Verteidiger Gerhard Göllner
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess
»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63
Landgericht Frankfurt am Main
174. Verhandlungstag, 8.7.1965
Plädoyer des Verteidigers Göllner für Klehr
Verteidiger Göllner:
daß das Schwurgericht Frankfurt/Main diesen Mammutstrafprozeß im Gegensatz zu den überhöhten Strafanträgen der Staatsanwaltschaft und Nebenklage mit einem Urteil beenden könnte, das teils eine erheblich höhere Anzahl von Freisprüchen und Einstellungen des Verfahrens, teils zeitige Freiheitsstrafen von abgestufter Dauer zum Inhalt haben müßte. Mit meinen Mitverteidigern habe ich auf die unübersteigbaren Schwierigkeiten hingewiesen, vor denen das Schwurgericht bei der Beweiswürdigung und der Beweisnot der Angeklagten steht, die Unterlagenmaterial nicht verwerten können, das ihnen in Gestalt von gKdos-Befehlen, Telegrammen, Funksprüchen und Fernschreiben in Auschwitz vorgelegen hat, ehe das Konzentrationslager Auschwitz im Januar 1945 geräumt wurde und vorher aufgrund eines Geheimbefehls das überwiegende Dokumentenmaterial durch Brand vernichtet werden mußte.
Eine völlig neue und für die Entscheidung des Schwurgerichts Frankfurt bedeutsame Meldung bringt die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« am 3. Juli 1965 auf Seite 3 – ich habe sie dem Schwurgericht bereits übertragen –, wonach in Wien zwei Dokumentensammlungen aus der NS-Zeit veröffentlicht worden sind: erstens eine hier in diesem Prozeß nicht interessierende Untersuchung über den Putsch gegen Dollfuß vom Juli 34 und zweitens, für diesen Prozeß von wesentlicher Bedeutung, das Kriegstagebuch des Kommandostabes des Reichsführers SS vom 16.6. bis 31.12.41 mit Tätigkeitsberichten mehrerer SS-Kommandos.[1]
Die Frankfurter Zeitung schreibt in dieser Meldung, daß das Kriegstagebuch und die Tätigkeitsberichte von SS-Einheiten aus dem Schloß Zásmuky bei Kolin stammen, wohin die Reichsführung SS während der letzten Kriegsjahre umfangreiche Archivbestände verlagert hatte. In ihnen ist der Einsatz von SS-Einheiten und -»Sonderkommandos« zu Sicherungs-, Säuberungs- und sogenannten Befriedungsaktionen in den Gebieten hinter der Front bis ins Detail beschrieben. Da auch Namen von zahlreichen SS- Leuten, die an blutigen »Sonderkommandos« teilnahmen, in den Tätigkeitsberichten erwähnt werden, interessieren sich auch die Justizbehörden für diese Unterlagen. Und die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« berichtet weiter, daß Abschriften dieser Unterlagen schon vor Monaten, als sie aus Prag nach Wien kamen, an das österreichische Innenministerium und an die Zentralstelle Ludwigsburg weitergeleitet worden sind.
Ich beantrage heute zum Nachweis der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten Hofmann in dem auf Veranlassung von Rechtsanwalt Doktor Morgen gegen Grabner anhängig gemachten Strafverfahren und zum Beweise, daß die Angeklagten Hofmann und Klehr nur auf Befehl des Reichsführers SS und des WVHA gehandelt haben, ferner zum Beweis für die Behauptung der Verteidigung, daß Befehlsverweigerungen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden waren und daß bei Befehlsverweigerung außerdem die Versetzung zu den sogenannten SS-Knochenstürmen in Dachau und Buchenwald angeordnet werden konnte, die Beiziehung der oben bezeichneten Tätigkeitsberichte von der Zentralstelle in Ludwigsburg. Ich bitte, über diesen Antrag, der eilbedürftig sein dürfte, noch heute zu entscheiden.[2]
Hohes Gericht, ich beabsichtige nicht, in meinem Plädoyer für Klehr eine ausgiebige Durchkämmung der Zeugenaussagen zu veranstalten, weil ein solches Unterfangen zeitlich einen exorbitanten Umfang [+ hätte] und für die entscheidenden Rechtsfragen ohnedies ohne jede Bedeutung wäre. Jedoch möchte ich in Ergänzung meines Plädoyers vom 18.6.1965 noch einige Leitsätze herausstellen, die bei der Urteilsfindung Beachtung finden müssen.
Ein Urteil darf sich nicht auf vermeintliche und gedachte Schuldfeststellungen, Kombinationen, Hypothesen und Vermutungen stützen und keine Verdachtsstrafen aus Gelegenheitsbeobachtungen auswerfen oder auf reinen Schlußfolgerungen beruhen. Dieser Kardinalsatz des früheren Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs – abgedruckt in NJW 57, 1.643, NJW 55, 172[3], und in einem ausführlichen Aufsatz von dem Senatspräsidenten am Bundesgerichtshof, Jagusch, in NJW 62, 1.645[4], behandelt – muß bei der Auswertung der Beweisaufnahme streng beachtet werden. Auch beachtet werden bei Dingen, die hier von der Verteidigerbank herkommen und die zunächst mit Kopfschütteln behandelt werden, deren tieferer Sinn sich aber offenbart, wenn man beispielsweise vergleicht unseren Frankfurter Auschwitz-Prozeß, der parallel läuft zu dem Treblinka-Prozeß in Düsseldorf, in dem die »Aktion Reinhard« zur Sprache kommt, die an perfider Zielstrebigkeit nicht ihresgleichen hat, benannt nach dem ehemaligen SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich.[5] Sie war der Deckname für die »Endlösung der Judenfrage«.
Treblinka, im Gegensatz zu Auschwitz, hatte noch drei weitere Lager dieser »Reinhard-Aktion«, nämlich Majdanek, also Lublin, Belzec und Sobibór. In der Nähe von Treblinka gab es im Gegensatz zu Auschwitz keine Fabriken. Der Tod machte dort nicht Station. Dort gab es nur ein Ziel: sofort mit geringstem Aufwand die höchste Zahl in kürzester Zeit zu töten. In 14 Monaten gelang es dort, 700.000 europäische Juden zu töten. Dieser Gegensatz ist für Auschwitz von großer Bedeutung, deshalb habe ich ihn mit an den Anfang meiner Ausführungen gestellt.
Herr Staatsanwalt Doktor Kügler hat gegen den von mir verteidigten Angeklagten Klehr am 20.5.1965 lebenslängliches Zuchthaus wegen einer unbegrenzten Anzahl von Fällen der Mittäterschaft des Mordes nach den Ziffern 1, 2, 3a bis 3i des Eröffnungsbeschlusses beantragt und bei den Ziffern 3k und 4 – Quälen mehrerer Häftlingspfleger auf dem Dachboden eines Blocks des HKB durch »Sportmachen« und hierdurch verursachter Tod des Häftlings Rudek und Doktor Samson – betont, daß Lücken im Gesamtgeschehensablauf offenbleiben. Bei Ziffer 5 – im Mai oder Juni 44 eine ältere Jüdin mit ihrer Tochter in eine Brandstelle beim Krematorium gestoßen zu haben – bezeichnete er den Zeugen Putzker, der am 4.6.64 vernommen wurde, als desorientiert mit seinen Ortsangaben und hielt seine Aussagen für eine Verurteilung nicht geeignet. Daher dürfte wohl im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, 2, 246[6], und BGH in »Monatsschrift für Deutsches Recht«, 1962, 319[7], ferner Aufsatz von Niese in »Juristenzeitung«, 1951, Seite 21, insoweit Freispruch erfolgen müssen.[8] In anderem Zusammenhang, wenn ich mich kurz mit den überhöhten Strafanträgen meines Kollegen Raabe für die Nebenklage befasse, komme ich auf diese Entscheidungen nochmals zurück.
Betrachtet man den Werdegang, den Lebenslauf des Angeklagten Klehr, so ist für seine Jugend dominierend, daß er in einer Erziehungsanstalt in Oberschlesien als Hilfsaufseher tätig wird, in der sein Vater Angestellter war. Der dort stets lehrerhaft gegen ihn erhobene Zeigefinger ist kennzeichnend für sein späteres Dasein in Auschwitz im Schraubstock der Angst. Die ältere Generation in Frankfurt erinnert sich sicher noch heute an das Drama von Peter Martin Lampel, »Revolte im Erziehungshaus«, 1929 im Frankfurter Schauspielhaus aufgeführt, das praktisch diese Jugend von Klehr widerspiegelt.[9] Dort sagt der Hospitant zum Schluß zu den Insassen des Erziehungshauses radikal: »Schmeißt eure Vorstellungen von Menschenliebe über Bord und sucht die Schuld bei euch selbst.«
Man kann Klehr nicht als Notabel des NS-Regimes betrachten. Der Beitritt zur SS im Jahre 1932, verhältnismäßig früh, also vor der Machtüberhandnahme Hitlers, bringt ihm keine vorzeitige Beförderung oder eine Blitzkarriere wie manchem anderen Alten Kämpfer. Neun Jahre später erst wird er in Dachau zum Unterscharführer befördert, im Jahre 1941, und am 20.4.43 in Auschwitz wird er zum Oberscharführer befördert.
Schon dieser Entwicklungsgang innerhalb der SS zeigt evident, daß man Klehr keine Meriten innerhalb dieses Regimes nachsagen kann. Das hatte einen sehr einfachen Grund, den wir hier innerhalb der langen Hauptverhandlung auch feststellen konnten: Klehr war nicht wendig genug, kontaktarm, konnte keine Register ziehen. Er war pedantisch und schwunglos, für Improvisationen nicht begabt und stets im Zwielicht und Zwitterschein stehend. Doktor Paczula, der gedächtnisstarke polnische Arzt, hat ihn als In dividuum bezeichnet, dessen Fähigkeiten und Kenntnisse sehr begrenzt seien.
Allerdings geht es zu weit, in Klehr, wie es mein Kollege Ormond getan hat, einen Beinahe-Analphabeten zu sehen. Die Ereignisse haben Klehr einfach überrannt, die Schleichpfade des Schicksals waren ihm nicht geläufig. Er mag von dem Bazillus der Selbstgerechtigkeit besessen gewesen sein, die sich aus einer gewissen Gefreiteneitelkeit herleitete. Eine provokatorische Flucht aus der Einschnürung in Auschwitz gelang ihm nicht. Es war ihm nicht vergönnt, die Taue der Verankerung in das parasitäre Phenol-Henkerschicksal zu lösen und eine Rückzugsdynamik gegenüber seinen ärztlichen Vorgesetzten durchzusetzen.
Hier bereits muß ich mit verschiedenen Unbekannten arbeiten, erstens den durchweg nicht mehr lebenden früheren ärztlichen Vorgesetzten von Klehr und seinem permanenten Spannungsverhältnis zu ihnen, zweitens den Zeitangaben von Klehr über seine einzelnen Tätigkeitsbereiche in Auschwitz ab 1941.
Bald nach seiner im Oktober 1941 in Auschwitz erfolgten Ankunft eckt Klehr mit dem Standortarzt Doktor Dienstbach bei der Weihnachtsfeier 1941 an, wird mit Theuer nach Meldung beim Kommandanten in den Arrestkeller des SS-Reviers auf eine Woche gesperrt und mit Entzug des Weihnachtsurlaubs bestraft. Lagerarzt Doktor Entress hat diesen Vorfall stets als Grund für seine Animosität gegen Klehr bezeichnet, der ihm erklärt hatte, er könne persönlich keine Injektionen, anfangs, durchführen.
