Zeuge Emil de Martini

51. Verhandlungstag 04.06.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

51. Verhandlungstag, 4.6.1964

Vernehmung des Zeugen Emil de Martini

Vorsitzender Richter:

Wo haben Sie gearbeitet? Darf ich Ihre Aussage auf ein Band aufnehmen zum Zwecke der Gedächtnisstütze des Gerichts?

Zeuge Emil de Martini:

Bitte, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Sie sind also eingesetzt gewesen bei der Arbeit in Monowitz

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ja, zum Teil, nicht ständig.

Vorsitzender Richter:

Ja. Bitte?

Zeuge Emil de Martini:

Nicht ständig. Teilweise.

Vorsitzender Richter:

Teilweise. Und sonst auch noch beim [Gleisbau] und so weiter.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und kamen im Sommer 42 in den Krankenbau. Stimmt das?

Zeuge Emil de Martini:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

So. Was haben Sie im Krankenbau gemacht?

Zeuge Emil de Martini:

Im Krankenbau war ich erst in der Schreibstube Schreiber, wurde dann gewissermaßen Totenschreiber. Das heißt also, wenn am Tag vor dem Appell irgendein Häftling erschossen wurde, so mußte ich hinaus und dessen Nummer feststellen, weil der Tote ja beim Appell abgesetzt wurde als Abgang. Dann später im Krankenbau – das war Ende 42 – wurde ich dann Blockältester im Block 21. Das war die chirurgische Abteilung.

Vorsitzender Richter:

Blockältester?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das war ungefähr Sommer oder gegen Herbst 42.

Vorsitzender Richter:

Jawohl.

Zeuge Emil de Martini:

Und war Blockältester bis zu meiner Entlassung im Jahre 43 im Februar.

Vorsitzender Richter:

Im Februar 43, jawohl.

Zeuge Emil de Martini:

Herr Rat, eine Frage: Ob ich auf die vorhergehende Zeit eingehen soll oder nur auf den Krankenbau als solchen selbst?

Vorsitzender Richter:

Also ich habe Ihre Aussage durchgesehen. Sie können im allgemeinen ja nur etwas aussagen über das Verhalten des Angeklagten Klehr. Das ist eigentlich so ziemlich alles, was Sie uns zu sagen hätten. Uns kommt es hier auf konkrete Einzelheiten an. Die Zustände im Lager sind uns jetzt von verschiedenen Zeugen schon geschildert worden, so daß wir jetzt hauptsächlich Wert darauf legen, was Sie selbst erlebt haben. Ich bin hier Ihre Aussagen durchgegangen und muß sagen, daß sie also mit Ausnahme von dem Angeklagten Klehr eigentlich über die übrigen Angeklagten wenig auszusagen hätten.

Zeuge Emil de Martini:

Wenig, das heißt nur, soweit ich gesehen habe, wer bei Exekutionen im Block 11 dabei war. Weil das konnten wir vom Block 21, vom ersten Stockwerk aus, beobachten.

Vorsitzender Richter:

Ja. Der Block 21 lag gegenüber vom Block 11, nicht?

Zeuge Emil de Martini:

Nicht gegenüber, sondern seitlich.

Vorsitzender Richter:

Seitlich ja, seitlich an dem Block 11.

Zeuge Emil de Martini:

Der Block 21 lag links vom Block. Der Block 11 war links, also ziemlich am Drahtzaun.

Vorsitzender Richter:

Vielleicht zeigen Sie es uns grade an der Karte. Danke schön, ich habe ja da vorne die Karte. Danke schön. [Pause] Ja, es ist seitlich verquert gewesen.

Zeuge Emil de Martini:

21.

Vorsitzender Richter:

Das ist 21, und da hinten ist die Schwarze Wand, und das ist der Block 11. Sie konnten also schräg da rübersehen. Und wenn Sie schon an der Karte sind, dann zeigen Sie uns auch bitte, wo Sie Ihr Fenster hatten, von dem aus Sie diese Vorgänge gesehen haben.

Zeuge Emil de Martini:

Die rückwärtige Seite des Block 21.

Vorsitzender Richter:

An der Seite des Block 21.

Zeuge Emil de Martini:

Der Gegenseite.

Vorsitzender Richter:

An dem Giebel?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, am Giebel.

Vorsitzender Richter:

Am Giebel. Im ersten Stock oder?

Zeuge Emil de Martini:

Im ersten Stock. Die Fenster waren mit weißer Farbe zugestrichen, damit man nicht hinaussehen konnte. Aber wir haben natürlich das angekratzt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und konnten trotzdem durchsehen?

Zeuge Emil de Martini:

Und konnten durchsehen, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und war da keine Blocksperre oder so was verhängt, daß das Raussehen verboten war?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, verboten war es. Man durfte sich natürlich nicht erwischen lassen

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Das ist klar. Und Blocksperre war immer beim Abtransport der Leichen. [...]

Vorsitzender Richter:

Beim Abtransport. Und bei den Erschießungen selbst nicht?

Zeuge Emil de Martini:

Bei Erschießungen nicht, weil da waren die Arbeitskommandos auswärts.

Vorsitzender Richter:

Gut. Na, dann nehmen Sie bitte wieder Platz und erzählen Sie uns, was Sie von diesen Exekutionen wissen, wen Sie dabei gesehen haben, und insbesondere, wen Sie beim Schießen gesehen haben.

Zeuge Emil de Martini:

Also, die Erschießungen mit Genickschuß wurden in der Regel durchgeführt von dem ehemaligen Hauptscharführer Palitzsch, von dem ich hörte, daß er heute nicht mehr am Leben sein soll. Er soll in den letzten Tagen des Krieges gefallen sein, so hörte ich. Wir nannten ihn im Lager nur den »Wilhelm Tell«. Und wenn er mit dem Kleinkalibergewehr über die Lagerstraße ging, so wußten wir genau, daß jetzt Exekutionen wieder vorgesehen sind. Dabei sind weiter noch gewesen der damalige Lagerführer Aumeier, der ebenfalls, glaube ich, in Polen bereits verurteilt wurde. Dann von der Politischen Abteilung ein – ich glaube, er war Scharführer – Kirchner oder Kirschner. Dann von der Politischen Abteilung weiter – ich glaube, er war Scharführer – Stark. Dann der Lagerarzt, der Doktor Entress, der also auch nicht mehr leben soll, und teilweise manches Mal auch der SDG Klehr, Josef Klehr.

Vorsitzender Richter:

Bei den Exekutionen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

An der Schwarzen Wand?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Die Leute haben Sie dort gesehen?

Zeuge Emil de Martini:

Konnte man vom Fenster aus sehen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Konnten Sie nun vom Fenster auch aus Einzelheiten sehen, also zum Beispiel wie viele Leute erschossen worden sind, wer geschossen hat und so weiter?

Zeuge Emil de Martini:

Wie viele, das war sehr unterschiedlich. Einmal mehr, einmal weniger, möchte ich sagen. Geschossen wurde immer, soweit ich es also gesehen habe, von dem ehemaligen Hauptscharführer Palitzsch.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Und der Lagerarzt mußte dann den Tod feststellen. Vorgeführt wurden die Häftlinge aus den Bunkerzellen des Blockes 11. Völlig entkleidet wurden sie vor die Wand gestellt und von [hinten] mit dem Kleinkalibergewehr erschossen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, was taten die anderen, die dabei waren, also zum Beispiel Klehr?

Zeuge Emil de Martini:

Die standen dabei. Ich vermute, daß die gewissermaßen eine Art Zeugen bei der Exekution sein sollten. Denn sie hatten praktisch keine Beschäftigung dabei.

Vorsitzender Richter:

Geschossen haben sie jedenfalls nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Habe ich nicht gesehen.

Vorsitzender Richter:

Sie haben es nicht gesehen.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, glaube ich nicht, daß sie selbst geschossen haben.

Vorsitzender Richter:

Wie oft haben Sie derartige Exekutionen mit angesehen?

Zeuge Emil de Martini:

Ach, mehrere Male. Ich könnte jetzt gar nicht mal die Zahl nennen, weil die Exekutionen an der Tagesordnung waren.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, wußten Sie, warum diese Leute dort erschossen worden sind oder was man wenigstens zum Anlaß genommen hatte, sie zu erschießen?

Zeuge Emil de Martini:

Teilweise hörte man, daß diese Leute, soweit es sich um Zivilisten handelte, bereits von der Gestapo aus Kattowitz überstellt wurden mit dem Zeichen SB, das hieß also »Sonderbehandlung«.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Und teilweise waren es aber auch wieder Geiseln, die festgenommen worden waren, weil irgendein Häftling geflüchtet war. Einmal, im Jahre 42, glaube ich, wurde ein Befehl von Himmler bekanntgegeben, daß bei der Flucht eines Häftlings dessen Angehörige bis zum letzten Glied ausgerottet werden. Nun konnte man manches Mal sehen, daß ganze Familien – vom Säugling angefangen bis zum Großvater – in Zivilkleidung mit dem Gefangenenwagen im Lager ankamen, in Block 11 hineingeführt wurden, und eine Stunde später trug man die Leichen heraus.

Vorsitzender Richter:

Wieso wissen Sie, daß Himmler einen derartigen Befehl gegeben hat?

Zeuge Emil de Martini:

Es wurde bekanntgegeben, daß bei der Flucht eines Häftlings – ich glaube, das hat damals der Lagerführer bekanntgegeben während eines Appells – dessen Familienangehörige als Geiseln ins Lager kommen und zum Tod verurteilt sind. Man wollte damals die Flucht vieler Häftlinge verhindern.

Vorsitzender Richter:

Ja. Sie sagten eben, daß sei ein Befehl Himmlers gewesen. Wissen Sie, ob das ein Befehl Himmlers war oder ob man diese Maßnahme im Lager angeordnet hat?

Zeuge Emil de Martini:

Also jedenfalls Todesurteile selbst mit Erhängen wurden ja bekanntgegeben im Namen des Reichsführers SS und so weiter. Ob das Urteil nun von Himmler selbst bestätigt war, das weiß ich nicht. Angeführt wurde es jedenfalls.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und in diesen Fällen, in denen ganze Familien ausgerottet wurden, wie Sie eben sagen, da glauben Sie, daß das aufgrund einer Anordnung Himmlers erfolgt ist?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, oder jedenfalls vom Reichssicherheitshauptamt.

Vorsitzender Richter:

Oder vom Reichssicherheitshauptamt. Gesehen haben Sie natürlich derartige Befehle nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Den Befehl nicht, nein.

Vorsitzender Richter:

Das ist Ihnen bloß beim Appell oder irgendwo

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Es wurde bekanntgegeben.

