Zeuge Hermann Reineck

52. Verhandlungstag 05.06.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

52. Verhandlungstag, 5.6.1964

Vernehmung des Zeugen Hermann Reineck

Vorsitzender Richter:

Herr Hüllen, Sie müssen das jedesmal ins Protokoll mit aufnehmen, ja. Nun, Herr Zeuge, ich meine es so: Ist Klehr weggegangen vom Krankenbau, indem er nämlich eine andere Position eingenommen hat und diese Position als Sanitätsdienstgrad im Krankenbau aufgegeben hat, um Platz zu machen für einen anderen Sanitätsdienstgrad, etwa den Scherpe oder den Hantl? Das heißt, sind sie nacheinander dort tätig gewesen, oder waren sie gleichzeitig Sanitätsdienstgrad im Häftlingskrankenbau, nur daß sie einen überschlagenen Dienst gemacht haben?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, es war so: Solange ich mich erinnern kann, war Hantl immer im Krankenbau als Sanitätsdienstgrad tätig, während Klehr später – es dürfte etwa im Sommer 43 gewesen sein – weggekommen ist. Und er ist damals als Desinfektor ausgebildet worden und hat also mit diesen ganzen Zusammenhängen mit...

Vorsitzender Richter:

Dem Häftlingskrankenbau dann nichts mehr zu tun gehabt.

Zeuge Hermann Reineck:

Da ist er nicht mehr gekommen.

Vorsitzender Richter:

Da ist er nicht mehr gekommen. Das war aber, meinen Sie, erst im Jahr 43.

Zeuge Hermann Reineck:

43, im Spätfrühling oder Sommer.

Vorsitzender Richter:

Im Spätfrühling oder im Sommer. Ja, das haben uns andere Zeugen auch schon gesagt. Klehr selbst behauptet, er sei bereits im Herbst 1942 als Sanitätsdienstgrad im Häftlingskrankenbau endgültig verschwunden.

Zeuge Hermann Reineck:

Das kann nicht ganz stimmen, denn ich habe eine Erinnerung: Wir haben damals im Krankenbau einen Lagerältesten gehabt, einen Kriminellen namens Bock. Das war der Häftling Nummer 1. Und der ist, ich glaube, es war eben im Spätfrühling 43, abgelöst worden, und dann ist der Wörl, ein Münchener politischer Häftling, Lagerältester im Krankenbau geworden. Und zu diesem Zeitpunkt war Klehr im Krankenbau.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und das war wann?

Zeuge Hermann Reineck:

Das war im Spätfrühling 43 oder Anfang Sommer. Bitte, das kann ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also nach der Angabe des Klehr will er, wie ich hier sehe, bereits Ende Mai/Anfang Juni 42 aus dem Häftlingskrankenbau verschwunden sein, so daß Sie ihn praktisch überhaupt nicht mehr als Sanitätsdienstgrad hätten erleben können.

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, das ist unmöglich. Ich habe mit Klehr doch fast jeden Tag zu tun gehabt.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Hermann Reineck:

Er ist in die Krankenstube gekommen und hat die Meldungen gebracht, hat Zettel gebracht mit Nummern von den Leuten, die er durch diese Phenolinjektionen getötet hat. Also ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nun, Klehr, ich meine, nun sollten Sie uns doch wirklich mal sagen, was da eigentlich los war. Es geht doch nicht an, daß Sie uns jetzt soundso viele Tage immer und immer wieder sagen, ich bin im Mai oder im Juni 1942 dort weggekommen. Dieser Zeuge ist überhaupt erst im Oktober 1942 in den Krankenbau gekommen. Der hätte Sie gar nicht sehen können, wenn Sie nicht dagewesen wären.

Angeklagter Klehr:

Herr Vorsitzender, ich kann Ihnen nicht mehr sagen, wie ich bereits gesagt habe. Und wenn Sie mich verurteilen zu sonst was. Ich bin im Jahre 42 abgelöst worden. Herr Zeuge, können Sie mir sagen, wann ist die Lagersperre erfolgt, von der Seuchenbekämpfung?

Vorsitzender Richter:

Moment, da sind wir ja noch gar nicht dabei. Ich habe [...] Ihnen ganz allgemein Gelegenheit geben wollen, nun uns doch endlich einmal zu sagen, wie das mit Ihrer Tätigkeit war. Sie sind ja doch hier selbst bei jeder Verhandlung dabei, und Sie hören, daß alle möglichen Zeugen hier erscheinen und sagen: »Klehr ist frühestens im Frühjahr 1943 abgelöst worden. Er war in dieser Zeit mit Scherpe und Hantl zusammen im Häftlingskrankenbau, und sie haben überschlagenen Einsatz gemacht.«

Angeklagter Klehr:

Herr Direktor, das stimmt ja nicht. Wir haben keinen überschlagenen Einsatz gemacht. Wenn ein SDG abgelöst wurde, dann war der Nachfolger da. Und ich habe im HKB als einziger SDG Dienst gemacht. Nach mir hat mich der Scherpe abgelöst, nach dem kam der Nierzwicki. Aber das kann ich nicht genau sagen, ob Nierzwicki oder Hantl kam. Und so war die Ablösung. Es ist kein überschlagener Einsatz gemacht worden. Ich kann nur das sagen, Herr Vorsitzender, was ich bereits gesagt habe.

Vorsitzender Richter:

Wie könnte denn der Zeuge überhaupt Sie kennen, wenn Sie nicht dagewesen wären?

Angeklagter Klehr:

Herr Direktor, ich will Ihnen vorsetzen: Der Zeuge ist mir gegenübergestellt worden beim Herrn Untersuchungsrichter. Dann ist der Scherpe reingeführt worden als erster, und da hat der Zeuge erklärt zu dem Scherpe: Klehr. Meinen Namen genannt. Und das ist ein Zeichen, daß er mich nicht gekannt hatte. Der Zeuge kann mich kennen, wo ich die Desinfektion durchgeführt habe. Da war ich auch öfters nach dem Krankenbau gekommen, das stimmt. Aber ich bin eben 42 abgelöst worden, Herr Direktor. Und wenn Sie mich zu sonst was verurteilen, ich kann nicht mehr sagen als wie

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Der Zeuge hat eben gesagt, er hat Ihnen persönlich die Meldungen abgeben müssen. Und das haben wir von einem anderen Zeugen gestern auch gehört.

Angeklagter Klehr:

Der Zeuge hat mir keine Meldung abgegeben.

Vorsitzender Richter:

Sondern? Was hat er gemacht?

Zeuge Hermann Reineck:

Umgekehrt.

Vorsitzender Richter:

Bitte?

Zeuge Hermann Reineck:

Umgekehrt war es. Klehr ist sehr oft gekommen und hat also

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ach so. Sie hätten ihm die Namen gegeben, die abgesetzt werden sollten, richtig?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, es waren nicht Namen, sondern es waren ja nur Nummern.

Vorsitzender Richter:

Nummern. Die Häftlingsnummern.

Angeklagter Klehr:

Die Nummern, die wurden alle von den Funktionshäftlingen erledigt. Sobald der Lagerarzt die Häftlinge ausgesondert hat, ging das automatisch von den Funktionshäftlingen; die Karteikarte ging in die Schreibstube. Und von der Schreibstube wurden die Häftlinge abgesetzt, und von der Schreibstube wurden die Totenmeldungen geführt. Alles wurde selbst automatisch von der Schreibstube erledigt. Da hat kein SDG was zu tun gehabt. Nur daß er die Totenmeldung abzeichnen mußte, bevor der Lagerarzt unterschrieben hat. Und ich kenne den Zeugen Wörl als Lagerältesten überhaupt nicht. Wo ich im Stammlager war, war noch der Hans Bock Lagerältester. Und nachdem Wörl Lagerältester geworden ist, war ich nicht mehr im Krankenbau.

Zeuge Hermann Reineck:

Na gut, das stimmt also nicht alles genau. Ich möchte dazu sagen, ich habe allerdings in Frankfurt, wie ich bei der Konfrontierung war, Klehr und Scherpe nicht erkannt. Aber das hängt damit zusammen: Ich habe ein sehr schlechtes Personengedächtnis. Ich habe das auch dem Untersuchungsrichter gegenüber betont, also vor der Konfrontation noch. Sie können es beobachten: Wenn ich jetzt Sie auf der Straße sehe, eine Stunde später werde ich Sie wahrscheinlich nicht erkennen. In dem Punkt habe ich große Schwächen.

Vorsitzender Richter:

Aber den Namen Klehr haben Sie dort

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Den Namen Klehr kenne ich. Und der Klehr schaut auch heute ganz anders aus. Er war damals viel schlanker im Gesicht, und er hat sich verändert, und die Uniform und alles. Also vielleicht, wenn ich ihn mal so in Uniform gesehen hätte, daß ich ihn auch heute noch erkannt hätte. Natürlich, wenn ich jetzt den Menschen betrachte, dann weiß man: Aha, das ist der Klehr – aufgrund seiner breiten Nase, der Falten, die um die Mundwinkel herum sind. Das sind die typischen Züge, die Klehr gehabt hat.

Vorsitzender Richter:

So, dann nehmen Sie bitte wieder Platz. Also jedenfalls, Herr Zeuge, Sie sagen, Sie haben den Angeklagten Klehr dort in dem Häftlingskrankenbau erlebt, und zwar, wie Sie es noch in Erinnerung haben, bis zum Spätfrühjahr 1943. Nun, was wissen Sie denn von Klehr? Und wir wollen mal anfangen mit dem Vorwurf, der ihm gemacht wird, er habe Menschen durch Injektionen mit Phenol getötet.

Zeuge Hermann Reineck:

Kurz nachdem ich im Krankenbau in die Schreibstube gekommen bin, mußte ich einmal – ich habe das bereits beim Untersuchungsrichter angegeben, und das ist irgendein Erlebnis, das in meiner Erinnerung so fest haftet, daß man es eben nicht vergessen kann. Ich hatte vom Krankenbau, von der Schreibstube, eine Meldung auf Block 20 zu bringen und gehe mit dieser Meldung rüber und...

Vorsitzender Richter:

Auf Block 20?

Zeuge Hermann Reineck:

Auf Block 20.

Vorsitzender Richter:

Wie sind Sie da gegangen? Welche Tür sind Sie reingekommen, und in welchen Raum haben Sie

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ich bin durch den Haupteingang – das ist die Längsseite –, also auf der Längsseite den schmalen Eingang, der hier ist, so wie der Gang läuft, der Korridor, diese Tür rein.

Vorsitzender Richter:

Also auf der Schmalseite?

Zeuge Hermann Reineck:

Auf der Schmalseite.

Vorsitzender Richter:

Auf der Giebelseite?

Zeuge Hermann Reineck:

Auf der Giebelseite.

Vorsitzender Richter:

Ja, da sind Sie reingegangen.

Zeuge Hermann Reineck:

Das kann ich nicht mehr sagen, ob die Tür offen war oder nicht. Ich weiß, daß sie später immer versperrt war, wenn solche »Spritzungen« durchgeführt wurden. Kann ich mich nicht mehr erinnern.

Vorsitzender Richter:

Wo war denn die Tür? War die links, war die rechts?

Zeuge Hermann Reineck:

Die Eingangstür in den Block?

Vorsitzender Richter:

Nein, die Tür, die offenstand, wo Sie den Klehr gesehen haben wollen. Von dem Flur aus?

Zeuge Hermann Reineck:

Es gehen ein paar Stufen raus, und dann kommt die Eingangstür.

Vorsitzender Richter:

Dann kommt die Eingangstür. Dann kommt man in den Flur.

Zeuge Hermann Reineck:

Dann kommt man in den Flur. Und wie ich die Tür aufmache, da – [wahrscheinlich] hat mir wer aufgemacht, [aber] das kann ich nicht mehr sagen, solche Details.

Vorsitzender Richter:

Ja und?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe den Klehr gesehen mit der Spritze in der Hand. Und in dem Raum links, gleich links, wenn man reingeht, dort steht der. Und die andere Tür war offen, und dort sind schon die toten Häftlinge gelegen. Ich habe gewußt, daß solche Sachen gemacht werden. Aber der Anblick als solcher und das momentane Erlebnis ist so eine Schockwirkung gewesen. Und Klehr sieht mich und bellt mich an: »Was willst Du hier?« Und: »Schau, daß Du rauskommst, sonst kommst Du auch gleich mit« und so.

Vorsitzender Richter:

Der Raum gegenüber, in dem Tote sich befunden haben, war das ein Waschraum?

Zeuge Hermann Reineck:

Das war der Waschraum, auf der rechten Seite.

