Zeuge Anton Rothmund

120. Verhandlungstag 10.12.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

120. Verhandlungstag, 10.12.1964

Vernehmung des Zeugen Anton Rothmund

Vorsitzender Richter:

Zum Zweck der Stützung des Gedächtnisses des Gerichts.

Zeuge Anton Rothmund:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, wie ist das gewesen, kannten Sie oder kennen Sie den Angeklagten Boger?

Zeuge Anton Rothmund:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Wollen Sie uns mal sagen, seit wann Sie ihn kennen und wo Sie ihn kennengelernt haben.

Zeuge Anton Rothmund:

Er war auf unsrer Außendienststelle in Friedrichshafen. Ich war der Leiter der Spionageabwehr in Stuttgart und habe ihn aber, bevor ich schon Leiter der Spionageabwehr in Stuttgart war, dem Namen nach gekannt und auch von Angesicht zu Angesicht manchmal gesehen.

Vorsitzender Richter:

Ja, und wann war das ungefähr?

Zeuge Anton Rothmund:

Ich bin 34 dazugekommen. Das mag 35/36 gewesen sein.

Vorsitzender Richter:

35/36. Da haben Sie ihn gekannt, und da war er in Friedrichshafen?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja, wenn ich mich nicht täusche. Ich kenne ihn also nur von Friedrichshafen her.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und was wissen Sie dann weiterhin von ihm, was aus ihm geworden ist?

Zeuge Anton Rothmund:

Ich habe mit Personalien nichts zu tun gehabt. Ich wußte dann nur, später kam er mal zurück. Soviel ich noch weiß, ist er selber im KZ gewesen oder irgend etwas und ist dann aber wieder aus dem KZ zurückgekommen und hat eine Tätigkeit im KZ gehabt.

Vorsitzender Richter:

Aha. Also wenn Sie sagen, »ist er selbst im KZ gewesen«, dann meinen Sie damit, daß er dort als Gefangener, als Häftling gewesen ist.

Zeuge Anton Rothmund:

So glaube ich, und so war ich auch unterrichtet.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und jetzt würde uns das doch mal interessieren: Wann haben Sie denn diese Kenntnis erlangt zum ersten Mal?

Zeuge Anton Rothmund:

Das ist für mich natürlich sehr schwer zu sagen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

War das vor dem Krieg?

Zeuge Anton Rothmund:

Das glaube ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Während des Kriegs.

Zeuge Anton Rothmund:

Während des Krieges.

Vorsitzender Richter:

Während des Kriegs haben Sie erfahren, daß Boger im KZ gewesen sein soll.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie auch, in welchem?

Zeuge Anton Rothmund:

Das kann ich auch nicht sagen. Ich meine jetzt eben aus der Sache, daß es Auschwitz gewesen ist. Aber ob er vorher in einem andern Lager war, das kann ich nicht sagen.

Vorsitzender Richter:

Ja, in Auschwitz war er als Mitglied der Politischen Abteilung.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Aber als Gefangener? Soll er auch Ihrer Erinnerung nach als Gefangener in Auschwitz gewesen sein?

Zeuge Anton Rothmund:

So habe ich geglaubt, so war ich unterrichtet.

Vorsitzender Richter:

So. Da haben wir bisher noch nichts davon gehört. Das hielte ich auch für ziemlich wenig wahrscheinlich. Denn ich könnte mir nicht vorstellen, daß ein Mensch erst Häftling und umgedreht als Mitglied der Politischen Abteilung tätig war. Aber vielleicht war er woanders. Und warum soll er denn dort gewesen sein?

Zeuge Anton Rothmund:

Das kann ich auch nicht sagen. Er ist, soviel ich mich erinnere, mit dem Einsatz gekommen oder irgend etwas, das weiß ich nicht. Weil ich ja mit ihm dann überhaupt nichts mehr zu tun hatte, weil er aus meiner

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das waren nur Gespräche, die Sie gehört haben von andern Kameraden?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun weiter, Herr Zeuge. Wann haben Sie ihn denn dann wieder mal gesehen?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja, als er damals nach Stuttgart kam, um einen Besuch zu machen.

Vorsitzender Richter:

Als er nach Stuttgart kam, um einen Besuch zu machen.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wissen Sie, wann das war?

Zeuge Anton Rothmund:

Kann ich wiederum nicht sagen.