Vorsitzender Richter:

Bekanntgegeben. Und zwar bekanntgegeben mit dem Hinzufügen, daß das Reichssicherheitshauptamt das befohlen habe.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun ja, es spricht ja einiges dafür. Denn wie sollte das Konzentrationslager Auschwitz in die Gewalt der Familien kommen, wenn nicht von außen her die Familien zugeführt worden wären.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie sagen also, es sind erschossen worden Leute, die von außen hereinkamen mit der Bezeichnung SB, »Sonderbehandlung«.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Das haben Sie aber auch nur gehört? Oder haben Sie das einmal irgendwo auf einem Papier gesehen?

Zeuge Emil de Martini:

Ich habe das nicht gesehen, aber ich hatte einen Kameraden, der ist inzwischen verstorben, aus Oberschlesien, und der war Schreiber in der Politischen Abteilung.

Vorsitzender Richter:

Wie hieß denn der?

Zeuge Emil de Martini:

Joszyński.

Vorsitzender Richter:

Joszyński.

Zeuge Emil de Martini:

Joszyński. Vor ungefähr sechs Jahren ist er gestorben an irgendeiner Herzsache.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Er lebte in einem Ort bei Königshütte. Und der hatte natürlich, wenn er ins Lager kam, über diese Dinge erzählt, hat uns auch unterrichtet, was in der Politischen Abteilung geplant wird. Weil es kamen auch Versetzungen in andere Lager vor, und so wurden wir von ihm meist unterrichtet.

Vorsitzender Richter:

Ja. Das ist also das, was Sie von den Erschießungen an der Schwarzen Wand wissen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und nun, was haben Sie in Ihrem Bau 21 erlebt? Der Bau 21 war doch wohl die chirurgische Abteilung?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, chirurgische Abteilung.

Vorsitzender Richter:

Ja. Wie war dieser Bau in sich gegliedert? Das heißt also, was waren da für Räume?

Zeuge Emil de Martini:

Unten, wenn man den Bau betrat, war linker Hand die Krankenbauschreibstube. Rechter Hand war das Dienstzimmer des SDG Klehr. Dann kam als nächstes der aseptische Operationssaal.

Vorsitzender Richter:

Aseptische?

Zeuge Emil de Martini:

Aseptisch, ja, ja. Als nächstes war dann die Zahnstation. Das war das Parterre. Und auf der linken Seite noch eine Stube für das Pflegepersonal. Das waren also polnische Häftlinge, Medizinstudenten und so weiter oder auch polnische Ärzte, die mit der Bezeichnung Pfleger, also Sanitäter, in diesem Krankenbau arbeiteten. Im ersten Stockwerk waren links und rechts zwei Säle, also Krankensäle mit drei Stock hohen Holzbetten.

Vorsitzender Richter:

Ja. Waren in diesem Bau nur chirurgische Fälle?

Zeuge Emil de Martini:

In diesem Bau waren nur chirurgische Fälle. Block 20, der nebenan war, war die Infektionsstation für Fleckfieber, Typhus und dergleichen, während Block 28 mehr für die allgemeinen Krankheiten da war, zum Beispiel Lungenentzündung und dergleichen, also innere Krankheiten.

Vorsitzender Richter:

Ja. Haben Sie in diesem Block 21 auch erlebt, daß Selektionen durchgeführt wurden, das heißt also, daß Leute herausgesucht wurden, um dann auf irgendeine Weise getötet zu werden?

Zeuge Emil de Martini:

Mehr wie einmal, Herr Rat. Denn normalerweise hätte der Block höchstens mit 600 Personen belegt sein können. Er war aber meist überbelegt, so daß wir vielleicht 1.800 bis 2.000 Personen in diesem Block mitunter hatten. Und dann kamen der Lagerarzt Doktor Entress mit dem SDG Klehr gemeinsam. Da mußten die Kranken dann aus den Betten heraus, ob sie nun gehen konnten oder nicht. Sie mußten an ihm vorbei. Und Doktor Entress nahm dann die Fieberkurven, die genau geführt wurden, mit Angabe aller Medikamente, die die Kranken natürlich nie bekommen haben, und legte diese Fieberblätter nach rechts oder links. Was er links legte, war dann bestimmt zur Vergasung oder zum »Abspritzen«, was rechts blieb, blieb weiter im Krankenbau.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Die Regel war, wenn ein Kranker innerhalb von 14 Tagen nicht wieder arbeitsfähig ist und ins Lager entlassen werden kann, war er sowieso ein Todeskandidat. Er galt als unnötiger Esser. Und es kam sehr selten vor, daß ein Kranker – vor allen Dingen sehr schwer Fußkranker mit Phlegmonen und dergleichen Dingen behaftet – in 14 Tagen gesund werden konnte. Im normalen Zivilleben hätte man all die Kranken wieder heilen können. Dort war es unmöglich, weil es waren auch keine Medikamente da. Es wurde alles nur in Papier hineingeschrieben, was der Häftling bekommen hat, wie sorgfältig er gepflegt wurde im Krankenbau und so weiter. Aber die Hauptapotheke, die SS-Hauptapotheke, gab ja nichts heraus. Wir bekamen nur Papierbinden und gegen Ruhr zum Beispiel Bolus alba, also weiße Tonerde beziehungsweise Kohle. Und dann noch für Wunden Lebertransalbe. Das war alles. Sonst gab es ja nichts.

Die einzelnen Transporte in Birkenau, diese Judentransporte, die kamen natürlich auch mit großen Kisten an, mit Medikamenten, weil Ärzte dabei waren, die trugen das Genfer Abzeichen, das Rote Kreuz, was sie natürlich auch vor einer Vergasung nicht schützte. Und diese Medikamente wurden alle in die SS-Apotheke nach Auschwitz abgeliefert. Bei dieser Gelegenheit haben wir natürlich dann immer möglichst viel organisiert für unsere Kranken, sonst hätten wir ja nichts gehabt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, Sie sagten eben, diese Selektionen sind von dem Doktor Entress, in dessen Begleitung sich Klehr befand, vorgenommen worden?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie auch einmal erlebt, daß Klehr alleine Selektionen durchgeführt hat, ohne den Doktor Entress?

Zeuge Emil de Martini:

Ich habe es ein- oder zweimal erlebt, daß Doktor Entress aus irgendwelchen Gründen diese Selektionen nicht beendete und die Arbeit dann Klehr überließ und wegging.

Vorsitzender Richter:

Zunächst mal folgende Vorfrage: Wie lange war denn der Klehr nach Ihrer Erinnerung dort in diesem Bau?

Zeuge Emil de Martini:

Ich kam hinein Ende 1941, da war ich aber Schreiber, da habe ich mit ihm keine direkte Berührung gehabt, erst als Blockältester später, weil er mein Vorgesetzter war, bis zu meiner Entlassung. Er ist nachträglich noch dort geblieben.

Vorsitzender Richter:

Sie sind im Februar 43 weggekommen.

Zeuge Emil de Martini:

Wurde ich entlassen, ja.

Vorsitzender Richter:

Und da, sagen Sie, ist er noch dagewesen.

Zeuge Emil de Martini:

Da war er noch da.

Vorsitzender Richter:

Und ist sogar noch geblieben. Was nachher war, wissen Sie natürlich nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Ich weiß das nämlich deswegen, Herr Rat: Ich wurde dann sofort zur Wehrmacht eingezogen, und – ich weiß nicht, ob ich das als unfair bezeichnen soll – jedenfalls machte es mir Spaß, daß ich als ehemaliger Häftling nun plötzlich Wehrmachtskamerad geworden bin, und ich schrieb den damaligen Oberscharführer Klehr von der Wehrmacht aus an mit »Werter Kamerad«. Ich habe nicht geglaubt, eine Antwort zu bekommen, aber er schrieb mir.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Er antwortete darauf. Und da schrieb er mir unter anderem noch, daß er im Krankenbau weiterhin tätig ist. Und er hat sich wiederholt an die Front gemeldet und darf nicht an die Front. Ich habe diesen Brief zufälligerweise als Kuriosum mir aufgehoben. Ich habe ihn hier mitgebracht, also

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

So, dann geben Sie uns doch mal den Brief.

Zeuge Emil de Martini:

Darf ich mal? Ich habe ihn in der Tasche.

Vorsitzender Richter:

Sie können ihn uns nachher geben. Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Gut.

Vorsitzender Richter:

Es interessiert uns das um dessentwillen, als der Angeklagte Klehr uns nämlich wiederholt versichert hat, er sei nur bis zum Herbst 1942 überhaupt im Lager Auschwitz gewesen.

Zeuge Emil de Martini:

Also 43 im Februar wurde ich entlassen, und da war er noch da, ebenso wie Doktor Entress.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und er sagt, er sei zwar noch weiter im Lager gewesen, aber er hätte eine andere Funktion bekommen, nämlich er wäre Leiter der Desinfekteure geworden.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ja, das ist richtig, das stimmt. Das habe ich dann erfahren von einem Häftling, der mit mir korrespondierte nach seiner Entlassung. Ich fragte ihn natürlich nach verschiedenen Kameraden und über die Vorgänge im Lager, und da wurde mir das von einem Kameraden damals mitgeteilt, daß Klehr zu den Desinfektoren gekommen sei. Da war ich aber nicht mehr dort.

Vorsitzender Richter:

Da waren Sie nicht mehr dort.

Zeuge Emil de Martini:

Das habe ich nur von einem Kameraden erfahren.

Vorsitzender Richter:

Das war also nach Ihrer Entlassung.

Zeuge Emil de Martini:

Nach meiner Entlassung.

Vorsitzender Richter:

So daß Sie uns unbedingt sagen können, bis zum Februar 43 war er bestimmt noch dort?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Das war die Zeit Ihrer Entlassung.

Zeuge Emil de Martini:

Zur Zeit meiner Entlassung war er noch da.

Vorsitzender Richter:

War er noch da. Haben Sie einmal gehört, daß er um die Weihnachtszeit 1942 selbständig Selektionen durchgeführt haben soll?

Zeuge Emil de Martini:

Also im Block 21 nicht.

Vorsitzender Richter:

Im Block 21 nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Ob in anderen Blöcken? Ich meine, der SDG war ja für den gesamten Krankenbau zuständig.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Für 28, 21...

Vorsitzender Richter:

19.

Zeuge Emil de Martini:

20, 19 als Schonungsblock. Aber im Block 21 nicht. Ich weiß nur, daß Selektionen durchgeführt wurden von Doktor Entress.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

In Begleitung von Oberscharführer Klehr. Und daß Doktor Entress – ich erinnere mich an zwei oder drei solcher Fälle – aus irgendwelchen Gründen es sehr eilig hatte und hat die weitere Arbeit dem Oberscharführer Klehr übertragen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Also wenn Sie nichts davon wissen, dann will ich Sie nicht näher befragen danach. Es ist uns von anderen Zeugen gesagt worden, es sei sehr eindrucksvoll gewesen an Weihnachten 1942. Alle Häftlinge wären schon froh gewesen, daß der Doktor Entress, oder wer damals Arzt war, in Urlaub gefahren sei und nicht mehr da sei. Und sie hätten alle aufgeatmet, heute kann nichts mehr passieren, der Arzt ist weg. Und zu ihrem großen Schrecken hätte dann Klehr von sich aus eine Selektion durchgeführt. So ist uns erzählt worden. Sie selbst wissen davon nichts

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ich weiß davon nichts.

