Zeuge Kurt Nieding
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess
»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63
Landgericht Frankfurt am Main
145. Verhandlungstag, 25.3.1965
Vernehmung des Zeugen Kurt Nieding
Vorsitzender Richter:
[+ Sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihre Aussage auf ein Tonband nehme zur] Stützung des Gedächtnisses des Gerichts?
Zeuge Kurt Nieding:
Gewiß.
Vorsitzender Richter:
Herr Zeuge, Sie sind vor einigen Tagen in Freiburg vernommen worden?
Zeuge Kurt Nieding:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Ist es richtig, daß Sie von Juli 42 bis Oktober 44 Untersuchungsführer und Gerichtsoffizier beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Krakau gewesen sind?
Zeuge Kurt Nieding:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Wissen Sie etwas, ob damals in Ihrer Tätigkeit irgendwelche Fälle bekanntgeworden sind, in denen sich SS-Angehörige oder Mitglieder der Sicherheitspolizei geweigert haben, an Tötungen von Juden teilzunehmen?
Zeuge Kurt Nieding:
Mir sind solche Fälle nicht bekanntgeworden.
Vorsitzender Richter:
Wissen Sie insbesondere, ob sich Fälle ereignet haben, bei denen jemand wegen Befehlsverweigerung bei der Erschießung von Juden in ein Strafverfahren genommen worden ist?
Zeuge Kurt Nieding:
Nein. Einen derartigen Fall habe ich weder persönlich gehabt, noch habe ich davon gehört.
Vorsitzender Richter:
Wissen Sie etwas, oder haben Sie etwas davon gehört, daß jemand sich in diesem Zusammenhang auf den § 47 des Militärstrafgesetzbuches berufen hat?
Zeuge Kurt Nieding:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nein. Ist noch eine Frage des Gerichts? Von seiten der Staatsanwaltschaft?
Staatsanwalt Kügler:
Herr Zeuge, hatten Sie in Zusammenhang mit Ihrer Tätigkeit irgend etwas mit dem Konzentrationslager Auschwitz zu tun?
Zeuge Kurt Nieding:
Nein. Auschwitz gehörte ja damals zu Schlesien, während meine Tätigkeit auf den Bereich des damaligen Generalgouvernements beschränkt war.
Vorsitzender Richter:
Herr Rechtsanwalt Ormond, Raabe? Doktor Kaul? Rechtsanwalt Göllner.
Verteidiger Göllner:
Ich kann nur aus dem Zeitungsvermerk über die Vernehmung des Zeugen in Freiburg eine Frage noch an ihn richten: Ist es richtig, Herr Zeuge, daß Sie seinerzeit die Ansicht vertreten haben, daß eine Berufung auf § 47 des Militärstrafgesetzbuches keine Aussicht auf Erfolg hatte, daß der praktisch also außer Kurs gesetzt war?
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich widerspreche dieser Frage. Entschuldigung [unverständlich]
Sprecher (nicht identifiziert):
Bitte sehr, bitte sehr.
Nebenklagevertreter Kaul:
Der Zeuge ist hier nicht über Ansichten oder Einsichten zu hören, sondern über Tatsachen. Und welche Rechtsüberlegungen der Zeuge etwa angestellt hat
Verteidiger Göllner [unterbricht]:
Das ist keine Frage nach einer Rechtsüberlegung, sondern das ist eine Frage nach einer Erfahrungstatsache, die der Zeuge als Untersuchungsführer in Krakau erlebt haben dürfte.
Nebenklagevertreter Kaul:
Dann bitte ich, den Zeugen präzis zu fragen, in welchem Zusammenhang die Berufung auf § 47 eine Rolle spielte, mache aber darauf aufmerksam, daß wahrscheinlich einer derartigen Frage widersprochen wird, weil sie bereits beantwortet ist.
Vorsitzender Richter:
Eben.
Nebenklagevertreter Kaul:
Der Zeuge hat erklärt, daß er keinerlei Kenntnisse hat von Vorgängen, in denen der § 47 in irgendeiner Form eine Rolle spielte.
Vorsitzender Richter:
Ja, das hat er gesagt.
Nebenklagevertreter Kaul:
Sie selbst, Herr Kollege Göllner, haben die Frage begonnen mit der [Formulierung]: »Stimmt es, daß es Ihre Ansicht war?« Und ich meine, daß Ansichten nicht zu dem Befragungskomplex des Zeugen gehören, und deswegen widerspreche ich.
Vorsitzender Richter:
Also Herr Rechtsanwalt Göllner, der Zeuge
Verteidiger Göllner [unterbricht]:
Das ist richtig, ich ändere die Frage dahin
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Bitte schön.
Verteidiger Göllner:
Ob während Ihrer Tätigkeit in Krakau sich Fälle ereignet haben, die Ihnen zur Bearbeitung vorgelegt wurden, von Befehlsverweigerung.
Vorsitzender Richter:
Nein, das hat er schon beantwortet.
Zeuge Kurt Nieding:
Habe ich bereits beantwortet.
Nebenklagevertreter Kaul:
[unverständlich] widersprechen, weil sie bereits beantwortet ist durch die Befragung des Herrn Präsidenten.
Vorsitzender Richter:
Ja. Ich habe ihn gefragt danach, und er hat gesagt: »Mir ist so kein Fall bekanntgeworden«
Zeuge Kurt Nieding [unterbricht]:
Ist es auch nicht.
Vorsitzender Richter:
»Weder daß ich ihn bearbeitet habe, noch daß ich davon gehört habe.«
Verteidiger Göllner:
Gut.
Vorsitzender Richter:
Von seiten der Angeklagten keine Frage mehr, keine Erklärungen mehr abzugeben. Beeidigung des Zeugen? Kein Widerspruch.
Herr Zeuge, können Sie das, was [+ Sie gesagt haben, mit gutem Gewissen beschwören]?