesetzt hat.
Ich darf nun, Herr Doktor Uhlenbroock, Ihnen dies vorhalten und Ihnen ferner vorhalten, daß in dem Beförderungsvorschlag vom 19. September 1943 unter anderem angegeben ist: »Sein ärztliches Können und seine Zuverlässigkeit stellte er als Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz erneut unter Beweis.«[9]
Es geht hier, Herr Doktor Uhlenbroock, und das möchte ich Ihnen vorhalten, nicht so sehr darum, ob damals ein Verfahren gegen Sie lief und ob Sie möglicherweise unter dem Eindruck gestanden haben, daß Sie unter irgendeinem Druck oder Zwang nach Auschwitz gebracht worden sind oder dorthin abkommandiert worden sind. Sondern es geht uns darum, von Ihnen hier als Zeuge zu erfahren, was Sie in Auschwitz tatsächlich getan haben.
Ich möchte Ihnen ferner hier folgendes vorlegen: eine Ausarbeitung, eine Durchschrift von 13, 14 Seiten. Ich sage dazu, daß es sich hier um ein Papier handelt, das seinerzeit bei Ihnen in der Wohnung bei einer Durchsuchung gefunden wurde. Und ich möchte Sie fragen, ob es richtig ist, daß es sich hierbei um eine von Ihnen selbst angefertigte Erinnerungsskizze aus der damaligen Zeit handelt, in der auf Blatt 13 vermerkt ist: »Ich habe dann mehrere Monate, fast zehn Wochen, in Hamburg ohne Uniform gesessen und befand mich in einer schweren Depression. Am 17.8.«, also übereinstimmend mit den Eintragungen in Ihrer Offizierskarte, »wurde ich plötzlich unter Aufhebung des Uniformverbots nach Auschwitz kommandiert.« Wollen Sie sich das bitte ansehen und dem Gericht erklären, ob es sich um diese Gedächtnisskizze, die Sie damals selbst verfaßt haben, handelt.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Diese ist, wenn ich mich erinnere, in den Jahren 1949 oder 48 gemacht worden.
Staatsanwalt Kügler:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Diese dort bezeichnete Kommandierung ist ja nichts anderes als eben ein Hinweis, daß ich in Auschwitz gewesen bin und daß man mich zwangsläufig dorthin abkommandiert hat. Aber ich kann aus meiner Erinnerung immer nur wieder sagen, wie ich diesen Zustand empfunden habe: eben als eine Arresthandlung.
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Nun gut, es fragt sich, ob das also tatsächlich ein Arrest gewesen ist und ob Sie nicht dort doch Dinge erfahren haben, die Sie uns hier als Zeuge sagen könnten. Darauf kommt es uns ja an, Herr Doktor Uhlenbroock. Es sind dort SS-Männer gewesen, die im Range wesentlich niedriger waren als Sie und die sich darauf berufen, daß sie bestimmte Befehle bekommen haben. Und Sie sind jedenfalls damals, als Sie in Auschwitz waren, ranghöher gewesen. Nun gut.
Sie haben einen Lebenslauf in Ihren Personalakten bei der Polizei abgegeben. Und in diesem Lebenslauf haben Sie vermerkt, das möchte ich Ihnen vorhalten, daß Sie unter Hinweis einer Strafabordnung – das ist auch nach dem Krieg geschrieben – nach Auschwitz zur Seuchenbekämpfung kommandiert worden seien.[10] Ich könnte mich nicht erinnern, daß Sie das dem Herrn Vorsitzenden gesagt haben. Ist denn das richtig?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe es Ihnen gesagt, Herr Staatsanwalt, als Sie mich verhörten in Hamburg, daß ich von dem Kommandanten Höß gebeten worden bin, ihm Ratschläge zu erteilen für die Entwesung und Entlausungsbekämpfung im Lager.[11] Das habe ich Ihnen, wenn ich mich erinnere, ganz exakt gesagt.
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Aber wenn ich diesen Lebenslauf recht verstehe, dann wollten Sie doch wohl darin nicht zum Ausdruck bringen, daß Ihnen der Höß in Auschwitz das gesagt hat, sondern daß Sie bereits bei Ihrer Abkommandierung einen derartigen Auftrag mitbekommen haben.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Staatsanwalt Kügler:
Weil Sie in diesem Lebenslauf auch weiterhin noch ausführten, daß der Vorgänger, der für die Seuchenbekämpfung zuständig gewesen sein soll, grade verstorben gewesen sei.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich wollte damit nur die Gefährlichkeit unterstreichen, weshalb man mich nach Auschwitz gebracht hat. Wie Sie selbst in dem damaligen Verfahren gesagt haben, Herr Staatsanwalt, ist dieses Auschwitz-Verfahren, auch nach Ihrer Auffassung, ja nur deshalb gestattet, um mich mürbe zu machen.
Staatsanwalt Kügler:
Welches Verfahren?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Dieses Kriegsgerichtsverfahren und die Verbringung nach Auschwitz.
Staatsanwalt Kügler:
Das mag ja möglich sein, daß Sie unter dem Druck dieses Kriegsgerichtsverfahrens in Auschwitz zu irgendwelchen Handlungen veranlaßt werden sollten. Grade deshalb liegt es doch sehr nahe, anzunehmen, daß Sie auch tatsächlich in Auschwitz etwas getan haben, was Sie uns bis jetzt noch nicht gesagt haben.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe diese Seuchenbekämpfung bezogen auf das, was ich Ihnen bereits in der ersten Vernehmung gesagt habe, daß ich also Ratschläge erteilt habe zur Entlausung dieser Baracken.
Staatsanwalt Kügler:
Gut.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich darf darauf hinweisen, daß dieser sogenannte Lebenslauf ja nicht für eine Information einer deutschen Behörde bestimmt war, sondern für die Militärregierung, und unter ganz anderen Kautelen abgefaßt ist.
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Ich weise Sie bloß auf den doch immerhin bereits – nach dem, was hier bis jetzt vorgelegt ist – bestehenden Zusammenhang hin. Es ist einmal in Ihrer Offizierskarte davon die Rede, daß Sie dem Amt D III zugeteilt waren. In der Gedächtnisstütze schreiben Sie, daß Sie am 17.8. nach Auschwitz kommandiert worden sind.
Würden Sie sich bitte hier die Durchschrift dieses Schreibens [+ ansehen], das ich zunächst dem Gericht vorlegen möchte, vom 21.9.1942: »Doktor Kurt Uhlenbroock, betrifft vierwöchentlicher Erholungsurlaub. Dem Standortarzt im KL Auschwitz.«[12] Da haben Sie also dort, nach dem Inhalt dieses Schreibens, das eine Durchschrift darstellt, um einen Erholungsurlaub nachgesucht.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Sicher.