Vorsitzender Richter:

Wie Sie uns selbst eben gesagt haben. Ja. Sie haben dann als Schreiber doch, wie Sie sagten, die Todesmeldungen zu machen gehabt.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wie wurden diese Todesmeldungen angefertigt? Durften Sie da immer die wahre Todesursache nennen, oder mußten Sie da andere Todesursachen nennen?

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Das ging folgendermaßen vor sich: In der Krankenbauschreibstube lag eine Liste vor, die vom Lagerarzt oder von der Politischen Abteilung – das weiß ich nicht – zusammengestellt war. Da waren sämtliche Krankheiten, die möglich sind bei einem natürlichen Tod, eingetragen.

Wenn eine Selektion stattgefunden hatte und die ausselektierten Kranken noch auf diesen großen Lkws zu den Gaskammern fuhren, dann arbeiteten schon die Schreibmaschinen im Krankenbau, und da wurden die Totenberichte geschrieben. Das wurde sehr genau gemacht für die Standesämter und so weiter. Und dann hieß es meinetwegen, also verstorben an Herz- und Kreislaufschwäche 00.01 Uhr, 00.02 Uhr und 00.03 Uhr und so weiter und so weiter. Je nachdem, wie stark der Transport war. Meistens waren es ja mehrere Hunderte oder vielleicht Tausende, die nach Birkenau transportiert wurden.

Aber eine wahre Todesursache wurde nie bekanntgegeben. Im Gegenteil, die Fieberkurven – soweit welche vorhanden waren, sonst wurden sie künstlich noch angefertigt –, die enthielten alle Medikamente, die ein Kranker nur überhaupt erhalten kann, um gesund zu werden. Und dann ging meistens auch noch ein Beileidsschreiben an die Angehörigen, soweit es sich um deutsche Staatsbürger gehandelt hat, daß trotz aufopfernder Pflege es nicht zu vermeiden war, daß der Betreffende an Herz- und Kreislaufschwäche verstorben ist. Diese dort angefertigten Papiere, das war die reinste Lüge, das war die reinste Urkundenfälschung, weil es nämlich nicht stimmte.

Vorsitzender Richter:

Wir wollen zu einem anderen Kapitel übergehen: Was wissen Sie von den Tötungen mit Injektionen?

Zeuge Emil de Martini:

Die wurden in der Ambulanz vorwiegend im Block 20, also im 28. Block auch, aber vorwiegend im Block 20 in der Ambulanz durchgeführt mit Phenol. Und zwar entweder waren es Arztvormelder, das heißt, das waren jene Häftlinge, die sich früh morgens, also nach dem Appell, zum Krankenbau Block 28 begaben, um dort aufgenommen zu werden, die Fieber hatten oder irgendwie Phlegmone oder sonstige körperliche Schäden. Und die mußten nun auf den Arzt warten, bis der kam. Doktor Entress kam meistens erst gegen halb zehn oder halb elf. Man nannte sie Arztvormelder. Und von diesen Arztvormeldern dann, wenn Doktor Entress kam, wurden wieder nur diejenigen aufgenommen im Krankenbau, die hohes Fieber hatten, also mindestens 39, 40, und von denen man also annehmen konnte, daß sie doch in irgendeiner bestimmten Zeit, also in 14 Tagen, wiederhergestellt werden können.

Wenn es sich um Häftlinge gehandelt hat, die derart abgemagert waren, daß nur noch der ganze Körper aus Haut und Knochen bestand, so wurden sie dann zum »Abspritzen«, wie wir es nannten, ausgesondert, wurden nackt vom Block 28 nach Block 20 herübergeführt, mußten dort im Korridor warten, einer nach dem anderen, wurden dann in die Ambulanz hineingeführt und dann dort mit Phenol »abgespritzt«. Ungefähr, ich glaube, 20 Kubikzentimeter Phenol waren es. Und dann nach dem »Abspritzen« kamen sie in einen vis-á-vis gelegenen Waschraum, wurden aufeinandergestapelt, blieben dort liegen bis abends, bis dann wieder Blocksperre war. Dann kamen die Lastwagen, dann wurden sie hinaufgeworfen und zum Krematorium gefahren.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun zunächst einmal, wann wurden denn die Kranken in den Block 28 gebracht? Wie spielte sich das ab? Wann meldeten sich die Leute krank?

Zeuge Emil de Martini:

Frühmorgens beim Appell beziehungsweise

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Frühmorgens beim Appell. Nicht abends?

Zeuge Emil de Martini:

Doch, auch nach dem Abendappell.

Vorsitzender Richter:

Auch nach dem Abendappell.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun, die Leute, die sich nach dem Abendappell meldeten, was geschah mit denen?

Zeuge Emil de Martini:

Die kamen nach Block 28, wurden dort von Häftlingsärzten, die wir Pfleger nannten – das waren teilweise österreichische Ärzte oder polnische Ärzte –, untersucht, kamen in einen Waschraum, wurden da gebadet, das heißt nur abgebraust mit kaltem Wasser, und wurden im Block 28 einstweilen aufgenommen. Da war extra ein Zimmer im Parterre, auch mit Holzbetten übereinander, wo diese Arztvormelder einmal die Unterkunft erhielten bis zum nächsten Tag, bis also der Lagerarzt dann kam. Und der hat dann am nächsten Tag erst entschieden, ob der eine oder andere

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und am nächsten Tag kamen dann noch dazu vermutlich die Leute, die bei dem Morgenappell sich gemeldet hatten?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ja. Aber in der Regel waren beim Abendappell mehr Kranke da, weil sie vom Arbeitskommando hereinkamen und teilweise nicht mehr laufen konnten und irgendwelche Verletzungen hatten.

Vorsitzender Richter:

Ja. Diese Leute wurden also über Nacht dabehalten und am nächsten Tag, sagten Sie, dem Lagerarzt vorgestellt.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun waren Sie inzwischen untersucht von den Häftlingsärzten. Legten die darüber eine bestimmte Kartei an oder

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Oder eine Fieberkurve oder so irgendein Krankenblatt oder so?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ein Krankenblatt wurde angelegt beziehungsweise eine Karteikarte angelegt. Und diese wurde dann mit dem Kranken am nächsten Tag dem Lagerarzt Doktor Entress vorgestellt. Und Doktor Entress hat es genau wieder gemacht wie bei Selektionen. Er legte eine Karte links, eine Karte rechts. Der Häftling wußte nun nicht, ist er aufgenommen oder nicht. Zu gegebener Zeit – das war sehr verschieden, bis eben dann der damalige SDG Klehr im Lager erschien zum Dienst – wurden sie dann von einem Pfleger, also Häftlingspfleger, vom Block 28 nach Block 20 geführt.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Die anderen, die Doktor Entress zur Aufnahme bestimmt hatte, wurden dann verteilt. Sie kamen entweder in Block 28 oder in die Isolierstation.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

In die innere Abteilung oder chirurgische Abteilung, ja.

Zeuge Emil de Martini:

Oder in Block 21.

Vorsitzender Richter:

Ja. Die wurden also rübergeführt, und zwar im Laufe des Vormittags, oder wann wurden die rübergeführt auf Block 20?

Zeuge Emil de Martini:

In der Regel war es so gegen Spätvormittag.

Vorsitzender Richter:

Gegen Spätvormittag. Und wer besorgte nun das Übrige, also das Töten der Leute?

Zeuge Emil de Martini:

Da war in der ersten Zeit, soweit ich mich erinnere, ein Pole. Das war ein Gehilfe des SDG, Pańszczyk hieß er.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Und dieser Pańszczyk – ich weiß es nicht mehr genau – war ein Funktionshäftling in Block 20. Ich weiß nicht, war er Blockältester, das kann ich nicht mehr sagen. Und der war also ein Gehilfe vom SDG Klehr noch zu der Zeit, als ich im Block 21 als Blockältester tätig war. Und das ging dann folgendermaßen vor sich, ich meine

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Sie waren doch überhaupt nur in Block 21 tätig.

Zeuge Emil de Martini:

Als Blockältester des Krankenbaus kam ich in andere Blöcke auch.

Vorsitzender Richter:

So.

Zeuge Emil de Martini:

Wir haben noch einen Lagerältesten des Krankenbaus gehabt, einen gewissen Hans Bock. Das war ein Westfale. Der hat es aber nicht überlebt. Der wurde dann versetzt nach Birkenau und ist da, glaube ich, an Fleckfieber gestorben. Ich habe da so etwas gehört.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Aber als Blockältester des Krankenbaus konnte ich in Block 19, den Schonungsblock, genauso hinein wie in den Block 20. Und da hatte ich auch eine Gelegenheit einmal, das zu sehen. Das war natürlich mit einer gewissen Gefahr verbunden. Ich meine, wenn SDG Klehr damals das bemerkt hätte, daß man da so nun einmal schaut, was sich da in diesem Ambulanzraum abspielt, ich weiß nicht, wie die Sache geendet wäre. Da wurde der Häftling auf eine Art Untersuchungsstuhl gesetzt, und zwei andere Häftlinge – damals, das, was ich sah – haben ihn festgehalten. Und dann wurde die Kanüle, die ungefähr die Stärke einer Stricknadel hatte, mit einer 20 Kubikzentimeter-Füllung Phenol ins Herz gestoßen.

Vorsitzender Richter:

Und wer hat das gemacht, wie Sie es gesehen haben?

Zeuge Emil de Martini:

Oberscharführer Klehr.

Vorsitzender Richter:

Das haben Sie also mit eigenen Augen gesehen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. Ich hatte einmal Gelegenheit, durch Herrn Staatsanwalt Bauer, glaube ich, im Untersuchungsgefängnis Münster dem ehemaligen Oberscharführer Klehr gegenübergestellt zu werden. Und ich habe damals gesagt zu ihm, er hat mich auch sofort wiedererkannt: »Herr Klehr, was geschehen ist, läßt sich nicht vertuschen. Es ist zu bekannt. Ich kann Ihnen nur sagen, verheimlichen Sie nichts und schonen Sie nicht Ihre Vorgesetzten.« Daraufhin hat er mir erklärt, das will er auch nicht tun. Ich weiß nicht, wie er sich bisher verhalten hat. Ich habe darüber keine Informationen.

Vorsitzender Richter:

Also Sie haben jedenfalls einmal gesehen, wie er selbst die Nadel ins Herz gestoßen hat?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. [...]

Vorsitzender Richter:

Und wissen Sie noch, wie die beiden Häftlinge hießen, die die Leute festgehalten haben?

Zeuge Emil de Martini:

Also einer war Pańszczyk.

Vorsitzender Richter:

Pańszczyk.