Meldungen Klehrs zur Front werden von den Zeugen de Martini, Wilhelmy und Farber bestätigt. Schon 1940 hatte Klehr in Buchenwald eine Frontmeldung getätigt, als er dort noch Wachdienst versah. Er wurde als Sanitäter nach Dachau versetzt. Auf eine erneute Frontmeldung in Dachau erhält Klehr als Quittung die Strafversetzung nach Auschwitz. Je eine erneute Frontmeldung in Auschwitz im Dezember 1941 und nach dem Dienstantritt [+ von] Doktor Wirths sind ergebnislos.
Man muß in diesem Zusammenhang – und daher habe ich den eingangs gestellten Antrag schriftlich bereits überreicht – beachten, was in diesem Verfahren überhaupt noch nicht erörtert worden ist: daß es in Deutschland damals für die SS zur »Aufmöbelung« SS-Knochenstürme gab, für die allzu weiche SS-Angehörige ausgesondert wurden. Die Standorte hierfür waren Buchenwald und Dachau, und für Polizeiangehörige Danzig-Matzkau. Dieser Frage der Frontmeldung muß ich noch einige Betrachtungen widmen, weil sie beim Handeln auf Befehl, § 47 Militärstrafgesetzbuch, beim Nötigungsstand und beim Putativnotstand immer wiederkehrt und in der Rechtsprechung in der Rubrik »blinder Gehorsam« und »blinder SS-Treueid« eine überspannte Einstufung erfährt, NJW 52, 834[10], auch abgedruckt in BGHSt 2, 251[11] und 3, 271[12], letztere Entscheidung ist abgedruckt in NJW 1953, 112[13].
In der Entscheidung des BGH 1961, 373 beschäftigt sich unser höchster Gerichtshof mit dem völkerrechtlichen Grundprinzip »tu quoque« – einer Angelegenheit, der Herr Kollege Doktor Laternser in seinem Grundsatzplädoyer einen breiten Raum eingeräumt hat – und untersucht, ob die Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung in Dresden, Darmstadt, Hamburg und Freiburg, auch etwaige Zustände in Lagern nach 1945 in Polen, Lamsdorf und Potulice, als Rechtfertigungs- oder Kompensationsgesichtspunkte vorgebracht werden können, und kommt, mit Ausnahme des von dem Internationalen Militärgerichtshof in München, Verzeihung, in Nürnberg behandelten U-Boot-Falles Dönitz, zu einem negativen Ergebnis und legt weiter dar, daß ein blinder Befehlsgeber den blinden Befehlsempfänger nicht von der Verantwortung befreit.[14] Ich komme auf diese Entscheidung in anderem Zusammenhang nochmals zurück, weil der Bundesgerichtshof auf eine Entscheidung des Schwurgerichts Frankfurt/Main eine völlig diametral entgegengesetzte Entscheidung zum »blinden Gehorsam« gefällt hat.
Der am 14.9.1964 vernommene Zeuge Lorenz hatte berichtet, mit 23 Mann von der Front nach Auschwitz gekommen zu sein. Er berichtete, daß sie sich bei Höß gemeldet hätten, der ihnen erklärte: »Wenn ihr nicht ruhig seid, stecke ich euch dahin, wo es euch paßt.« Der Zeuge erklärte: »Der hätte uns schließlich eingesperrt«, und berichtete dann von einem Stralsunder Bekannten, dem es gelang, sich zu seiner durch Auschwitz fahrenden Fronteinheit abzusetzen. Und dieser Stralsunder wurde zurückgeholt; sein weiteres Schicksal blieb unbekannt.
Der am 13.8.1964 vernommene Zeuge Studienrat Kieselbach bekundete, sich zur Front gemeldet zu haben. Solche Gesuche wurden anfangs entweder abgelehnt, später schlechthin untersagt mit dem Hinweis: Auschwitz sei Frontdienst.
Der Zeuge Kraftfahrer Christoph, vernommen am 7.8.1964, meldete sich 1943 zur Front. Sein Gesuch wurde beim Abendappell ohne jede Begründung abgelehnt.
Schon diese Hinweise sollten ausreichend sein für die Widerlegung der These der Staatsanwaltschaft und Nebenklage, daß eine Befehlsverweigerung nur mit schlechten Zensuren oder mit harmlosen Versetzungen geahndet worden wäre, nicht aber mit Gefahr für Leib und Leben.
Hohes Gericht, in diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß hier so häufig die Posener Rede von Himmler vom 4.10.1943[15] von der Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung zitiert worden ist, ohne daß das Auseinanderklaffen dieser Rede in ihre beiden Grundteile für Offiziere und für die einfachen Männer herausgestellt worden wäre. Der politische und militärische Hochadel konnte sich allerdings von der schmutzigen Arbeit zurückziehen; und dies bestätigt Himmler in seiner Posener Rede vor seinen SS-Generälen für den besonderen Fall. Aber bei niederen Dienstgraden – Himmler differenziert hier sehr exakt – ist dies etwas anderes; Befehl bleibt hier Befehl. Himmler sagte in Posen wörtlich: »Gehorsam wird im soldatischen Leben morgens, mittags und abends gefordert und geleistet. Der kleine Mann gehorcht auch immer oder meistens. Gehorcht er nicht, so wird er eingesperrt.« [16]
Die Wege, sich dem Befehl zu entziehen, waren nicht so gangbar, wie einige Zeugen nach dem Kriege behaupten. Bei Untersuchung jedes Einzelfalles kann man sehen, daß Gehorsamsverweigerungen fast unmöglich waren oder überhaupt nicht erfolgten. Wenn die Frontmeldung oder Gehorsamsverweigerung so leicht gewesen wären, wäre es unverständlich, warum die Widerstandskämpfer nicht mit offenem Visier damals aufgetreten sind.
Der Zeuge Oberst van Velsen bekundete auf Vorhalt des Kollegen Ormond, ein Unterscharführer Schwarz weigerte sich, die Erschießung von Juden durchzuführen. Zwei Tage später war er weg. Der Zeuge hat gehört, daß SS-Leute, die sich zur Front meldeten, wie Fremdenlegionäre behandelt wurden und sofort nach vorn zur Front gebracht wurden. In diesem Zusammenhang darf ich auf die Bekundung des Rechtsanwalts Osthues, früher beim SS- und Polizeigericht Krakau, hinweisen, der am 29.3.1965 bekundete, daß die Fälle von Befehlsverweigerung nach eigenen Spielregeln im Rahmen des Himmelfahrtskommandos zu Dirlewanger geregelt wurden.
Bei dem Fragenkomplex ist bisher mit keinem Wort auf den rein äußeren Verlauf einer solchen Frontversetzung im außernormativen Bereich von Auschwitz eingegangen worden. Großer Dienstanzug, umgeschnallt, große Begrüßungszeremonie vor dem Kommandanten oder Standortarzt, das war der Verlauf einer solchen Sache. Mußte Klehr bei dienstlichen Gelegenheiten sich bei Doktor Entress melden, so kann man sich unschwer vorstellen, wie der Hagel des Mißvergnügens über dem in strammer Haltung vor dem Vorgesetzten Angetretenen sich ergoß, mit den damals üblichen Einsprengseln in herausforderndem Frageton, ob man wohl zu weichlich sei für die vom Führer befohlene »Ungezieferbekämpfung«, in Anführungsstrichen, und mit Drohungen mit Knochensturm und den sonstigen braunen Lieblichkeiten.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß der von dem höchsten polnischen Staatsgerichtshof freigesprochene Lagerarzt Doktor Münch im Römer am 2.3.1964 bekundet hatte: Wenn man erst einmal in Auschwitz verstrickt war, war es nach dem Reglement der Kommandantur unmöglich, sich dort herauszuhalten und normal zu reagieren. Weiter erinnere ich in diesem Zusammenhang an die Schilderung von Rechtsanwalt Doktor Morgen über ein Urteil des Obersten SS- und Polizeigerichts im Jahre 1943 gegen den Obersturmführer Täubner, wonach alle Aktionen des Angeklagten Täubner gegen Juden als »minderwertige Rasse« außer Betracht zu bleiben hatten.[17]
Im übrigen pflegten die SS- und Polizeigerichte nicht, wie wir es hier von einigen Zeugen erlebt haben... Ich habe versucht, scheu und behutsam bei einem Zeugen von Riga eine Erinnerung aufzufrischen, die mir nicht gelang. Es ging soweit, versichere ich Ihnen, daß [dieser] Mann, mit dem ich während des Krieges in Riga als Jurist befreundet war, mir draußen in dem Behandlungszimmer, in dem Wartezimmer, sagte: »Ich kenne Sie nicht mehr.« Die SS- und Polizeigerichte gegenüber einem Mann, der defätistische Bedenken hatte, waren nicht sparsam. Die pflegten nicht lange zu fackeln. Sie hatten Leute abzuurteilen, die durch besonderen Treueid gebunden und höchste Geheimnisträger waren.
Ich komme nunmehr auf den großen Unbekannten, Hohes Gericht, Herrn Doktor Entress, den zum Tode verurteilten und hingerichteten Lagerarzt Doktor Entress, von dem ich zunächst einige Parerga bringen möchte, damit Sie die Stellung des von mir verteidigten Angeklagten Klehr in das richtige Bild ziehen können.
Langbein hat als Zeuge am 6.3.1964 Doktor Entress als schlimmsten Lagerarzt bezeichnet, den er je kennengelernt hätte. Doktor Klodzinski, polnischer Facharzt, am 15.5. und 22.5.1964 vernommen, hat Doktor Entress als den größten Mörder schlechthin bezeichnet: zynisch, streng und stets nachtragend. Der Zeuge Ludwig Wörl, vernommen am 6.4.1964, hat erklärt: »Die Wut des Doktor Entress auf Klehr war fürchterlich.« Und der Zeuge Lill, der keinen Strich getan hat, um auch nur Klehr entlasten zu wollen, hat am 18.9.1964 erklärt: »Doktor Entress war ein ärztliches Ungeheuer.«
Doktor Glowa, 30.9.1964, berichtete, daß Doktor Entress die Tötungsmethode von Menschen mit Phenolinjektionen im Lager eingeführt und organisiert habe. Doktor Snieszko, vernommen am 11.1.1965, bezeichnete Doktor Entress als »sogenannten Arzt«, der die Selektion vom 11.12.41 bis März 43 durchführte. Doktor Entress kam dann nach Monowitz, also im März 43 – dieses Datum ist für die Behandlung gewisser, gegen den Angeklagten erhobener Vorwürfe von großer Bedeutung –, und kam von Monowitz am 20.10.43 nach Mauthausen.
Es erscheint mir bedeutsam, obwohl diese Urkunde seinerzeit hier vom Schwurgericht verlesen worden ist – über die Verhältnisse in Monowitz –, die entscheidenden Phasen hier nochmals wörtlich zu wiederholen, die sich auf Blatt 3.570 befinden und aus denen man bedeutsame Rückschlüsse auf die Verhältnisse im HKB des Stammlagers Auschwitz ziehen kann: »Die Anzahl«, heißt es da, »der in Monowitz vorhandenen Krankenblocks im Verhältnis zu der Belegung des gesamten KL Monowitz ergab praktisch, daß nicht mehr als etwa fünf Prozent der Häftlinge Aufnahme finden konnten. Es wurden Tabellen über den Krankenstand geführt. Wenn der Krankenstand über die genannten fünf Prozent anstieg, mußte der Lagerarzt Selektionen vornehmen. Selektionen in Monowitz fanden im Krankenbau durch den Lagerarzt statt. Vor meiner Tätigkeit, als der verantwortliche Lagerarzt für Monowitz, selektierte Doktor Hellmuth Vetter. Nachdem ich Monowitz im Oktober 43 verlassen hatte, selektierte mein Nachfolger, Doktor Fischer. Die selektierten Häftlinge wurden in das Stammlager Auschwitz gebracht und in den meisten Fällen nach Birkenau zur Vergasung.« [18]
Kein Wort findet sich in dieser Darstellung von Doktor Entress von einer Tätigkeit von Nierzwicki oder von Klehr bei diesen Selektionen. Sondern Doktor Entress übernimmt die Zuständigkeit für die Durchführung der Selektionen in Monowitz persönlich. Gegen diesen Vorgesetzten Doktor Entress war Klehr ein Mann mit subalternen Eigenschaften, wie man in der Soldatensprache zu sagen pflegte, ein kleines Würstchen.