Staatsanwalt Kügler:
Ist das zutreffend?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin krank gewesen und wollte unter allen Umständen von Auschwitz weg.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Wollen Sie, daß das verlesen wird?
Staatsanwalt Kügler:
Ja, ich möchte zunächst es dem Zeugen noch vorhalten und möchte dann beantragen, daß dieses Schreiben verlesen wird.
Vorsitzender Richter:
Bitte schön.
Staatsanwalt Kügler:
Können wir es dem Zeugen zeigen?
Vorsitzender Richter:
Ja, bitte schön.
Staatsanwalt Kügler:
[Pause] Können Sie sich an die Abfassung dieses Schreibens erinnern, Herr Doktor Uhlenbroock?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich kann mich an die Abfassung dieses Schreibens nicht mehr erinnern. Aber es lag zu meinen Akten und ist demnach von mir gefertigt worden.
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Und kurz hinter diesem Schreiben, Herr Vorsitzender, befindet sich eine beglaubigte Abschrift aus dem Polizeisoldbuch des Zeugen. Aus dieser beglaubigten Abschrift ist zu ersehen, daß er jedenfalls nur im Oktober im Lazarett war. Außerdem befindet sich in diesem Hefter, den ich Ihnen überreicht habe, auch der Untersuchungsbefund bei der Dienststelle in Kattowitz, in der über den Gesundheitszustand des Zeugen Auskunft gegeben wird.[13] Vorsitzender Richter:
Ja.
Staatsanwalt Kügler:
Nun, Herr Doktor Uhlenbroock, möchte ich Ihnen noch folgendes vorhalten: Der Professor Doktor Kremer hat also in seinem Tagebuch[14] angeführt, daß Sie ihn als Standortarzt empfangen hätten. Und der Professor Kremer hat auch bei den Vernehmungen seinerzeit in Polen geschildert, daß er bei den Vergasungen dabei war, und er gibt auch Ihren Namen in diesem Zusammenhang an. Ich möchte Sie unter Hinweis darauf, daß Sie die Antwort auf diese Frage verweigern können, ausdrücklich fragen, ob Sie in Auschwitz entweder bei Selektionen auf der Rampe – auf irgendeiner Rampe, wir wollen uns da örtlich nicht festlegen – oder bei Vergasungsaktionen dabei waren.
Vorsitzender Richter:
Verzeihen Sie, Herr Staatsanwalt, wollen Sie jetzt hier ein Verfahren gegen den Doktor Uhlenbroock durchführen?
Staatsanwalt Kügler:
Nein, aber
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Der Zeuge ist benannt von dem Rechtsanwalt Göllner mit dem Beweisthema: Er soll bestätigen können, daß Klehr auf Anweisung des Arztes diese Tötungen mit Phenol durchgeführt hat. Das ist das Beweisthema.
Staatsanwalt Kügler:
Ja, und ich...
Vorsitzender Richter:
Und nun, bitte schön?
Staatsanwalt Kügler:
Und ich sehe es als meine Pflicht als Staatsanwalt an, diesem Beweisthema nach Möglichkeit zum Erfolg zu verhelfen. Denn ich muß ja auch insoweit sehen, wenn die Behauptung des Angeklagten Klehr richtig ist, daß er möglicherweise von Doktor Uhlenbroock entsprechende Befehle bekommen hat, daß wir die Wahrheit insoweit hier herausfinden. Und insoweit muß ich dem Zeugen entsprechende Vorhalte machen. Und ich
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Na, also. Bitte schön.
Staatsanwalt Kügler:
Und ich muß den Zeugen natürlich auch fragen. Denn wenn er mir sagt: »Ich war nicht dabei« oder wenn er die Antwort verweigert, dann kann man entsprechende Schlüsse daraus ziehen, welche Funktionen er in Auschwitz gehabt hat.
Vorsitzender Richter:
Ob wir aber damit weiterkommen, daß damit feststeht oder festgestellt werden könnte zugunsten des Angeklagten Klehr, daß er nicht auf eigene Faust Selektionen beziehungsweise Tötungen vorgenommen hat, das weiß ich vorläufig nicht.
Staatsanwalt Kügler:
Sicher, das weiß ich
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Kremer ist unzuverlässig, denn er schreibt in seinem Tagebuch auch, daß am 6. September der neue Standortarzt Doktor Wirths begrüßt worden ist.[15]
Vorsitzender Richter:
[Pause] Ja. Also fragen Sie bitte weiter, Herr Staatsanwalt, wenn Sie glauben, Sie haben es...
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Herr Doktor Uhlenbroock, haben Sie an einer solchen Selektion teilgenommen oder an einer solchen Vergasung?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein, nie.
Staatsanwalt Kügler:
Haben Sie irgendwelche Anordnungen im Hinblick darauf gegeben?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Niemals.
Staatsanwalt Kügler:
Nun, Herr Vorsitzender, ich widerspreche der Entlassung des Zeugen. Ich habe zunächst keine Fragen mehr und beantrage, daß der ehemalige Spieß bei dem Standortarzt, der Zeuge Wilhelmy, diesem Zeugen hier gegenübergestellt wird, damit wir nach Möglichkeit das letzte Mittel ausschöpfen, um die Wahrheit hier zu finden.
Der Zeuge Wilhelmy, der auf Blatt 13.723[16] vernommen worden ist, gibt an, daß er sich noch sehr gut an den Standortarzt Doktor Uhlenbroock erinnern kann, und erzählt also verschiedene Einzelheiten, gibt eine Personenbeschreibung. Und er erzählt auch, daß der Zeuge veranlaßt habe, daß er, Wilhelmy, von der im Hinblick auf die Vorgänge in Auschwitz nicht recht angenehmen Stellung als Spieß beim Standortarzt dann, ich glaube, zur Landwirtschaft war es, versetzt worden ist.
Vorsitzender Richter:
Ja. Und wie sollen wir zu Wilhelmy kommen?
Staatsanwalt Kügler:
Ja, ich beantrage, den Herrn Wilhelmy als Zeugen zu laden. Die ladungsfähige Anschrift ergibt sich aus den Akten.
Vorsitzender Richter:
Aus 13.723.
Staatsanwalt Kügler:
Ich glaube, aus 13.723. Es könnte allerdings sein, daß das eine Vernehmung durch den Untersuchungsrichter ist, die die Adresse nicht angibt.