Vorsitzender Richter:

War der Waschraum. Sie haben also in dieser Situation Klehr gesehen. Sie sagten das eben: Man hat zwar darüber gesprochen, daß solche Sachen gemacht werden. Sie meinten damit offensichtlich, daß Leute auf diese Weise umgebracht wurden?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und [Pause] Sie haben gesehen, daß Klehr dastand mit einer Spritze in der Hand. Und war er allein in dem Raum, oder waren andere Häftlinge noch drin?

Zeuge Hermann Reineck:

Es waren irgendwelche Häftlinge dabei. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

Vorsitzender Richter:

Sie können sich nicht mehr erinnern. War auch ein Häftling dabei, der diese »Einspritzung« bekommen sollte, der auf einem Stuhl saß oder sonst in irgendeiner Stellung saß, so daß Sie annehmen mußten, daß das das betreffende Opfer sein sollte?

Zeuge Hermann Reineck:

Es war ein Häftling, der nicht mehr gelebt hat. Und die anderen, die Wartenden. In dem Korridor war etwas weiter rückwärts ein Vorhang, und aus dem Nebeneingang vom Hof zwischen Block 20 und 21 sind dort die wartenden Häftlinge gestanden und sind jeweils hereingerufen und vorgeführt worden.

Vorsitzender Richter:

Und uns kommt es nun auf diesen Augenblick an, den Sie da gerade beobachtet haben. Sie sahen Klehr mit einer Spritze in der Hand.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Hat er auch eine Schürze angehabt oder einen Kittel?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich glaube

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das wissen Sie nicht.

Zeuge Hermann Reineck:

Er hatte eine Schürze – ich habe das so in Erinnerung. Ich kann das nicht mehr genau sagen. Denn der Eindruck der »Spritzung« selbst, also

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Hat Sie erschüttert.

Zeuge Hermann Reineck:

Einmal das zu sehen, hat mich so erschüttert. Aber ich glaube

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Sie glauben, daß er eine Schürze anhatte.

Zeuge Hermann Reineck:

Daß er im Hemd war, ohne Rock, und eine Schürze, eine Gummischürze – ich glaube, sie war rot oder rosa – angehabt hat.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und nun sagten Sie, wenn ich Sie recht verstanden habe: »Ein Häftling war bereits tot.«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

In diesem Raum, wo der Klehr dabei war?

Zeuge Hermann Reineck:

In dem linken Raum. [...] Und in dem rechten Raum waren schon mehrere Tote. Ich weiß nicht, sechs, sieben, acht. Ich weiß nicht mehr.

Vorsitzender Richter:

Und da hat Sie Klehr entdeckt und hat Sie angefahren, was Sie hier suchten.

Zeuge Hermann Reineck:

Was ich hier suche.

Vorsitzender Richter:

Sie könnten gleich auch dableiben oder so was Ähnliches.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und da sind Sie auf dem schnellsten Weg verschwunden.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ich war so schockiert, daß ich...

Vorsitzender Richter:

Na ja, das ist menschlich verständlich. Das haben Sie einmal gesehen, und Sie haben ganz wahrheitsgemäß dann offensichtlich auch ausgesagt: [Pause] »Als ich Klehr begegnete, war mir bereits von anderen Häftlingen erzählt worden, daß er kranke Häftlinge mittels Phenolinjektionen tötete. Deshalb hatte ich auch so große Angst vor ihm, als er mich plötzlich ansprach. Die ›Abspritzung‹ selbst habe ich nicht beobachtet.«[1] Das stimmt?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun sagen Sie bitte, was wissen Sie sonst von diesen Tötungen mit diesem Phenol? Sind diese Häftlinge nachher in der Schreibstube in den Listen abgesetzt worden?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wer hat denn das veranlaßt?

Zeuge Hermann Reineck:

Die Arbeit ist natürlich von den Häftlingen, die in der Schreibstube gearbeitet haben, gemacht worden. Und die Nummern haben wir von Klehr oder irgendeinem Läufer von Block 20. Jemand hat also den Zettel rübergebracht. Das war aber oft auch Klehr selbst.

Vorsitzender Richter:

Es war auch oft Klehr selbst, der Ihnen den Zettel brachte mit den Nummern der Häftlinge, die Sie abzusetzen hatten.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich möchte dazu noch ergänzen, wobei es so war: Ich kann mich erinnern, wenn eine größere Anzahl solcher Tötungen war, sind diese Häftlinge also nicht an einem Tag tot gemeldet worden, sondern sind auf einige Tage verteilt worden, wobei wir also die Anweisung von Klehr bekommen haben, jeden Tag 20, 30 oder je nachdem abzusetzen, wie er es in diesem

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und diese Anweisung hat Ihnen Klehr gegeben?

Zeuge Hermann Reineck:

Die hat Klehr gegeben.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, Sie haben ja nicht gesehen, wie viele Menschen getötet worden sind. Sie haben auch nicht gesehen, woran sie gestorben sind. Sie haben nur eine Nummer gesagt bekommen und den Befehl bekommen abzusetzen. Wie vollzog sich denn dieses Absetzen? Was haben Sie denn jetzt gemacht, nachdem Sie gehört haben von Klehr, die und die Nummern sind abzusetzen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe nicht gesehen, wie die Tötung vor sich gegangen ist. [...] Zum Beispiel diese »Sonderkommandos«, die im Krematorium und [+ in der] Gaskammer gearbeitet haben, sind ja in bestimmten Perioden abgelöst worden und sind zu uns in den Häftlingskrankenbau, also zwischen Block 20 und 21 in den Hof gekommen und haben dort gewartet. Na, und wir haben ja gewußt, was hier vor sich geht. Und einige Zeit später – eine Stunde, zwei, je nachdem – haben wir die Nummern bekommen. Und diese Nummern sind dann als normal verstorben in der Kartei ausgetragen worden beziehungsweise die Karteikarten herausgenommen worden und eben als tot gemeldet und mit irgendeiner Diagnose versehen worden, Todesbescheinigungen geschrieben worden. Das war also unsere Arbeit. Manchmal waren auch sogenannte arische Häftlinge dabei, verschiedener Nationalitäten. Und für diese Häftlinge mußte dann auch ein ärztlicher Bericht geschrieben werden.

Vorsitzender Richter:

Ein Krankenbericht?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, wobei die Diagnose eine willkürliche war. Und wir haben je nach dem Alter der Person eine Diagnose eingesetzt, die, sagen wir, eventuell stimmen könnte. Denn bei einem jungen Menschen kann man nicht schreiben, was weiß ich...

Vorsitzender Richter:

An Altersschwäche gestorben.

Zeuge Hermann Reineck:

An Herzschwäche, Kreislauf und so weiter, je nachdem.

Vorsitzender Richter:

Es ist uns gesagt worden, es sei da mal vorgekommen, daß ein Mensch als tot gemeldet worden sei, und zwar soll er angeblich an einer Blutstauung im linken Bein oder so etwas Ähnlichem, an einer Thrombose oder so was im linken Bein gestorben sein, wobei sich später herausgestellt habe, daß er überhaupt ein Amputierter gewesen sei, der gar kein linkes Bein mehr hatte.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, solche Sachen waren absolut möglich, denn wir konnten ja die Toten nicht kontrollieren

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Weil Sie die Leute ja nicht gesehen haben.

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Also ob der sein rechtes Bein hat oder nicht, das hat sich ja unserer Kenntnis entzogen.

Vorsitzender Richter:

Das wußten Sie nicht. Aber jedenfalls, es stehen zwei Dinge fest: Erstens einmal hat Klehr, zum Teil wenigstens, Ihnen die Nummern dieser Getöteten selbst überbracht, mit dem Befehl: »Absetzen!«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Zweitens steht fest, daß Sie für all diese Getöteten eine wahllose Todesursache aufgrund eines Musters, das Sie hatten, einsetzen mußten.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Also nicht etwa schreiben durften: Mit Phenolinjektion

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Nein [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Das durften Sie nicht. Sondern Sie mußten eine angenommene Todesursache hineinschreiben, bei nichtjüdischen Häftlingen sogar einen ärztlichen Bericht. Sie haben einmal bei Ihrer Vernehmung ein solches Schema diktiert: »Häftling [Soundso], geboren am und in... Der Häftling Nummer soundso viel, genannt [Soundso], wurde am Soundsovielten in das KZ Auschwitz eingeliefert. Am Soundsovielten wurde er wegen Fiebers in den Häftlingskrankenbau aufgenommen, die klinische Untersuchung ergab Fleckfieber. Trotz intensiver Therapie gelang es nicht, den Zustand zu bessern. X verfiel zusehends, Herzschwäche trat hinzu. X kollabierte und verstarb am, um soundso viel. Todesursache: Herzschwäche bei Fleckfieber. Der Lagerarzt des KL Auschwitz.« Und dann ein Name.[2]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

So war es gewesen.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ich habe Tausende oder Zehntausende solcher Bescheinigungen geschrieben. Das Schema kann man nicht vergessen.

Vorsitzender Richter:

Und nachdem Sie das geschrieben hatten, was geschah dann mit diesen Todesscheinen? Wem wurden sie vorgelegt?

Zeuge Hermann Reineck:

Diese Todesbescheinigungen gingen an das Standesamt Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Ja. Doch Moment. Sie mußten wohl erst unterschrieben werden, nicht?

Zeuge Hermann Reineck:

Von dem Lagerarzt beziehungsweise einem Stellvertreter. Es war nicht immer gleich.

Vorsitzender Richter:

Gaben Sie diese Todesscheine direkt dem Lagerarzt, oder kamen die erst an den Häftlingsarzt und vom Häftlingsarzt zum Sanitätsdienstgrad und vom Sanitätsdienstgrad an den Lagerarzt?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, diese Todesbescheinigungen gingen direkt von der Schreibstube des Krankenbaues an den Lagerarzt. Wir haben ja auch diese Todesbescheinigungen, je nachdem, wer Dienst gehabt hat, mit dem entsprechenden Namen des Doktors versehen. Also Doktor Entress, Doktor Rohde, Doktor Kremer, Doktor Meyer und wie sie alle geheißen haben.

Vorsitzender Richter:

Und die waren gar nicht abgezeichnet von einem Sanitätsdienstgrad?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich nicht genau.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht genau. Nun, Sie sagten bei Ihrer Vernehmung, daß Ihnen eine Liste mit etwa 60 Todesursachen vorgelegen hätte, die Sie dann hätten auswählen können. So war es gewesen, ja?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun sagen Sie mal, welche Häftlinge wurden denn auf diese Art und Weise getötet?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, wie ich schon erwähnt habe, die Häftlinge des »Sonderkommandos«. Dann sind zum Teil Häftlinge gekommen, die eigentlich nicht Insassen des Lagers waren, also die keine Nummer getragen haben, sondern die von auswärts von irgendeiner Polizei- oder Feldgerichtsstelle oder irgendwoher gekommen sind. Darunter hat es einige Male, ich erinnere mich, Kinder gegeben. Ich weiß einen Transport Kinder, der gekommen ist und die in dem Hof zwischen 20 und 21 gespielt haben und die also gewartet drauf haben, bis sie die tödliche Injektion bekommen.

Vorsitzender Richter:

Wann war denn das ungefähr?

Zeuge Hermann Reineck:

Sommer 43. Es war warm, die Kinder haben gespielt und sind da herumgelaufen.

Vorsitzender Richter:

War da der Klehr noch da? [Pause] Nun, Sie sagten, im Frühsommer oder im Spätfrühling sei er weggekommen. Also kann er im Sommer wohl nicht mehr dagewesen sein?

Zeuge Hermann Reineck:

Es kann Anfang Sommer gewesen sein. So genau ist

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

So genau wissen Sie es nicht mehr?

Zeuge Hermann Reineck:

Die Zeit, die ist schon so lange her. Es verwischt sich alles.

Vorsitzender Richter:

Also Sie sagten uns vorhin: Erstens einmal die Mitglieder des Krematoriumkommandos; zweitens Leute, die von auswärts kamen, die noch gar keine Nummer im Lager hatten und auch keine bekamen.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und dann?

Zeuge Hermann Reineck:

Häftlinge, die arbeitsunfähig waren, die also bei Selektionen herausgesucht wurden. Also vor allem natürlich die Häftlinge, die im Krankenbau waren.

Vorsitzender Richter:

Und da schildern Sie uns jetzt mal, wie das vor sich gegangen ist.

Zeuge Hermann Reineck:

Die Selektionen im Lager, im Krankenbau?

Vorsitzender Richter:

Mit diesen Häftlingen, die krank waren und die schwach waren und so weiter.

Zeuge Hermann Reineck:

Es war nicht gleich. Die meisten Selektionen sind durch Ärzte durchgeführt worden.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie mal einer solchen Selektion beigewohnt?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja. Des öfteren.