Der Krankenbau war nach Wörls Schilderung am 6.4.1964 die Domäne der Lagerärzte, insbesondere von Doktor Entress. Der britische Historiker Reitlinger, das darf ich abschließend hierzu noch sagen, stellt in seinem Buch »Die Endlösung« auf Seite 130[19] fest, daß mit Entress' Versetzung nach Monowitz die Phenolinjektionen im HKB in Auschwitz eingestellt worden sind, also mit dem März 1943.
Hohes Gericht, damit bin ich bei dem zweiten Problem im Falle Klehr angelangt: seiner immer wieder betonten Abberufung aus dem Dasein als SDG im Juli 1942 und Ablösung durch Scherpe und seiner dann anschließenden Tätigkeit als Leiter der Desinfektion bis 1943, ohne in dieser Zeitspanne noch mit seinen Nachfolgern Scherpe, Nierzwicki und Hantl in arbeitsmäßiger Kooperation zu stehen, schließlich seiner Tätigkeit als Desinfektor in den Nebenlagern und seiner Versetzung nach Gleiwitz im Frühjahr 44, bestätigt von dem Zeugen Farber am 2. und 3.10.1964.
Wenn diese zeitlich genau abgegrenzte Einlassung von Klehr zutreffend sein sollte, so wären viele Belastungen gegen ihn aus der Zeitspanne zweites Halbjahr 42 bis einschließlich erstes Halbjahr 43 unrichtig. Klehr beruft sich für die Richtigkeit seiner Einlassung immer wieder auf den Funkspruch des WVHA vom 22.7.42, wonach Zyklon B für die Lagerdesinfektion wegen der ausgebrochenen Typhusepidemie von Dessau heranzubringen war, und auf den Kommandanturbefehl Höß' vom 23.7.42, Nummer 19/42, der die Desinfektion des Lagers und die Lagersperre für die SS anordnete, nachdem bekanntlich zwei Frauen von SS-Führern in Auschwitz infolge Typhusinfektion verstorben waren.[20]
Die gegen Klehr ins Feld geführten Argumente betreffen erstens die Selektion des Blocks am 29.8.42 und zweitens eine angeblich Weihnachten 1942 durch Klehr vorgenommene Selektion von 30, 100 oder 200 Häftlingen. Ich habe diese Zahl so gestaffelt gesagt, weil die Zeugen darüber divergente Aussagen machen. Die letztere Selektion leugnet Klehr schlechthin, während er für die Großselektion am 29.8.42 geltend macht, er sei bei dieser Gelegenheit lediglich beauftragt gewesen, die sofortige Desinfektion des typhusverseuchten Blocks 20 durchzuführen, und habe sich deshalb nur zunächst im Hofe zwischen den Blocks 20 und 21 aufgehalten, um die Räumung des Blocks 20 abzuwarten.
Gegen diese Einlassung Klehrs kann eine lückenlose Beweiskette nicht gezogen werden. Wörl, vernommen am 6.4.1964, betont zwar, Klehr sei ein aktiver Räumer des Blocks 20 gewesen, weiß aber nicht, wie der Vorgang dieser »Massenauskämmung« – das ist ein Wort von Reitlinger in der »Endlösung« für diesen Vorgang am 29.8.42 – genau war, ob er von Berlin oder vom Kommandanten befohlen war. [+ Er] weiß nicht einmal, ob Doktor Entress oder Scherpe mit tätig waren.
Der Zeuge Bartsch, vernommen am 9.4.1964, meint, Klehr habe bei dieser Fleckfieber-Liquidierung Doktor Entress assistiert. Er könne sich aber nicht daran erinnern, ob und daß Klehr selbst hierbei selektierte.
Doktor Dering hat in London bei seiner Vernehmung bestätigt, Klehr habe nicht selbständig selektiert. Bei den Selektionen habe dem Doktor Entress immer ein Häftlingsarzt assistiert, der sich die Karteikarte des vorgestellten Kranken vom Häftlingsarzt vorlegen ließ, die Diagnose hörte, und dann entschied Doktor Entress allein, ob der Kranke noch Schonung erhielt oder ausgesondert wurde.
Das »Kalendarium« der Auschwitz-Hefte enthält über die Selektionen nur den Hinweis, daß ein SS-Arzt sie durchführte, nicht ein SDG. Die kleine Fußnote in den Auschwitz-Heften, daß auch gelegentlich Klehr oder andere SDGs allein Selektionen durchgeführt haben sollten, ist ohne Beweismaterial angegeben.
Der Zeuge Langbein bekundete, Klehr habe bei dieser Selektion am 29.8.42 mitgewirkt. Von der Desinfektion des Blockes 20, die Klehr auf Befehl des Standortarztes Doktor Wirths durchführte, berichtete der Zeuge Langbein nichts. Im Gegenteil, der Zeuge Langbein vertritt offensichtlich auch heute noch die Auffassung, daß für diese »Massenauskämmung« am 29.8.42 nicht Wirths, sondern Uhlenbroock als damaliger vorübergehender Standortarzt verantwortlich gewesen wäre. [Pause]
Während die Kranken noch zwischen Block 20 und 21 standen, stand nach der Behauptung von Klehr der Block 20 schon unter der Desinfektionseinwirkung von Zyklon B. Der Blockführer, nicht der SDG, habe die Überstellungsliste gehabt und die Kontrolle geführt.
Der Zeuge Doktor Paczula aus Kattowitz hat bei seiner zweiten Vernehmung erklärt, Doktor Wirths sei im August 1942 nach Auschwitz gekommen, während Klehr die Auffassung vertritt, sogar schon im Juni oder Juli 42, Langbein, wie ich vorhin schon sagt e, dagegen Doktor Uhlenbroock als den Hauptverantwortlichen an der »Auskämmung« am 29.8. festgenagelt sehen möchte. In diesem Zusammenhang darf ich abschließend und allgemein zu dem Vorgang vom 29.8.42 darauf hinweisen, daß nach den Aussagen von Doktor Fritz Klein und Josef Kramer im Belsen-Prozeß die Selektionen ausschließlich zur Kompetenz der Lagerärzte gehörten.
Ebenso ungeklärt und mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren behaftet ist die Anschuldigung gegen Klehr, er habe in Urlaubsabwesenheit von Doktor Entress Weihnachten 1942 eine Selektion von 100 bis 200 Häftlingen durchgeführt. Der Zeuge Sauer, in Wien am 25.1.1965 richterlich vernommen, bestätigt, daß Klehr im Oktober 42, als er eintraf dort, nicht mehr im Krankenbau war und nur noch mit Kaninchenzucht zu tun gehabt habe.[21]
In diesem Zusammenhang ist interessant: In der Zeitschrift »Stern«, Nummer 17 von 1965, befindet sich ein Eingesandt des Reinhard Sommer aus Worms, der ebenfalls zwischen Ende 42 und 43 in Auschwitz als Halbjude war und Klehr als den Kaninchenvater schilderte, dem man die Gerüchte, die über seine vorherige Tätigkeit im Schwange waren, unter den Häftlingen nicht glauben wollte.
Der Zeuge Sauer erklärte bei seiner richterlichen Vernehmung – und darauf muß gesteigerter Wert gelegt werden –, er wisse sicher, daß Klehr während seiner Häftlingszeit, also ab Oktober 1942, in Auschwitz im Stammlager keine Funktion innegehabt hätte.
Professor Hanák war vom 8.5.42 bis 10.11.42 im Stammlager und ab 12.5.42 im HKB als Pfleger und Leichenträger tätig. Er bestätigt, Klehr sei im Oktober 1942 nach Monowitz gekommen, und Nierzwicki sei im Oktober 42 im Stammlager gewesen. Im April 43 habe er Klehr in Birkenau getroffen, dem damals die Entlausung übertragen gewesen sei.
Klehrs Einlassung geht dahin, er habe im Sommer 1943 die Desinfektion dem Desinfektor Koch übertragen, da er die Typhusdesinfektionen in den Nebenlagern hätte durchführen müssen. Ich habe in dem heute überreichten Schriftsatz vom 7.7.1965, den ich als vorgetragen anzusehen bitte, als Hilfsantrag[22] gestellt, diesen Koch noch als Zeugen zu hören, der sich nach jüngsten Zeitungsmeldungen in Untersuchungshaft befinden soll – vielleicht aufgrund der Mitteilungen, die ich Ihnen eingangs in diesem Schriftsatz geschildert habe. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß in dem Einsatzgruppenprozeß D, der im Jahre 1966 anläuft, aufgrund dieser Mitteilungen in den letzten drei Wochen gegen 40 Verhaftungen vorgenommen worden sind.
Der Zeuge Snieszko, vernommen am 11.1.1965, kann sich an eine Selektion Weihnachten 1942 überhaupt nicht erinnern.
Der Zeuge de Martini, am 4.6.1964 vernommen, Blockältester von Block 21 vom Sommer 42 bis Februar 1943, bestätigte, daß Klehr Weihnachten 42 keine Selektionen durchgeführt hat. De Martini hat weiter allgemein bekräftigt, daß Doktor Entress mit Klehr durch den Krankenbau ging und ausschließlich selbst die Todeskandidaten durch Ablage der Fieberkurven bestimmte.
Doktor Paczula – wie gesagt, der polnische ärztliche Gedächtniskünstler – hat bei seiner ersten Vernehmung am 8.5.1964 eingeräumt, er habe als Augenzeuge nicht gesehen, daß Klehr eine Injektion mit eigener Hand d urchgeführt habe, ferner, daß er Weihnachten 42 weder bei der Selektion noch bei der Tötung Augenzeuge gewesen sei. Er habe die Todesmeldungen lediglich von Schreibern der betreffenden Blocks eingesehen und erhalten.
Doktor Glowacki, vernommen am 23. und 24.4.1964, bekundete dagegen, Klehr habe Weihnachten 42 in Abwesenheit von Doktor Entress eine Selektion an 100 Häftlingen durchgeführt. Dieser Zeuge Doktor Glowacki hat übrigens auf Vorhalt von Herrn Landgerichtsdirektor Hummerich eingeräumt, d ie Möglichkeit der Befehlserteilung von Doktor Entress an Klehr, den Block 20 von Typhuskranken am 29.8.42 zu räumen, könne nicht ausgeschlossen werden.
Abschließend sei noch bemerkt, daß sich der am 11.1.1965 vernommene Krakauer Arzt Doktor Szymansk i nicht an eine Selektion Weihnachten 42 erinnern kann. Ebensowenig kann sich der am 12.6.1964 vernommene Zeuge Doktor Tabeau an eine Selektion Weihnachten 42 erinnern.
Der Zeuge Amann, vernommen am 18.9.1964, kam im November 1942 zur Desinfektion nach Block 3. Damals war Klehr nur Desinfektor und nicht mehr im HKB tätig.
Der Warschauer Jurist Karwowski, vernommen am 3.12.1964, bekundete allgemein für Selektionen: »Die Häftlinge mußten bei Doktor Entress vorbeidefilieren, der die Karten herauszog, die die SDGs in Händen hatten.« Und schließlich bestätigte der Zeuge Doktor Löbner aus Haifa am 20.8.1964 als früherer Häftlingsarzt, daß im Sommer 43 nur Nierzwicki im HKB Auschwitz war.