Vorsitzender Richter:
Nein, durch den Herrn Staatsanwalt Kügler, und zwar in Neu-Wulmstorf.
Staatsanwalt Kügler:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Neu-Wulmstorf liegt bestimmt nicht
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Das liegt oben in der Nähe von Hamburg.
Vorsitzender Richter:
Ja. Und zwar wohnt er noch nicht mal in Neu- Wulmstorf, sondern in Ketzendorf.
Staatsanwalt Kügler:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Also werden wir den Zeugen heute vermutlich nicht hierher bekommen können.
Staatsanwalt Kügler:
Können wir nicht, nein.
Vorsitzender Richter:
Sie wünschen also, daß wir den Doktor Uhlenbroock noch einmal vernehmen in der Gegenüberstellung zu Wilhelmy
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Des Zeugen Wilhelmy.
Vorsitzender Richter:
Und ihn deshalb heute nicht entlassen?
Staatsanwalt Kügler:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Hat der Erste Staatsanwalt noch etwas?
Staatsanwalt Großmann:
Herr Zeuge, Sie haben erst gesagt, daß Sie sich nach wenigen Tagen beim Kommandanten Höß melden wollten, daß er nicht da war und daß Sie dann mit Herrn Mulka gesprochen haben. Hat man Ihnen dort gesagt, Sie sollen sich bei Herrn Mulka als Vertreter von Herrn Höß melden? Oder hat man gesagt, Sie sollen sich beim Vertreter des Lagerkommandanten melden? Oder wie sind Sie zu Herrn Mulka gekommen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht. Es ist üblich, wenn man irgendwo hinkommt, daß man dann den Betreffenden aufsucht, der das Lager kommandiert, und sich dort offiziell vorstellt und meldet.
Staatsanwalt Großmann:
Ja. Sie sind also zu Herrn Mulka gekommen in der Überzeugung, daß er in Abwesenheit von Höß das Lager kommandiert?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein. Ich bin
Sprecher (nicht identifiziert) [unterbricht]:
Das hat der Zeuge nicht gesagt. Das ist ein falscher Vorhalt.
Staatsanwalt Großmann:
Ja bitte. Wie sind Sie zu Herrn Mulka gekommen?
Vorsitzender Richter:
Das hat er eben grade gesagt. Er hat gesagt: »Ich weiß es nicht mehr. Es ist aber üblich, wenn man zu einer Dienststelle kommt, daß man eben hingeht, sich meldet und sich vorstellt.«
Staatsanwalt Großmann:
Ja, mir kommt es aber jetzt drauf an, Herr Direktor: Wie kommt er trotzdem zu Herrn Mulka, nachdem hier behauptet worden ist, daß der Vertreter von Herrn Höß nicht der Herr Mulka war, sondern jemand anderes?
Vorsitzender Richter:
Ich bitte doch, nicht durcheinander zu reden!
Herr Erster Staatsanwalt, der Zeuge hat auf Ihre diesbezügliche Frage geantwortet: »Ich weiß es heute nicht mehr, wieso ich dazu gekommen bin.« Stimmt es?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Oder haben Sie noch
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Herr Vorsitzender, darf ich dazu eine ganz kurze, rein militärische Bemerkung machen?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Wenn man irgendwo in eine militärische Dienststelle kommt, so geht immer eine Meldung über den Adjutanten. Jeder militärische Besuch oder jede militärische – was es nun auch sein mag, geht immer so, daß man niemals direkt zum Kommandanten kommt. Sondern man meldet sich beim Adjutanten, der einem dann die Zeit sagt und [+ einen] anmeldet. Und dann geht man erst zum Kommandanten. Ein direkter Zutritt zum Kommandanten ist militärisch gar nicht möglich.
Staatsanwalt Großmann:
Richtig. Hat Ihnen also nun Herr Mulka gesagt, Sie sollen sich bei dem Vertreter des Kommandanten Höß, da Höß abwesend ist, melden?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht mehr.
Staatsanwalt Großmann:
Wissen Sie nicht mehr?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht.
Staatsanwalt Großmann:
Hat er überhaupt gesagt, daß Herr Höß von irgend jemand anderem vertreten wird?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht.
Staatsanwalt Großmann:
Wissen Sie auch nicht mehr. Dann eine zweite Frage noch, Herr Zeuge: Sie zeigten erst oder übergaben dem Gericht eine Abschrift aus den Gerichtsakten. Der Herr Vorsitzende fragte Sie bereits, wie Sie zu dieser Abschrift gekommen sind. Und Sie sagten, im Rahmen des gegen Sie geführten Verfahrens. Ich möchte Sie fragen: Wer hat Ihnen diese Abschrift zugeleitet?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
86 Bände der Voruntersuchung sind mir zugestellt worden respektive meinem Verteidiger zugestellt worden.
Staatsanwalt Großmann:
Von wem haben Sie diese fotokopierte Abschrift bekommen, Herr Zeuge? Haben Sie die selbst gefertigt, oder haben Sie die von Ihrem Verteidiger bekommen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein, mein Verteidiger hat mich zu diesen Dingen gehört.
Staatsanwalt Großmann:
Hat er Ihnen diese fotokopierte Abschrift gegeben?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Staatsanwalt Großmann:
Danke schön.
Staatsanwalt Kügler:
Herr Vorsitzender, gestatten Sie. Herr Doktor Uhlenbroock, ich habe hier zwei ausschnittsweise Fotokopien. Sehen Sie sich das bitte an, ob Sie auf einer dieser Fotokopien Ihre Unterschrift erkennen. Behalten Sie bitte Platz. [...]
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
[Pause] Kann ich nichts sagen. Weiß ich nichts.
Vorsitzender Richter:
Sie wissen es nicht?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein.
Staatsanwalt Kügler:
Waren Sie Lagerarzt im Frauenkonzentrationslager?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Wo? Im?
Staatsanwalt Kügler:
Im Frauenkonzentrationslager Auschwitz.
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Niemals.
Staatsanwalt Kügler:
Wollen Sie mit Sicherheit ausschließen, daß es sich hier bei diesem einen um Ihre Unterschrift handelt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
[Pause] Herr Staatsanwalt, das ist sehr schwer zu sagen, und zwar aus folgendem Grunde: Wie ich Ihnen bereits in der ersten Vernehmung mitgeteilt habe
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Herr Doktor Uhlenbroock, es steht hier nicht zur Debatte, [+ über] was wir uns mal früher miteinander unterhalten haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Fragen, die ich an Sie stelle, dem Gericht beantworten würden.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe für den Lagerkommandanten Bücher angefordert und möglicherweise auch Material angefordert, das mit der Sanitätsversorgung zusammenhing. Das kann ich heute nicht mehr genau sagen. Und ich habe sicherlich eine solche Geschichte unterschrieben. Ob ich diese Unterschrift geleistet habe, bezweifle ich.