Vorsitzender Richter:

Und was hat sich in Ihrer Gegenwart abgespielt?

Zeuge Hermann Reineck:

Die Häftlinge mußten antreten, nackt. Und – es war ja keine Untersuchung. Man hat nach dem Anblick, wie der Gesundheitszustand des Häftlings ist, danach hat man also, ich möchte sagen, das Urteil gefällt, ob er leben darf oder ob er

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Waren das Häftlinge aus den Krankenbaus?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe solche Selektionen im Krankenbau gesehen, und ich habe auch Selektionen im Lager gesehen.

Vorsitzender Richter:

Und zwar im Bau 21?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Da haben Sie es gesehen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und die Selektionen wurden von Ärzten durchgeführt?

Zeuge Hermann Reineck:

Nicht immer. Es haben auch manchmal Sanitätsdienstgrade solche Selektionen durchgeführt.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie den Doktor Lucas gekannt?

Zeuge Hermann Reineck:

An den kann ich mich nicht erinnern.

Vorsitzender Richter:

Nicht erinnern. Welche Sanitätsdienstgrade, die Ihnen bekannt waren, haben derartige Selektionen durchgeführt?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich kann mich erinnern, [Pause] 42 war das. Dazu möchte ich sagen: Ich persönlich, ich habe eigentlich nur mit den SS-Leuten zu tun gehabt, die im Krankenbau tätig waren, also sowohl den Ärzten als auch den Sanitätsdienstgraden. Und zwei, die sind so in meiner Erinnerung, weil ich vor ihnen Angst gehabt habe. Das war Klehr und war Doktor Entress. Das waren wohl die zwei, die im Krankenbau am schrecklichsten gewütet haben. Und zu Weihnachten 42 haben wir aufgeatmet, weil Doktor Entress in Urlaub gefahren ist. Er war weg, wir haben das erfahren. [Pause] Und jetzt haben wir geglaubt, daß zumindest über die Weihnachtszeit Ruhe ist. Es war aber nicht so. Klehr – ich weiß nicht, vielleicht war es sein persönlicher Ehrgeiz oder so – hat dann also Selektionen durchgeführt. Und ich weiß, es war an einem der Weihnachtsfeiertage, da sind solche Selektionen gemacht worden.

Vorsitzender Richter:

[Pause] Hat er auch in Ihrem Bau Selektionen durchgeführt, im Bau 20?

Zeuge Hermann Reineck:

Immer auf 21.

Vorsitzender Richter:

Auf 21, wo Sie waren?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wie viele Leute sind da herausgesucht worden? Nur ungefähr, ich meine, können es zehn gewesen sein, oder waren es hundert, oder waren es

Zeuge Hermann Reineck:

Na gut, es waren, ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Zwischen zehn und zwanzig oder zwischen zwanzig und hundert? So ungefähr, nur die Größenordnung.

Zeuge Hermann Reineck:

Na, es waren bestimmt zwanzig, dreißig, oder vielleicht waren es mehr. Ich weiß nicht mehr.

Vorsitzender Richter:

Ja, ja.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich kann mich nur erinnern, daß damals also – nicht einmal an diesen Feiertagen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ruhe hatten.

Zeuge Hermann Reineck:

Haben diese Menschen so viel, ich weiß nicht, [Menschlichkeit] gehabt.

Vorsitzender Richter:

Nun sagen Sie, wollen sie uns einmal schildern, wie das da an den Weihnachtsfeiertagen gewesen ist. Erstens einmal: Wieso wußten Sie, daß der Doktor Entress in Urlaub war?

Zeuge Hermann Reineck:

Wir haben das doch gewußt. Wir haben doch die Meldung bekommen. Wir mußten doch wissen, wen wir auf der Todesbescheinigung als ausstellenden Arzt draufsetzen können. Es hat sich ja jeden Tag, ich möchte sagen, fast jeden Tag, geändert. Einen Tag war verantwortlich Doktor Entress, den anderen Tag war der Doktor Rohde, dann war Doktor

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Doktor Kremer und so weiter. Und nun haben Sie an diesem Tag erfahren, der Doktor Entress ist nicht da.

Zeuge Hermann Reineck:

Er ist nicht hier, er geht in Urlaub.

Vorsitzender Richter:

Woher Sie das wissen, wissen Sie heute nicht mehr?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich nicht. Aber wir haben doch auch Verbindung mit dem SS-Revier gehabt, mit dem wir ja normalerweise, also mit dem Standortarzt, zusammenarbeiten mußten. Und von dort muß irgendwie die Meldung gekommen sein. Also wer mir das persönlich gesagt hat, das

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nun möchte ich noch folgendes wissen. Sie sagten eben: »Das hat immer gewechselt. Einmal Doktor Entress, einmal Doktor Rohde, einmal Kremer und so weiter.«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wieso wissen Sie gerade, daß der Doktor Entress an diesem Tag nicht da war? Es wäre doch eigentlich verständlicher, wenn Sie uns sagen könnten: »Ich weiß, daß an diesem Tage der Doktor Rohde Dienst gehabt hat oder der Herr Kremer.« Warum wissen Sie gerade, daß der Herr Entress nicht da war?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich – ich habe das vorhin erwähnt schon –, und zwar deshalb, weil Doktor Entress und der Unterscharführer Klehr die zwei Menschen waren, vor denen ich persönlich die größte Angst gehabt habe.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

So viel Angst hatten, ja.

Zeuge Hermann Reineck:

Und darum ist mir das in Erinnerung.

Vorsitzender Richter:

Darum ist es in Erinnerung, daß der Doktor Entress an diesen Weihnachtsfeiertagen nicht da war.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Jetzt erzählen Sie mal bitte weiter. Was spielte sich dann ab, was geschah dann?

Zeuge Hermann Reineck:

Der Klehr hat im Block 21 eine Selektion durchgeführt

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Da erzählen Sie uns das mal, wie das gekommen ist. Also der Klehr ist in den Bau hereingekommen. Ist er dann auf die Schreibstube gegangen, oder ist er sofort zu den Kranken hingegangen an die Lagerstätten? Oder waren Sie mit ihm in dem Krankenzimmer drin, wie er diese Leute herausgeholt hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich bin damals mit raufgegangen. Und wir waren einige Häftlinge aus der Schreibstube, ich kann nicht genau sagen, wer es war, ich weiß nicht mehr. Und wir haben sozusagen assistieren müssen. Denn der Klehr hat die Selektionen durchgeführt, und wir haben die Nummern aufgeschrieben.

Vorsitzender Richter:

Mußten da die Kranken aus den Lagerstätten heraustreten?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, die Kranken sind herausgekommen.

Vorsitzender Richter:

Herausgekommen auf den Flur.

Zeuge Hermann Reineck:

Es war ganz egal, ob einer jetzt stehen konnte oder nicht oder

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wohin? Auf den Flur raus oder in der Stube drin?

Zeuge Hermann Reineck:

Im Korridor, also in der Stube. Und in der Mitte war ja ein Platz frei.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

In der Mitte war ein Platz frei. Da sind sie angetreten, und er hat dann ausgewählt und hat einfach Ihnen die Nummern angegeben.

Zeuge Hermann Reineck:

Die Nummern angegeben.

Vorsitzender Richter:

Und Sie haben die Nummern aufgeschrieben und wußten, was das bedeutete.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und was geschah dann, nachdem Sie die Nummern aufgeschrieben hatten? Was geschah dann?

Zeuge Hermann Reineck:

Die Häftlinge sind runtergekommen, also zum Block 20, und sind dort getötet worden. Und wir haben die Todesmeldung geschrieben darüber.

Vorsitzender Richter:

Das ist Ihnen noch genau in Erinnerung?

Zeuge Hermann Reineck:

Das ist mir in Erinnerung.

Vorsitzender Richter:

Das ist ja ein Ereignis

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Es gibt einige Ereignisse, die man wahrscheinlich sein Leben lang nicht vergessen kann.

Vorsitzender Richter:

Eben, eben, ja. Und nun stellen Sie sich vor, daß Klehr behauptet, das sei alles nicht wahr. Er sagt, er wäre Weihnachten überhaupt nicht dort gewesen, und infolgedessen hätte er das auch nicht tun können. Er hat uns dann noch verschiedenes andere erzählt, er sei entweder im Urlaub gewesen oder im Bunker gesessen oder sonst irgend etwas. Aber keinesfalls hätte er an Weihnachten 42/43 diese Selektionen durchführen können, sagt er.

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, Klehr war hier.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie genau?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß das ganz genau. Und Klehr war so lange hier, wie Bock Lagerältester war und bis der Wörl dann an seine Stelle gekommen ist. Das weiß ich hundertprozentig, eben in dem Zusammenhang. Wir haben aufgeatmet, daß der Bock weg ist, der eine sehr schlechte Rolle auch im Lager gespielt hat, und daß endlich vielleicht auch im Krankenbau einmal eine etwas mildere Situation wird. Und es ist auch etwas besser geworden. Natürlich soweit das in unserer Macht gestanden ist.

Vorsitzender Richter:

Sagen Sie bitte, was Sie uns da eben geschildert haben von Weihnachten 1942, hat sich das auch sonst zugetragen? Ich meine, in der Weise, daß Klehr, ohne einen Arzt dabeizuhaben, herumgegangen ist und Kranke bestimmt hat zur Tötung?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich kann das nicht genau sagen. Aber ich weiß, daß Klehr manchmal, ich möchte mal sagen, so eine Vorarbeit geleistet hat, wo er Kranke, sagen wir, schon aussortiert hat und dann vielleicht der Lagerarzt nach... Solche Fälle weiß ich, ja.

Vorsitzender Richter:

Sind Ihnen auch Fälle bekannt, wo der Lagerarzt, will ich mal sagen, 21 Leute bestimmt hatte zur Tötung und daß der Klehr dann hingegangen ist und hat gesagt, er müßte runde Zahlen haben, und hat noch vier dazuselektiert, um 25 zu haben?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht. Nun, bitte schön, weiter. Sie haben uns das geschildert von diesen Injektionen. Und haben Sie auch erlebt, daß Klehr sich sonst beteiligt hat an Tötungen von Menschen?

Zeuge Hermann Reineck:

Das habe ich nicht gesehen. Das kann ich nicht sagen.

Vorsitzender Richter:

Das haben Sie nicht gesehen?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie etwas von der Erschießung eines höheren Polizei- oder SS-Offiziers in Polen, von einer Tötung eines solchen Offiziers?

Zeuge Hermann Reineck:

Ach so, an das habe ich nicht gedacht. Ich weiß jetzt, worauf Sie hinaus wollen. Ich habe beim Untersuchungsrichter eine Episode erzählt, die mir auch sehr in Erinnerung ist, weil es eben etwas sehr Erschütterndes auch ist. Ich glaube, mich richtig erinnern zu können, daß der Anlaß für eine Exekution auf Block 11, das heißt also im Hof zwischen 10 und 11, ein Anschlag auf einen Polizeioffizier in Krakau war, wo man als Repressalie dafür eine große Anzahl von Polen erschossen hat, die aus dem Distrikt Krakau waren; von denen also willkürlich, [...] von A angefangen, eine bestimmte Anzahl herausgesucht worden ist nach dem Alphabet und die erschossen worden sind.

Ich kenne doch den Klehr, und ich habe doch jeden Tag mit ihm zu tun gehabt. Also es ist eine Verwechslung nicht möglich. Und damals ist Klehr – es war damals Lagersperre, und wir haben gewußt, was los ist, daß Exekution ist, und letzten Endes hört man es ja auch –, vom Block 11 gekommen zu uns auf die Schreibstube und hat also die Nummern der Exekutierten gebracht. Und Klehr hat damals ein Gewehr getragen. Ich sehe ihn heute noch vor mir stehen. Dieses Erlebnis ist mir vielleicht deshalb so stark in Erinnerung, denn die Exekutierten wurden später von Häftlingen auf Wagen herausgezogen. Und diese Wagen, sie hatten so schiefe Bordwände, die waren ja nicht dicht. Und jetzt ist das Blut heruntergeronnen und hat auf der Straße lauter Streifen hinterlassen. Und der Weg von Block 11 bis zum Lagertor, der geht durchs ganze Lager, denn das ist das entgegengesetzte Ende.

Das war im Sommer, es war jedenfalls warm – ich weiß nicht, vielleicht war es im späten Frühjahr, vielleicht war es Sommer –, [+ da] hat sich das längere Zeit auf der Lagerstraße gehalten, und es war so deprimierend. Ich weiß nicht, waren es damals hundert, die erschossen worden sind? Aber hundert waren nichts in Auschwitz. Wir haben gewußt, daß zur selben Zeit ein Transport in Birkenau angekommen ist mit ein paar Tausend Menschen, die sofort in die Gaskammer gegangen sind. Aber der optische Eindruck, der war

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Erschütternd.