Doktor Wolken, der im Römer am 24.2.1964 vernommen worden ist, kam Mitte Mai 43 ins Stammlager und stellte fest, daß Klehr in der »Sauna« mit der Desinfektion beschäftigt war. Eigene Wahrnehmungen habe er allerdings nicht gemacht. Es habe lediglich eine starke Kontroverse zwischen dem Lagerarzt und Klehr bei einer Desinfektion gegeben.
Den Schlüssel für die juristische Behandlung des Falles Klehr hat der Kattowitzer Chirurg Doktor Paczula bei seiner Vernehmung am 8.5.1964 auf Vorhalt des Herrn Präsidenten Hofmeyer eindeutig gegeben. Ob ein Arzt die Selektionen befohlen hätte. Doktor Paczula antwortete mit der aufschlußreichen und tiefsinnigen Gegenfrage: »Kann ein Häftling darauf eine Antwort geben? Ich glaube es nicht und weiß es nicht.«
In diesem Zusammenhang darf ich wörtlich zitieren einen Passus des britischen Historikers Reitlinger in seinem umfangreichen Buch »Die Endlösung«, Seite 132: »Intelligente und gebildete Menschen, die Auschwitz überlebt haben und jetzt in der Lage sind, über ihre Erlebnisse auszusagen, verdanken das in erster Linie den geschützten Beschäftigungen in den Krankenabteilungen und im Lagerbüro. Um den Tod von Lagerinsassen für Wochen hinauszuschieben, entwickelte der ärztliche Dienst der Lagerleitung einen oft riesigen Bedarf an Ärzten und Pflegepersonal aus den Reihen der Lagerinsassen.« [23]
Ich habe bereits bei meinem allgemeinen Plädoyer am 18.6.1965 darauf hingewiesen, bei der Würdigung von Zeugenaussagen in diesem Prozeß schlechthin, daß das Erinnerungsbild eines Zeugen, der verfolgt wurde, sich verschoben haben kann. Bei der Aussage des Zeugen kann Selbsterlebtes, Gelesenes oder von anderen Gehörtes sich vermischt haben, und die Zeit wird dabei das ihrige getan haben. Diese Gefahr besteht besonders bei häufiger Wiederholung des Erlebten. Die Vorgänge werden aus menschlicher Schwäche ergänzt und ausgeschmückt; später kann man sie schlecht berichtigen. Es setzt sich ein Bild von den Geschehnissen fest, wie bei Veteranen, die das Bild ihrer Kriegserlebnisse berichten.
Ich habe nicht vor, die umfangreichen Zeugenbekundungen dieses Prozesses, soweit sie den von mir verteidigten Angeklagten Klehr betreffen, einer intensiven Durchkämmung zu unterziehen. Ich will lediglich einige Parerga und Paralipomena Ihnen vorführen, die für die einzelnen Anklagepunkte von Bedeutung sind, ohne damit die Würde, die Schilderung oder die Persönlichkeiten der hier vernommenen Zeugen angreifen oder abwertend beurteilen zu wollen, was ich als taktlos empfinde. Ich will allerdings zur Abkürzung nur immer sagen: Anklagepunkt 1a, ohne noch mal den langen Passus jeweils verlesen zu müssen; das spart mir Zeit ein.
Zu dem Anschuldigungspunkt Ziffer 1a des Eröffnungsbeschlusses hält der von mir verteidigte Angeklagte Klehr die Bekundungen des Zeugen Gawalewicz, vernommen am 11.6.1964, aus folgenden Gründen für unrichtig: Er sagt, am 20.4.42 wurden 200 körperschwache Häftlinge aus dem Krankenbau des Stammlagers in die Isolierstation Birkenau auf Anordnung von Doktor Entress verlegt. Diese Verlegung ist im »Kalendarium« der Auschwitz-Hefte am 20.4.42[24] und in der Zeittafel Höß verzeichnet. Der Zeuge Gawalewicz bekundete, er sei schon innerhalb dieses Transports zum Tode bestimmt gewesen, konnte jedoch nach einiger Zeit lebend ins Stammlager zurück. Ohne Karteikarte, wie der Zeuge behauptete, war das allerdings ausgeschlossen. Die Zeugin Helene Cougno hat ja bekundet: »Für jeden Häftling wurden Aufnahmebogen ausgestellt, und bei Verlegung der Häftlinge nach Birkenau und in die Nebenlager wanderte die Karteikarte mit, bis zur Todeskartei.«
Im Mai 1943 soll die letzte Selektion durch Klehr allein erfolgt sein, wobei der Zeuge Gawalewicz in einem Schulheft die 70 Häftlinge durchstreichen mußte. Auf den Vorhalt des Herrn Präsidenten, woher der Zeuge wisse, daß diese 70 Häftlinge vergast worden seien, antwortete er: »von einer Nachricht aus der Schreibstube des Krankenbaus, daß diese 70 Häftlinge überstellt seien«. Mithin eine Bekundung vom Hörensagen.
Anschuldigung Ziffer 1b: Der Zeuge Glowa hat bei seiner Vernehmung 1946[25] die Namen Doktor Entress, Palitzsch und Scherpe genannt, nicht aber Klehr. Der Zeuge Doktor Klodzinski bekundete, Klehr habe stets Wert auf eine abgerundete Zahl gelegt. [Pause] Bei dem gespannten Verhältnis Klehrs zu Doktor Entress nach der Verbüßung der Arreststrafe ist dies als ausgeschlossen anzusehen. Ich habe schon betont, daß Doktor Entress zynisch und streng war und dem Klehr die früheren Vorgänge nicht vergessen konnte.
Zu der Anschuldigung Ziffer 1c: Zeuge Doktor Cespiva – wurde verlesen, wegen Krankheit wurde er nicht in Frankfurt vernommen – hatte behauptet, Klehr habe bei einem Transport 40 bis 50 Personen ausgesondert. Diese Darlegung und dieser Anklagepunkt ist durch das »Kalendarium« der Auschwitz-Hefte widerlegt. Doktor Cespiva kam mit Transport aus Prag am 28.1.43. Im »Kalendarium« finden wir an diesem Tage den Vermerk: »Transport aus Prag, 562 Männer und 96 Frauen«.[26] Dieser Transport aus Prag am 28.1.43 wurde in das Lager Birkenau aufgenommen und registriert wie folgt: »136 Männer erhielten die Nummern 94.476 bis 94.612. Und 424 Männer erhielten die Nummern 94.612 bis 95.038, insgesamt 560 Männer, zwei Männer waren inzwischen verstorben.« Weiter: 95 Frauen, davon war eine Frau verstorben. Die erhielten die Nummern 32.608 bis 32.703. Daher kann die von diesem Zeugen geschilderte Aussonderung überhaupt nicht durchgeführt worden
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Die Aussage ist nie verlesen worden von Doktor Cespiva.
Vorsitzender Richter:
Das ist richtig, ja.
Nebenklagevertreter Kaul:
Nie verlesen worden.
Verteidiger Göllner:
Bitte um Entschuldigung.
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich unterbrochen habe.
Verteidiger Göllner:
Ich hatte das nicht kontrolliert, ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Kaul.
Vorsitzender Richter:
Es ist darauf verzichtet worden.
Verteidiger Göllner:
Ja, ja, ja. Ich habe das nicht kontrolliert bei der Durcharbeitung.
Anschuldigung 1d, Zeuge Fiege. Diese Zeugenaussage wurde am 7.8.1964 verlesen, da der Zeuge erkrankt war. Der Zeuge wurde im April 43 in das Lager eingeliefert. Nach zwei verschiedenen Arbeitskommandos sei er in den HKB ins Stammlager gekommen. Hier muß, was ich schon ausführlich dargelegt habe, berücksichtigt werden, daß Klehr im Mai 1943 nicht mehr im HKB des Stammlagers sich befand.
Anschuldigung Ziffer 1f, Zeuge Reineck, vernommen am 5.6.1964. Der Zeuge Reineck will im September 1942 in das Lager auf Quarantäne gekommen sein, dann zum Arbeitskommando, dann in den HKB. Der Zeuge behauptet, Klehr habe an einem der Weihnachtsfeiertage 42 20 bis 30 Mann selektiert. Dieser Zeuge hat geschildert, der Häftling Szende sei zunächst im Stammlager gewesen, dann im Nebenlager Sosnowitz, dann mit Erfrierungserscheinungen ins Stammlager zurück, wo ihn Klehr am 25.4.43 selektiert habe. Nach der Zeittafel von Höß ist aber aktenkundig, daß an diesem Tage ein Nebenlager in Sosnowitz überhaupt noch nicht bestand.
Am 25.4.43 meldete die Widerstandsbewegung nach Krakau die Zahl der männlichen Häftlinge. Ich will Sie nicht langweilen, ich will das nicht einzeln hier herunterlesen. Aus dem Stammlager werden 17.037, in Birkenau 11.671, in Buna-Monowitz 3.301 – die weiteren Nebenlager will ich übergehen –, insgesamt 34.055 Häftlinge aufgeführt. Das Nebenlager Sosnowitz bestand daher am 25.4.43 überhaupt noch nicht, sondern wurde erst Ende 43, Anfang 44 aufgestellt, zusammen mit weiteren Nebenlagern rund um Auschwitz.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß am 15.1.1962 eine Gegenüberstellung von Klehr und Scherpe mit dem Zeugen Reineck[27] im Vorverfahren erfolgt ist. Bei dieser Gelegenheit bezeichnete der Zeuge Reineck Scherpe als Klehr.
Anschuldigung Ziffer 2: Die Beschuldigung gegen Klehr, er habe an Selektionen teilgenommen und Injektionen aus eigenem Antrieb getätigt, wird von Klehr entschieden in Abrede gestellt. Im Oktober 1941 fanden bereits Injektionen im HKB durch Häftlinge im Keller des Blocks 28 statt. Und zwar durch Funktionshäftlinge, Peter Welsch, Blockältester von Block 28, und einen Ambulanzpfleger mit Vornamen Felix. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang den bereits gestellten Hilfsantrag meines Schriftsatzes vom 20.4.1965.[28]
Zunächst begann man im Keller von Block 28, wo sich die Leichenhalle befand. Später wurde die Aktion auf Block 20 verlegt, wo niemand Zutritt hatte, da dort ein reiner Infektionsblock eingerichtet war. Das Wochenkontingent aus den Krankenblöcken 20, 21, 28 wurde ausschließlich von Doktor Entress festgesetzt. Die erste Phase der Typhusepidemie raffte bereits 90 Prozent der Häftlingskranken im Februar 1942 hin.
Der Zeuge Tabeau hat bei seiner Vernehmung am 12.6.1964 bekundet, Klehr habe nach einer Bombardierung von Auschwitz im Sommer 44 nach Auszeichnung einiger Häftlinge mit Blumen wegen ihres Einsatzes bei den Aufräumungsarbeiten zwei bis drei Tage später viele Häftlinge für die Gaskammer ausgesucht. Zu diesem Vorwurf gelten die gleichen Gesichtspunkte wie oben bereits vorgetragen.
Zu Ziffer 3 will der Zeuge Wörl vom Block 18 beobachtet haben, wie Klehr die Injektionen im August 1942 durchführte. Er ist in diesem Zeitpunkt von Dachau nach Auschwitz gekommen, war nur kurz im Stammlager und kam dann nach Monowitz. Auf Vorhalt von Landgerichtsdirektor Hummerich hatte der Zeuge Hanák eingeräumt, als dieser im Oktober 1942 nach Monowitz verlegt wurde, sei Wörl schon dort gewesen.
Anschuldigung Ziffer 2a, Doktor Kremer, vernommen am 4.6.1964: Klehr bestreitet entschieden, bei der Budyer Revolte am 24.10.42 mit tätig gewesen [+ zu sein] oder gar Frauen mit Phenolinjektionen getötet zu haben. Mein Kollege und Mitverteidiger Steinacker hat überzeugend ausgeführt, daß die Budyer Revolte niemals stattfand, vielmehr märtyrerhafter Dichtung entsprang.