Vorsitzender Richter:

Während des Kriegs?

Zeuge Anton Rothmund:

Ich bin überzeugt, während des Krieges. Aber ich kann es nicht bestimmt

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Selbst das wissen Sie nicht genau.

Zeuge Anton Rothmund:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und wissen Sie etwas von einer Ermittlungssache gegen die ehemalige Oberaufseherin Johanna Langefeld aus dem Konzentrationslager Auschwitz? Wissen Sie

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Da weiß ich nichts davon. Ich weiß nur aus Erfahrungen, daß er Ermittlungen gemacht haben soll. Daß er also im Auftrag vom Lager weg war, um außerhalb des Lagers Ermittlungen zu machen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Gut. Aber wann das gewesen ist, wissen Sie wohl nicht.

Zeuge Anton Rothmund:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Ja. Sie sollen – von seiten der Verteidigung sind Sie dafür benannt worden – angeblich wissen, daß Boger im April oder Mai 1943 aufgrund einer Dienstreise in der Ermittlungssache gegen die Oberaufseherin Langefeld vom Konzentrationslager Auschwitz außerhalb vom Lager Auschwitz gewesen sein soll.

Zeuge Anton Rothmund:

Also ich weiß, daß er damals da war und daß er Ermittlungen geführt hat. Aber ob gegen Langefeld oder gegen sonst jemand, das kann ich also nicht sagen.

Vorsitzender Richter:

Moment, Sie sagten eben »damals«. Wann denn damals?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja, also 43. Das dürfte also

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, das wissen Sie jetzt auf einmal. Vorhin

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Nein, ich sage ja, das dürfte stimmen, daß das 43 war, wenn ich so rechne. Ich bin dann ja selber 44 weggekommen. Und wenn ich es mir so überlege, dann muß das also so um ein Jahr oder kann auch um zwei Jahre vorher gewesen sein.

Vorsitzender Richter:

Also, Herr Zeuge, jetzt will ich Ihnen noch einmal rekapitulieren, was wir eben erlebt haben. Ich habe Sie zunächst gefragt: Wissen Sie, daß Boger Ermittlungen gemacht hat in einer Sache Langefeld, der Oberaufseherin von Auschwitz? Da haben Sie zunächst geantwortet: Soviel mir bekannt geworden ist, soll Boger außerhalb des Lagers Ermittlungen gemacht haben.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Daraufhin habe ich Sie gefragt: Ja, wann war denn das? Da haben Sie gesagt: Das weiß ich nicht, das kann ich nicht wissen. Dann habe ich Sie gefragt: Die Verteidigung behauptet aber, Boger wäre im April/Mai 43 in der Sache Langefeld unterwegs gewesen. Dann sagen Sie: Ja, das stimmt, damals war er in Stuttgart, ob er allerdings in der Sache Langefeld dort war, das weiß ich nicht.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie ihn denn in Stuttgart gesehen?

Zeuge Anton Rothmund:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Und zwar wo gesehen? Im Amt?

Zeuge Anton Rothmund:

Im Amt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und hat er Sie besucht?

Zeuge Anton Rothmund:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Und hat er Ihnen da etwas erzählt, wo er herkäme?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja, ich habe es ja von ihm erfahren, daß er in einer Untersuchungssache unterwegs ist. Und ich habe auch angenommen, daß er nicht nur in einer Sache unterwegs ist, sondern daß er Untersuchungen macht gegen Leute, die im KZ irgend etwas getan haben, was damals eben irgendwie verboten war oder irgend etwas. Aber gegen wen persönlich, weiß ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie nicht.

Zeuge Anton Rothmund:

Ich kann aber nicht bestreiten, daß er eventuell gesagt hat, daß er gegen eine Oberaufseherin Langefeld

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Na, Sie wissen es heute bloß nicht mehr

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Das weiß ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Ja, Herr Zeuge, nun sagen Sie, da Sie 44 weggekommen sind, meinen Sie, es müßte im Jahr 43 gewesen sein. Haben Sie noch einen Anhaltspunkt dafür, wann es im Jahr 43 gewesen sein soll?

Zeuge Anton Rothmund:

Nein, habe ich keinen.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie keinen Anhaltspunkt mehr.