Zeuge Hermann Reineck:

So erschütternd.

Vorsitzender Richter:

Nun, Herr Zeuge, können Sie sich noch an einen Häftling namens Szende erinnern?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Erzählen Sie mal, was Sie von dem wissen.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe diesen Häftling kennengelernt. Er war aus Wien, er war Jude, und er war ein sehr intelligenter Mensch. Er hat in Wien einen Filmverleih früher einmal gehabt. Und er ist mit seinem Sohn nach Auschwitz gekommen. Der Sohn, ich weiß nicht mehr, war neun, zehn, zwölf Jahre alt.

Vorsitzender Richter:

Ein Knabe noch.

Zeuge Hermann Reineck:

Ein junger Bursch, ein Knabe. Und dieser Szende war zuerst im Stammlager und ist später dann, ich glaube, nach Monowitz gekommen in die Kohlengruben, oder Jawischowitz, ich weiß nicht

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Oder Sosnowitz.

Zeuge Hermann Reineck:

Oder Sosnowitz, ich weiß nicht, in ein Nebenlager ist er gekommen. Ich habe dann nichts gewußt von ihm. Und später ist er zurückgekommen nach Auschwitz. Und wir haben ja Verlegungsmeldungen von den Nebenlagern im Häftlingskrankenbau bekommen. Wenn also ein Häftling von einem Nebenlager in den Krankenbau des Stammlagers verlegt wurde, haben wir in der Schreibstube diese Meldung bekommen. Und eines Tage sehe ich die Meldung, der Szende ist gekommen. Erst habe ich gleich rausgesucht, wo er ist, und habe mich bemüht, mit den Häftlingsärzten zu sprechen und einmal zu schauen, was mit ihm los ist. Nun, er hat so schwere Erfrierungen an den Händen und Füßen gehabt. Und einen französischen Arzt, einen gewissen Doktor Steinberg, mit dem ich auch sehr gut befreundet war, habe ich gebeten, zu machen, was ihm möglich ist. Ich habe es selbst gesehen, die vorderen Gliedmaßen der Finger waren schwarz, und es hat bereits der Knochen rausgeschaut, und keine Nägel da – furchtbar. Und er hat befürchtet, daß die Erfrierungen auch den Mittelhandknochen ergriffen haben und daß also eine Amputation im Handgelenk durchgeführt werden muß. Und ein Mensch ohne Hände in Auschwitz ist nicht arbeitsfähig. Er ist zum Tod verurteilt.

Und eines Tages war es eben soweit, und der Szende ist auch ausgesucht worden und ist mit einem Transport... Also es sind nicht alle Häftlinge, die bei Selektionen im Krankenbau – vor allem, wenn es sich um größere Menschengruppen gehandelt hat – durch Injektionen [+ getötet worden], sondern sie sind auch in die Gaskammer gegangen. Und diese Häftlinge sind dann mit Lastautos abgeholt worden und nach Birkenau geführt worden. Und durch einen Zufall, ich weiß nicht, wie es vor sich gegangen ist, hat sein Bub, der bei uns im Stammlager war, davon erfahren. Und es war so eine erschütternde Szene. [weint] Der Vater wird auf den Lastwagen aufgeladen, und der Bub kommt hin und...

Vorsitzender Richter:

[Pause] Wissen Sie, wer damals diese Auswahl getroffen hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß nicht.

Vorsitzender Richter:

Und wer diesen Szende bestimmt hat zur Vergasung?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

Vorsitzender Richter:

Denn Sie haben einmal gesagt: »Ich muß noch einmal auf Klehr zurückkommen. Es fällt mir jetzt noch folgendes Ereignis ein, was ihn betrifft. Ich kannte in Auschwitz einen Häftling namens Szende.« Vorhalt aus Blatt 11.158. »Er war zusammen mit seinem damals zehn- oder elfjährigen Sohn in Auschwitz. Szende war mir schon von Wien aus bekannt. Nachdem er zunächst im Stammlager gewesen war, kam er dann ins Nebenlager Sosnowitz. Von dort kam er eines Tages zurück mit allgemein stark fortgeschrittenen Erfrierungserscheinungen. Er lag bei uns im Block 21. Seine Hände waren schon bis zum Mittelhandknochen schwarz. Eines Tages führte Klehr eine Selektion durch. Dabei wurde Szende auch ausgewählt, mit anderen Häftlingen zusammen auf den Lastwagen verladen.«[3] Damals haben Sie gesagt: »Führte Klehr eine Selektion durch.«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Heute sagen Sie, Sie wissen es nicht mehr, wer es gewesen ist.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich bin so erregt. Und das Aufrühren all dessen... Ich versuche, die Dinge zu vergessen, und man kann sie nicht vergessen. Und ich [unverständlich]

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nun sagen Sie, Herr Zeuge

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

[unverständlich] eben möglich, daß ich also diese Dinge jetzt irgendwie nicht mehr richtig rekapitulieren kann.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wie Sie das damals ausgesagt haben, vor dem Untersuchungsrichter am 15. Januar 62, ist das wahr gewesen? Wenn Sie sagen, Klehr hat diese Selektion durchgeführt?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ja, na sicher. Ich kann mich auch jetzt erinnern daran wieder. Aber wenn man es wieder erzählen muß, es ist sehr schwer, diese Dinge nach 20 Jahren

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, aber uns kommt es ja nun darauf an, ob Klehr diese Auswahl getroffen hat oder nicht. Denn wir müßten, wenn er deshalb verurteilt werden sollte, ihm das ja nachweisen.

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ja, das ist ja selbstverständlich.

Vorsitzender Richter:

Können Sie das mit Ihrem Eid belegen, daß es Klehr war und kein Arzt gewesen ist?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja. Ich weiß es jetzt, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Ich schlage vor, daß wir jetzt zunächst in die Pause eintreten bis zehn Minuten vor elf. Wir werden dann mit Ihrer Vernehmung fortfahren.

Zeuge Hermann Reineck:

Gut.

Vorsitzender Richter:

Zunächst was die Anträge anbelangt: Herr Rechtsanwalt Ormond, wir können über Ihren Antrag erst entscheiden, wenn Sie glaubhaft gemacht haben, daß auch in diesen Fällen die von Ihnen vertretenen Nebenkläger tangiert sind durch den Angeklagten. Ich bitte, das dann noch nachzuholen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Ich werde das nachholen.

Vorsitzender Richter:

Sobald das einkommt, werden wir über Ihren Antrag entscheiden. Bezüglich der Nachtragsanklage wird das Gericht die Entscheidung ebenfalls fällen, es hat heute noch nicht endgültig beraten. Bezüglich des Hinweises nach Paragraph 265 sehe ich mich nicht veranlaßt, einen solchen Hinweis zu geben. Nun, Herr Zeuge, wir hatten eben über die Person des Angeklagten Klehr gesprochen. Kennen Sie auch den Angeklagten Kaduk?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Was wissen Sie von ihm?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß, daß Kaduk Rapportführer im Lager war. Ich hatte mit ihm persönlich eigentlich wenig Kontakt. Ich bin mit ihm wenig zusammengekommen, nachdem ich ja im Häftlingskrankenbau war und nur gelegentlich aus dem Lager kam beziehungsweise zum Lagertor, wo die Rapportführerschreibstube war. Ich habe beim Untersuchungsrichter eine Episode bekanntgegeben, die ich weiß, weil sie mir auch in Erinnerung ist. [Pause] Es war das Kommando Bauhof, das einmal eingerückt ist, und es war üblich, stichweise beim Lagertor Kontrollen zu machen, ob die Häftlinge irgendwelche Dinge mit ins Lager reinschmuggeln. Und natürlich ist es sehr oft vorgekommen, daß verschiedene Sachen mitgebracht worden sind. Vor allem natürlich hat man versucht, etwas zum Essen zu bekommen. Und bei so einer Visitation am Lagertor wurde ein holländischer jüdischer Häftling von Kaduk so geschlagen, daß er zu uns in den Krankenbau eingeliefert wurde und an den Folgen der Mißhandlungen gestorben ist.

Vorsitzender Richter:

Ja. Herr Zeuge, Sie waren, wie ich aus Ihrer Aussage entnehme, damals bereits im Krankenbau?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie im Krankenbau diesen Häftling gesehen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie haben gesehen, daß er eingeliefert worden ist?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wieso wissen Sie, daß er von Kaduk geschlagen worden ist, und wieso wissen Sie, bei welcher Gelegenheit er geschlagen worden ist?

Zeuge Hermann Reineck:

Das ist nicht sehr schwer. Denn im Lager war es doch so: Die Funktionshäftlinge, die dort waren, haben ja alle Dinge, die im Lager vor sich gegangen sind, erfahren. Genauso wie wir gewußt haben von den Vergasungen und von Krematorien und von den Scheiterhaufen und so weiter, haben wir natürlich auch diese kleinen Dinge erfahren: Na, der Kaduk, der hat wieder am Tor einen zusammengeschlagen und so weiter.

Vorsitzender Richter:

Also das alles wissen Sie vom Hörensagen

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Alle Dinge

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Vom Hörensagen?

Zeuge Hermann Reineck:

Vom Hörensagen.

Vorsitzender Richter:

Ja. [Pause] War Kaduk dann anläßlich dieses Vorfalls einmal selbst auf dem Krankenbau?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich kann mich nicht erinnern.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie damals die Totenbescheinigung ausgestellt für diesen Mann?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, das habe ich.

Vorsitzender Richter:

Und was haben Sie als Todesursache draufgeschrieben? Ich will jetzt allgemeiner fragen: Haben Sie auch eine der Ihnen an Hand gegebenen fingierten Todesursachen draufgeschrieben?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Aber nicht draufgeschrieben

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Nein, daß er an den Folgen der Mißhandlungen gestorben ist, das war ja gar nicht möglich. So was durften wir ja gar nicht.

Vorsitzender Richter:

Das war nicht möglich, ja. Hat Ihnen irgend jemand gesagt, was Sie da auf die Totenmeldung draufschreiben müssen?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, nein.

Vorsitzender Richter:

Das haben Sie von sich aus getan?

Zeuge Hermann Reineck:

Das haben wir selbst ausgewählt.

Vorsitzender Richter:

Und wann kann das etwa gewesen sein?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich glaube, es war im Sommer 43.

Vorsitzender Richter:

Sie haben dann noch genannt den Namen Boger. Aber Sie haben gesagt, Augenzeuge irgendeines Verbrechens, das er begangen hat, sind Sie nicht gewesen.

Zeuge Hermann Reineck:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Was hat er für einen Ruf gehabt im allgemeinen im Lager?

Zeuge Hermann Reineck:

Einen sehr schlechten Ruf. Ich habe Boger einige Male gesehen, also vor allem natürlich in den Zusammenhängen, wo ich Häftlinge selbst gekannt habe, die irgendwie mit der Politischen Abteilung zu tun hatten beziehungsweise auf Block 11 waren, und wo eben die Politische Abteilung, unter ihnen auch Boger, auf Block 11 zu Verhören gegangen ist beziehungsweise der Häftling geholt und dann wieder retour geführt wurde. Habe auch Häftlinge gesehen, wie sie nach den Verhören ausgesehen haben. Aber ich persönlich kann also über Boger nicht sagen: Ich habe gesehen das oder jenes.

Vorsitzender Richter:

Ja, das ist verständlich. Sie haben außerdem den Doktor Capesius gekannt?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Was wissen Sie von ihm?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß nur, daß er leitender Apotheker war. Die Sterblichkeit der Häftlinge war ja sehr groß, denn es waren keine Medikamente, es war nicht einmal Verbandsstoff hier. Auf Block 21 war ein chirurgischer Block, und wir haben nur sehr wenig Papierverband gehabt. Vor allem waren Phlegmonen, Zellgewebsentzündungen, zum Teil durch die sanitären Verhältnisse und durch die Unterernährung in sehr reichem Maße [+ aufgetreten]. Und diese Papierverbände, na ja, manchmal sind sie zweimal, manchmal nur einmal in der Woche gewechselt worden. Und wie so ein Verband gerade bei einer Phlegmone, die sehr eitert und wäßriges Sekret von sich gibt, welche Gerüche da geherrscht haben und wie die Kranken also... Und Medikamente – fast überhaupt nichts. Und das war natürlich das Verdienst auch von Capesius, daß wir nichts bekommen haben.