Die Tagebucheintragung Doktor Kremers vom 24.10.42: »Sechs Frauen von der Budyer Revolte abgeimpft«, mit der Klammer: »Klehr«, wurde durch den Schriftsachverständigen Mülhause untersucht, der bei dieser Eintragung im Tagebuch eine Veränderung festgestellt hat.[29] Der Name Klehr sei zeitlich erst später eingetragen worden, wenn er auch unter Umständen von der gleichen Handschrift, also von der von Doktor Kremer, stamme. Und der Schriftsachverständige hat außerdem noch weitere Veränderungen in dem Tagebuch Doktor Kremers festgestellt.
Doktor Kremer bekundete, die »Abspritzung« einer Frau der Budy-Revolte durch Klehr beobachtet zu haben. Die Moribunden kamen, wie er sagte, in einem Raum zusammen, wo sie nochmals von Doktor Entress untersucht wurden. Wie viele Klehr selbst selektiert habe, könne er, Doktor Kremer, nicht mehr sagen, das liege zu lange zurück. Gaseinschüttungen habe Klehr nicht besorgt, sondern hierfür seien andere SS-Leute zuständig gewesen.
Die Anschuldigung Ziffer 2b bestreitet Klehr, und zwar, von Fleckfieberexperimenten von Doktor Vetter und Doktor Entress Kenntnis gehabt zu haben. Klehr hat, wie er selbst eingeräumt hat, zwei bis drei Monate lang körperschwache Häftlinge von den Arztvorstellern im Block 28 mit Phenolinjektionen getötet, auf Befehl von Doktor Entress. Die rechtlichen Darlegungen, ob insoweit Täterschaft des Mordes oder Täterschaft des Totschlages oder Beihilfe zum Mord oder Beihilfe zum Totschlag vorliegen, habe ich bereits in meinem allgemeinen Plädoyer am 18.6.1965 gemacht. Mein Mitverteidiger Herr Kollege Doktor Fertig wird sich mit diesem Rechtsproblem nochmals ausführlich nachher beschäftigen und zu dem Ergebnis kommen, daß hier allenfalls Beihilfe zum Totschlag vorliegen kann.
Während des Dienstes von Klehr im HKB sind Kranke aus den Krankenblöcken in die Isolierstation Birkenau verlegt worden. Das ergibt sich aus dem »Kalendarium« der Auschwitz-Hefte. Erstens: »Am 13.3.42 wurden 1.200 Kranke und Rekonvaleszenten, deren schnelle Wiederherstellung zur Arbeit wenig wahrscheinlich beziehungsweise aussichtslos erschien, in der Isolierstation BIb untergebracht.« [30] Und zweitens: »Am 20.4.42 erfolgte die gleiche Verlegung von 200 körperschwachen Häftlingen nach Birkenau.« [31]
Diese aus dem Wissen von Professor Fejkiel hergeleiteten Anschuldigungen können daher nach diesen Eintragungen nicht aufrechterhalten werden. In diesem Zusammenhang habe ich den Hilfsantrag im heutigen Schriftsatz[32] gestellt, den Zeugen Esformer, dessen Anschrift Sie auf Blatt 13.250 finden, zu hören.
Anschuldigung Ziffer 2c, Zeuge Glowa. Glowa war nicht Blockschreiber im Block 20, was dieser Zeuge selbst bei seiner früheren Prager Vernehmung am 30.9.46[33] bestätigt hat. Während der Tätigkeit von Klehr vom Oktober 1941 bis Juli 42 im HKB waren keine russischen Kriegsgefangenen in den HKB gekommen. Für die russischen Kriegsgefangenen war ein Krankenrevier im Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Peter Welsch war dort als Blockältester eingesetzt. Das russische Kriegsgefangenenlager durfte nur von der Lagerleitung und der Politischen Abteilung betreten werden. Klehr durfte dieses Lager nicht betreten.
Die Bekundung, eines Tages sei ein russischer Kommissar in das Behandlungszimmer von Block 20 gebracht worden, bestreitet Klehr energisch, und [+ er] hat darauf hingewiesen, daß die politischen Kommissare besonders streng von der Lagerleitung gehalten und sofort in den Arrestblock 11 gebracht worden sind.
Die Anschuldigung Ziffer 2d, Zeuge Glowa, wird dadurch widerlegt, daß Klehr im September 1942 sich nicht mehr im HKB befand.
Zur Anschuldigung Ziffer 2e, Zeuge Doktor Paczula: Hier habe ich bereits an früherer Stelle dargelegt, daß Klehr im Dezember 1942 sich nicht mehr im HKB befand. Er hat hier – wenn es auch seine Ehefrau, die als Zeugin vernommen wurde, nicht bestätigen konnte wegen der lange verflossenen Zeit – immer wieder geltend gemacht, er sei an jedem Weihnachten, mit Ausnahme von Weihnachten 1941, zu Hause in Urlaub gewesen.
Paczula war nach Auffassung übrigens von Klehr vom Oktober 41 bis Juli 42 nicht Rapportschreiber. Diese Tätigkeit übte vielmehr der Häftling Szary aus. Es mag allerdings nach der Einlassung von Klehr richtig sein, daß Paczula nach Klehrs Ablösung Rapportschreiber geworden ist.
Auf eine Frage von Herrn Amtsgerichtsrat Hotz wurde übrigens in diesem Zusammenhang festgestellt, daß die Totenmeldungen nicht der SDG unterschrieb, sondern der SS-Lagerarzt. Der SDG zeichnete die Meldungen vielmehr nur unten rechts ab.
Anschuldigung Ziffer 2g: Der Zeuge [Toch] behauptet, im Herbst 1942 von Sachsenhausen nach Auschwitz mit der Häftlingsnummer 70.231 gekommen zu sein. Das »Kalendarium« hat hier die Eintragung: »454 Männer am 25.10.42 mit den Nummern 69.879 bis 70.332 von Sachsenhausen.« [34] Der Zeuge will etwa im Frühjahr 43 Schreiber im Block 21, Krankenbau Schreibstube, dann im Herbst 44 Verwalter des Wäschemagazins im Block 28 gewesen sein. Der Zeuge behauptet mit absoluter Sicherheit, Klehr habe in seinem Beisein zwei Personen mit Phenolinjektionen getötet. Im Eröffnungsbeschluß werden noch 20 Personen angegeben. Das ist aber durch den Zeugen Kasner widerlegt, da Klehr im Jahre 1943 nicht mehr im HKB tätig war.
Anschuldigung Ziffer 2h: Diese Anschuldigung wird von Klehr entschieden geleugnet. Am 31.7.42 wurde ein Nebenlager eingerichtet in Jawischowitz, mit 3.000 jüdischen Häftlingen, die in zwei Bergwerken arbeiteten. Die Zeittafel von Höß und das »Kalendarium« der Auschwitz-Hefte bestätigen dies. Der Zeuge behauptet, eines Tages seien 15 Juden, die zum Bestand seines Blockes gehörten und im Nebenlager Jawischowitz arbeiteten und als kommandiert geführt wurden, zur ambulanten Behandlung in das Stammlager gekommen.
Das ist deshalb nach der Einlassung von Klehr unrichtig, weil das Nebenlager schon von den Firmen komplett für die Unterbringung der Häftlinge mit Krankenrevier eingerichtet war. Nur Operationsfälle kamen sofort ins Stammlager. Die Behauptung des Zeugen, Klehr habe die Verlegung dieser Häftlingsgruppe in den Krankenbau angeordnet, ist unrichtig. Denn solche Ausnahmefälle konnten nur von Doktor Entress nach der Vorstellung dieser Kranken angeordnet werden. Mein Mitverteidiger, Herr Kollege Steinacker, hat diesen Zeugen im übrigen aus anderen Gesichtspunkten ausgiebig als unglaubwürdig bezeichnet.
Die Anschuldigung Ziffer 2i, die ihm von dem Zeugen Glowacki angelastet wird – Injektionen an Frauen durchgeführt zu haben –, bestreitet der Angeklagte Klehr. Glowacki bekundet, Klehr habe auf eigene Verantwortung und ohne Wissen von Doktor Entress im Jahre 1942 oder 43 im Sommer zwei Häftlingsfrauen holen lassen. Glowa dagegen bekundet, im Sommer 43 seien zwei Frauen mit einem Sanka in den Block 20 gebracht worden. Ein glatter Widerspruch. Im Sommer 42 befand sich das Frauenlager noch im Stammlager. Am 16.8.42 wurde das Frauenlager nach Birkenau verlegt. Der Zeuge Kasner, der vom Februar bis Juli 43 als Pfleger tätig war, bestätigte, wie ich schon dargelegt habe, im Jahre 1943 sei Klehr nicht mehr im HKB gewesen.
Im übrigen war die Anforderung eines Sankas durch Klehr unmöglich. Diese oblag vielmehr der Schreibstube im SS-Revier.
Glowacki bekundet: »Der Sanka hielt vor dem Block 28, die Frauen wurden ausgeladen. Dann kam Klehr ins Zimmer im Block 28 und führte die Injektion durch.« Glowa dagegen bekundet, die beiden Frauen seien in das Behandlungszimmer im Block 20 geführt worden, zu Klehr. Dort sei die Injektion durchgeführt [+ worden], und wieder in den Sanka. Die Injektion als solche allerdings will weder der Zeuge Glowa noch der Zeuge Glowacki gesehen haben.
Zur Anschuldigung Ziffer 3 des Eröffnungsbeschlusses: Hier bestätigt der am 4.6.1964 vernommene Zeuge, der Spieß bei dem Standortarzt Doktor Wirths war, die Unterschriftsleistung für den Dienstplan für den Rampendienst. Der Zeuge[35] erklärte in seiner früheren [richterlichen] Vernehmung, Klehr hätte die Angehörigen des Vergasungskommandos überwacht oder auch selbst das Zyklon B eingeschüttet.[36] Vor dem Schwurgericht hier hat sich der Zeuge Ontl allerdings auf Erinnerungsschwund berufen und erklärt, Theuer und Franke hätten die Vergasung durchgeführt. Der Dienstplan für die Desinfektoren, das bleibt in diesem Zusammenhang festzuhalten, wurde von Ontl aufgestellt, nicht von Klehr.
Der Zeuge Sternol übrigens, am 3.4.1964 vernommen, hat bestätigt, Klehr niemals in dem Sanka gesehen zu haben.
Zu der Anschuldigung Ziffer 3, Zeuge Prokop: Dieser will gesehen haben, daß Klehr im »Theatergebäude« den Lagerraum, wo sich das Zyklon B befand, abgeschlossen habe. Als Klehr Leiter des Desinfektionskommandos wurde, war Zyklon B nicht im »Theatergebäude«, sondern in dem Monopolwirtschaftsgebäude. Schlüssel zum Lagerraum hatte nicht Klehr, sondern hatten die vier Desinfektoren Theuer, Koch, Schmunitzer und Wosnitzka.
Der Zeuge behauptete weiter, im Sommer 44 während des Eintreffens der Ungarn-Transporte gesehen haben zu wollen, wie kleine Zyklon-B-Mengen von der Aktion übriggeblieben seien, die Klehr zur Aufbewahrung in der SS-Apotheke dem Apothekengehilfen Jurasek übergeben habe. Auch hier ist geltend zu machen, daß seit Ende 1943 Klehr nicht mehr in Auschwitz sich aufhielt, sondern im Nebenlager Gleiwitz, und daß gegen den sachlichen Gehalt dieser Bekundung des Zeugen Prokop die Erwägung spricht, daß im Keller der SS-Apotheke sich die Heizung befand für die Baderäume und die Wohnräume des SS-Reviers. Das hochgiftige und hochexplosive Zyklon B hätte in der Nähe der Heizung in einer Viertelstunde das SS-Revier in die Luft gesprengt.