Staatsanwalt Kügler:
Das bezweifeln Sie. Nun, Herr Doktor Uhlenbroock, wir wollen doch noch zum Abschluß Ihrer Vernehmung nach Möglichkeit ganz präzise werden. Sie haben gesagt, Sie haben dort keinerlei Funktionen ausgeführt oder ausgeübt. Und jetzt räumen Sie ein, daß Sie möglicherweise irgendwelche Materialien bestellt haben. Wie bringen Sie das in einen Zusammenhang?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das räume ich nicht jetzt ein, sondern das habe ich Ihnen bereits in meiner Vernehmung vom November 1960
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Herr Doktor Uhlenbroock, wollen Sie das bitte alles ausschließen hier in diesem Raum, was je früher zwischen uns gesprochen wurde. Wollen Sie bitte meine Fragen vollständig dem Gericht beantworten. Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß dem Gericht bekannt ist, was Sie mir früher einmal gesagt haben.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich kann nur sagen, daß mir in Erinnerung ist, daß ich Bücher bestellt habe. Und wenn ich diese bestellt habe, werde ich sicher darunter eine Unterschrift geleistet haben. Ob ich andere Unterschriften geleistet habe, weiß ich nicht, kann ich auch nicht mehr erinnern.
Staatsanwalt Kügler:
Haben Sie außer einer möglicherweisen Bestellung von Büchern und Medikamenten noch etwas anderes bestellt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Mit Sicherheit nicht.
Staatsanwalt Kügler:
Können Sie sich erinnern, um was für Medikamente es sich gehandelt hat?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nein. Es könnte aber sein, das gebe ich am Rande zu bedenken, daß, als ich diese Operation machte, ich mich gewundert habe, wie wenig Medikamente für Operationszwecke im Lager waren. Und es könnte sein, daß ich Medikamente bestellt habe, um örtliche Betäubungen durchzuführen. Denn ich habe irgendwie dunkel in Erinnerung, daß nicht einmal Novocain für örtliche Betäubungen da war, so daß man also kleine Eingriffe schmerzlos machen konnte. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
Staatsanwalt Kügler:
Und wo haben Sie denn diese Medikamente, wenn, bestellt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht mehr.
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Ist Ihnen da noch was in Erinnerung? Beim Standortarzt oder in Berlin?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe, soweit ich erinnere, die Bücherbestellung in den Geschäftsräumen des Standortarztes ausgefertigt.
Staatsanwalt Kügler:
War der Standortarzt da anwesend?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht mehr.
Staatsanwalt Kügler:
Können Sie sich an die Anwesenheit eines Standortarztes erinnern?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich weiß nur, daß ich ein- oder zweimal Herrn Wirths gesehen habe.
Staatsanwalt Kügler:
Später? Kam der, als Sie schon dort waren?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich bin ein paar Tage dort gewesen. Und zuerst hat mich Herr Entress als Lagerarzt behandelt wegen meiner Krankheit.
Staatsanwalt Kügler:
Nun, wer hat Ihnen denn den Auftrag gegeben, diese Operation auszuführen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Soweit ich erinnere, kam der Wunsch von Höß, ich möchte diese Notoperation machen.
Staatsanwalt Kügler:
Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß sich Höß persönlich um die Operation eines Häftlings gekümmert hat?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das will ich nicht zum Ausdruck bringen. Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, daß Höß in die Frage, ob ich operieren sollte und könnte, in irgendeiner Form eingeschaltet gewesen ist.
Staatsanwalt Kügler:
Gut. Ich habe also zunächst keine Fragen mehr, Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Ist von seiten der Angeklagten eine Erklärung abzugeben? Klehr, bitte schön.
Nebenklagevertreter Ormond:
Ich habe noch Fragen.
Vorsitzender Richter:
Sie hatten noch eine Frage. Dann einen Augenblick, erst Herr Rechtsanwalt Ormond.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, Sie sprachen vorhin immer von einem Kriegsgerichtsverfahren. Es hat sich doch wohl um ein Verfahren vor dem SS- und Polizeigericht gehandelt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Für uns als Polizeiangehörige war das mit einem Kriegsgerichtsverfahren identisch.
Nebenklagevertreter Ormond:
Ja, aber es war ein SS- und Polizeigericht?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Jawohl.
Nebenklagevertreter Ormond:
Nächste Frage: Sie haben erklärt, daß Sie in einem Raum oberhalb des Offizierskasinos dort zunächst einmal untergebracht worden seien. Handelt es sich da um das Haus der Waffen-SS?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht.
Nebenklagevertreter Ormond:
War das nicht dasselbe Haus, in dem die unverheirateten SS-Führer beziehungsweise diejenigen, die ihre Familien nicht dabei hatten, wohnten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Es war das Casino. Mehr kann ich nicht sagen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Hat dort nicht auch jener besagte Doktor Kremer gewohnt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das kann ich nicht sagen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, ist es nicht richtig, daß Sie selbst Standortarzt [+ waren], also über sämtlichen SS- Ärzten des Lagers standen als Standortarzt?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Zu meiner Zeit ist, soweit ich mich erinnere, Doktor Wirths Standortarzt gewesen. Und mehr kann ich dazu nicht sagen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, wenn ich Ihnen sage
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Die Frage ist nicht beantwortet vom Herrn Rechtsanwalt Ormond. Rechtsanwalt Ormond hat Sie klipp und klar gefragt, ob Sie in Auschwitz Standortarzt gewesen seien.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich erinnere nicht, eine Tätigkeit als Standortarzt ausgeübt zu haben.
Vorsitzender Richter:
Wir fragen nicht, ob Sie eine Tätigkeit als Standortarzt ausgeübt haben, sondern ob Sie Standortarzt gewesen sind und
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Nach meiner Erinnerung nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Vorsitzender Richter:
Na.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, Sie sind ein Mann, der aktiver Polizeiarzt war, der mit polizeilichen oder SS-Dingen, auch gewissermaßen militärischen Dingen, zu tun hatte. Man weiß in seiner Laufbahn, ich halte Ihnen das vor, ob man Standortarzt, das heißt höchster SS-Sanitätsführer, in einer solchen Stellung gewesen ist. Darf ich Sie bitten, Ihr Gedächtnis anzustrengen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nach meiner Erinnerung nicht.