Vorsitzender Richter:

Nun ja, Sie wollen damit sagen, Sie sind der Auffassung, er hätte es Ihnen geben können, wenn er gewollt hätte?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ich glaube, die Aufgabe eines Arztes ist doch, den Kranken zu helfen. Und wenn er ein Arzt ist, dann ist er doch vereidigt darauf worden, daß er den Menschen hilft. Er hat aber nicht das gemacht, sondern, ich glaube, das Gegenteil. Ich habe den Eindruck gehabt, daß das eine bewußte Aktion war, um auch so, sagen wir, die Häftlinge zu dezimieren.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, ich will Ihnen es etwas deutlicher machen.

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Vorsitzender Richter:

Wenn Capesius genügend Medikamente zur Verfügung gehabt hätte und so viel gehabt hätte, daß alle Häftlingskrankenbauten hätten versorgt werden können, ordnungsgemäß, wie das heutzutage in jedem Krankenhaus üblich ist, und er hätte es nicht getan etwa aus Bösartigkeit den Häftlingen gegenüber, dann könnten Sie sagen, es ist sein Verdienst, daß unsere Häftlinge nichts bekommen haben. Wissen Sie denn, daß Capesius genügend Medikamente und Hilfsmittel zur Verfügung hatte und daß er allein daran schuld war, daß die nicht ausgehändigt wurden?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, das weiß ich, und ich glaube, das läßt sich auch sehr leicht beweisen. Denn die Häftlingstransporte, also vor allem die großen Häftlingstransporte aus Holland, Frankreich, haben sehr viele Medikamente mitgebracht. Und diese Medikamente sind also von dem Kommando »Kanada« sortiert worden, sind in das SS-Revier gekommen. Wo sie dann weiter hingekommen sind, das weiß ich nicht, wahrscheinlich nach Berlin oder irgendwohin auf eine zentrale Stelle. Aber ins Lager ist nichts gekommen. Einige Häftlinge, die auch im SS-Revier gearbeitet haben, haben hier und da die Möglichkeit gehabt, Medikamente ins Lager zu schmuggeln und so, sagen wir, vor allem einigen Menschen helfen zu können und sie vor dem Tod zu bewahren. Denn ohne die Medikamente lassen sich manche Krankheiten nicht heilen. Aber das war natürlich nur in einem sehr geringen Ausmaß möglich.

Vorsitzender Richter:

Na ja. Sonst wissen Sie von Capesius nichts? Oder ist Ihnen etwas bekannt von irgendwelchen Versuchen, die angestellt worden sein sollen?

Zeuge Hermann Reineck:

Es war einmal eine Versuchsreihe, da habe ich selbst einen ärztlichen Bericht darüber geschrieben. Wer das gemacht hat, weiß ich nicht mehr. Es ist ein Präparat, und zwar waren das Tabletten, von den IG Farben hergestellt worden zur Behandlung gegen Fleckfieber. Und es war damals eine Versuchsreihe – ich kann nicht mehr genau sagen, wie viele Menschen da waren, waren es vier oder acht, es war nicht eine sehr große Anzahl. Jedenfalls hat sich dieses Medikament nicht bewährt. Also die Leute sind nicht an den Folgen des Fleckfiebers, sondern an den Folgen des Medikaments gestorben. Und diesen Bericht, der etliche Seiten umfaßt hat, habe ich persönlich geschrieben. Er ist von einem Arzt dann ausgearbeitet worden, und ich habe das auf der Maschine dann geschrieben. Das ist eine Versuchsreihe, die mir bekannt ist.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie, ob Capesius auch bei Selektionen beteiligt war?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht. Dann: Haben Sie auch gekannt den Angeklagten Hantl?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wollen Sie uns schildern, was Sie von ihm wissen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe von Hantl einen guten Eindruck gehabt, ich möchte sagen, ich habe ihn eigentlich bis heute. Ich habe von anderen Häftlingen dann gehört, daß Hantl sich auch verschiedene Sachen zuschulden kommen hat lassen. Das habe ich aber erst nach 45 erfahren.

Hantl ist ja auch oft zu uns in die Schreibstube gekommen. Und einmal in der Nachtschicht hat er sich mir gegenüber über die ganzen Verhältnisse in Auschwitz geäußert. Er ist aus sich herausgegangen und hat irgendwie bedauert, wie schrecklich die ganze Situation ist, und er kann es kaum ertragen. Und ich habe eigentlich unter den wenigen SS-Angehörigen gefunden, daß also auch unter diesen Leuten es Menschen gibt.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie bei Hantl einmal erlebt, daß er irgendwelche Injektionen gemacht hat oder so etwas?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, das habe ich erst nach 45 gehört.

Vorsitzender Richter:

Kennen Sie den Angeklagten Scherpe?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich war eigentlich sehr erschüttert darüber. Scherpe kenne ich auch, ja.

Vorsitzender Richter:

Was wissen sie von ihm?

Zeuge Hermann Reineck:

Scherpe war Sanitätsdienstgrad in Auschwitz auch. Aber er war nicht so lange da wie Hantl, er ist dann irgendwann weggekommen. Aber ich weiß nicht mehr genau, wann.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie von Scherpe etwas, daß er sich bei diesen Injektionen beteiligt hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe wohl davon gehört, ich weiß nicht. Das ist nur vom Hörensagen.

Vorsitzender Richter:

Das ist vom Hörensagen. Und was haben Sie vom Hörensagen gehört?

Zeuge Hermann Reineck:

Daß Scherpe auch diese tödlichen Injektionen mit Phenol durchgeführt hat. Angeblich soll er auch Kinder »gespritzt« haben. Aber das habe ich nur gehört. Ich kann darüber nichts sagen.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie etwas davon gehört, daß Scherpe Selektionen gemacht hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Das habe ich auch gehört, ich habe ihn nicht dabei gesehen. Aber ich habe auch gehört, daß Scherpe Selektionen gemacht hat.

Vorsitzender Richter:

Das haben Sie aber nur gehört. Wollen wir noch mal zurückkommen auf diese Tötung dieser Kinder, die Sie vorhin zwischen zehn und dreizehn Jahren geschätzt haben. Wer hat denn die getötet?

Zeuge Hermann Reineck:

Das war damals unter Klehr noch.

Vorsitzender Richter:

Sie sagen, unter Klehr. War denn der Klehr da, hat er das selbst gemacht? Oder haben Sie überhaupt etwas davon gehört, wie diese Kinder zu Tode gekommen sind?

Zeuge Hermann Reineck:

Wir haben doch gewußt, wenn der Sanitätsdienstgrad ins Lager kommt, also wenn der Klehr kommt, und wir haben auch die Kinder gesehen. Na gut, ich glaube, es ist ja gar nicht notwendig, daß man den Klehr selbst dabei gesehen hat, wenn er auf Block 20 gegangen ist und dort also diese »Spritzungen« gemacht hat und nachher gekommen ist mit der Totenmeldung. Für mich war das alles wie ein Beweis.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, Herr Zeuge, wissen Sie das auch ganz genau in dem Fall der Kinder? Wissen Sie, daß das bei den Kindern auch der Fall war?

Zeuge Hermann Reineck:

Es sind öfter Kinder gekommen. Das war nicht der eine Fall. Ich weiß genau, daß Klehr – ich kann jetzt nicht sagen, in welchem Fall – dabei war. Aber ich weiß, daß er auch Kinder »gespritzt« hat. Nur, welcher Transport von Kindern das war und von wo die hergekommen sind, das heute noch zu sagen, das...

Vorsitzender Richter:

Haben Sie mal etwas davon gehört, daß Scherpe einen Transport mit Kindern durch Injektion getötet habe?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe das gehört.

Vorsitzender Richter:

Damals im Lager oder heute?

Zeuge Hermann Reineck:

Im Lager.

Vorsitzender Richter:

Oder nachträglich?

Zeuge Hermann Reineck:

Im Lager.

Vorsitzender Richter:

Im Lager. Und wissen Sie etwas davon, daß Scherpe sich hat ablösen lassen, daß er bei dieser Arbeit, bei dieser Tätigkeit zusammengebrochen ist und daß er da nicht weitergemacht hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe davon gehört, daß Scherpe beim Standortarzt vorgesprochen hat und gesagt hat, also ich kann das nicht machen.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Haben Sie das damals gehört?

Zeuge Hermann Reineck:

Das habe ich gehört damals. Aber er ist dann auch weggekommen. Scherpe war nicht sehr lange Zeit als SDG tätig.

Vorsitzender Richter:

Bei Ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter haben Sie gesagt: »Ganz konkret kann ich noch mich auf einen Vorfall erinnern, der den Angeklagten Klehr betraf. Er ging durch den Krankenbau, sah einen Häftling, der an Phlegmone erkrankt war, und meinte dann: ›Mit diesem Zeug liegst du noch 14 Tage herum, also weg.‹ Die von den SDGs ausgesuchten Häftlinge wurden dann am selben Tag oder spätestens am folgenden zur Tötung abgeholt«[4] und so weiter. Stimmt diese

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ja, solche Fälle hat es natürlich so viele gegeben. Ich möchte sagen, das war der Alltag von Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Ja. Ich hatte Sie vorhin gefragt: Können Sie sich entsinnen, daß außer dieser Selektion an Weihnachten 1942/43 noch eine andere Selektion von Klehr allein und ohne Arzt durchgeführt worden ist? Dann haben Sie uns also auf Befragen diesen Fall mit dem Herrn Szende geschildert. Nun ist das hier noch ein Einzelfall, den Sie damals erwähnt haben, daß dieser Häftling an Phlegmone erkrankt sei.[5] Können Sie sich da heute noch daran erinnern?

Zeuge Hermann Reineck:

Na ja, ich habe viele solche Fälle gesehen. Ich kann mich an solche Fälle erinnern. Und es war doch so: Ein Mensch, der länger als 14 Tage noch zur Gesundung gebraucht hat, der hat kein Recht mehr gehabt zu leben.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, wenn wir etwa in einem Urteil feststellen sollten, daß Klehr sich in diesen Fällen selbst betätigt hat, dann müssen wir auch feststellen, daß er ohne Veranlassung, ohne Befehl, auf eigenen Entschluß hin, ohne daß er von einem Arzt angewiesen worden ist, ohne daß der Arzt vielleicht die Anweisung gegeben hat, auf eigenen Entschluß hin so etwas getan hat. Und deshalb frage ich Sie: Können Sie sich daran erinnern, an diesen Fall der Phlegmone, wo Klehr, nicht ein Arzt, sondern Klehr, gekommen ist, hat sich den Mann angesehen und hat gesagt: »Was ist das? Mit dieser Phlegmone liegst du noch länger als vierzehn Tage, also ab!«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, das habe ich eigentlich vorhin schon betont. Es war nicht ein Fall, sondern es hat viele solcher Fälle gegeben. Ich habe das, ich möchte sagen, als Beispiel angeführt. Denn wenn wirklich der Klehr jetzt jemand bestimmt hat, daß der in der Gaskammer oder durch eine Spritze getötet wird, das ist doch von Entress oder Rohde oder irgendeinem anderen Lagerarzt sanktioniert worden.

Vorsitzender Richter:

Ja, Herr Zeuge, nicht ob das nachträglich sanktioniert worden ist

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Also er hat ruhig selbständig handeln können.

Vorsitzender Richter:

Sondern ob er bei seinem Handeln angewiesen war von den Ärzten, das zu tun, oder ob nur später die Ärzte gesagt haben: »Na freilich, natürlich. Das geht schon alles in einem hin.«

Zeuge Hermann Reineck:

Nein. Klehr, möchte ich sagen, hat aus eigener Initiative gehandelt.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Aus eigener Initiative getan. Nun haben Sie einmal gegenübergestellt bei Ihrer Aussage Klehr und Scherpe und einen namens Schattkus – dessen Name uns bisher noch nicht vorgekommen ist – und den Hantl und haben gesagt: »Aber ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß Klehr, Scherpe und Schattkus auch ohne Ärzte selektiert haben. Hantl habe ich bei der Selektion auch gesehen, aber ich kann nicht sagen, ob er allein selektiert hat. Es ist möglich, daß er nur als Begleiter erschien.«[6]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun hatte ich Sie vorhin gefragt nach Scherpe, und da haben Sie gesagt: »Ja, also das habe ich mir sagen lassen, das habe ich gehört, er hätte selektiert.« Sie selbst wissen das nicht.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß das nicht. Es war ja so, daß, wenn der Lagerarzt gegangen ist, immer ein Sanitätsdienstgrad mitgegangen ist. Also entweder der Scherpe oder der Klehr.

Vorsitzender Richter:

Ja, Herr Zeuge, darum dreht es sich aber gerade. Wenn nämlich ein Arzt mitgegangen ist, dann war der Arzt ja da der Vorgesetzte, nicht?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und was der Vorgesetzte angeordnet hat, das war dann von dem Arzt zu verantworten.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wenn er aber nicht mitgegangen ist, wenn es so war, wie in diesem Fall, wo der Mann mit der Phlegmone da lag und der Klehr ist allein gekommen und hat gesagt: »Komm her, du liegst ja doch über vierzehn Tage, also ab!«, da war doch wohl kein Arzt dabei.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und das ist natürlich ein großer Unterschied.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, das habe ich ja vorhin gesagt.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das wollten Sie sagen.