Zeuge Emil de Martini:

Vom zweiten weiß ich den Namen nicht mehr.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie nicht mehr.

Zeuge Emil de Martini:

Weil Pańszczyk war deswegen bekannt, weil er als Häftling auch sehr brutal gegenüber K ranken

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Hieß er Schwarz? [...]

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein, ich meine Pańszczyk.

Vorsitzender Richter:

Nein, ich meine, der andere Häftling.

Zeuge Emil de Martini:

Das weiß ich nicht mehr.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie nicht mehr, wie er hieß. Das haben Sie einmal beobachten können. Und wo spielte sich das denn ab, in welchem Raum, und wie kamen Sie dahin?

Zeuge Emil de Martini:

In der Ambulanz des Blockes 20.

Vorsitzender Richter:

Und wo lag die?

Zeuge Emil de Martini:

Die lag am Blockeingang. Wenn man vom Block 21 von vorne hereinkam, war es links. Rechts war der Waschraum, wo die Toten dann also abgelegt wurden.

Vorsitzender Richter:

Links war der Waschraum?

Zeuge Emil de Martini:

hereinkam, war es links.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Rechts war der Waschraum, wo die Toten dann abgelegt wurden.

Vorsitzender Richter:

Links war der Waschraum?

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Links war die Ambulanz, und rechts war der Waschraum; also direkt vis-à-vis gegenüber der Ambulanz war der Waschraum.

Vorsitzender Richter:

Und konnte man da ohne weiteres von diesem Seiteneingang hineinkommen?

Zeuge Emil de Martini:

In den Block konnte man schon hineinkommen, aber ich hatte nur Gelegenheit, diesen momentanen Akt zu sehen. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde ein Funktionshäftling des Blocks 20 hineinging und etwas sagte oder etwas wollte

Zeuge Emil de Martini:

keinen frei waren, haben sie in einem Saal sitzen und warten müssen, bis sie zur Ambulanz gerufen wurden. Und wenn es eben mehrere waren, dann war der ganze Korridor vollgelagert. Einer neben dem anderen.

Vorsitzender Richter:

Und haben die das dann alle mit angesehen, diese Häftlinge, oder konnten die das

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Nein. Nein, denn die waren ungefähr vom Ambulanzzimmer die halbe Blocklänge entfernt. Also die Blockseite, wo das Ambulanzzimmer war, da durften die Häftlinge nicht hin, die Kranken. Es war bis zur Hälfte nur.

Vorsitzender Richter:

Nun sagen Sie: Und wenn nun die Leute getötet waren, was geschah mit den Leichen?

Zeuge Emil de Martini:

Die Leute waren ja nicht sofort tot. Die wurden ja nur bewußtlos. Und wurden bewußtlos dann von diesem Pańszczyk da beziehungsweise von dem, dessen Namen ich nicht weiß, herausgetragen über den Korridor und in den Waschraum abgelegt.

Vorsitzender Richter:

Konnten das die anderen Häftlinge sehen?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, der Korridor war auf dieser Seite. Wo die Ambulanz und Waschraum war, war der Korridor mit einer Decke abgehängt.

Vorsitzender Richter:

So eine Art Vorhang.

Zeuge Emil de Martini:

Aber abgesehen davon: Diese Häftlinge, die da am Boden lagen und denen man nun vielleicht erzählt hat, Sie müssen gegen irgendwelche Infektionskrankheiten geimpft werden, wußten das sowieso. Es war kein Geheimnis im Lager. Die Leute hatten Angst, überhaupt sich im Krankenbau zu melden, am Schluß, und haben ihre Kameraden gewarnt: »Nicht in den Krankenbau gehen, da kommt man nicht mehr heraus!«

Vorsitzender Richter:

[Pause] Wissen Sie auch etwas davon, daß andere SDGs diese Tötungen mit Injektionen durchgeführt haben?

Zeuge Emil de Martini:

Es war dann eine kurze Zeit – ich weiß nicht, ob dann SDG Klehr in Urlaub war – SDG Scherpe da, den ich nur als einen ruhigen Menschen kennengelernt habe, der nicht gebrüllt hat und sonst dergleichen, der sich sehr zurückhaltend im Block 21 bewegt hat. Und dann auch kurze Zeit, einige Tage, war Hantl – Rottenführer oder was er war – da. Aber bei beiden konnte ich das nicht bemerken. Also jedenfalls im Block 21 oder im Block 20 ist mir davon nichts bekanntgeworden. Denn als Blockältester erfährt man ja immer sofort, was im Nebenblock geschehen ist oder auf der Stube.

Vorsitzender Richter:

Ist Ihnen mal aufgefallen, daß eine große Anzahl jugendlicher Menschen da angekommen ist, die noch Fußball gespielt haben und die nachher auch auf diese Weise ums Leben gekommen sind?

Zeuge Emil de Martini:

Das nicht, aber eine andere Sache, Herr Rat. Es kamen 42 einmal Jugendliche, Kinder, so vielleicht zwischen acht und vierzehn Jahren. Es waren Jungen. Die waren natürlich nicht fähig, in einem Arbeitskommando zu arbeiten, und die blieben im Lager in den einzelnen Blöcken und haben da die Fenster geputzt und irgend so leichte Arbeiten verrichtet beim Blockältesten. Und dann hieß es eines Tages, es ist unmoralisch, daß Kinder mit Männern gemeinsam schlafen. Also einen Block für Kinder gab es nicht, und um die Moral zu retten, nicht wahr, wurden diese Kinder »abgespritzt«. Da war die Moral gerettet im Lager Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie das selbst miterlebt?

Zeuge Emil de Martini:

Ich habe nur die Leichen gesehen dann, beim »Abspritzen« war ich nicht dabei.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie vom Hörensagen, ob sich damals etwas zugetragen hat bei dieser Tötung, ob da irgend jemand eine Art Nervenzusammenbruch bekommen hat oder weggelaufen ist oder so etwas? Oder wer das überhaupt veranlaßt und getan hat?

Zeuge Emil de Martini:

Verzeihung, meinen Sie, veranlaßt, wer den Auftrag, den Befehl

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, das würde uns natürlich auch interessieren, wenn Sie das wissen sollten.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, diese Dinge kamen immer von der Politischen Abteilung. Nur von der Politischen Abteilung.

Vorsitzender Richter:

Aber das haben Sie nur so gesprächsweise gehört? Denn wissen konnten Sie es ja wohl nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, das weiß ich insofern: Im Jahre 42 – da war ich schon Blockältester – kamen immer am Abend die Listen, wo die Nummern standen von denjenigen Häftlingen, die am nächsten Tag ins Gas gingen. Und diese Liste übernahm damals – ich erinnere mich an diesen Fall noch sehr genau – SDG Klehr, und im allgemeinen übergab er sie dann dem Schreiberkapo in der Krankenbauschreibstube, Szary hieß er. Ich weiß nicht, wo er heute ist.

Und an diesem Abend nahm SDG Klehr diese Liste in sein Dienstzimmer und schloß sie in seinen Schreibtisch ein und ging aus dem Lager heraus. Sein Dienst war beendet. Der Lagerälteste Bock war nun neugierig und sagte: »Irgendwas stimmt hier nicht, warum hat uns heute Klehr die Liste nicht gegeben?« Ich meine, man durfte ja nicht darüber sprechen, die Schreibstube mußte aber schon sich vorbereiten für den nächsten Tag. Und da hat der damalige Lagerälteste Bock am Abend einen Posten vor die Blocktür gestellt, die Tür des SDG-Zimmers mit einem aufgebogenen Draht aufgeschlossen, den Schreibtisch von Klehr ebenfalls aufgeschlossen, und da haben wir die Liste herausgenommen und haben die Liste uns angesehen. Und in dieser Liste, die war unterzeichnet, war eine große Klammer gezogen über all die Namen der Kranken, selbst die Pfleger, einschließlich meiner Person – nur einer war ausgenommen, das war Hans Bock, der Lagerälteste des Krankenbaues: »Können fahren. Grabner«, stand drauf.

Vorsitzender Richter:

»Können fahren«?

Zeuge Emil de Martini:

»Grabner«. Grabner war ja der Leiter der Politischen Abteilung. Also, »können fahren«, das war nun folgendermaßen: Sie können abfahren nach Birkenau.

Am nächsten Tag nach dem Frühappell haben natürlich wir die Kranken dann in den Hof heruntergebracht, hingelegt und so weiter, und dann kam der Lagerführer Aumeier, der also diese Forderung noch erhob; er lebt ja nicht mehr. Und nachdem nun der Krankenbau so ziemlich geräumt war und alles am Hof wie in einer Sardinenbüchse lag, kam der Lagerarzt Doktor Entress, war ganz überrascht, was hier los ist, und hat sofort angeordnet, die Kranken wieder hineinzubringen.

Es gab damals einen Streit zwischen Lagerführer Aumeier und Doktor Entress, was darauf zurückzuführen war, daß diese Kreise – Lagerführung, Politische Abteilung und Lagerarzt – sich gegenseitig bekämpft haben. Das ist das Eigenartige in Auschwitz gewesen. Jeder wollte immer nur seinen Willen durchsetzen und den anderen übertrumpfen. Und in diesem Fall weiß ich zufälligerweise, daß die Dinge von der Politischen Abteilung kamen, weil ich diese Liste gesehen habe. Die habe ich in der Hand gehabt. Wir haben sie dann wieder in den Schreibtisch hineingelegt, den Schreibtisch zugeschlossen und das SDG-Zimmer wieder verschlossen. Also so hat damals Oberscharführer Klehr davon nichts gewußt, als er am nächsten Tag wiederkam.

Aber wir waren im Bilde, was sich da vorn wieder abgespielt hatte in der Politischen Abteilung. Sämtliche Transporte oder sämtliche Erschießungen und so weiter gingen von der Politischen Abteilung aus, während die Selektionen wieder von seiten des Standortarztes angeordnet beziehungsweise die Durchführung veranlaßt wurde.

Vorsitzender Richter:

Und wenn damals der Doktor Entress sich nicht eingemischt hätte, wären Sie vermutlich auch mit dabeigewesen.

Zeuge Emil de Martini:

Wäre alles gefahren, nicht wahr, mit Ausnahme von Hans Bock, dem damaligen Lagerältesten.

Vorsitzender Richter:

Nun haben Sie uns vorhin erzählt, daß in dem Bau, in dem Sie sich befunden haben, auch ein Zahnarztzimmer war.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Wer war denn da Zahnarzt drin?

Zeuge Emil de Martini:

Das waren ganz junge Zahnärzte. Die Namen weiß ich leider nicht mehr. Aber es waren ganz junge Zahnärzte, die vielleicht vom Studium, von der Universität kamen, die da nur geübt und gelernt haben, Zähne zu ziehen, die durch die Krankenstationen gingen. Die Häftlinge mußten den Mund aufmachen. Wenn irgendwo ein Zahn unplombiert war, wurde er zur Zahnstation beordert, und da wurden die Zähne ohne Betäubung gezogen. Ich habe nur den Eindruck gehabt, daß das noch gar keine Zahnärzte waren, daß die vielleicht nur einige Semester studiert hatten und dann eingezogen wurden und dort versuchten, ein Praktikum abzulegen.