Richter Hotz:

Zwei Jahre vorher. Muß doch schon 42 [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Ja, und ob es vielleicht schon 42 gewesen sein kann? Auch das wissen Sie

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Ich habe ja gesagt, es kann ein oder zwei Jahre gewesen sein. Ich kann das nicht sagen.

Vorsitzender Richter:

Ein oder zwei Jahre davor. Herr Doktor Aschenauer.

Verteidiger Aschenauer:

Keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Bitte sehr.

Staatsanwalt Vogel:

Herr Zeuge, Sie erwähnten zu Beginn Ihrer Vernehmung, Sie hätten schon von Anfang an den Boger dem Namen nach gekannt, obwohl er nicht bei Ihrer Dienststelle war. Aus welchem Zusammenhang war er Ihnen bekannt?

Zeuge Anton Rothmund:

Ab 40 war ich der Leiter der Spionageabwehrstelle

Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:

Das haben Sie schon erzählt, ja

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Für Württemberg-Hohenzollern und war vorher der Stellvertreter und noch weiter vorher nur der Leiter einer Dienststelle. Und er war bei der Außendienststelle in Friedrichshafen. Und weil dies ein Grenzkommissariat war, so haben die auch

Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:

Also in der Nachbarschaft, ja

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Uns unterstanden.

Staatsanwalt Vogel:

Doch Ihnen unterstanden?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja. Im Sektor Spionageabwehr.

Staatsanwalt Vogel:

Ach, nur in einem Teilgebiet.

Zeuge Anton Rothmund:

Ja.

Staatsanwalt Vogel:

Dann sagten Sie, Boger sei Ihres Wissens selbst im KZ gewesen als Häftling. Jedenfalls seien Sie so unterrichtet worden. Können Sie sich noch erinnern, durch wen Sie davon erfahren haben oder wer Ihnen das erzählt hat?

Zeuge Anton Rothmund:

Das weiß ich auch nicht mehr.

Staatsanwalt Vogel:

Also wer Sie unterrichtet hat

Zeuge Anton Rothmund [unterbricht]:

Kann ich nicht sagen.

Staatsanwalt Vogel:

Das wissen Sie nicht. Danke, ich habe sonst keine Fragen.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Ormond.

Nebenklagevertreter Ormond:

Herr Zeuge, wissen Sie, welchen Rang der Boger gehabt hat?

Zeuge Anton Rothmund:

Ja, also meines Erinnerns hat er den Rang eines Untersturmführers gehabt, solange wir in Friedrichshafen waren. Aber beschwören könnte ich das auch nicht. Und später, als er damals kam, hat er einen niedrigeren Rang gehabt.

Nebenklagevertreter Ormond:

Wissen Sie, warum er degradiert worden ist?

Zeuge Anton Rothmund:

Nein, weiß ich nicht.

Nebenklagevertreter Ormond:

Wissen Sie, was er bei der Kriminalpolizei war?

Zeuge Anton Rothmund:

Was er vorher...

Nebenklagevertreter Ormond:

Ja.

Zeuge Anton Rothmund:

Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nicht, ob er übernommener SS-Mann oder -Führer war, als das Württembergische Politische Landespolizeiamt gegründet wurde oder ob er bereits vorher bei der Kriminalpolizei war.

Nebenklagevertreter Ormond:

Wissen Sie, ob er Kriminalkommissar war und eine Prüfung gemacht hat? War er mit Ihnen in der Schule dort zusammen?

Zeuge Anton Rothmund:

Nein, ich war selbst auch nicht in der Kriminalschule. Ich bin Württembergischer Notariatsmann, und das war die vorgeschriebene Laufbahn für den gehobenen Dienst. Das war er bestimmt nicht.

Nebenklagevertreter Ormond:

Was war Ihr eigener Rang damals? [...]

Zeuge Anton Rothmund:

Kriminalkommissar.

Nebenklagevertreter Ormond:

Danke.

Zeuge Anton Rothmund:

Bitte.

Vorsitzender Richter:

Ja. Von seiten der Verteidigung keine Fragen mehr? Boger, haben Sie noch eine Frage?

Angeklagter Boger:

Nein. Das ist es im wesentlichen. Mehr kann er nicht wissen.

Vorsitzender Richter:

Mehr kann er nicht wissen. Erklärungen noch von seiten der Angeklagten? Herr Zeuge, können Sie das, was Sie gesagt haben, mit gutem Gewissen beschwören?

Zeuge Anton Rothmund:

Jawohl.

0:00