Nebenklagevertreter Ormond:
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß jener Doktor Kremer, der ein großer Pedant war und ein sehr genaues Tagebuch, das hier teilweise verlesen worden ist, geführt hat, Sie ausdrücklich als den Standortarzt Hauptsturmführer Uhlenbroock[17] bezeichnet.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darf ich dazu sagen, daß der Herr Kremer die Behauptung in seinem Tagebuch aufgestellt [hat], ich wäre Standortarzt gewesen und er hätte sich abends am 30. um 19 Uhr bei mir gemeldet. Eine solche Meldung ist militärisch eine Unmöglichkeit. Wenn ich Standortarzt gewesen wäre, dann hätte sich Herr Kremer bei mir melden müssen zu einem Zeitpunkt, wo das Standortarzt-Geschäftszimmer besetzt war, aber nicht zu einer halben Nachtzeit. Diese Erinnerung oder diese Aufzeichnung von Herrn Kremer ist mit Sicherheit falsch.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, Ihre eigene Erinnerung trügt. Der Doktor Kremer bezeichnet als Zeit 17.36 Uhr.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Soweit ich erinnere, ist das die Zeit seiner Ankunft in Kattowitz oder in Auschwitz oder
Nebenklagevertreter Ormond [unterbricht]:
In Auschwitz.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja, sehen Sie.
Nebenklagevertreter Ormond:
Und er hat sich sofort dann bei Ihnen gemeldet.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ja.
Nebenklagevertreter Ormond:
Und von einer Zeit 19 Uhr steht nichts in dem Eintrag drin.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich persönlich habe eine Meldung von Herrn Kremer nicht entgegengenommen, denn...
Nebenklagevertreter Ormond:
Sie wissen, daß Herr Kremer auch sagt, daß er durch den Standortarzt Hauptsturmführer Uhlenbroock einen streng geheimen Instruktionsbefehl erhalten habe.
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Das ist mir bekannt. Ich habe schon damals ausgesagt, daß ich niemals geheime Instruktionsbefehle vergeben habe. Denn in meiner Situation, als durch ein Kriegsgerichtsverfahren Belasteter bin ich nicht in der Lage gewesen, irgendwelche solche Geheimbefehle entgegenzunehmen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Wollen Sie sagen, daß Doktor Wirths zu dem Zeitpunkt, in dem Sie eingetroffen sind im Lager, Standortarzt gewesen ist?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Nach meiner Erinnerung ist Herr Wirths am 29. oder 30. August gekommen, also zu einer Zeit Standortarzt gewesen, in der ich niemals Standortarzt sein konnte.
Nebenklagevertreter Ormond:
Ich darf Ihnen vorhalten, daß Herr Doktor Wirths am 6. September kam und von da ab Standortarzt war und Sie abgelöst hat.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darüber sind in den Untersuchungsakten, die mir von meinem Verteidiger derzeit vorgelegt worden sind, soweit ich erinnere, andere Aufzeichnungen, nach denen Herr Doktor Wirths am 1. September gekommen ist.
Nebenklagevertreter Ormond:
Gut. Also jedenfalls waren Sie am 29. August Standortarzt.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das kann ich nicht sagen, und das muß ich aus meiner Erinnerung ablehnen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Wissen Sie – Sie können die Antwort darauf verweigern –, daß am 29. August – Sie haben sich grade vorhin auf dieses Datum kapriziert, jetzt ist es ja der 1. September – der gesamte Infektionsblock mit nahezu 800 Menschen vergast worden ist?[18]
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das ist mir aus der Akte von meinem Verteidiger mitgeteilt worden.
Nebenklagevertreter Ormond:
Wenn Sie damals Standortarzt waren, dann hätten Sie ja die Verantwortung dafür getragen. Ist das richtig?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Niemals.
Nebenklagevertreter Ormond:
Sondern?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das weiß ich nicht, wer diese Vergasung angeordnet hat. Ich
Nebenklagevertreter Ormond [unterbricht]:
Glauben Sie, daß die Vergasung
Zeuge Kurt Uhlenbroock [unterbricht]:
Ich glaube auch, wenn ich drauf aufmerksam machen darf, daß ich hier als Zeuge bin und nicht als Angeschuldigter.
Nebenklagevertreter Ormond:
Ja, wir hören Sie im Zusammenhang damit, daß ein bestimmter Angeklagter sagt, er habe seine Befehle von Ihnen bekommen.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Dann darf ich vielleicht auf eine Vernehmung des Herrn Wilhelmy, die auch in der Akte drin ist, verweisen, in der er ausgesagt hat, daß während seiner Zeit als Spieß des Standortarztes niemals durch die Befehlsstelle des Standortarztes irgendwelche Vergasungs- oder Vernichtungsbefehle gegangen sind.
Nebenklagevertreter Ormond:
Herr Zeuge, Sie haben vorhin selbst erklärt, daß Höß sich für Sie eingesetzt habe. Glauben Sie, daß Höß sich für einen Arzt einsetzt, der ihm nicht irgendwie dienstlich nahestand?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darüber kann ich keine Angaben machen. Ich glaube, daß Höß mir dankbar gewesen ist, weil ich seinen Sohn behandelt habe, und daß das mit eine der Ursachen gewesen ist. Ich habe ihm mein Verfahren genau erzählt und das Unrecht, was mir geschehen ist. Und ich könnte mir vorstellen, daß er aufgrund dieser Darstellung sich für mich eingesetzt hat.
Nebenklagevertreter Ormond:
Eine letzte Frage, Herr Zeuge: Sie haben vorhin erklärt, daß Sie Sanitätsmaterial, Medikamente et cetera angefordert haben.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Möglich, das weiß ich nicht genau.
Nebenklagevertreter Ormond:
Na, vorhin haben Sie es aber jedenfalls erklärt.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Ich habe es als möglich hingestellt, ich habe gesagt: Ich weiß genau, daß ich Bücher angefordert habe. Es kann sein, daß ich darüber hinaus auch noch Medikamente für den Operationsbetrieb angefordert habe. Aber das, habe ich ausdrücklich gesagt, kann ich nicht genau sagen.
Nebenklagevertreter Ormond:
Ist Ihnen bekannt, daß solche Anforderungen nur vom Standortarzt aus erfolgen konnten?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Das ist mir nicht bekannt.