Vorsitzender Richter:

Gab es auch Lagerzahnärzte, also

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Häftlinge?

Vorsitzender Richter:

Nein, ich meine jetzt SS-Leute, die als Zahnärzte tätig waren?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das war im Stammlager, die Zahnstation. Denn die Häftlinge von Birkenau wurden ja zu uns nach dem Stammlager gebracht, auch aus dem Frauenlager, zur Zahnbehandlung.

Vorsitzender Richter:

Und die SS-Leute selbst, von wem wurden denn die behandelt, zahnärztlich?

Zeuge Emil de Martini:

Im SS-Revier.

Vorsitzender Richter:

Vom SS-Revier.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, also außerhalb des Lagers.

Vorsitzender Richter:

Und da waren wieder andere Ärzte tätig?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, das waren die gleichen auch.

Vorsitzender Richter:

Ja. Also wir haben

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Verzeihung, es war folgendermaßen: Der Standortarzt – damals war es Doktor Wirths – der hatte ja mehrere Lagerärzte und Zahnärzte, die zu seinem Kommandanturbereich gehörten. Und die Lagerärzte, die also im Krankenbau in der Zahnstation arbeiteten, waren ja auch tätig im SS-Revier gleichzeitig.

Vorsitzender Richter:

So. Wissen Sie etwas davon, ob und inwieweit Ärzte eingeteilt worden sind, um an der Rampe Selektionen durchzuführen?

Zeuge Emil de Martini:

Es war nur bekannt, daß alle Offiziersgrade zu diesen Diensten eingeteilt wurden. Das war bekannt im Lager, nicht wahr.

Vorsitzender Richter:

Aber selbst gesehen, oder Beobachtungen gemacht

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ich war einige Male in Birkenau draußen. Es war ja bei den Transporten so, daß das ganze Eigentum, was die jüdischen Transporte mitbrachten, weggenommen wurde. Das wurde sortiert und so weiter, und dann wurde es nach Berlin geschickt, zum Winterhilfswerk. Die Stoffe wurden wieder zerfasert und neu gesponnen und so weiter. Und da war ich mit meinen Pflegern einige Male draußen, weil wir ja, wie ich schon vorhin sagte, Medikamente »organisierten« für unseren Krankenbau. Normalerweise hätten die Medikamente, die mit jüdischen Transporten kamen, in der SS-Apotheke abgeliefert werden müssen. Das war die Vorschrift. Aber nachdem wir von der SS-Apotheke ja nichts bekamen und keinerlei Medikamente da waren, so haben wir, wenn wir hinauskamen nach Birkenau, möglichst versucht, viel zu »organisieren«und das zu uns ins Lager hereinzubringen, um Medikamente für die Häftlinge zu haben.

Vorsitzender Richter:

Und dadurch sind Sie auch an die Rampe gekommen nach Birkenau?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie dort in Birkenau einmal gesehen, wie irgendwelche Selektionen durchgeführt worden sind?

Zeuge Emil de Martini:

So dicht kam man ja nicht heran, daß ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

So dicht kam man nicht heran.

Zeuge Emil de Martini:

Es war abgesperrt von SS-Posten. Und man hat dann nur vor allen Dingen gesunde Häftlinge, die vielleicht auch irgendwie Facharbeiter waren, für die Rüstungsbetriebe, die da draußen waren, wie die Deutschen Ausrüstungswerke und so weiter, ausgewählt. Es war natürlich so: Viele Juden, wenn sie gefragt wurden vom SS-Mann, ob sie irgendwelche Beschwerden hätten, die glaubten manches Mal, wenn sie sagen: »Mir fehlt das und mir fehlt jenes«, eine leichtere Arbeit zu finden. Und da gingen sie sowieso gleich fort auf die Seite, die ins Gas ging. Schwangere Frauen, die draußen verhaftet wurden, die gingen automatisch ins Gas. Und wenn wirklich also eine Entbindung im Lager noch erfolgte, im Frauenlager Birkenau, da ging die Mutter mit dem Kind ins Gas. Es gab ja keine Kinderstationen dort.

Vorsitzender Richter:

Nun sagen Sie bitte, wissen Sie, ob die letzte Entscheidung darüber, ob jemand ins Gas gehen mußte oder ob er aussortiert wurde, von Ärzten gefällt wurde oder von den übrigen, eventuell von dem Lagerleiter oder Schutzhaftlagerführer oder wie das hieß.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das kam auch vor. In der Regel wurden ja Ärzte – das heißt also medizinisch gebildete SS-Offiziere, die in Auschwitz zum Dienst da waren – zum Dienst an der sogenannten Rampe eingeteilt. Aber der Lagerführer selbst – damals war es Hauptsturmführer Aumeier –, wenn ihm ein Gesicht nicht gefiel, hat er die Leute automatisch mit eingereiht, denn er war ja schließlich Lagerführer. Er konnte sich das ja leisten. Da konnte der SS-Arzt ihm das ja nicht verbieten – wenn er es hätte verbieten wollen, was eine andere Frage ist.

Vorsitzender Richter:

Nun, Herr Martini, im übrigen kennen Sie von den hier Angeklagten wohl manchen noch dem Namen nach. Zum Beispiel haben Sie mal gesagt, daß Sie Stark einige Male gesehen hätten.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, weil Stark ja damals – also zu meiner Zeit, wie ich in Auschwitz war – zur Politischen Abteilung gehörte. Ebenso auch Boger, Kirschner, Wosnitza. Das waren alles Angehörige der Politischen Abteilung.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie Stark auch gesehen bei solchen Exekutionen an der Schwarzen Wand?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. Nur, wie ich vorhin sagte, bei einer Exekution, die durch den Hauptscharführer Palitzsch ausgeführt wurde, wo der Lagerarzt Doktor Entress mit dastand, der Lagerführer, SDG Klehr und von der Politischen Abteilung Stark. Und Kirschner war damals auch mit da.

Vorsitzender Richter:

Wobei Sie aber nicht feststellen konnten, daß er geschossen hat.

Zeuge Emil de Martini:

Geschossen hat er nicht.

Vorsitzender Richter:

Hat er nicht. Um noch mal zu Klehr zurückzukommen: Sie sagten vorhin, daß er bis zum Ende Ihrer Auschwitz-Zeit dort gewesen sei. Was meinen Sie, wie viele Häftlinge da täglich durch Injektionen getötet worden sind?

Zeuge Emil de Martini:

Da eine Zahl zu nennen, ist sehr schwer. Das konnten am Tag fünf sein, das konnten am Tag 70 sein, das konnten auch über 100 sein. Das kam nun ganz wieder darauf an, wie viele von dem Lagerarzt in der Ambulanz als Arztvormelder ausgewählt wurden. Es kam ja auch

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nun sagen Sie mal: Hat der Klehr sich einmal mit Ihnen unterhalten über diese Tätigkeit?

Zeuge Emil de Martini:

Über die Tätigkeit selbst nicht. Er hat mir nur einmal – da war ich damals Blockältester, und man versucht natürlich als Häftling, möglichst gut mit seinem SS-Vorgesetzten zusammenzukommen –, da hat er mir nur wiederholt gesagt, dieses ganze Auschwitz, das ekle ihn an und er hätte sich bereits dreimal zur Front gemeldet. Und Lagerführer Aumeier hat ihm erklärt, das kommt nicht in Frage. Er hat seinen Dienst zu tun, wo ihn der Führer hingestellt hat, egal ob in der Heimat oder an der Front.

Und als ich dann entlassen war, habe ich mir, wie gesagt, diesen Spaß – das war vielleicht ein dummer Spaß von mir damals – gemacht und habe an ihn geschrieben, und er hat mir sogar auch geantwortet. Und in dem Brief war das gleiche wieder drin enthalten. Und ich habe mir diesen Brief als Kuriosum aufgehoben und habe ihn mir heute mitgenommen, weil ich mir gedacht habe, vielleicht ist dort irgendeine Bedeutung.

Vorsitzender Richter:

Ja, ja. Sie wissen natürlich nicht, weil Sie nur ein einziges Mal zugesehen haben, ob Klehr diese Leute alle mit eigener Hand getötet hat oder ob er sich dazu irgendwelcher anderer Leute bedient hat?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, es könnte sein. Von Pańszczyk wußten wir Häftlinge, daß Pańszczyk in der Vorzeit, bevor SDG Klehr gekommen ist, diese »Abspritzungen« durchgeführt hat. Und da muß dann irgendein Zwischenfall einmal erfolgt sein, dann hat man es den Häftling nicht mehr machen lassen. Und dann kam der SDG Klehr.

Vorsitzender Richter:

Von Boger wissen Sie Näheres nichts, außer seinem Namen und der Tatsache, daß er bei der Politischen Abteilung war?

Zeuge Emil de Martini:

Ich weiß nur, daß er gefürchtet war, und ich weiß, daß er mit Vorliebe mit dem Fahrrad durch das Lager fuhr, Häftlinge angefahren hat. Ist der Häftling ausgewichen nach links oder nach rechts, dann fuhr er mit dem Fahrrad hinterher. Man hatte den Eindruck – er war ein sehr junger Mann damals –, daß es sich hier um einen – muß wohl den Ausdruck gebrauchen – Lausbuben handelt, dem es besonderen Spaß macht, einen Häftling zu hetzen. Das war seine Spezialität, auf dem Fahrrad überall hinterherzufahren, wo er einen Häftling gesehen hat.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie in der chirurgischen Abteilung Kranke oder Verletzte gesehen, die von irgendeinem dieser Angeklagten hier so zugerichtet worden sind?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das schon. Aber wer das getan hat, das weiß ich nicht, da war ich ja nicht dabei. Wir hatten einmal einen Kranken im Block 21, der nun noch ziemlich wiederhergestellt war, einigermaßen, und der wurde zu einer Vernehmung zur Politischen Abteilung bestellt. Am Abend kam er dann zurück, und im ganzen Gesicht war bis auf die Knochen das Fleisch abgeschmort. Er konnte nicht mehr sprechen, ist in der folgenden Nacht auch gestorben dann an Sepsis. Und hat dann nur noch sich verständigt – es war ein Pole –, [+ indem]er aufgeschrieben hat – das haben die anderen mir übersetzt –, daß er bei der Vernehmung in der Politischen Abteilung mit dem Gesicht in einen Koksofen – es gibt doch diese Koksöfen, womit man Wohnungen austrocknet bei Neubauten – hineingestoßen worden ist, weil er nicht das sagen konnte, was man von ihm erwartet hat. Aber wer das damals gemacht hat in der Politischen Abteilung, das

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das wissen Sie nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Weiß ich nicht. Jedenfalls wußten wir, wenn irgendein Häftling zur Politischen Abteilung bestellt wurde, da hatte er schon Angst. Denn es gab nur zweierlei: Entweder er wurde auf irgendeine Art und Weise gefoltert oder aber kam nach Block 11 zur Exekution. Die Politische Abteilung war gefürchtet.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie auch einmal erlebt, daß Häftlinge zum Beispiel eingeliefert wurden, die von ihrem Blockältesten zusammengeschlagen worden sind?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ich muß sagen, ich habe heute zufällig in der Zeitung gelesen, daß ein weiterer Auschwitz-Prozeß gegen Funktionshäftlinge vorbereitet wird. Da könnte ich manches dazu sagen, Herr Rat, denn es gab leider Gottes unter den Funktionshäftlingen schon einige, die mitunter den Grad der Robustheit und der Gemeinheit

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Der Grausamkeit

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Grausamkeit der SS-Leute erreicht haben.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Und die wurden natürlich dann von den einzelnen Blockführern der Arbeitskommandos, irgendwie immer toleriert oder geschützt. Sie konnten sich also irgendwelche Freiheiten herausnehmen, die ein anderer sich hätte niemals erlauben dürfen.