Der Zeuge [Hölblinger], zu der gleichen Anschuldigung, hat ursprünglich behauptet, Klehr habe Zyklon B mit dem Sanka bis zu den Vergasungsanlagen gebracht. Vor dem Schwurgericht berichtigte dieser Zeuge allerdings seine Bekundung dahin, er sei nicht mit dem Sanka mit Klehr gefahren.
Schließlich hat zu der Anschuldigungsgruppe Ziffer 3 der Zeuge [Hykes], früher SS-Dienstgrad bei der Verwaltung der Lagerleitung, bei Beginn seiner Vernehmung erklärt, er müsse seine Bekundungen widerrufen, nachdem er das Bild Klehrs in der Presse gesehen habe.
Der Zeuge Putzker widerrief seine früheren Aussagen. Er erklärte, seine Darlegungen bezögen sich auf einen völlig anderen SS-Mann aus dem Sudetenland. Und der Zeuge Jurasek will Klehr lediglich mit einem Handwagen gesehen haben, auf dem sich Zyklon-B-Büchsen befanden. Wohin diese Büchsen aber kamen, hat er nicht bekundet.
Der Zeuge Pys, vernommen am 12.6.1964: Hier bestreitet Klehr, bei Vergasungen eine aktive Tätigkeit entwickelt zu haben und verweist auf die Bekundung von Müller, der dem Kommando Altes Krematorium zugeteilt war. Pys bek undete, im Sommer oder Herbst 42 hätten beim Krematorium vier SDGs herumgestanden, Klehr, Franke, Koch und Theuer. Die beiden letzteren hätten Gasmasken getragen.
Er hat, der Zeuge, Klehr als Oberscharführer bezeichnet. Im Sommer oder Herbst 42 war aber Klehr noch gar nicht Oberscharführer. Das nur nebenbei. Vergasungen wurden übrigens nicht von vier, sondern stets nur von zwei Desinfektoren durchgeführt. Im Juli 1942 war Franke übrigens nicht mehr Desinfektor, sondern als SDG im Frauenlager Bir kenau eingesetzt. Verwunderlich in diesem Zusammenhang bleibt übrigens, daß der Zeuge Pys die Vornamen von Klehr, Theuer und Koch kannte, aber nicht den Vornamen von Franke.
Der Zeuge hat bekundet, Koch und Theuer hätten neben jeden Einfüllstutzen zwei bis drei Zyklon-B-Büchsen gestellt. Auf Vorhalt des Herrn Präsidenten berichtigte der Zeuge Pys seine frühere Aussage dahin, beim Verladen des Sankas nach Birkenau habe er Klehr nicht gesehen, wohl aber Franke und Theuer. Klehr habe auch nicht dab eigestanden. Er erklärte auch, nicht einer Unterredung beigewohnt zu haben, bei der sich Klehr prahlerisch geäußert haben soll wegen seiner Tätigkeit in Birkenau und der angeblich von ihm getöteten Häftlinge.
Schließlich noch die Bekundungen des Zeug en Golik vom 8.6.1964. Sie liegen auf der gleichen Linie wie die Bekundungen des Zeugen Pys. Das »Kalendarium« enthält nichts über das angeblich im Herbst 42 oder Frühjahr 43 erfolgte Kommando von 200 Häftlingen, was ich schon betont habe. Ich darf in diesem Zusammenhang nochmals sagen, daß nur vier Desinfektoren den Gasschein besaßen, Theuer, Koch, Schmunitzer und Wosnitzka.
Der Zeuge Golik hat bekundet, er könne nicht genau sagen, ob Klehr sich tatsächlich aktiv an den Vergasungen beteiligt hätte. Er habe lediglich gesehen, daß Klehr Zusatzverpflegungen, Jamaika- Rum, erhalten hatte. Von Phenol-»Abspritzungen« Klehrs wußte der Zeuge Golik nur vom Hörensagen, und aus Armbewegungen Klehrs habe er geschlossen, bei dem Kleinen Krematorium, daß Klehr Befehle erteilt habe.
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß die Frage der Ausgabe von Zusatzverpflegung in keiner Weise die Rechtsfrage berühren kann: Täterschaft oder Teilnahme. Denn die Ausgabe von Zusatzverpflegung in Auschwitz war ebenso wie auf allen anderen Abschnitten hinter dem Reichsgebiet eine allgemeine Üblichkeit.
Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt und bitte um eine Pause.
Vorsitzender Richter:
Bis um halb elf.
Verteidiger Göllner:
Danke.
Verteidiger Göllner:
Hohes Gericht, Herr Präsident, meine Damen und Herren Richter und Geschworene, bei den jetzt folgenden, im wesentlichen rechtlichen Darstellungen werde ich mich im wesentlichen beziehen auf meine Ausführungen in dem Plädoyer am 18.6.1965 und auf die zu den einzelnen Punkten Täterschaft, Teilnahme, mittelbare Täterschaft, Nebentäterschaft, Handeln auf Befehl, Nötigungsstand und Putativnotstand gemachten Ausführungen meiner Herren Mitverteidiger. Außerdem wird insoweit im Anschluß an mein Plädoyer mein Mitverteidiger, Herr Rechtsanwalt Doktor Fertig, noch einige rechtliche Fragen untersuchen, die ich also, um keinen Dualismus zu begehen, hier nicht untersuche.
Ich möchte Ihnen noch folgenden Gesichtspunkt vortragen: Kann die roboterhafte Pflichterfüllung von Klehr, verbunden mit einer naiven Autoritätsgläubigkeit, einem trivialisierten Gesamtgestus, zu einer Täterschaft wegen Mordes oder Totschlages führen, wenn man sich einmal vorstellt, daß Klehr in dem NS-Mordfließbandsystem die letzte Etappe, das letzte Rad bildete? Würde man in ihm den Phenolroboter oder Phenolscharfrichter oder Phenolhenker sehen – und manches spricht für eine solche Betrachtungsweise –, so müßte er aus diesem Gesichtspunkt wegen aller Punkte des Eröffnungsbeschlusses freigesprochen werden.
Selbst das für die NS-Verbrechen immer wieder ins Feld geführte und zitierte Naturrecht nimmt den Scharfrichter und Henker, das letzte Rad der staatlichen Befehlsmaschinerie, also den Vollstrecker der staatlichen Befehle, von der Verpflichtung aus, sich von der Gerechtigkeit des Urteils zu überzeugen, ehe er es vollstreckt. Eine gegenteilige Einzelmeinung vertritt nur Hugo Grotius in seinem Buche »De jure belli ac pacis«. Ich darf auf den Aufsatz hinweisen, den ich dem Schwurgericht überreicht habe, in dem Band »Monatsschrift für deutsches Recht«, 1948, von dem Professor von Weber, »Handeln auf Befehl«.
Die Problematik Täterschaft und Teilnahme, mittelbare Täterschaft, Nebentäterschaft habe ich bereits in meinem allgemeinen Plädoyer ausgiebig erörtert. Ich darf nochmals auf eine Entscheidung hinweisen, die Herr Kollege Laternser bereits zitiert hat und deren Fundstelle ich Ihnen auch schon angegeben habe. Das ist die Entscheidung des BGH in NJW 1964, Seite 730.[37] Das ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf ein Urteil des Schwurgerichts Freiburg, wo die Sonderstellung von Polizeivollzugsbeamten erstmalig vom Bundesgerichtshof und auch von Krankenpflegern im Rahmen der §§ 52, 54 StGB[38] bejaht worden ist.
Der Fall Hanke, von meinem Kollegen Staiger behandelt, abgedruckt in NJW 1964, Seite 66, grenzt sehr scharf ab die Erfordernisse zwischen Täterschaft und Teilnahme aufgrund der Animus- Formel und erklärt, daß ausschlaggebend die innere Haltung des Handelns und des Handelnden zur Tat ist.[39] Sie kann anhand seines eigenen Tatinteresses, seiner Beherrschung des Tatablaufs, des Tatwillens, seines Gefühls der Mitverantwortung für den Taterfolg und anderer Umstände ähnlicher Art erforscht werden. Und dabei kommt es nicht darauf an, ob alle diese Beweisanzeichen im Einzelfall vorliegen. Entscheidend ist vielmehr das jeweilige Gesamtbild der Tatumstände.
Klehr machte sich in seinen engen geistigen Grenzen die amtlich verbreiteten politischen Parolen ohne eigene kritische Wertung zu eigen und fühlte sich den Zielen des damaligen Regimes in seiner kleinen Position verpflichtet. Den Auftrag, gegebenenfalls Häftlinge mit Phenol zu töten oder bei Selektionen als Bewacher oder Krankenblättereinsammler zu erscheinen, war ihm zwar persönlich nach längerer Überlegung als eine unangenehme, notfalls aber bedingungslos zu erfüllende Pflicht erschienen, weil er aus Gedankenlosigkeit einfach hinnahm, daß die NS-Machthaber von ihm Handlungen forderten, die ihm selbst noch als Unrecht erschienen.
Diese Einstellung wurzelte in der ihm indoktrinierten politischen Überzeugung, die ihm Richtschnur für sein Denken und Tun war. Klehr war somit Prototyp gedankenloser, williger Befehlsempfänger, deren Denken und Handeln sich jedoch nicht mit den Bestrebungen ihrer höchsten Befehlsspitze deckte.
Ich bin zu der Auffassung bereits in meinem allgemeinen Plädoyer für die Angeklagten Klehr und Hofmann gekommen, daß für ihre Taten, abgesehen von den Fragen der Rechtfertigungstheorien oder der Schuldausschließungsgründe, höchstens Beihilfe zum Mord oder Totschlag – letzteres wird mein Herr Kollege Fertig Ihnen noch vortragen – vorliegen kann – wenn Sie nicht Klehr bereits aus dem Gesichtspunkt freisprechen, den ich Ihnen soeben vorgetragen habe.
Soweit eine Strafverfolgung wegen Beihilfe zum Mord erst nach dem 8.5.60 begonnen hat, wären die Taten verjährt, wenn man nicht §§ 49, 44 StGB in der Fassung zugrunde legt, die ihnen durch die Gewaltverbrecherverordnung vom 29.5.43 verliehen worden ist. Bereits vorher hatte nach der Rechtsprechung des BGH in NJW 1962, Seite 2.209, § 4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.12.... Verzeihung, ich habe mich vorhin versprochen.[40] Die erste Verordnung war nicht die Gewaltverbrecherverordnung, die ich meinte, sondern das war die Verordnung vom 29.5.43. Die ist abgedruckt im Reichsgesetzblatt, Band 1, Seite 341.[41]
Also § 4 kommt nunmehr, der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.12.39. Die ist abgedruckt im Reichsgesetzblatt I, 2.378, aus dem Zwang zur milderen Bestrafung der Beihilfe nach Versuchsgrundsätzen eine Kann-Vorschrift gemacht.[42] Wäre dies nicht geschehen, so könnte die Beihilfe zum Mord in den Jahren 41 bis 42, bis Frühjahr 43, nur mit einer zeitlichen Zuchthausstrafe geahndet werden. Und dies hätte nach § 67 StGB zur Folge, daß die Verjährung in 15 Jahren eintrat, und zwar für Beihilfe von Taten, die vor dem 29.5.43 liegen.
Ich beantrage daher, da die letzte dem Angeklagten Klehr zur Last gelegte Tat sich im Frühjahr 43 ereignet haben soll, die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung.