Nebenklagevertreter Ormond:
Danke. Keine Fragen.
Vorsitzender Richter:
Keine Frage mehr?
Nebenklagevertreter Kaul:
Keine Frage.
Vorsitzender Richter:
Herr Rechtsanwalt Naumann.
Verteidiger Naumann:
Herr Zeuge, Sie sagten vorhin, daß Sie sich an den Doktor Entress erinnern können. Ich hätte gern etwas aus der Persönlichkeitssphäre des Doktor Entress gewußt. Und zwar: Haben Sie beobachtet, wie er sich den Sanitätsdienstgraden gegenüber gehalten hat? War er kameradschaftlich, oder war da ein großer Abstand, gewissermaßen eine eisige Distanz?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Dazu kann ich nichts sagen. Ist mir nicht bekannt. Doktor Entress hat mich nur als Patienten behandelt, und ich erinnere nicht, daß während dieser Behandlung irgendwelche Sanitätsdienstgrade zugegen waren.
Vorsitzender Richter:
Der Angeklagte Klehr wollte noch eine Erklärung abgeben.
Angeklagter Klehr:
Herr Direktor, ich wollte eine kurze Erklärung abgeben, daß mir der Doktor Uhlenbroock von Auschwitz nur im Gedächtnis ist. Ich habe [+ für] den Doktor Uhlenbroock im Lager keinen Dienst gemacht, und ich kannte ihn auch nicht als Standortarzt.
Als ich 1941 nach Auschwitz gekommen bin, da war Hauptsturmführer Doktor [Dienstbach] da. Doktor [Dienstbach] wurde im Frühjahr 42 versetzt zur Fronteinheit. Dann kam, so wie ich mich erinnern kann, ein Doktor Betmann oder Betelmann[19], so ungefähr muß er geheißen haben, an den Namen kann ich mich nicht erinnern. Und dann kam, glaube ich, noch ein Arzt, und der ist auch bloß wieder kurze Zeit dagewesen. Und anschließend kam sofort der Doktor Wirths wegen der Seuchenbekämpfung. Der wurde extra nach Auschwitz versetzt, um die Seuchenbekämpfung durchzuführen. Ich habe keinen Doktor Uhlenbroock im Lager kennengelernt, und ich habe auch keinen Doktor Uhlenbroock als Standortarzt kennengelernt.
Vorsitzender Richter:
Ja. Dann verstehe ich aber nicht, warum Ihr Verteidiger behauptet, daß der Doktor Uhlenbroock Ihnen die Befehle zum Töten der Leute mit Phenol gegeben haben soll.
Angeklagter Klehr:
Herr Direktor, ich muß jetzt endlich wieder mal klarstellen: Ich meine, wenn ich einen Verteidiger haben tue, dann kann ich doch nicht dem Verteidiger sagen, das und das habe ich gesagt. Ich habe darüber mit meinem Verteidiger Doktor
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Rechtsanwalt Göllner nicht gesprochen.
Angeklagter Klehr:
Göllner gar nicht gesprochen.
Vorsitzender Richter:
Also der Beweisantrag lautet: »Zum Beweis für die Behauptung, daß der Angeklagte Klehr nicht aus eigener Disposition, sondern nur auf Befehl und Anordnung der Lagerärzte Injektionen mit Phenol vorgenommen hat, beantrage ich die Ladung folgender Zeugen«, und da ist unter Ziffer a) Doktor med. Uhlenbroock, Hamburg, genannt.[20] Und Sie sagen heute selbst, Sie haben von dem Doktor Uhlenbroock derartige Befehle gar nicht entgegengenommen.
Angeklagter Klehr:
Ich habe Doktor Uhlenbroock als Vorgesetzten nie gehabt. Ich habe den Doktor Entress als Vorgesetzten gehabt, und der hat mir die Befehle gegeben, wie ich schon zu meiner Sache ausgesagt habe, wo ich da dem gemeldet habe, daß der Rapportführer Häftlinge hinter schickte und ich von dem Tage an erst die Injektionen durchführen mußte. Ich habe Doktor Uhlenbroock überhaupt nicht kennengelernt. Ich wurde gefragt bei einer Vernehmung beim Herrn Untersuchungsrichter, ob am 29. August 42 Doktor Wirths schon Standortarzt war. Das habe ich bejaht.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nun, meine Herren, unter diesen Voraussetzungen meine ich, wäre sowohl die weitere Vernehmung des Doktor Uhlenbroock nicht mehr erforderlich als auch die Vernehmung des Zeugen Wilhelmy nicht mehr erforderlich. Und wir könnten entweder verzichten auf die Vernehmung des Zeugen oder wenigstens seine Vernehmung abschließen.
Staatsanwalt Kügler:
Herr Vorsitzender, ich möchte den Angeklagten Scherpe noch fragen unter Bezugnahme auf Blatt 9.695 der Akten[21], ob Sie sich an den Doktor Uhlenbroock erinnern können.
Angeklagter Scherpe:
Ich habe es schon gesagt, ich habe ihn einmal gesehen beziehungsweise zweimal. Einmal im Lager, da hat er sich mit einem Häftlingsarzt unterhalten. Das ist alles gewesen, was ich weiß.
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Und können Sie sich an seine Funktion erinnern?
Angeklagter Scherpe:
Nein.
Staatsanwalt Kügler:
Ob er Standortarzt war?
Angeklagter Scherpe:
Nein.
Staatsanwalt Kügler:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Ja. Und wie ist es nun, Herr Staatsanwalt Kügler? Sie hatten gesagt, a) Sie verwahren sich gegen die Entlassung des Zeugen, b) beantragen Sie eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen Wilhelmy. Bleiben Sie bei diesen Anträgen angesichts dessen, was der Angeklagte Klehr uns hier selbst sagt?
Staatsanwalt Kügler:
Ja. Ich verzichte dann auf das, was ich zuvor beantragt habe, und würde einer Entlassung des Zeugen
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nicht widersprechen.
Staatsanwalt Kügler:
Nicht widersprechen.
Nebenklagevertreter Kaul:
Und auf den Zeugen verzichten?
Sprecher (nicht identifiziert):
Wir können auch auf den Zeugen verzichten.
Vorsitzender Richter:
Ja, meines Erachtens auch. Falls das so ist: Wird allseits auf den Zeugen verzichtet?
Staatsanwalt Kügler:
Ich verzichte nicht.