Vorsitzender Richter:

Kannten Sie den Professor Fejkiel?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. Fejkiel war im Block 28 als Arzt tätig.

Vorsitzender Richter:

Ja. Er hat uns gesagt, er habe von Häftlingsärzten der chirurgischen Abteilung sich erzählen lassen, daß verschiedene Häftlinge in die chirurgische Abteilung eingeliefert worden seien und auch dort gestorben seien, die zuvor von dem Blockältesten des Blockes 8a, nämlich dem Angeklagten Bednarek, mißhandelt worden seien. Sind Ihnen solche Fälle auch bekannt geworden?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, solche Fälle sind mir bekannt. Es gab mehrere Blockälteste, wo dann Häftlinge zusammengeschlagen in den Krankenbau eingeliefert worden sind. Ich habe gerade vorhin erst betont, daß auch die Häftlinge selbst – ohne Rücksicht darauf, ob einer nun einen grünen oder schwarzen Winkel trug, das heißt also, ob einer als Krimineller oder als Asozialer galt – mitunter sehr gemein waren und ihre Gewalt, ihre Macht, die sie im Block ausübten, mißbraucht haben.

Vorsitzender Richter:

Aber einzelne Fälle können Sie uns in dieser Richtung nicht sagen.

Zeuge Emil de Martini:

Kann ich leider nicht.

Vorsitzender Richter:

Sie haben dann gesagt, daß Sie den Doktor Capesius dem Namen nach gekannt haben, aber sonst näheres nicht zu

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Er war, wie gesagt, Leiter der Haupt-SS-Apotheke vom Lager Auschwitz, und ich hatte mit ihm nur insofern Fühlung, weil wir von der SS-Apotheke also das Medikamentenmaterial – Papierbinden und so weiter – zugeteilt erhielten, was natürlich meistenteils sehr knapp war.

Vorsitzender Richter:

Ja, ist das während Ihrer Zeit gewesen, wie der Doktor Capesius dort war?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das muß so 43 oder 42 gewesen sein. [...] Beim Datum kann ich mich nicht genau festlegen.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie ihn auch vom Gesicht her gekannt?

Zeuge Emil de Martini:

[unverständlich] einmal gesehen, würde ich ihn nicht wiedererkannt haben. Weil ich bin einmal mit den Pflegern zum Fassen der Medikamente und Verbandsmaterial vorn gewesen in der SS-Apotheke, auch noch

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also nach unseren bisherigen Feststellungen ist Capesius erst im Februar 1944 gekommen und bis zum Ende dort geblieben.

Zeuge Emil de Martini:

Also ich habe den Namen da oben gehört. Ich habe persönlich, wie gesagt, keine Beziehungen zu ihm gehabt und auch nicht

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Oder haben Sie den Namen erst nachher gehört?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, da war ich ja nicht mehr im Lager.

Vorsitzender Richter:

Ich meinte vielleicht durch irgendwelches Schrifttum oder Erzählungen oder so.

Zeuge Emil de Martini:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein?

Zeuge Emil de Martini:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Also nach unseren bisherigen Feststellungen ist Capesius erst im Februar 44 dort hingekommen.

Zeuge Emil de Martini:

Er müßte vielleicht dagewesen sein mal kurz, ist er wieder weggegangen, das weiß ich nicht. Mir ist der Name nur bekannt – ich kenne ihn persönlich nicht – durch das Fassen des Verbandsmaterials und von Hans Bock, dem damaligen Lagerältesten des Krankenbaus, der mitunter auch sehr häufig selbst die Sachen von vorn holte.

Vorsitzender Richter:

Bezüglich Dylewski haben Sie gesagt, daß Sie Näheres über ihn auch nicht sagen könnten. Er sei Ihnen nur als

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Er war Politische Abteilung.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Angehöriger der Politischen Abteilung bekannt, aber sonst wüßten Sie auch nichts von ihm.

Ja, das wäre das, was ich Sie zu fragen hätte. Werden von seiten des Gerichts noch Fragen gewünscht?

Ergänzungsrichter Hummerich:

Herr Zeuge, Sie sagten uns, Sie seien auf der Rampe in Birkenau gewesen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und Sie sagten uns weiter, Sie seien im Februar 1943 zur Wehrmacht gekommen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, nach meiner Entlassung, im März.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wissen Sie beides ganz genau?

Zeuge Emil de Martini:

Die Zeit?

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ich habe meinen Entlassungsschein zu Hause vom Februar 43.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Vom Februar 43.

Zeuge Emil de Martini:

Und die Einberufung erfolgte im März 43 nach Schwabach zur Nachrichtenersatzabteilung 13.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Uns ist nämlich verschiedentlich gesagt worden, daß im Februar 1943 die Rampe in Birkenau noch nicht fertig gewesen sei.

Zeuge Emil de Martini:

Ich habe den Ausdruck Rampe gebraucht, aber Transporte kamen nach Birkenau.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Es ist auch gesagt worden, daß im Februar 43 die Transporte noch ausgeladen worden seien an dem sogenannten Bahnhof und die Leute dann entweder mit Lkws da rübergebracht worden seien, aber noch keine Züge nach Birkenau reingefahren seien.

Zeuge Emil de Martini:

Doch, Züge fuhren schon. Ich habe das als Rampe bezeichnet, weil das dann der Ausdruck war allgemein, Rampe, nicht wahr, den man auch heute gebraucht. Allerdings

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Der Herr Vorsitzende hat Ihnen nämlich schon vorgehalten, daß uns bisher nur bekannt gewesen sei, daß Doktor Capesius allenfalls am 12. Februar 1944 nach Auschwitz gekommen sei, und bezüglich dieser Zeit haben wir auch gewisse Unterlagen wegen der allgemeinen Überführung von Angehörigen der früheren rumänischen Armee in die deutsche Wehrmacht beziehungsweise die SS. Deswegen frage ich Sie das noch mal. Wegen der Zeiten sind Sie sich absolut sicher?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, ich sage ja, ich kenne ihn persönlich nicht. Wenn ich mir heute den Angeklagten ansehen soll, ich könnte nicht sagen, wer er ist. Ich habe ihn nie gesehen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber Sie sagen, zu Ihrer Zeit war er schon im Lager.

Zeuge Emil de Martini:

Den Namen habe ich gehört. Ich habe mit ihm persönlich keinen Kontakt gehabt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Den Namen haben Sie gehört?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, aber ich habe keinen Kontakt zu ihm.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, und Sie sagen uns weiter, daß in Birkenau...

Zeuge Emil de Martini:

Ja, also dazu muß ich eine Erklärung abgeben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Ich nenne es Rampe, weil eine andere Bezeichnung dafür kenne ich überhaupt nicht. Aber damals fuhren schon Züge an, die dort entladen wurden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie sagen also, es fuhren schon Züge da an.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, wir bekamen doch zum Beispiel Transporte aus Holland, holländische Juden. Die wurden in Birkenau ausgeladen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Die wurden da ausgeladen?

Zeuge Emil de Martini:

Die wurden ausgeladen da draußen. Und das bezeichne ich als Rampe. Ich meine, der Örtlichkeit nach mag es sich vielleicht nicht mit der später errichteten Rampe decken.

Ergänzungsrichter Hummerich:

War das denn mitten im Lager Birkenau drin?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein, die wurden vorher ausgeladen, da war doch der Eingang zum Lager mit einem Lagertor.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und da fuhren die rein?

Zeuge Emil de Martini:

Die fuhren nicht in das Lager hinein, vorher wurden sie ausgeladen und gingen dann hinein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Vorher ausgeladen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Hier drüben ist das Lager Birkenau, und da ist die Gleisanlage. Wenn Sie uns da mal zeigen würden, wo die da vorher ausgeladen wurden. Denn da geht das Gleis mitten in das Lager Birkenau rein. Wenn Sie mal da hingehen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das war später dann, später.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also, das war später.

Zeuge Emil de Martini:

Das Gleis [unverständlich] wurde später [unverständlich]

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Also, da fuhren die damals nicht rein, wie Sie da waren?

Zeuge Emil de Martini:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das ist da mitten im Lager, das Gleis, sehen Sie?

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Das war das Gleis, was später reingekommen ist, das da gebaut wurde.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Na, jedenfalls die Transporte, wo Sie hingingen, die waren nicht da drin angekommen?

Zeuge Emil de Martini:

Es kam ein Gleis von Auschwitz herauf. Also geographisch gesehen oder örtlich kann ich das nicht genau schildern. Jedenfalls das ist das Tor, der Eingang von Birkenau gewesen. Und die wurden vorher ausgeladen und gingen dann erst hinein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also das war nicht da drin?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein. Diese Anlage wurde erst später ja gebaut, nicht wahr. Da waren ja Arbeitskommandos draußen, die das bauten.

Verteidiger Laternser:

Aber dann kann es doch nicht sein, daß [unverständlich]

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Aber vorher kamen von Auschwitz ja Züge herauf.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also Sie sagen, da drin waren Sie nie, mitten im Lager Birkenau?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Weil Sie vorhin sagten

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ja, ich war drinnen bei einer Entlausung.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber nicht bei der Ankunft von Transporten?

Zeuge Emil de Martini:

[unverständlich] In diesem Gebiet hier nicht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

In diesem Gebiet nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aha. Dann weiter. Als Sie in Auschwitz entlassen wurden, war da der Angeklagte Stark noch im Lager oder war der schon weg?