Zeuge Hermann Reineck:

Daß der Klehr auch solche

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und bezüglich des Scherpe können Sie sich insoweit nur auf Hörensagen beziehen?

Zeuge Hermann Reineck:

Auf Hörensagen.

Vorsitzender Richter:

Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen. Bitte schön.

Richter Hotz:

Herr Reineck.

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Richter Hotz:

Sie schilderten eingangs einen Vorfall, daß Sie da Zeuge einer Handlung des Angeklagten Klehr geworden wären, und er hätte zu Ihnen gesagt: »Schau, daß du weiterkommst, sonst bleibst du auch noch hier.« Wann war das?

Zeuge Hermann Reineck:

[Pause] Das war 42, wie ich in den Häftlingskrankenbau 20 gegangen bin, wie er also eine Spritzung durchgeführt hat und wie er zu mir gesagt hat: »Schau, daß du weiterkommst« und so weiter.

Richter Hotz:

Ja, was ist der ungefähre Zeitpunkt gewesen? Wann etwa war das?

Zeuge Hermann Reineck:

Also im Spätherbst 42. Er ist im Oktober 42 in den Krankenbau.

Richter Hotz:

Ja. Dann: Wer hat denn die Nummern der Häftlinge gebracht, die normalerweise im Krankenbau gestorben sind?

Zeuge Hermann Reineck:

Wenn jemand auf einem Block im Lager gestorben ist

Richter Hotz [unterbricht]:

Im Krankenbau, meine ich erst mal, normalerweise im HKB gestorben.

Zeuge Hermann Reineck:

Das hat der Häftlingsschreiber gemacht beziehungsweise der Arzt oder der Pfleger. Die haben dann die Totenmeldung zu uns runtergegeben.

Richter Hotz:

Hat auch mal ein SDG die Nummern solcher Häftlinge gebracht – solcher Häftlinge, die normal gestorben waren?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein.

Richter Hotz:

Nicht?

Zeuge Hermann Reineck:

Das war eine interne Angelegenheit eigentlich der Funktionshäftlinge.

Richter Hotz:

Dann noch eine Frage zu dem Angeklagten Hantl. Hat er Ihnen einmal erzählt, er solle auch veranlaßt werden, Phenolinjektionen durchzuführen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ob er das gesagt hat, weiß ich nicht. Ich kann mich nur erinnern, daß die Rede davon war, auch von diesen »Spritzungen«, und daß er irgendwie sich dagegen gesträubt und gewehrt hat und das nicht machen wollte oder irgendwie abgelehnt hat. Er hat auch von Krematorium und Gaskammer und von der großen Zahl der Sterblichkeit und so gesprochen, das weiß ich.

Richter Hotz:

Aber Sie haben keine sichere Vorstellung mehr daran, daß er von irgendeiner Seite etwa veranlaßt werden sollte?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ob er gesagt hat? Nein, das weiß ich nicht.

Richter Hotz:

Wissen Sie nicht.

Zeuge Hermann Reineck:

Das kann ich nicht konkret sagen.

Vorsitzender Richter:

Sie haben insofern einmal etwas ausgesagt, und zwar haben Sie gesagt, auf Blatt 11.156: »Den Schreibern im HKB gegenüber benahm sich Hantl zum mindesten äußerlich menschlicher als die übrigen SS-Angehörigen. Er erzählte uns eines Tages, daß Klehr ihn zu veranlassen versucht habe, selbst ›abzuspritzen‹. Er habe das aber abgelehnt. Ich weiß auch nichts darüber, daß er tatsächlich ›abgespritzt‹ hat« und so weiter.[7] Das wissen Sie heute nicht mehr?

Zeuge Hermann Reineck:

Das kommt schon irgendwie durcheinander alles.

Vorsitzender Richter:

Keine Fragen mehr? Bitte schön.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Herr Zeuge, Sie schilderten vorhin auf die Frage des Herrn Vorsitzenden den Fall des holländischen Juden vom Kommando Bauhof, der im Krankenbau gestorben ist. Und dann fragte Sie nun der Herr Vorsitzende, ob Sie auch genau gewußt hätten, daß gerade Kaduk ihn zusammengeschlagen hatte. Und dann erzählten Sie, das sei allgemein bekannt gewesen. Im Lager hätte man so was gewußt. Nun muß ich Ihnen vorhalten, Vorhalt aus Blatt 11.157, daß Sie bei Ihrer früheren Vernehmung etwas ganz Konkretes gesagt haben. Sie haben damals nämlich gesagt, Sie seien auf einem dienstlichen Gang am Lagerausgang vorbeigegekommen, als gerade ein Lagerkommando einrückte. Wenn ich Ihnen das sage, können Sie sich jetzt wieder daran erinnern, daß das vielleicht doch etwas anders war, daß Sie es selbst erlebt haben? Und schildern Sie uns vielleicht auch einmal, wie das Kommando gefilzt wurde, ob die nur abgetastet wurden oder was mit denen geschah. Erinnern Sie sich jetzt wieder?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja. Na, ich habe natürlich viele solche Dinge gesehen auch – also nicht einmal, sondern viele Male. Die Kommandos sind eingerückt. Bei der Blockführerstube beim Eingang des Lagers hat es geheißen: »Kommando halt!« Und dann mußten sich die Häftlinge entkleiden. Und der jeweilige Rapportführer – in den meisten Fällen war es ja Kaduk – ist hingegangen und hat dann nachgeschaut, na, was gibt es da alles.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, und bei dem Fall des holländischen Juden haben Sie das selbst bei einem Dienstgang erlebt?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, da war ich dabei. Ich habe natürlich viele solche Dinge gesehen, und das ist

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ja, da konnten Sie also praktisch den holländischen Juden vom Zusammengeschlagenwerden von Kaduk bis zum Tod in Ihrem Krankenrevier verfolgen?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Irgendwie verfolgen, ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das konnten Sie.

Zeuge Hermann Reineck:

Das konnte ich.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja. Erinnern Sie sich zufällig noch, in welchem allgemeinen Körperzustand dieser Häftling sich befand? War er noch kräftig oder war er schon [unverständlich]

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Nein, das war schon noch ein ganz gut kräftiger. Der dürfte also nicht sehr lange im Lager gewesen sein. Ich habe die Erinnerung [unverständlich]

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Der war noch nicht sehr lange im Lager. Sie sagten in Ihrer Vernehmung auch mal, für wie alt Sie ihn schätzten. Erinnern Sie sich vielleicht noch daran? Sie sagten damals, so um die 30 Jahre rum, älter wäre er nicht gewesen. Wenn ich Ihnen das vorhalte, wird das stimmen.

Zeuge Hermann Reineck:

So, das wird stimmen, ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja. Und Sie sagen also, Sie haben gesehen, wie er zusammengeschlagen wurde?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das war derselbe, der im Lager gestorben ist?

Zeuge Hermann Reineck:

Der im Lager gestorben ist.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das können Sie mit Sicherheit sagen?

Zeuge Hermann Reineck:

Das kann ich mit Sicherheit sagen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Kügler:

Sie sprachen davon, Herr Reineck, daß der Angeklagte Klehr Ihnen Listen gebracht hat, die Ihrer Meinung nach Listen von Erschossenen waren. Haben Sie das auch von anderen Angeklagten beobachtet, und wenn ja, von welchen? Sind Ihnen nicht nur von Klehr, sondern auch noch von anderen solche Listen gebracht worden?

Zeuge Hermann Reineck:

Wir haben bei Exekutionen solche Listen bekommen. Aber wer die gebracht hat, das weiß ich nicht. Das war ja eine Angelegenheit der Politischen Abteilung.

Staatsanwalt Kügler:

Also Sie können sich jetzt im Moment nicht erinnern, wie die Namen waren?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ich kann nicht... Also es ist natürlich überhaupt schwer, die einzelnen SS-Leute von Auschwitz kennenzulernen. Denn es war keiner, der sich bei mir vorgestellt hat, gesagt hat, mein Name ist Soundso. Und mit denen, mit denen man also nicht wirklich engen Kontakt gehabt hat, war es oft sehr schwierig, überhaupt den Namen zu erfahren.

Staatsanwalt Kügler:

Ja, danke. Keine Fragen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Herr Reineck, Sie haben uns vorhin erzählt, daß die Leute vom »Sonderkommando« nach gewissen Zeiten abgelöst wurden und dann in den Hof kamen und daß Sie hinterher die Todesmeldungen schreiben mußten. Wie stark war das »Sonderkommando«, schätzungsweise? Waren das 50, 100, 200, 300?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, nein, so stark war es nicht. Das waren 20, 30 Leute.

Nebenklagevertreter Ormond:

Und die sind durchschnittlich wie lange bei der Arbeit an den Krematorien eingesetzt worden, und nach welchem Zeitraum ungefähr sind sie dann in den Tod gegangen?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Nach meiner Erinnerung war das sehr verschieden. Es hat »Sonderkommandos« gegeben, die in sehr kurzer Zeit – also 14 Tage, drei Wochen – abgelöst worden sind, und andere »Sonderkommandos«, die nach einigen Monaten erst abgelöst wurden. Ich glaube, daß es damit zusammenhing, was der Häftling gesehen hat. Zur Zeit der großen Transporte, die direkt in die Gaskammer gegangen sind, hat man natürlich kürzere Intervalle der »Sonderkommandos« gemacht als in Zeiten, na, ruhig kann man nicht sagen für Auschwitzer Begriffe

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ab und zu nur mal ein Transport gekommen ist.

Zeuge Hermann Reineck:

Aber, sagen wir, weniger Betrieb war.

Nebenklagevertreter Ormond:

Dann eine weitere Frage. Mit wieviel Mann haben Sie in der Schreibstube an diesen Todesnachrichten für das Standesamt gearbeitet und in welchen Schichten?

Zeuge Hermann Reineck:

Wir waren sieben Maschinenschreiber, und es hat eine Tag- und eine Nachtschicht gegeben. Das heißt, daß also ohne Unterbrechung gearbeitet wurde. Wir waren voll beschäftigt. Wir haben ja das einteilen müssen. Also es ist kein Häftling zur gleichen Zeit gestorben, sondern wir haben im Intervall von – je nachdem, wie viele Todesfälle es waren – zwei, drei, fünf Minuten immer...

Vorsitzender Richter:

Einsetzen müssen.

Zeuge Hermann Reineck:

Irgendeine Zeit eingesetzt.

Vorsitzender Richter:

Ja, nun wollte der Herr Rechtsanwalt wissen, wie viele Leute Sie waren. Sie haben gesagt, sieben. Soll ich das so verstehen, daß bei jeder Schicht sieben da waren?

Zeuge Hermann Reineck:

Bei jeder Schicht, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Nebenklagevertreter Ormond:

Und von wann ging die Tagesschicht, von wann ging die Nachtschicht? Wenn Sie es noch erinnern.

Zeuge Hermann Reineck:

Es waren jedenfalls zwölf Stunden. Ich weiß nicht, hat es um sieben oder um sechs [+ angefangen], von sechs bis sechs oder...

Nebenklagevertreter Ormond:

Ja, und in dieser Zeit haben Sie ununterbrochen an sich nur an solchen Todesnachrichten geschrieben?

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ununterbrochen an solchen Dingen geschrieben. Also Todesbescheinigungen und dann im jeweiligen Fall, [...] sobald das nicht jüdische Häftlinge waren, also die Krankenberichte dazu.

Nebenklagevertreter Ormond:

Danke schön.

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Nebenklagevertreter Kaul:

Herr Zeuge, als Sie schilderten, daß Sie den Angeklagten Klehr mit der Spritze gesehen hatten, als Sie dort in den Block 20 gingen, da sahen Sie auf der anderen Seite Leichen?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Können Sie uns sagen, wie viele das etwa waren?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß nicht. Sechs, acht. Es waren da einige Menschen, die gelegen sind.

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Darf ich Ihnen vorhalten?

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Nebenklagevertreter Kaul:

Bei Ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter Herrn Landgerichtsrat Doktor Düx vom 15. Januar 62 – es ist auf 11.154 –, da sagten Sie: »Als ich eintrat, sah ich in einem geöffneten Zimmer einen Leichenberg, bestehend aus ungefähr zehn toten Personen.«[8]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, können zehn gewesen sein.

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Das mag stimmen, ja?