Vorsitzender Richter:
Nein, Sie verzichten nicht. Herr Zeuge, ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, daß Sie unter Umständen die Aussage verweigern könnten. Ich habe Sie vorhin schon mal drauf aufmerksam gemacht. Sie haben Aussage gemacht. Ist das wahr, was Sie gesagt haben? Wollen Sie noch einmal etwas richtigstellen?
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Herr Vorsitzender, ich bitte Sie, meine Situation aus dem Jahre 1942 zu beurteilen. Ich kann doch nur das sagen, was ich noch erinnere. Ich kann doch nicht etwas sagen, was ich nicht mehr mit Exaktheit weiß. Ich habe ausgeführt, daß ich in dieser Zeit unter einer derartig schweren seelischen Belastung gestanden habe, daß mir viele Dinge nicht mehr klar sind und viele Dinge sich bei mir verwischt haben.
Ich darf ferner darauf hinweisen, daß ich im Anschluß an den im November 1942 erfolgten Einsatz im Kaukasus schwer an Typhus und Fleckfieber erkrankt bin, eine Enzephalitis, eine Gehirnentzündung gehabt habe, und daß diese Erkrankung erfahrungsgemäß oft erhebliche Gedächtnislücken und andere Dinge hinterläßt. Ich kann doch nur das sagen, was ich wirklich noch erinnere, und die Eindrücke wiedergeben, unter denen ich gestanden habe. Es mag sein, daß vieles andere dagegen spricht. Aber die Eigenart dieses Falles ist doch so eklatant, daß es schließlich auch für ein Gericht möglich sein müßte, mir das nachzufühlen, was ich in dieser Zeit erlebt habe.
Vorsitzender Richter:
Ja. Herr Uhlenbroock, wir haben hier nicht darüber zu entscheiden, ob Sie das so oder so können. Sondern ich habe Sie nur gefragt, ob Sie den Wunsch hätten, etwas richtigzustellen.
Wie ist es mit der Beeidigung? Herr Staatsanwalt? 61, 3? Die Nebenkläger?
Nebenklagevertreter Kaul:
60, 3.
Vorsitzender Richter:
Momentchen, meine Herren, wenn ich nicht irre, 61, 3. Jawohl, »wenn das Gericht der Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist«.[22]
Nebenklagevertreter Kaul:
Wenn schon, Herr Direktor, wäre ich für 60, 3[23], weil der Zeuge in einem ganz engen Verhältnis zu den Tathandlungen steht, die hier zur Aburteilung kommen und
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Aber irgendwelche positiven Verdachtsmomente insoweit sind heute nicht aufgetreten, nicht?
Nebenklagevertreter Kaul:
Na, aber ganz... Nein?
Vorsitzender Richter:
Er sagt: »Ich bin dort als kranker Mann hingekommen und war nichts, habe nichts gemacht. Ich habe einmal einen Menschen operiert. «
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Aber das Gegenteil ist ihm ja bis zu einem erheblichen Grade nachgewiesen worden.
Vorsitzender Richter:
Na ja.
Nebenklagevertreter Kaul:
Eigentlich wurde durch die Großzügigkeit
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Also Sie meinen, 60, 3. Und was sagt
Nebenklagevertreter Ormond [unterbricht]:
Ich bin auch für 60, 3.
Vorsitzender Richter:
Auch für 60, 3. Herr Raabe?
Nebenklagevertreter Raabe:
Ebenfalls. Ich möchte nur darauf hinweisen, weil Sie eben sagten, es ist ihm nichts nachgewiesen worden oder – darum geht es ja nicht – vielmehr, hier sei gar kein Verdacht aufgekommen: Allein der Beförderungsbogen, den Ihnen der Herr Staatsanwalt Kügler vorgelegt hat, Herr Vorsitzender, meine ich, genügt, um einen erheblichen Verdachtsmoment gegen diesen Zeugen zu haben. Ich bin auch für 60, Ziffer 3.
Nebenklagevertreter Kaul:
Wenn er sich als Arzt erheblich bewährt hat in einem Mordlager – wenn Sie noch mehr brauchen, Herr Direktor, ich glaube, mehr werden wir Nebenkläger nicht schaffen können.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Darf ich dazu etwas sagen, Herr Vorsitzender?
Vorsitzender Richter:
Bitte schön, ja.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Diese Beurteilung ist gefertigt im Jahre 1943, zu einem Zeitpunkt, als erstens ich wegen erwiesener Unschuld im ersten Verfahren freigesprochen worden bin, zweitens zu einem Zeitpunkt, als nachweislich der Reichsführer SS angeordnet hat, daß mir durch dieses Verfahren keinerlei Nachteile entstehen dürften.
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nachteile entstehen durften. Ja, das sagten Sie bereits.
Zeuge Kurt Uhlenbroock:
Aus diesem Grunde ist im Jahre 1943 eine Beurteilung gefertigt worden, die mehr oder minder aus der Luft gegriffen ist. Denn man kann nicht aus einer Tätigkeit von acht Tagen oder 14 Tagen, wo ich krank gewesen bin, sagen, ich hätte mich in diesem Lager bewährt. Es ist dies eine sogenannte Formalitätsbeurteilung, denn im Jahre 1943 war die Tätigkeit in einem Konzentrationslager noch nicht ehrenrührig oder irgend etwas anderes. Man kann diese
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Haha!
Sprecher (nicht identifiziert):
Was heißt hier haha?
Vorsitzender Richter:
Also meine Herren, bitte hier keine Zwischenrufe, wir sind hier nicht im Parlament. Von seiten der Verteidigung, wird da irgendein Antrag gestellt?
Verteidiger Steinacker:
Ich bin der Auffassung, daß von der Vereidigung nach 61, 3 abgesehen werden kann, und halte die Auffassung der Nebenklage, eine Vereidigung gemäß § 60, Absatz 3 oder Ziffer 3 vorzunehmen, nicht für begründet. Nach 60, 3 muß ein Verdacht vorliegen, und verdächtig ist jeder, bei dem konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß er durch strafrechtlich vorwerfbares Verhalten den Ablauf des Geschehens beeinflußt haben kann. Das ist BGH 10, 65. Dafür ist aber hier in dem Verfahren überhaupt nichts dargetan. Auch nicht bei dieser Zeugenaussage. Aus diesem Grund scheidet nach meiner Meinung 60, Ziffer 3 aus.
Vorsitzender Richter:
Wer hat von den
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
[unverständlich]
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Moment! Wer hat von den Verteidigern noch einen Antrag, eine Erklärung? Herr Göllner.
Verteidiger Göllner:
Ich schließe mich dem Antrag des Kollegen Steinacker an.