Zeuge Emil de Martini:

Das kann ich nicht sagen, weil bei der Entlassung wurden wir nur in der Blockführerstube beziehungsweise beim

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ich frage nämlich deshalb, weil uns gesagt worden war, der sei in der Aufnahmeabteilung gewesen. Es hätte ja sein können, daß Sie auch da durchgelaufen wären anläßlich Ihrer Entlassung.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein, nein, wir wurden entlassen vom Hauptführer Palitzsch. Der übergab uns dann die Entlassungspapiere, Entlassungsscheine und so weiter, und das war vorne in dem Barackenbau, wo die Blockführerstuben waren, also beim Eingang.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also können Sie uns über Stark bei Ihrem Weggang nichts mehr sagen.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja. Danke schön.

Zeuge Emil de Martini:

War auch sonst niemand dabeigewesen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Kügler:

Können Sie sich noch erinnern, Herr Martini, wann dieses »Abspritzen« der Kinder war, von dem Sie erzählten? Sie sagten, das war im Jahre 1942.

Zeuge Emil de Martini:

So um diese Zeit. Es kann 42 gewesen sein. Aber ich kann nicht sagen, war es Frühjahr oder war es Herbst. Es war jedenfalls zu einer Zeit, kurz bevor ich Blockältester wurde oder als ich Blockältester war. In diesen Zeitraum ist das gefallen. Woher die Kinder kamen, das weiß ich allerdings auch nicht. Das waren so Kinder im Alter vielleicht von acht – wie ich es schon sagte – bis zehn oder 14 Jahre, die im Lager aufgeteilt wurden.

Staatsanwalt Kügler:

Welcher Nationalität?

Zeuge Emil de Martini:

Polen.

Staatsanwalt Kügler:

Waren das Polen?

Zeuge Emil de Martini:

Waren Polen.

Staatsanwalt Kügler:

Und die waren aber schon im Lager aufgeteilt.

Zeuge Emil de Martini:

Man hat die Leute doch dann gefragt, warum sie da sind, und die anderen haben das übersetzt. Die Kinder haben erzählt, sie haben auf Bahnhöfen Kohlen geklaut, weil die polnische Bevölkerung keine Kohlen bekam. Und da wurden sie von der Bahnpolizei geschnappt und wurden der Gestapo übergeben, und die Gestapo hat dann diese Kinder wegen diesem Kohlendiebstahl am Bahnhof ins Lager geschickt.

Staatsanwalt Kügler:

Ja. Herr Martini, haben Sie irgendwelche Wahrnehmungen machen können, als im Block 11 eine Vergasung durchgeführt wurde?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das waren Russen. Das waren Russen, und das war, glaube ich, 41 ungefähr. Zu der Zeit war ich bereits Schreiber im Krankenbau, und nach dem Abendappell mußten noch 200 oder wieviel Kranke, die nicht gehfähig waren, nach Block 11 verlegt werden... in den Bunker des Blocks 11. Und das wurde durchgeführt von Pflegern, die sie auf Tragbahren herüberbrachten nach Block 11. Und am nächsten Tag ging das Gerücht plötzlich, die Schreckensnachricht: »Block 11 steht unter Gas.« Da hatte man die Russen, diese russischen Soldaten, in die Bunker eingesperrt, die Kranken dazugepfropft, außen die Fenster, also die Luftschächte, mit Erde zugeschüttet und dann dieses Zyklon B hineingestreut.

Staatsanwalt Kügler:

Haben Sie das selbst beobachten können, oder ist Ihnen das erzählt worden?

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ich habe folgendes beobachten können: Erstens einmal das Hineingehen von Russen. Da wußten wir natürlich noch gar nicht, um was es sich handelt. Dann wurden am Abend die Kranken, auch vom Block 21, wo ich anfangs Schreiber war, abgeholt, wurden hinübergetragen, und da wurde man schon unsicher, daß etwas geschieht, was man sich nicht erklären kann. Aber damals hatten wir ja noch nicht an Gas gedacht, das war noch nicht bekannt damals. Das war die erste Vergasung, die damals versuchsweise gemacht wurde. Und am nächsten Tag dann kamen natürlich mehrere SS-Leute – und wer war denn dann Lagerführer? Ich glaube, damals war Lagerführer Fritzsch, wenn ich mich nicht irre. Und die kamen mit Gasmasken, und dann kamen noch einige Häftlinge, wurden hinzugezogen, denen hat man auch Gasmasken aufgesetzt, und die mußten dann in den Block hinein.

Staatsanwalt Kügler:

Ist einer der Angeklagten, den Sie namentlich und der Person nach damals gekannt haben, dabeigewesen?

Zeuge Emil de Martini:

Sie meinen, bei dieser Vergasungsaktion?

Staatsanwalt Kügler:

Bei dieser Vergasungsaktion.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, da kannte ich nur – also was ich in Erinnerung habe, was ich gesehen habe – den Lagerführer Fritzsch. [...] Es waren mehr SS-Leute dabeigewesen, aber das weiß ich heute nicht mehr, wer da noch

Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:

Sie haben mal – wenn ich Ihnen das vorhalten darf – bei der Sonderkommission bei Ihrer Vernehmung – auf Blatt 4.283 der Akten gesagt: »Stark habe ich auch bei der ersten Vergasung im Block 11 gesehen. Welche Rolle er bei der Vergasung spielte, weiß ich nicht.«[1]

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das kann stimmen, insofern, weil die Politische Abteilung bei solchen Aktionen ja immer dabei war.

Staatsanwalt Kügler:

Können Sie sich daran heute noch erinnern?

Zeuge Emil de Martini:

Ob er damals dort war?

Staatsanwalt Kügler:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Wenn ich das damals zugegeben habe, wird er wohl dabeigewesen sein. Aber die Leute haben ja nichts gemacht. [...] Die standen herum mit Gasmasken auf, und dann wurden zwei Häftlinge vorausgeschickt, die mußten hineingehen

Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:

Haben Sie heute eine bestimmte Erinnerung an den Angeklagten Stark in diesem Zusammenhang?

Zeuge Emil de Martini:

Nichts.

Staatsanwalt Kügler:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Keine Fragen mehr?

Nebenklagevertreter Ormond:

Eine Frage, Herr [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Ja, bitte schön.

Nebenklagevertreter Ormond:

Herr Zeuge, uns wurde bisher als Zeitpunkt der Tötung durch Injektion dieser Kinder immer der 28. Februar und 1. März angegeben. Nun scheint der Vorgang, den Sie beobachtet haben, sich nicht mit dem zu decken. Wann wurden Sie denn genau entlassen aus dem Lager?

Zeuge Emil de Martini:

Im Februar 1943.

Nebenklagevertreter Ormond:

Kann das gewesen sein vor dem 28. Februar? So einen Befreiungstag hat man ja gewöhnlich in Erinnerung.

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Also ich glaube, das, was ich sagte, muß eine andere Sache sein, als der Herr Vorsitzende vorhin sagte vom Fußballspielen. Davon ist mir nichts bekannt. Mir ist nur bekannt, daß Kinder – ich kann die Zahl heute nicht mehr sagen, sollen es vielleicht zwölf oder vierzehn gewesen sein –, Jungen im Alter von acht bis vierzehn Jahren in den Männerblöcken verteilt waren, weil sie nicht arbeiten konnten. Sie konnten ja nicht zum Arbeitskommando. Von seiten der Lagerführung oder von der Politischen Abteilung wurde erklärt, es geht nicht an, es ist unmoralisch, daß Kinder, nicht erwachsene Kinder mit erwachsenen Männern zusammen schlafen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Ja, ich verstehe.

Zeuge Emil de Martini:

Und dann wurden die Kinder natürlich beseitigt.

Nebenklagevertreter Ormond:

Das waren also nicht neu eingelieferte, und zwar aus Zamość oder so, sondern die waren schon vorher dagewesen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja – pardon, nein, nein, die wurden eingeliefert. Ich habe ja grade gesagt, die wurden beim Kohlendiebstahl ertappt, wie die Kinder erzählten, verhaftet von der Bahnpolizei und der Gestapo übergeben. Und die Gestapo hat die Leute dann ins KZ gebracht. Von wo sie waren, das weiß ich nicht.

Nebenklagevertreter Ormond:

Aha. Danke. Herr Vorsitzender, dann würde ich nur bitten, dem Zeugen jetzt zur Auflage zu machen, diesen Brief vorzulegen [unverständlich]

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, ja, das werden wir gleich erledigen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Kaul? Herr Rechtsanwalt Zarnack, bitte schön.

Verteidiger Zarnack:

Herr Zeuge, können Sie bezüglich der ersten Vergasung an den Russen zahlenmäßige Angaben machen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, zahlenmäßig insofern, daß es sich damals ungefähr vielleicht um 200, zwischen 200 bis 300 Kranke gehandelt hat. Die Russen, die wurden natürlich von mir nicht gezählt. Aber man sprach von mehreren hundert oder insgesamt tausend, die damals in diese Bunker gesperrt worden sind.

Verteidiger Zarnack:

Ja, danke schön.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Göllner.

Verteidiger Göllner:

Herr Zeuge Martini, Sie sind in dem Verfahren gegen den Professor Kremer vor dem Landgericht in Münster auch als Zeuge vernommen worden.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Verteidiger Göllner:

Und Sie sollen bei dieser Gelegenheit einen Vorfall berichtet haben über Klehr. Und zwar, daß Klehr die Aufgabe hatte, für Sauberkeit und Ordnung in diesen Blocks zu sorgen, und daß er einmal bei Ihnen Alkohol vorgefunden habe. Er sei an sich verpflichtet gewesen, diesen Vorgang zur Meldung zu bringen, aber auf Ihre Bitte habe er diese Meldung nicht durchgeführt. Ist das richtig?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das war folgendermaßen: Ich wurde einmal in die Blockführerstube gerufen. Als ich zurückkam, sagten mir die Pfleger, daß Oberscharführer Klehr eine Revision der Pflegerstube vorgenommen hat und hat dann Alkohol gefunden und ihn beschlagnahmt. Ich muß sofort mich bei Klehr zum Rapport melden. Diesen Alkohol hatten die Pfleger sich besorgt von diesen Zugängen da von dieser Rampe oder »Kanada« oder wie man das nannte.

Nun, ich kam damals dann zu Klehr. Klehr machte einen riesigen Krach und sagte mir, er würde eine Strafmeldung an den Lagerführer Aumeier ergehen lassen. Und es war natürlich auch so: das wäre ja nun dann wieder ein Diebstahl am Reichsvermögen gewesen. Das mindeste, was es gegeben hätte, wäre vielleicht einige Stunden »Pfahl« oder vielleicht auch »drei mal 25«, wenn nicht vielleicht überhaupt, daß man aufgehängt worden wäre. Und ich habe dann versucht, den Klehr zu überzeugen, daß das kein Schnaps ist, sondern ein Desinfektionsmittel. Da hat er es ausgegossen, hat es angebrannt und hat gesagt, das ist Schnaps, er wird es dem Lagerführer Aumeier geben. Aumeier sei Fachmann für Schnaps, und er werde Meldung machen. Und da habe ich dann versucht, ihm einzureden, wenn er das zum Lagerführer Aumeier bringt und Aumeier trinkt das und Aumeier wird krank, so trägt er die Schuld. Er soll das nicht tun. Nun, vielleicht hat er mir das damals geglaubt. Er hat es jedenfalls nicht gemacht, hat nur verlangt, daß dieses Desinfektionsmittel in die Apotheke gegeben werden soll. Das war dieser Vorfall. Ja, er hat von einer Meldung abgesehen. Das ist richtig.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Fertig, bitte schön, dann Herr Doktor Naumann.