Zeuge Hermann Reineck:

Es ist so: Ich bin dort auch später noch oft vorbeigekommen. Und in dem Waschraum, also nach diesen »Spritzungen«, sind die Leichen gelegen. Und ich habe es so oft gesehen. Jetzt, nach 20 Jahren, genau zu sagen, wie viele Menschen? Und ich habe sie auch gar nicht gezählt. Also ich habe nur meine [unverständlich]

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Es war ja nur ungefähr. Da Sie dort diese Zahl angegeben hatten.

Zeuge Hermann Reineck:

Man gewöhnt sich an das Grauen.

Nebenklagevertreter Kaul:

Herr Zeuge, bei dieser gleichen Vernehmung wurde Ihnen der Angeklagte Kaduk gegenübergestellt.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Können Sie sich daran erinnern?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Bei dieser Vernehmung vom 15. Januar 62, als Sie also über die Tötung des holländischen jüdischen Häftlings Aussagen machten, da wurde Ihnen Kaduk gegenübergestellt. Ja, können Sie [unverständlich]

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ja, ich kann mich erinnern.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Kaul, führen Sie eine Nebenklage gegen Kaduk?

Nebenklagevertreter Kaul:

Nein, aber ich führe eine Nebenklage gegen Herrn Mulka. Und Sie werden gleich sehen, Herr Präsident, in welch engem Zusammenhang diese Frage steht. Ich kann aber Ihrem Wunsch nach Aufklärung sofort dadurch nachkommen, indem ich Sie auf das Protokoll, Seite 11.165, hinweisen darf.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich wollte nämlich den Zeugen fragen, ob

Zeuge Hermann Reineck:

Der war an der Rampe, und ich war ja nur der Kleine, und die Großen und so weiter – und war damals sehr [unverständlich]. Daran erinnere ich mich.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ausweislich dieses Protokolls, 11.165, soll Kaduk gesagt haben: »Wenn Transporte ankamen, wurden die maßgeblichen Aktionen von der Kommandantur veranlaßt.«[9]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

»Ich erhielt auch von dort die Nachricht, daß ein Transport angekommen war. Der Adjutant war auch Leiter der Fahrbereitschaft.« Er meint in diesem Zusammenhang Mulka. »Ich war sehr beeindruckt davon, daß Mulka gegen 50.000 Mark freigelassen worden ist, während ich hier weiter sitzen muß.«[10]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja, das hat er gesagt.

Nebenklagevertreter Kaul:

»Nach meinem Dafürhalten hatte Mulka die Fahrt in das Krematorium zu organisieren, weil er Leiter der Fahrbereitschaft war. Bei den Transportankünften auf der Rampe war der Kommandant zugegen. Alle mußten wechselweise zugegen sein.« Daraufhin wurde dann Kaduk weiter gefragt: »Haben Sie auch den Adjutanten Mulka gesehen?«[11] »Ja, ich habe auch den Angeschuldigten Mulka gesehen.«[12]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja. [...]

Nebenklagevertreter Kaul:

Jetzt fragt das Gericht weiter: »Erinnern Sie sich mit Sicherheit daran, insbesondere, ob er bei Transportankünften, also bei Selektionen, zugegen war?« »Ja, ich habe mit Sicherheit wahrgenommen«, sagt der Angeklagte Kaduk, »daß Mulka auf der Rampe war. Die Herren sollen doch nicht leugnen heute, sondern sollen als Männer zu dem stehen, was tatsächlich geschehen ist.«[13]

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja, ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Das haben Sie mit angehört, Herr Zeuge?

Zeuge Hermann Reineck:

Das habe ich mit angehört.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich danke Ihnen. Ich habe keine weiteren Fragen.

Zeuge Hermann Reineck:

Das stimmt.

Vorsitzender Richter:

Von seiten der Verteidigung, Herr Rechtsanwalt Reiners.

Verteidiger Reiners:

Herr Reineck, Sie hatten vorhin, wie Sie von dem Herrn Vorsitzenden zu dieser Sache mit dem holländischen jüdischen Häftling, Alter etwa 30 Jahre, gefragt wurden, gesagt, Sie hätten das von Funktionshäftlingen erfahren, und haben also ausdrücklich hinzugesagt, also vom Hörensagen hätten Sie das gehört, daß der an der Blockführerstube von Kaduk geschlagen worden sein soll und dann an diesen Mißhandlungen gestorben wäre. Und als Ihnen nun der Herr Ergänzungsrichter Ihre frühere Aussage vorlas, haben Sie gesagt, Sie können sich erinnern, Sie wären dabeigewesen.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, das stimmt. Ich möchte dazu sagen, es ist doch, ich glaube, für jeden Menschen verständlich, und wenn hier also schon, ich glaube, es eine Reihe von Verhandlungstagen waren und man irgendwie die Atmosphäre von Auschwitz kennengelernt hat, und man hat, ich möchte sagen, Hunderte Male solche Situationen erlebt, daß man dann also leicht sagen kann: »Ja, also bitte, ich habe das vom Hörensagen.« Aber ich weiß auch konkret, daß ich solche Fälle natürlich gesehen habe.

Verteidiger Reiners:

Ja, aber ich frage, ob Sie gerade diesen Fall mit diesem Holländer

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Ja, ich weiß es genau, weil dieser Häftling dann zu uns doch in den Krankenbau eingeliefert wurde und ich seine Todesbescheinigung dann geschrieben habe, den nächsten Tag.

Verteidiger Reiners [unterbricht]:

Ja, das haben Sie vorhin auch gesagt. Deshalb also die Frage: Wie kamen Sie denn dahin, also in die Nähe der Blockführerstube? Am Eingang war das ja wohl vom Lager.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, wenn Sie den Lagerplan gesehen haben, dann war also gleich beim Lagertor die Häftlingsschreibstube. Und dort hatten wir oft verschiedene Dinge zu erledigen. Denn die Häftlingsschreibstube und die Krankenbauschreibstube haben doch zusammenarbeiten müssen, um die ganzen registrativen Arbeiten durchführen zu können.

Verteidiger Reiners:

Und nun haben Sie die Frage des Herrn Ergänzungsrichters – daß Sie also diesen holländischen Häftling gewissermaßen von dem Augenblick an, wo er von Kaduk geschlagen worden ist, bis er dann zu Ihnen in den Krankenbau kam, verfolgen konnten, also diesen Weg, den der genommen hat.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Reiners:

Nun sagten Sie vorhin wieder, als ich Sie fragte, wie Sie dahin gekommen seien: »Ja, er ist doch zu uns nachher in den Krankenbau gekommen, und ich habe auch zum Schluß seine Todesbescheinigung ausgestellt.«

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Reiners:

Von dem Moment an, als Kaduk, wie Sie sagten, ihn schlug, waren Sie unmittelbar in der Nähe, wie dieser Mann nachher irgendwie – wie kam der denn in den Krankenbau? Ging der zu Fuß, wurde der...

Zeuge Hermann Reineck:

In so einem Fall haben andere Häftlinge den dann auf Block 28 gebracht, wo die Aufnahme war. Und dann ist er eben zu uns auf 21 gekommen und...

Vorsitzender Richter:

Dort gestorben.

Verteidiger Reiners:

Dort gestorben. Jetzt die letzte Frage. Bitte?

Sprecher (nicht identifiziert):

Ist das der Häftling gewesen?

Verteidiger Reiners:

Darum rede ich die ganze Zeit: ob er wirklich das ist, ob er nicht von den vielen Fällen, die er gesehen hat, das vielleicht verwechselt. Jetzt noch die letzte Frage.

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Verteidiger Reiners:

Welche Zeit lag dazwischen, wo die Tätlichkeit von Kaduk an dem Häftling passierte, die Sie gesehen haben, weil Sie dabeistanden bei der Häftlingsschreibstube, bis der dann nachher bei Ihnen im Krankenbau gestorben ist?

Zeuge Hermann Reineck:

Das war den nächsten Tag.

Verteidiger Reiners:

Am nächsten Tag. Das wissen Sie auch ganz genau?

Zeuge Hermann Reineck:

Das weiß ich genau.

Verteidiger Reiners:

Ich habe keine Fragen mehr.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Naumann.

Verteidiger Naumann:

Herr Zeuge, ich habe nur eine Frage.

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte.

Verteidiger Naumann:

Sie nannten bei Ihrer Vernehmung und dann auch vorhin auf die Frage des Herrn Vorsitzenden den SDG Schattkus.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Naumann:

Jetzt möchte ich gern von Ihnen wissen: Können Sie sich daran erinnern, wann Schattkus im HKB war, insbesondere, ob er etwa im Frühjahr 1943 im HKB war?

Zeuge Hermann Reineck:

Na, Moment einmal. Das ist jetzt eine Geschichte. Das kann ich jetzt nicht genau sagen. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, daß Schattkus eigentlich kurze Zeit Sanitätsdienstgrad im Krankenbau war und später den Desinfektoren zugeteilt wurde.

Verteidiger Naumann:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Keine Frage mehr? Herr Rechtsanwalt Göllner.

Verteidiger Göllner:

Herr Zeuge, Sie haben einen Vorfall geschildert, wo Klehr bei einer Exekution im Block 11 mit tätig gewesen sein soll und soll dann mit umgehängtem Gewehr in Ihre Schreibstube gekommen sein.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Göllner:

Bei einer früheren Vernehmung haben Sie geschildert, daß dieser Vorfall sich so [zugetragen] habe, daß der Lagerarzt Doktor Entress mit Klehr in Ihre Schreibstube gekommen sei. Ist das richtig?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja.

Verteidiger Göllner:

Sie haben nur nachher auf Vorhalt nicht mehr gewußt, ob der Doktor Entress ebenfalls ein Gewehr umgehängt gehabt haben soll.

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, das weiß ich nicht.

Verteidiger Göllner:

Sie haben weiter heute gesagt, die meisten Selektionen im HKB wurden durch die Ärzte durchgeführt. Können Sie die Ärzte namentlich anführen noch?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, vor allem Doktor Entress, Doktor Rohde, Klein, Meyer. Wer war noch? Ich weiß nicht. Die habe ich in Erinnerung.

Verteidiger Göllner:

Danke schön. Sie haben gesagt auf die Frage des Herrn Vorsitzenden, ob Klehr auch Kinder durch Injektionen getötet habe, Sie wüßten das deshalb genau, weil Sie ihn in den Krankenbau hineingehen gesehen haben. Aber der Vorfall der Kinder-Injektionen wird nach der hiesigen Hauptverhandlung von fast allen Zeugen erst auf einen späteren Zeitpunkt gelegt. Ist das nicht ein Irrtum, daß Sie Klehr mit diesen Kindertötungen zusammenbringen?

Zeuge Hermann Reineck:

[Pause] Ja, ich weiß nicht, ich glaube, daß das im Sommer 43 war. Und damals war also Klehr noch hier. Das ist mir schon in Erinnerung, daß das in Zusammenhang mit Klehr noch war. [...] Denn nach Klehr ist Nierzwicki in den Krankenbau als Sanitätsdienstgrad gekommen. Und damals war das nicht. Denn wie Nierzwicki gekommen ist, war ich Blockältester auf Block 9. Also da kann ich nicht davon wissen. Es kann also nur zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als noch Klehr da war, denn damals war ich in der Häftlingsschreibstube. Und von der Häftlingsschreibstube haben wir doch in Block 20 herübergesehen beziehungsweise in den Hof. Das ist nicht möglich, daß das nachher war, weil ich eben dann nicht mehr auf Block 21, sondern auf Block 9 war.

Verteidiger Göllner:

Sie sagten, das wäre im Sommer 1943 gewesen. Und auf die Frage des Herrn Vorsitzenden haben Sie heute morgen gesagt, Klehr wäre im Spätfrühjahr 1943 abgelöst worden. Also muß doch die Ablösung vor diesem Kinder-Fall gewesen sein.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich glaube, daß ich gesagt habe, im Spätfrühling oder Sommer 43.

Verteidiger Göllner:

Ja, ja, ja, so haben Sie gesagt. Das ist richtig.

Zeuge Hermann Reineck:

Natürlich, jetzt nach 20 Jahren einen genauen Termin noch zu sagen – ich glaube, daß sich da bei jedem Menschen, vor allem, wenn man also dort diese Eindrücke bekommen hat, verschiedene Sachen verwischen. Und man kann genaue Zahlen nicht mehr sagen.

Verteidiger Göllner:

Eine letzte Frage habe ich noch an Sie, Herr Zeuge. Sie haben den Phlegmone-Fall geschildert. Waren Sie selbst dabei bei diesem Fall, oder haben Sie das vom Hörensagen gehört?

Zeuge Hermann Reineck:

Nein, nicht nur diesen, sondern auch ähnliche Fälle habe ich selbst mit angesehen.

