Zeuge Kurt Mittelstädt

137. Verhandlungstag 18.02.1965

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

137. Verhandlungstag, 18.2.1965

Vernehmung des Zeugen Kurt Mittelstädt

Vorsitzender Richter:

[+ Sind Sie damit einverstanden, daß wir Ihre Aussage auf ein Tonband nehmen zur Stützung des Gedächtnisses des] Gerichts?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie heißen mit Vornamen?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Kurt.

Vorsitzender Richter:

Kurt Mittelstädt. [...] Sie sind wie alt?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

55 Jahre alt.

Vorsitzender Richter:

Sind Sie verheiratet?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Verheiratet.

Vorsitzender Richter:

Von Beruf Rechtsanwalt, wohnhaft in Bad Tölz.

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Bad Tölz.

Vorsitzender Richter:

Nicht verwandt und nicht verschwägert mit den Angeklagten?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, es wird behauptet, Sie hätten der Untersuchungskommission des Doktor Morgen angehört, der seinerzeit im Lager Auschwitz eine Untersuchung vorzunehmen gehabt hat.

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein. Haben Sie überhaupt etwas von dieser Untersuchung gehört, oder was wissen Sie davon?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Ich war dienstlich mit den KL-Untersuchungen im Hauptamt SS-Gericht befaßt. Und zwar war ich ab Mai 1944 Hauptabteilungsleiter im Hauptamt SS-Gericht. Und ich wurde in der Zeit von Mai bis September, so möchte ich es mal abgrenzen, mindestens zwei- oder dreimal damit befaßt, gewisse Untersuchungsschwierigkeiten wieder auszugleichen, die dadurch entstanden waren, daß gewisse Kräfte sich gegen die KZ-Untersuchungen, die von den Richtern ausgeführt wurden, eingeschaltet hatten.

Es ist dabei auch die Wiedereinsetzung der Kommission, der Untersuchungskommission im Konzentrationslager Auschwitz, von Bedeutung gewesen. Ich habe auch die Zusicherung des damaligen Chefs des Reichskriminalpolizeiamtes Nebe erhalten, eine neue Kommission einzusetzen – die erste war gescheitert aus irgendwelchen Gründen. Dann wurden mir im September oder Oktober die Untersuchungen in den Konzentrationslagern gewissermaßen zentral übertragen. Ich bekam dazu ziemliche Fragmente von Untersuchungsakten. Wir entwickelten daraus dann eine Reihe von Konzentrationslageruntersuchungen. Unter anderem ging dann meines Wissens Anfang 45 auch eine zweite Kommission nach Auschwitz, soweit ich weiß, unter Herrn Wiebeck. [Pause]

Vorsitzender Richter:

1945 wurde Auschwitz ja evakuiert, und zwar schon am 18. Januar. Das heißt also, da war nicht mehr viel zu untersuchen.

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Sicher. Es war überhaupt, als ich im September oder Oktober 44 die Untersuchungen übertragen erhielt, kaum noch viel zu machen. Wir haben es noch versucht in einzelnen anderen Lagern. Aber in Auschwitz wird es sicher daran gescheitert sein.

Vorsitzender Richter:

Worauf erstreckten sich denn die Untersuchungen?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Die Untersuchungen erstreckten sich auf alles, was an kriminellen Straftaten anfiel. Historisch, wenn ich so sagen darf, fingen sie mit sogenannten Korruptionsuntersuchungen an, mit Untersuchungen von Untreuetatbeständen, Kriegswirtschaftsverbrechen. Und Herr Doktor Morgen hat es seinerzeit, ich glaube im KL Buchenwald, dann geschafft, aus diesen Untersuchungen heraus Untersuchungen von Straftaten gegen Leib und Leben der Häftlinge zu entwickeln. Das war sein erster Erfolg. Und dadurch kam überhaupt die SS- und Polizeigerichtsbarkeit an die Möglichkeit heran, nun weiterhin diese Untersuchung voranzutreiben.

Vorsitzender Richter:

Ist Ihnen etwas bekannt über »Bunkerentleerungen«?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Wo?