Vorsitzender Richter:
Ja. Herr Doktor Kaul.
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich bitte noch einmal zusammenzufassen zu dürfen, weil ich ursprünglich der Ansicht war, daß es überhaupt gar keinen Zweifel daran geben kann, daß dieser Zeuge, der hier eins der trübsten Bilder einer Zeugenvernehmung geboten hat, nach 60, Ziffer 3 unbeeidigt gelassen werden müßte.
Wenn hier gesagt wird, daß keine Verdachtsmomente vorliegen, insbesondere keine greifbaren Verdachtsmomente, darf ich zusammenfassend auf folgendes hinweisen: Herr Kollege Raabe hat schon auf den Beförderungsbogen hingewiesen. Der Zeuge erklärt, das wäre durch die Protektion Himmlers geschehen. Nun, die Protektion des Hauptmörders dürfte allein schon maßgeblich sein für das Vorliegen des 60, Ziffer 3. Außerdem steht außer Frage, unbeschadet der Ableugnungsversuche des Zeugen, daß er aufs schwerste belastet ist durch die Angaben des Zeugen Kremer, durch andere Angaben, Standortarzt im Lager Auschwitz gewesen zu sein.
Der Zeuge hat sich hier in eine infantile Mitleidssituation hineingeflüchtet, was er alles erlitten hat und daß sein Gedächtnis derartig gelitten hat. Ich weiß nicht, ob er angesichts dieser Tatsache in der Lage ist, seine medizinische Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben und ein Vermögen in der Zwischenzeit zu erwerben, das er erworben hat, bis zur Hochseejacht und bis zu Gütern in Argentinien. Das alles ist der Öffentlichkeit bekannt. Und ich meine, an sich – ich habe mich hier nie mit Formalien aufgehalten – wäre es ja bedeutungslos, ob 61, Ziffer 3 oder 60, Ziffer 3. Aber es ist deswegen nicht bedeutungslos, weil wir diese Dinge nicht durchgehen lassen dürfen, weil wir sie anprangern müssen, weil wir diese Zusammenhänge aufzuklären versuchen müssen gegen die Einheit der SS- Angehörigen, die uns hier kompakt gegenübersteht und uns immer gegenübergestanden hat und die in diesem Zeugen wahrlich eine Inkarnation ist.
Verteidiger Steinacker:
Herr Vorsitzender, darauf möchte ich nur kurz erwidern: Das sind keine rechtlichen Argumente, sondern Ausführungen, um einen Zeugen im Licht der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. [...]
Vorsitzender Richter:
Damit ist die Diskussion beendet, meine Herren! Das Gericht wird entscheiden. Wir werden die Entscheidung um viertel nach zehn verkünden.[24]
- Vgl. Anklageverfügung vom 21.08.1942 (SS- und Polizeigericht III Berlin): Uhlenbroock wurde beschuldigt, »fahrlässig im Felde eine Dienstpflicht verletzt und dadurch fahrlässig bewirkt zu haben, dass den deutschen Truppen Nachteil bereitet wird«. Siehe Sonderheft Uhlenbroock, 4 Ks 2/63.
- Vgl. Protokoll der Gegenüberstellung vom 18.11.1960 in Münster, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 40, Bl. 7.014-7.015.
- Siehe den Artikel von Hermann Langbein: »Wer redet, geht durch den Kamin«. Häftling Nr. 60 355 in Auschwitz, in: DER SPIEGEL, Nr. 12, 18.03.1964, S. 63.
- Vgl. Gerald Reitlinger, Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-45. Berlin: Colloquium Verlag, 1956.
- Anlageband im Archiv der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main nicht vorhanden.
- Am 29.08.1942 wurde im HKB des Stammlagers eine Selektion durchgeführt, 746 Häftlinge aus dem Infektionsblock wurden in den Gaskammern getötet. Vgl. Czech, Kalendarium, S. 289 f.
- Das Dokument findet sich im Sonderheft Uhlenbroock nicht.
- Strafverfahren gegen Johann Paul Kremer vor dem Landgericht Münster, 6 Ks 2/60. Vgl. das Urteil gegen Kremer in: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XVII, S. 1-50.
- Vgl. 4 Ks 2/63, Sonderheft Uhlenbroock.
- Vgl. Lebenslauf des Zeugen Uhlenbroock, Abschrift, undatiert, 4 Ks 2/63, Sonderheft Uhlenbroock.
- Vgl. staatsanwaltschaftliche Vernehmung vom 14.11.1960 in Hamburg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 40, Bl. 6.997-7.002.
- Vgl. Schreiben des Zeugen Uhlenbroock vom 21.09.1042 an den SS-Standortarzt, 4 Ks 2/63, Sonderheft Uhlenbroock.
- Vgl. »Beglaubigte Abschrift aus dem Polizeisoldbuch des Oberstabsarztes der Polizei Dr. Kurt Uhlenbroock«, 4 Ks 2/63, Sonderheft Uhlenbroock.
- Vgl. Auschwitz in den Augen der SS, S. 152.
- Vgl. Auschwitz in den Augen der SS, S. 155.
- Vgl. staatsanwaltschaftliche Vernehmung vom 12.10.1962 in Neu-Wulmstorf, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 73, Bl. 13.723-13.729.
- Vgl. Auschwitz in den Augen der SS, S. 152.
- Vgl. Czech, Kalendarium, S. 289 f.
- Gemeint ist Franz Freiherr von Bodmann.
- Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 11.07.1964, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 13.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100.
- Vgl. staatsanwaltschaftliche Vernehmung vom 15.10.1961 in Mannheim, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 53, Bl. 9.694-9.697.
- StPO § 61: »Von der Vereidigung kann nach dem Ermessen des Gerichts abgesehen werden 1. bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben (...) 2. bei Verletzten sowie bei Personen, die im Sinne des § 52 Abs. 1 Angehörige des Verletzten oder des Beschuldigten sind (...) 3. wenn das Gericht der Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist.«.
- StPO § 60, Abs. 3: »Von der Vereidigung ist abzusehen (...) 3. bei Personen, die der Tat, welche den Gegenstand der Untersuchung bildet, oder der Beteiligung an ihr oder der Begünstigung oder Hehlerei verdächtig oder deswegen bereits verurteilt sind.«.
- Das Gericht verkündete den Beschluß: »Der Zeuge Dr. Uhlenbroock bleibt gemäß § 61, Ziff. 3 StPO unvereidigt, da das Gericht seiner Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist.« Protokoll der Hauptverhandlung vom 04.09.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 102, Bl. 665.