Verteidiger Göllner:

Als Assistent von Klehr, oder wie?

Zeuge Hermann Reineck:

Man hat die unterernährten Menschen im Lager als »Muselmänner« bezeichnet. Und daß solche »Muselmänner« oder Kranke, wo die voraussichtliche Krankheitsdauer also noch längere Zeit gedauert hat, auf eigene Initiative von einem Sanitätsdienstgrad ausgewählt worden und zum »Abspritzen« gebracht worden sind, solche Fälle sind ja nicht einer, sondern das waren ja Hunderte.

Verteidiger Göllner:

Gut.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Fertig.

Verteidiger Fertig:

Herr Reineck, wenn ich Sie richtig verstanden habe, waren Sie im HKB auch einmal Blockältester.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Fertig:

In welchem Block waren Sie Blockältester?

Zeuge Hermann Reineck:

Auf Block 9.

Verteidiger Fertig:

Und wann war das?

Zeuge Hermann Reineck:

[Pause] Das war kurze Zeit. Ich kann es auch nicht mehr genau sagen, ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Der Zeuge hat vorhin gesagt, er war in der Schreibstube bis etwa Frühjahr 1943. Dann wurde er Blockältester in Block 9. So war vorhin seine Angabe.

Verteidiger Fertig:

Ja, und Blockschreiber waren Sie damals auf Block 21?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Verteidiger Fertig:

Waren Sie auch an Weihnachten 1942 auf

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Da war ich im Krankenbau in der Schreibstube.

Verteidiger Fertig:

In Block 21?

Zeuge Hermann Reineck:

21.

Verteidiger Fertig:

Wer war damals in Block 21 Blockältester?

Zeuge Hermann Reineck:

[Pause] Das weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nicht erinnern. Also der Verantwortliche der Schreibstube, das war noch Frolik. Oder war das schon Paczula? D as weiß ich nicht genau. Aber jedenfalls, da ist eben dann der Wechsel gekommen.

Verteidiger Fertig:

Könnte es Martini gewesen sein?

Zeuge Hermann Reineck:

[Pause] Ich weiß nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, war Martini nicht auf Block 20?

Verteidiger Fertig:

Ich darf Ihnen weiterhelfen, wir haben

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Oder nein, Moment einmal. Martini, ja, der war auf 21.

Verteidiger Fertig:

Der Herr Martini, den wir gestern hier als Zeugen gehört haben, sagte, daß er an Weihnachten auf Block 21 Blockältester gewesen sei.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja, ja, er war auf 21.

Verteidiger Fertig:

Und auf ausdrückliches Befragen sagte der Herr Martini gestern: »In Bock 21, wo ich Blockältester war, hat Klehr an Weihnachten [1942] keine Selektion durchgeführt.« Ich halte Ihnen das vor und frage Sie, was Sie dazu zu sagen haben.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich habe es so in Erinnerung. Ich sage hier das nach bestem Gewissen, aber ich weiß nicht.

Verteidiger Fertig:

Ist es also möglich, daß Sie sich geirrt haben?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich glaube es nicht.

Verteidiger Fertig:

Oder halten Sie es für möglich, daß der Herr Martini sich geirrt hat?

Zeuge Hermann Reineck:

Ich...

Verteidiger Fertig:

Ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Wird sonst noch ums Wort gebeten?

Nebenklagevertreter Ormond:

Ich hätte eine Frage, Herr Vorsitzender, an den Angeklagten Kaduk.

Vorsitzender Richter:

Bitte schön.

Nebenklagevertreter Ormond:

Herr Kaduk, stehen Sie heute zu dem, was Sie damals bei der Gegenüberstellung mit dem Zeugen hier dem Untersuchungsrichter über den Mitangeklagten Mulka gesagt haben?

Angeklagter Kaduk:

[Pause] Ich kann mich nicht erinnern, welches Jahr das war. 1962? In welchem Jahr war das?

Nebenklagevertreter Ormond:

62.

Angeklagter Kaduk:

Kann mich nicht erinnern.

Nebenklagevertreter Ormond:

Sie haben damals, wie der Zeuge berichtet hat, erklärt: »Die Herren sollen doch für das einstehen, was sie getan haben. Der Herr Mulka war doch selbst auf der Rampe gewesen, und er hat auch die Fahrbereitschaft eingesetzt. Wieso ist der auf freiem Fuß gegen 50.000 Mark, und ich, der Kleine, muß hier sitzen?«

Angeklagter Kaduk:

Das kann möglich sein, also ich streite das gar nicht ab. Aber ich war damals so erregt gewesen. Sie wissen ja ganz genau, Herr Nebenkläger, wenn man fünf Jahre in Einzelhaft sitzt, das ist ja schlimmer wie Zuchthaus.

Nebenklagevertreter Ormond:

Ja, wollen Sie denn sagen, daß das, was Sie damals erklärt haben, daß der Adjutant auf der Rampe war, unwahr war?

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Kann ich mich nicht erinnern. Ich war damals so nervös gewesen, hatte auch einen Nervenzusammenbruch gehabt, das kann der Arzt auch bestätigen. Ich kann mich ganz genau nicht mehr erinnern. Das ist nicht...

Nebenklagevertreter Ormond:

Danke.

Vorsitzender Richter:

So. Wird von seiten der übrigen Angeklagten noch ums Wort gebeten für eine Erklärung oder eine Frage? Bitte schön.

Angeklagter Kaduk:

Herr Zeuge, ich hätte eine Frage. Welches Jahr war das gewesen, wo Sie gesagt haben? Habe ich Sie richtig verstanden, im Jahre 1943 war das, ein holländischer Jude, den ich geschlagen habe und der gestorben ist? [...]

Zeuge Hermann Reineck:

43?

Angeklagter Kaduk:

Ja, im Sommer, sagten Sie.

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Angeklagter Kaduk:

Frühsommer, Spätsommer, Herbst? Können Sie vielleicht nicht sagen?

Zeuge Hermann Reineck:

Bitte? Ich verstehe nicht richtig.

Angeklagter Kaduk:

Ob es Frühjahr war oder im Sommer oder?

Zeuge Hermann Reineck:

Es war schönes Wetter, es war warm.

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Na, schönes Wetter haben wir auch im

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Es war Frühjahr oder Sommer.

Angeklagter Kaduk:

Na, im August?

Zeuge Hermann Reineck:

August, bitte, ja.

Angeklagter Kaduk:

Oder wie? Ja, ich weiß es nicht, wann.

Zeuge Hermann Reineck:

Ich weiß nicht konkret genau mehr.

Angeklagter Kaduk:

Ich kann mich nicht erinnern. Und gerade zu dieser Zeit habe ich in Glatz gelegen, da war Malaria. Welche Nummer

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wann waren Sie wegen...

Angeklagter Kaduk:

1943.

Zeuge Hermann Reineck:

Aber Herr Kaduk, solche Fälle sind doch nicht einmal vorgekommen.

Angeklagter Kaduk:

Das streite ich nicht ab. Das ist öfters vorgekommen, bei Kaduk oder bei [unverständlich]

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Na, dann wollen wir uns doch nicht um den Termin streiten.

Angeklagter Kaduk:

Ja, das geht ja hier um den Totschlag. Das kostet ja was. Das ist ja nicht so einfach. Ich meine...

Zeuge Hermann Reineck:

Also wenn es sowieso zugegeben wird, nicht.

Angeklagter Kaduk:

Was heißt zugegeben? Ob er gestorben ist, nachher? Ja, das ist öfters bei Kaduk passiert und bei den Blockführern auch

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Es ist doch nicht einer an den Folgen Ihrer Schläge gestorben.

Angeklagter Kaduk:

Das müssen Sie mir erst einmal beweisen, ob der gestorben ist. Denn in 14 Tagen habe ich ihn wieder erwischt, auf einem anderen Kommando. Was sagen Sie dazu? Und dann habe ich eine Meldung geschickt.

Vorsitzender Richter:

Wen? Wen haben Sie erwischt gehabt?

Angeklagter Kaduk:

Den Häftling. Herr Direktor, es war so gewesen. Wenn die einmarschierten ins Lager, dann haben wir die Anweisung bekommen, daß heute gefilzt wird. Da sind wir raus meistens, ich, Hartwig oder Clausen. Und da haben wir uns immer vier Blockführer mitgenommen. Und wir haben gesucht. Wir haben ja den Häftlingen gesagt, was sie »organisieren« draußen im Außenkommando, sollen sie da essen, draußen. Sie sollen nichts ins Lager reinschleppen. Und meistens ging es hier um Alkohol. Wir hatten einmal erwischt Häftlinge, glaube ich, vier Häftlinge. Da haben wir vielleicht so 18 Flaschen erwischt, Alkohol, und welche haben davon getrunken. Methylalkohol war das gewesen. Und die sind dann gestorben.

Dann wurde immer gefilzt beim Einmarsch. Aber die Häftlinge, die standen nicht. Beim Einmarsch haben wir sie gefilzt. Wir konnten vorne die Zählung nicht aufhalten, und da haben wir sie gefilzt. Meistens war es immer so gewesen, Herr Vorsitzender, wenn es das erste Mal gewesen war, dann haben wir sie gewarnt. Also ein zweites Mal, haben wir gesagt, kriegen sie eine Meldung. Es ist auch passiert, daß wir ihnen eine Ohrfeige oder zwei Ohrfeigen gegeben haben. Das streite ich ja gar nicht ab. Das streite ich gar nicht ab. Das ist auch öfters passiert, bei Kaduk, bei den anderen Blockführern, Rapportführern auch.

Da hätte ich eine Bitte: Können Sie vielleicht den Namen sagen oder die Nummer von dem holländischen Häftling?

Zeuge Hermann Reineck:

Na, das kann ich heute nicht mehr sagen, das ist [unverständlich]

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also Kaduk, Sie waren doch in Auschwitz vom Juni 1942 bis zum Schluß.

Angeklagter Kaduk:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Mit Unterbrechung vom 25.10. bis 20.11.42 und von Mitte August 43 bis zum 28. September 43. Nun sagt der Zeuge, es war Frühling oder Frühsommer gewesen, es war schönes Wetter, es war warm. Warum muß das ausgerechnet zwischen Mitte August 43 und dem 28. September gewesen sein?

Angeklagter Kaduk:

Ja, ich frage, ob es richtig ist. Ich weiß es ja nicht.

Vorsitzender Richter:

Oder haben Sie diesen Fall noch in Erinnerung vielleicht?

Angeklagter Kaduk:

Da kann ich mich nicht erinnern. Ich wollte nur fragen, ob es richtig ist, ob der Häftling die Nummer 63.387 gehabt hat. Kann sich vielleicht der

Zeuge Hermann Reineck [unterbricht]:

Das ist meine Nummer.

Angeklagter Kaduk:

Ihre Nummer? [lacht]

Zeuge Hermann Reineck:

Das ist meine Nummer. [Gelächter im Gerichtssaal] Die vergesse ich nicht.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Na, meine Herrschaften, ich bitte, nicht zu lachen hier, da gibt es wirklich nichts zu lachen. Ja, Kaduk, was jetzt?

Angeklagter Kaduk:

Ja, ich kann mich nicht erinnern, Herr Direktor.

Vorsitzender Richter:

Sie können sich nicht mehr erinnern. Na, dann nehmen Sie wieder Platz.

Zeuge Hermann Reineck:

Darf ich dazu vielleicht noch sagen: Na sicher, es ist natürlich Alkohol auch geschmuggelt worden. Aber wenn Kaduk vielleicht das jetzt so [darstellt]– der Fall stimmt, es ist Methylalkohol ins Lager geschmuggelt worden. Und Häftlinge sind erblindet und daran gestorben. Aber ich habe so den Eindruck gewonnen, Kaduk hat also deshalb diese Visiten gemacht, damit die armen Häftlinge also nicht blind werden und sterben. Nur: So war die Geschichte nicht. Wenn einer nur ein Stück Brot oder eine Dose Sardinen von »Kanada« mitgebracht hat und man hat ihn dabei erwischt, dann hat es ihn das Leben gekostet in den meisten Fällen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Von den Angeklagten wird das Wort zur Abgabe von Erklärungen nicht mehr erbeten. Herr Zeuge, können Sie das, was Sie uns gesagt haben, mit gutem Gewissen beschwören?

Zeuge Hermann Reineck:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wollen Sie den Eid in religiöser Form oder in weltlicher Form?

Zeuge Hermann Reineck:

In weltlicher.

  1. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.154.
  2. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.155.
  3. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl.11.158.
  4. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.155.
  5. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.155.
  6. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.155 f.
  7. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.156.
  8. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.154.
  9. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.165.
  10. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.165.
  11. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.165.
  12. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.165R.
  13. Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.165R.
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