Ich habe heute vormittag dem Schwurgericht den dicken Kommentar von Freisler, Grau, Krug, Rietzsch, »Deutsches Strafrecht«, Band 1, erschienen 1941, auf den Tisch gelegt, der die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5.12.39 mit eingehender Kommentierung aus der damaligen Zeit zum Gegenstand hat, und überlasse [+ Ihnen] dieses Buch, wie ich die übrigen Bücher, die ich überreicht habe, ebenfalls dem Schwurgericht überlasse bis zur Urteilsfindung, das ist ganz klar.[43]
Ich möchte gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der erklärt hat, diese Verordnung sei auch gegen NS-Verbrecher anwendbar, einiges Ihnen vortragen. Ich kann nicht einsehen, daß man die Befehle des sogenannten Führers für nichtig ansieht und auf der anderen Seite die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5.12.1939 als rechtens gegen die Angeklagten anwenden will. Und Sie sehen, und ich lese vor, aus der Einführung zu dieser Verordnung klipp und klar, und deshalb habe ich dieses Buch beschafft: »Die Verordnung stellt eine sehr bedeutsame Ergänzung des bisherigen«, also des nationalsozialistischen, »Strafrechts dar und schließt einige Lücken, die auch nach der Volksschädlingsverordnung und den anderen kriegsstrafrechtlichen Verordnungen offengeblieben waren und besonders im Kriege einer wirksamen Verbrechensbekämpfung hinderlich sein konnten. Wie das Kriegsstrafrecht überhaupt bestrebt ist, Verbrechertypen herauszustellen, die vor allem durch Charakter und Gesinnung bestimmt werden, so richtet sich auch diese Verordnung gegen einen bestimmten Typus schwerer Kriminalität, den Gewaltverbrecher.« [44]
Das Weitere übergehe ich, weil es hier nicht von Bedeutung ist. Aber jetzt kommt das Wesentliche für Ihre Urteilsfindung: »§ 4«, heißt es in der Einführung bei Freisler, »bringt die Verwirklichung einer wesentlichen Forderung willensstrafrechtlicher Anschauung.« [45] Ich kann nicht verstehen, wie der Bundesgerichtshof bei dieser klaren gesetzgeberischen Analyse zu der Folgerung kommen kann, daß dieser § 4 heute noch anwendbares Recht sein kann. »Er beseitigt«, heißt es weiter, »den Zwang der §§ 44 und 49, in den Fällen des Versuches eines Verbrechens oder Vergehens oder einer Beihilfe zu einer solchen Straftat unter der für die vollendete Tat vorgesehenen Strafe zu bleiben.« [46] Es wird hier natürlich Schrifttum zitiert: Freisler, »Gedanken zum Kriegsstrafrecht und zur Gewaltverbrecherverordnung«, Nagler, »Die Neuordnung der Strafbarkeit von Versuch und Beihilfe«, GS 115, 24[47], und Klee, »Zur Bedeutung der Gewaltverbrecherverordnung für das Strafsystem und die gesetzgeberische Methodik«, in DR 40, Seite 350.[48] Und in § 4 in den Erläuterungen des Buches von Freisler heißt es ausdrücklich: »Diese Bestimmung ist ein wesentlicher Teil der Strafrechtserneuerung, die von der neuen willensstrafrechtlichen Grundauffassung, also der nationalsozialistischen Grundauffassung, beherrscht wird. Und sie gilt nicht etwa nur für die Vorschriften der §§ 1 und 2 dieser Verordnung, sondern allgemein, das heißt für das gesamte Strafrecht.« [49]
Schon aus dieser Erläuterung müssen Sie den rechtsschöpferischen Schluß gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs fällen, daß der § 4 der Gewaltverbrecherverordnung nationalsozialistisches Recht, daher nichtig, nicht mehr anwendbar ist und daß daher Beihilfehandlungen, soweit sie den hiesigen Angeklagten zur Last gelegt werden, wegen Verjährung eingestellt werden müssen, falls die Taten vor dem 29.5.1943 liegen.
Die rechtlichen Ausführungen zum Handeln auf Befehl, zur Kettenanstiftung, BGHSt 6, 359, Taturheber, NJW 1952, 835[50], will ich im einzelnen hier nicht mehr zitieren, weil sie schon mehrfach hier von den Mitverteidigern vorgetragen worden sind. Merkwürdigerweise sagt der Bundesgerichtshof in der Entscheidung NJW 1952, 835: »Sollten der SS-Eid und die Zugehörigkeit zur SS solchen blinden Gehorsam gefordert haben, so wäre das rechtlich unbeachtlich. Wer sich freiwillig fremdem Willen unterwirft, bleibt strafrechtlich verantwortlich. Daß auch militärische Verhältnisse keine Aufhebung, sondern nur eine Einschränkung der Verantwortlichkeit des Untergebenen rechtfertigen, zeigen die Militärstrafgesetze fast aller Staaten.« [51]
Dann kommen Ausführungen zu § 47 Militärstrafgesetzbuch und der Hinweis, der erste Hinweis bereits 1952, das Offenbleiben für die NS-Täter, die Fragen aus den §§ 52 und 54 StGB. Und ich habe Ihnen bereits vorhin gesagt, daß der Bundesgerichtshof im Jahre 1962, also zehn Jahre später, auf eine Entscheidung des Schwurgerichts Frankfurt/Main erklärt hat, daß das Berufen auf Handeln auf Befehl in diesen Prozessen durchaus die Strafzumessung wesentlich beeinflussen kann.
Wegen des Handelns auf Befehl will ich noch eine Bemerkung machen. Ich bitte, mir nachzulassen, ich mache diese Bemerkung keineswegs aus politischen oder ausschlachtbar nach irgendwelchen Gründen. Vorgestern abend wurde im Fernsehen ein Report gebracht von einem Flugzeugmutterschiff der Amerikaner vor Vietnam. Und der deutsche Reporter hat die cleveren amerikanischen Flugzeugoffiziere gefragt: »Denkt ihr, wenn ihr fliegt?« Und die etwa 30- bis 40jährigen Flugzeugoffiziere antworteten: »Wir denken nicht. Wir greifen nur die befohlenen militärischen Ziele an. Befehl ist Befehl.« [Pause]
Hinsichtlich des Nötigungsnotstandes darf ich auf die noch zu erwartenden Ausführungen meines Herrn Kollegen Fertig verweisen. Ich will mich zeitlich etwas begrenzen. Ich darf noch mal hinweisen auf die Grundsatzentscheidungen, die das Schwurgericht in allen Fällen sämtlicher Angeklagten, insbesondere der Adjutanten, insbesondere der Ärzte, berücksichtigen muß: Das sind die beiden Kardinalentscheidungen des Bundesgerichtshofs in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« 1963, 1.258[52] – dort befaßt sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der Tätigkeit von Ärzten des Lagers Sachsenhausen an der Verladerampe –, und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, NJW 1964, 730[53] – die ist bereits vorhin zitiert, das ist die Entscheidung, die auf das Urteil des Schwurgerichts Freiburg ergangen ist und die den Nötigungsstand und den Putativnotstand für den Einsatz in den NS-Lagern bejaht.
Ich kann hiermit im wesentlichen die rechtlichen Erwägungen abschließen. Ich möchte nur noch eins bemerken, und deshalb habe ich die Antithese Doktor Entress gegen Klehr herausgestellt: daß eine Nebentäterschaft zwischen Entress und Klehr auf keinen Fall angenommen werden kann. Ich möchte nur noch sagen, der Antrag, der Strafantrag unseres Herrn Kollegen Raabe, er richtet sich zwar nicht gegen Klehr, bedarf einer Berichtigung. Und ich bin gespannt – er hat ja eine Replik angekündigt –, wie er sich aus dieser rechtlichen Schwierigkeit ziehen wird.
Der Bundesgerichtshof hat... Und jetzt werden Sie sehen, wie falsch und völlig unrichtig seine Rechenkunststückchen, Verzeihung, daß ich das so scharf gesagt habe, seine Rechenaufgaben waren, die er hier angestellt hat bei den Ärzten. Das werden Sie sofort sehen. Der Bundesgerichtshof führt in einer Grundsatzentscheidung, 2, 246, aus, es wäre gleichartige Tateinheit im Sinne des § 73[54] anzunehmen bei einem Sprengstoffanschlag oder bei einem Brandlegen gegen mehrere Bewohner eines Hauses allenfalls bei der Abgabe eines Feuerstoßes aus einer Maschinenpistole auf mehrere Menschen zugleich.[55] Getrennte Handlungen, also Klehr beispielsweise, der Mann für Mann mit der Phenolspritze behandelt, bleiben nach § 74[56] nur eingrenzbar, weil sie sich jeweils gegen das Leben einer anderen Person, also gegen höchst persönliche Rechtsgüter richten. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ausgebaut zu einer Kardinalentscheidung. Sie finden sie abgedruckt in der »Monatsschrift für Deutsches Recht« 1962, Seite 319[57].
So, jetzt will ich mich mal auf den Standpunkt des Herrn Kollegen Raabe stellen, und nun sehen Sie an dieser Grundsatzentscheidung bereits, daß man hier in diesem Verfahren unmöglich Anträge stellen kann, 30.000mal lebenslängliches Zuchthaus. Warum nicht? Die Tätigkeit auf der Rampe, die kann ja, wie ich Ihnen darlegte, nur als Beihilfe betrachtet werden – äußerstenfalls als Beihilfe, bitte, ohne die Rechtfertigungsgründe und Schuldausschließungsgründe, das will ich hier ja gar nicht erörtern, ich spreche ja nur im allgemeinen Rahmen. Jetzt kommt die Aufsicht beim Einschütten des Zyklon B am Einfüllstutzen: Wo will denn da Herr Kollege Raabe herleiten, daß die Einzelperson von dem Zyklon B einzeln erfaßt ist? Daß das unmöglich ist, habe ich Ihnen anhand dieser Entscheidung dargelegt.
Und deshalb bin ich gespannt, wie er nunmehr anhand... Und er kann ja an dieser Entscheidung nicht vorbeigehen, genauso wie die Staatsanwaltschaft nicht vorbeigehen kann an den Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs, die ich Ihnen vorhin zitiert habe. Zur Frage der ärztlichen Tätigkeit, muß er eine neue Berechnungsmethode anstellen und für jeden Fall oder für jeden gedachten Fall des Einschüttens von Zyklon auf eine Menschenmenge von 2.000 soundso viel gleichartige Handlungen annehmen.
Ich möchte zum Abschluß meiner Darlegungen kommen.
Ich habe vor kurzem noch das Pandämonium dieses Führers des verflossenen Systems gesehen. Ich sah vor mir den Schlußabsatz von Hitlers politischem Testament vom 29.4.45. Meine Damen und Herren, einige Stunden vor seinem Tode hat dieser Mann da noch geschrieben, und das müssen Sie sich vor Augen halten bei Ihrer Urteilsfindung und bei der Einstellung der Angeklagten zu diesem Staat: »Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum«, noch acht Stunden vor seinem Tode.[58] [Pause]
Daß der Auschwitz-Prozeß und alle anderen NS-Prozesse nicht die Popularität in der Bevölkerung verdienen wie andere große Strafprozesse, wie der von [Vera] Brühne, ist bedauerlich, aber nicht zu ändern.[59] Aber dieser und andere Prozesse haben doch eine Bedeutung, die bleiben muß. Unsere jungen Schriftsteller versuchen, die Dinge einzufangen, ob das Martin Walser im »Schwarzen Schwan« [60], Peter Weiss in »Die Ermittlung« [61] oder Arthur Miller im » [Zwischenfall in] Vichy« [62] ist. Unserer Jugend soll, und das ist das Wesentliche, Bleibende dieses Prozesses, stets vor Augen gehalten werden, welchen schlimmen Führern unsere Generation [überantwortet] war. Aber das bedeutet nicht, daß man dem Zeitgeist eine übermäßige Bedeutung beimißt.