Vorsitzender Richter:

In Auschwitz bezüglich des Arrestlokals?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein. Also ich kann es nicht bejahen, ich kann es auch nicht verneinen. Ich darf Ihnen sagen, was mir bekannt wurde. Es wurde von Herrn Doktor Morgen ein weiblicher Häftling vernommen. Ich kenne auch den Namen. Es ist eine Frau Eleonore Hodys gewesen. Diese Vernehmung wurde seinerzeit durchgeführt, ich stellte noch meine Sekretärin dazu zur Verfügung. Und da habe ich eine ganze Reihe von abscheulichen Dingen gelesen, von Häftlingstötungen mittels Injektion und allen möglichen anderen Dingen. Aber ich kann jetzt nicht mehr im einzelnen sagen, ob das Wort »Bunkerentleerung« dabei eine Rolle spielte. Ich habe auch keine rechte Vorstellung davon, was das war. Ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Aber jedenfalls diesen Untersuchungsbericht, den haben Sie bekommen?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Den habe ich bekommen, und ich kann Ihnen auch sagen, daß dieser Untersuchungsbericht hinterher von den Amerikanern in einem Heft, »SS Dachau«, abgedruckt wurde, das 1946 erschien, allerdings ins Englische übersetzt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Eine Rückübersetzung haben wir hier. Aber Sie werden uns jetzt nicht sagen können, ob die übereinstimmt mit dem, was Sie seinerzeit gehabt haben.

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Ich glaube nicht, denn ich habe mich mit den Dingen im einzelnen nicht intensiv befassen können, weil meine Aufgabe eigentlich darin lag, die organisatorischen Vorbereitungen zu treffen für die Durchführung der KL-Untersuchungen. Das war damals auch nicht ganz einfach.

Vorsitzender Richter:

Noch Fragen? Bitte sehr.

Richter Hotz:

Herr Mittelstädt, ist Ihnen bekannt geworden, daß in Weimar vor dem dortigen SS- und Polizeigericht ein Verfahren anhängig war gegen einen SS-Führer namens Grabner, dem Leiter der Politischen Abteilung in dem KL Auschwitz?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Ja, das ist mir bekannt. Und zwar ist mir das unter der Dienstbezeichnung Kriminalobersekretär bekannt. Ich habe in diesem Zusammenhang auch von einer Anzahl von Häftlingstötungen erfahren, entweder durch mündlichen Bericht oder gelesen. Ich oder meine Abteilung wurde damit im September oder Oktober [+ befaßt] – ich weiß nicht, wann der Prozeß stattfand, die Verhandlung wurde alsbald aufgehoben und vertagt. Es berief sich der damalige Angeklagte darauf, er hätte auf Befehl gehandelt. Und es wurde nun vom Gericht angeordnet, daß meine Abteilung das Befehlsmaterial heranziehen sollte. Ich habe dann einen Untersturmführer Kaiser, im Zivilberuf Staatsanwalt, nach Berlin geschickt. Er sollte also zu den Hauptamtchefs gehen, zu dem Gestapochef Müller, und sollte dort das Befehlsmaterial herbeiführen. Es ist uns nicht

Richter Hotz [unterbricht]:

Nicht möglich gewesen.

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nicht möglich gewesen, nein.

Richter Hotz:

Wissen Sie, was aus Grabner geworden ist?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein.

Richter Hotz:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Wiese:

Sind Sie selbst einmal in Auschwitz gewesen?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein.

Staatsanwalt Wiese:

Danke.

Vorsitzender Richter:

Herr Raabe?

Nebenklagevertreter Raabe:

Keine Frage mehr.

Vorsitzender Richter:

Herr Doktor Kaul? Die Verteidigung? Herr Rechtsanwalt Naumann.

Verteidiger Naumann:

Herr Kollege Mittelstädt, sind Ihnen aus der damaligen Zeit, aus der Kriegszeit, dienstlich oder außerdienstlich, also auch etwa gesprächsweise, Fälle bekannt geworden, in denen SS-Angehörige die Durchführung ihrer Aufgaben insbesondere in KZ-Lagern verweigert haben?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Von seiten der Angeklagten Erklärungen oder Fragen? Nein. Herr Zeuge, sind Sie bereit, das, was Sie gesagt haben, mit gutem Gewissen zu beschwören?

Zeuge Kurt Mittelstädt:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Dann haben Sie den Eid zu leisten.

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