Ich habe mit meiner heutigen Eingabe dem Schwurgericht eine Fotokopie einer Ausgabe des »Stürmer« aus dem Februar 1935 im Wandersmann-Prozeß übermittelt, aus der Sie erkennen können, in welcher Form schon damals Einwirkungen der Partei und SS-Stellen auf Justizentscheidungen getätigt wurden.[63] Ein Freund machte mich darauf aufmerksam, daß einige Jahre später in Frankfurt ein Strafverfahren lief gegen den damaligen Leiter der Landwirtschaftskammer in Frankfurt/Main auf Veranlassung des Leiters der Frankfurter Kriminalpolizei, Kriminalrat Nußbaum. Was geschah zur größten Überraschung des Herrn Oberstaatsanwalts und des Herrn Generalstaatsanwalts in dem damaligen Fall?
Eines Morgens kamen die Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft in ihr Dienstzimmer, wo in großen, umfangreichen Aktenreservoiren die Ermittlungsvorgänge aufbewahrt waren. Die Akten waren restlos verschwunden. Und als man Verdacht schöpfte auf einen der SS-Angehörigen, Assessor der Staatsanwaltschaft, erklärte dieser, er berufe sich auf seinen SS-Eid und habe zu dieser Sache nichts mehr zu sagen.
Das war kennzeichnend für die damalige Situation, und ich will aber andererseits sagen: Konzessionen an den Zeitgeist zu machen, auch in diesem Verfahren, wäre absolut falsch. Denken Sie daran, daß wir in Frankfurt Edelmänner hatten wie die Herren Landgerichtsdirektoren Rehhorn und Eldracher, die als Leiter des Frankfurter Sondergerichts mit Ausnahme von zwei absoluten Kapitalfällen bis zum Jahre 1941 kein Todesurteil gefällt hatten.
Ich darf noch abschließend hinweisen auf die Ausführungen von Professor Jürgen Baumann über die Strafzumessung in dem wunderbaren Kompendium von Henkys, Seite 315.[64] Er sagt dort, weder aus den Gründen der General- noch der Spezialprävention würden sich hohe Strafen in den NS-Prozessen rechtfertigen. Auf die Frage der Wahlfeststellung oder des Minusverhältnisses oder des Stufenverhältnisses wolle er gar nicht eingehen. Auf jeden Fall könne bei Zweifeln – in dubio pro reo – nur die Gehilfenstrafe verhängt werden. Und er zitiert für das Stufenverhältnis RGSt 71, 365, und für die Wahlfeststellung Bundesgerichtshof 1, 127.
Ich möchte meine Betrachtungen zu dem Fall Klehr, nachdem ich den Antrag bereits gestellt habe, schließen in der Hoffnung, daß dieser Prozeß unserer Jugend den notwendigen Anschauungsunterricht gibt und daß man sie häufig nach Auschwitz führen sollte, wenn sie einmal verlangen sollte, das Denkmal des Mannes zu sehen, der in der Zeit von 1933 bis [1945] regiert hat. Dann kann man nur antworten mit dem Oxforder Geschichtsprofessor Alan Bullock: »Si monumentum requires circumspice« – »wenn du sein Denkmal siehst, sieh um dich.« Hier findest du nur Ruinen und Gräber.[65]
Vorsitzender Richter:
Herr Rechtsanwalt Doktor Fertig, wollen Sie gleich sich anschließen, oder wünschen Sie eine Unterbrechung?
Verteidiger Fertig:
Ich überlasse es Ihnen, Herr Präsident. Mir wäre es aus verschiedenen Gründen lieber, wenn wir jetzt in die Mittagspause eintreten könnten. Aber ich füge mich Ihrer Anordnung. Ich werde knapp zweieinhalb Stunden Ihre Aufmerksamkeit benötigen.
- Vgl. Unsere Ehre heißt Treue. Kriegstagebuch des Kommandostabes Reichsführer SS, Tätigkeitsberichte der 1. und 2. SS-Inf.-Brigade, der 1. SS-Kav.-Brigade und von Sonderkommandos der SS. Wien u.a.: Europa-Verlag, 1965.
- Vgl. Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 07.07.1965, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 08.07.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 113.
- Vgl. BGH-Urteil vom 23.08.1957, 1 StR 342/57, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 10, 1957, H. 44, S. 1.643-1.644 und Claus Seibert: In dubio pro reo und Revision, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 8, 1955, H. 6, S. 172.
- Vgl. Heinrich Jagusch: Weitere Fragen zum rechtlichen Gehör im Strafverfahren, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 15, 1962, H. 37, S. 1.645-1.649.
- Vgl. Strafsache gegen Franz u.a., 8 I Ks 2/64, LG Düsseldorf, 12.10.1964-24.08.1965, Urteil vom 03.09.1965, abgedruckt in: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XXII, S. 1-238.
- Vgl. BGH-Urteil vom 25.03.1952, 1 StR 786/51, in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 2, 1952, S. 246-248.
- Vgl. BGH-Urteil vom 16.01.1962, 1 StR 524/61, in: Monatsschrift für Deutsches Recht, Jg. 16, 1962, H. 4, S. 319-320.
- Literaturnachweis in »Juristenzeitung«, Jg. 6, 1951, nicht auffindbar.
- Vgl. Peter Martin Lampel: Revolte im Erziehungshaus. Schauspiel der Gegenwart in drei Akten. Emsdetten (Westf.): Verlag Lechte, 1954.
- Vgl. BGH-Urteil vom 22.01.1952, 1 StR 485/51, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 5, 1952, H. 21, S. 834-835.
- Vgl. BGH-Urteil vom 22.01.1952, 1 StR 485/51, in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 2, 1952, S. 251-258.
- Vgl. BGH-Urteil vom 14.10.1952, 1 StR 791/51, in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 3, 1953, S. 271-277.
- Vgl. BGH-Urteil vom 14.10.1952, 1 StR 791/51, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 6, 1953, H. 3, S. 112-113.
- Vgl. BGH-Urteil vom 07.10.1960, 4 StR 242/60, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 14, 1961, H. 8, S. 373-375.
- Vgl. Himmlers Rede in: IMT, Bd. 29, S. 110-173, Nürnberger Dokument 1919-PS.
- Vgl. IMT, Bd. 29, S. 150.
- Vgl. den Teilabdruck des Urteils gegen Max Täubner vom 24.05.1943, in: »Schöne Zeiten«. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer. Hrsg. von Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1988, S. 184-190.
- Vgl. eidesstattliche Erklärung von Friedrich Entress vom 14.04.1947, Nürnberger Dokument NI- 6190, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 22, Bl. 3.570.
- Vgl. Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-45. Berlin: Colloquium Verlag, 1956.
- Vgl. Standort- und Kommandanturbefehle, S. 155-157.
- Vgl. kommissarische Vernehmung vom 25.01.1965 in Wien, Anlage 7 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 04.02.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 108.
- Vgl. Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 07.07.1965, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 08.07.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 113.
- Vgl. Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-45. Berlin: Colloquium Verlag, 1956.
- Vgl. Czech, Kalendarium, S. 200.
- Vgl. Vernehmung vom 30.09.1946 in Krakau, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 21, Bl. 3.370-3.371.
- Czech, Kalendarium, S. 395.
- Vgl. richterliche Vernehmung vom 15.01.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 60, Bl. 11.152-11.165R.
- Vgl. Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 20.04.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 94, Bl. 18.923-18.924.
- Tagebuch von Johann Paul Kremer, in: Auschwitz in den Augen der SS, S. 161.
- Vgl. Czech, Kalendarium, S. 183.
- Vgl. Czech, Kalendarium, S. 200.
- Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 07.07.1965, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 08.07.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 113.
- Vgl. Vernehmung vom 30.09.1946 in Krakau, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 21, Bl. 3.370-3.371.
- Vgl. Czech, Kalendarium, S. 325.
- Ontl.
- Vgl. richterliche Vernehmung vom 29.08.1962 in Riedenburg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 71, Bl. 13.374-13.385.
- Vgl. BGH-Urteil vom 14.01.1964, 1 StR 498/63, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 17, 1964, H. 16, S. 730-731.
- StGB § 52: »I. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen vorhanden war, zu der Handlung genötigt worden ist. II. Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflegeeltern und -kinder, Ehegatten und deren Geschwister, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte.« und § 54 StGB: »Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung außer dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist.«.
- Vgl. Hanke-Urteil vom 11.10.1963, LG Stuttgart, Ks 14/63, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 17, 1964, H. 1-2, S. 63-69.
- Vgl. BGH-Urteil vom 22.05.1962, 5 StR 4/62, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 15, 1962, H. 48, S. 2.209-2.211.
- Vgl. »Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue« vom 29.05.1943 (Strafrechtsangleichungsverordnung), in: Reichsgesetzblatt, Teil I, 1943, Nr. 57, S. 339-341.
- Vgl. »Verordnung gegen Gewaltverbrecher« vom 5. Dezember 1939, in: Reichsgesetzblatt, Teil I, 1939, Nr. 244, S. 2.378.
- Vgl. Roland Freisler, Fritz Grau, Karl Krug, Otto Rietzsch: Deutsches Strafrecht. Bd. 1. Erläuterungen zu den seit dem 1.9.1939 ergangenen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften. Berlin: R. v. Decker's Verlag, G. Schenck, 1941.
- Vgl. Roland Freisler, Fritz Grau, Karl Krug, Otto Rietzsch: Deutsches Strafrecht. Bd. 1. Erläuterungen zu den seit dem 1.9.1939 ergangenen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften. Berlin: R. v. Decker's Verlag, G. Schenck, 1941, S. 298.
- Ebd., S. 299.
- Ebd., S. 299.
- Johannes Nagler, in: Der Gerichtssaal, Bd. 115, 1940, H. 1-2, S. 24-42.
- K. Klee, in: Deutsches Recht, Jg. 10, 1940, H. 9 (Ausgabe A, Wochenausgabe), S. 350-353.
- Vgl. Roland Freisler, Fritz Grau, Karl Krug, Otto Rietzsch: Deutsches Strafrecht. Bd. 1. Erläuterungen zu den seit dem 1.9.1939 ergangenen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften. Berlin: R. v. Decker's Verlag, G. Schenck, 1941, S. 308.
- Vgl. BGH-Urteil vom 22.01.1952, 1 StR 485/51, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 5, 1952, H. 21, S. 834-835.
- Vgl. BGH-Urteil vom 22.01.1952, 1 StR 485/51, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 5, 1952, H. 21, S. 834-835.
- Vgl. BGH-Urteil vom 29.03.1963, 4 StR 500/62, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 16, 1963, H. 28, S. 1.258-1.259.
- Vgl. BGH-Urteil vom 14.01.1964, 1 StR 498/63, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 17, 1964, H. 16, S. 730-731.
- StGB.
- Vgl. BGH-Urteil vom 25.03.1952, 1 StR 786/51, in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 2, 1952, S. 246-248.
- StGB.
- Vgl. BGH-Urteil vom 16.01.1962, 1 StR 524/61, in: Monatsschrift für Deutsches Recht, Jg. 16, 1962, H. 4, S. 319-320.
- In: IMT, Bd. XLI, S. 552.
- Mit Urteil vom 04.06.1962 wurden Vera Brühne und Johann Ferbach wegen Mordes von einem Münchner Schwurgericht zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
- Martin Walser: Der Schwarze Schwan. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1964.
- Peter Weiss: Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1965.
- Arthur Miller: Zwischenfall in Vichy. Ein Theaterstück. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1965.
- Vgl. Anlage zum Beweisantrag von Verteidiger Göllner vom 07.07.1965, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 08.07.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 113.
- Jürgen Baumann: Die strafrechtliche Problematik der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, in: Reinhard Henkys: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht. Stuttgart, Berlin: Kreuz-Verlag, 1964, S. 276-321.
- Vgl. Alan Bullock: Hitler. Eine Studie über Tyrannei. Düsseldorf: Droste Verlag, 1961, S. 806.