Verteidiger Fertig:

Herr Martini, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagten Sie heute, daß die »Abspritzungen« ursprünglich von Häftlingen vorgenommen worden seien, daß dann aber ein Zwischenfall vorgekommen sei, woraufhin dann Klehr diese Aufgabe übernommen habe. Haben Sie an diesen Zwischenfall noch eine Erinnerung?

Zeuge Emil de Martini:

Aber eine unklare. Die ersten »Abspritzungen« im Lager Auschwitz nahm ein gewisser Stössel vor. Er war Häftling und war dazu also beauftragt. Und da muß irgendwie einmal eine Spritze zerbrochen sein. Also so wurde erzählt. Ich kann das selbst nicht genau sagen. Und dann ist dieses Phenol, glaube ich, diesem Stössel in die Augen gekommen, und er wurde sofort nach Kattowitz gebracht ins Krankenhaus, war auch mehrere Wochen dort im Krankenha us. Was sich da abspielte, weiß ich nicht. Dann kam er zurück ins Lager wieder, und dann durfte er das nicht mehr machen. Dann hat es Pańszczyk eine Zeitlang gemacht, der dann auch Gehilfe von Oberscharführer Klehr war. Und dann erschien der SDG überhaupt erst, der diese Dinge also nun in Angriff nahm. Da war Pańszczyk dann also gewissermaßen der Gehilfe oder Henkersknecht oder wie man das nennen soll.

Verteidiger Fertig:

Was hatte dann ursprünglich, als die »Abspritzungen« von Stössel und von Pańszc zyk vorgenommen wurden, Klehr mit der Sache zu tun?

Zeuge Emil de Martini:

Zu der Zeit, als Stössel »Abspritzungen« vornahm und Pańszczyk, da hat Klehr noch gar nichts damit zu tun gehabt.

Verteidiger Fertig:

Das waren ja Funktionshäftlinge, wurden die nicht beaufsichtigt von einem SS-Mann?

Zeuge Emil de Martini:

Nicht direkt. Also das ist mir nicht bekannt. Es ist ja möglich, daß ein SS-Mann dagewesen ist, aber ob der sich daneben hingestellt hat damals, das weiß ich nicht. Da habe ich nie etwas gesehen oder auch nicht darüber etwas gehört. Man wußte nur, daß Stössel die Dinge macht und Pańszczyk, das war auch bekannt. Zu jener Zeit, als Stössel und Pańszczyk diese Sachen durchführten, war ich noch nicht Schreiber im Krankenbau, da w ar ich noch auf Außenkommandos tätig. Also nachdem die beiden abgelöst waren, kam ich erst in den Krankenbau.

Verteidiger Fertig:

Ich habe keine Fragen mehr.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Naumann.

Verteidiger Naumann:

Ich habe nur eine Kleinigkeit, Herr Zeuge. Ich möchte gern zwei Dinge von Ihnen wissen, und zwar: Einmal, ob die Fenster dieses Zimmers, in dem die Tötungen durch Phenol stattfanden, weiß angestrichen waren oder ob man da raus- und reinsehen konnte.

Vorsitzender Richter:

Wie, ich habe das eben nicht richtig verstanden.

Verteidiger Naumann:

Ob die Fenster dieses Zimmers

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ob die Glasscheiben mit weißer Farbe überstrichen waren.

Verteidiger Naumann:

Die Glasscheiben.

Vorsitzender Richter:

Das hat der Zeuge uns doch gesagt, nicht. Er hat gesagt, sie wären zwar angestrichen gewesen, er hätte

Verteidiger Naumann [unterbricht]:

Bisher hat er das nicht gesagt. Er hat das von einer Giebelwand eines anderen Blocks

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ach, Sie sprechen jetzt von dem Zimmer, wo die Tötungen selbst vorgenommen wurden.

Verteidiger Naumann [unterbricht]:

Ich sagte eben, von dem Zimmer, in dem die Tötungen vorgenommen wurden.

Vorsitzender Richter:

So, bitte schön.

Verteidiger Naumann:

Das andere interessiert mich nicht.

Zeuge Emil de Martini:

Da kann ich mich nicht genau erinnern. Aber ich möchte annehmen, daß an solchen Ambulanzstellen, wo Untersuchungen stattfanden – ich meine auch normale Untersuchungen vielleicht – oder Verbände erteilt wurden, daß die Fenster da schon gestrichen waren.

Verteidiger Naumann:

Dann eine zweite Frage, Herr Zeuge. Zwischen Ihrem Block, in dem Sie Blockältester waren, und diesem Block war ja ein Hof. Da war ein Hof zwischen, nicht?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Verteidiger Naumann:

Zwischen diesen beiden Blocks.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Verteidiger Naumann:

Sie konnten also von Ihrem Block das Zimmer, in dem diese Tötungen stattfinden, rein äußerlich die Fenster dieses Zimmers, sehen?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. Wenn ich richtig verstanden habe, wollen Sie sagen, ob ich vom Block 21, wenn ich durch ein Fenster gesehen habe oder an der Haustür stand und habe zu Block 20 herübergesehen, ob ich dann dieses Ambulanzzimmer sehen konnte?

Verteidiger Naumann:

Richtig, ja.

Zeuge Emil de Martini:

Nein, ich konnte den Waschraum sehen, weil auf dieser Seite

Verteidiger Naumann [unterbricht]:

Ach, das war auf der anderen Seite.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, der Waschraum auf der anderen Seite der Ambulanz.

Verteidiger Naumann:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Jugl.

Verteidiger Jugl:

Keine Fragen.

Vorsitzender Richter:

Verzeihung, Herr Rechtsanwalt Gerhardt.

Verteidiger Gerhardt:

Herr Zeuge, Sie haben bei Ihrer zweiten Vernehmung[2] von einem Häftlinge namens Koretzki gesprochen und haben gesagt, daß der entlassen worden sei im Spätherbst 1941. Wissen Sie wohin der...

Zeuge Emil de Martini:

Paul Koretzki? Nein, wohin der gegangen ist, nicht. Der wurde vor meiner Zeit entlassen, und den habe ich schon lange gesucht, selbst. Das war ein ausgesprochener Mörder.

Verteidiger Gerhardt:

Das war ein Mörder?

Zeuge Emil de Martini:

Ja. Er trug einen schwarzen Winkel, er war asozial. Er hat die Leute umgebracht im Waschraum, hat ihnen einen Schlauch in den Mund gesteckt und den Wasserhahn aufgedreht.

Verteidiger Gerhardt:

Hat er auch noch sonstige Dinge getan?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, totgeschlagen hat er auch einige.

Verteidiger Gerhardt:

Mal eine andere Frage noch: Wer wurde eigentlich Kapo in Auschwitz? Waren da bestimmte Voraussetzungen notwendig bei einem Häftling, der diese Funktion bekam?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, nicht immer. Man hat natürlich einen Facharbeiter, der zum Beispiel Glaser war oder Glasermeister oder Elektroarbeiter, [+ genommen]. Man hat dann versucht, diese Arbeitskommandos mit Fachkräften zu besetzen. Aber die Besetzung erfolgte meistens von der Lagerleitung aus auf Empfehlung des Lagerältesten unter Umständen; daß der Lagerälteste nun erklärt hat, der Mann ist brauchbar und hat Fachkenntnisse und so weiter. Und dann kam die Ernennung, das war gewissermaßen eine Ernennung von der Lagerführung. Man durfte das auch nicht ablehnen.

Verteidiger Gerhardt:

Gut.

Zeuge Emil de Martini:

Also wenn man als Kapo oder Blockältester bestimmt wurde, mußte man das annehmen, andernfalls wäre das eine Arbeitsverweigerung gewesen.

Verteidiger Gerhardt:

Danke, keine Fragen.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Ivens, bitte schön.

Verteidiger Ivens:

Herr Zeuge, Sie erwähnten vorhin, daß SS-Ärzte einen Rampendienst versehen hätten. Auf welches Lager bezog sich diese Beobachtung?

Zeuge Emil de Martini:

Damit meinte ich Birkenau, wenn Transporte ankamen. Ich möchte nochmals wiederholen, ich habe den Ausdruck Rampe gebraucht, weil ich unter der ganzen Sache keinen anderen Begriff kenne.

Verteidiger Ivens [unterbricht]:

Ja, das ist inzwischen klargestellt. Ich weiß.

Zeuge Emil de Martini:

Aber diejenigen Ärzte, die sich dort aufhielten und diese Selektionen vornahmen, die wurden immer zum Dienst eingeteilt. So wie es also üblich ist auch bei der Wehrmacht, einen Dienstplan, einen Dienstzettel herauszugeben, so wurden diese Ärzte

Verteidiger Ivens [unterbricht]:

Dann müßten sie ja außerhalb des Lagerbereichs tätig gewesen sein.

Zeuge Emil de Martini:

Verzeihung, wer?

Verteidiger Ivens:

Die Ärzte.

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Birkenau gehört ja zum Lagerbereich, nur nicht zum Stammlager. Die Kommandantur war ja unten beim Stammlager

Verteidiger Ivens [unterbricht]:

Verzeihung, eine Rampe war doch noch gar nicht vorhanden.

Zeuge Emil de Martini:

Ich habe ja eben vorhin gesagt, ich gebrauche diesen Ausdruck Rampe – also ich verstehe darunter jenen Gebietsteil von Birkenau, wo die ersten Zugtransporte ankamen mit den Juden aus Holland oder aus Ungarn oder aus Westberlin oder aus Berlin seinerzeit. Dieses Wort Rampe, das kann ja möglich sein, daß der Ausdruck mir dann in der späteren Zeit so in den Sinn gekommen ist, nachdem das so bezeichnet wurde. Denn später war ja die ganze Bahn [...] im Lager selbst drin.

Verteidiger Ivens:

Sie haben gesagt Rampe.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Verteidiger Ivens:

Wollen Sie damit einen Bereich innerhalb des Lagers Birkenau bezeichnen oder einen Bereich außerhalb des Lagers?

Zeuge Emil de Martini:

Nein. Ich habe eben vorhin gesagt, vor diesem Einfahrtstor war ein

Verteidiger Ivens [unterbricht]:

Und meine Frage: Wie sind Sie denn vor das Tor gekommen?

Zeuge Emil de Martini:

Ein Bahngleis war da.

Verteidiger Ivens:

Sie selber, wie sind Sie dort hingekommen?

Zeuge Emil de Martini:

Ich bin einige Male draußen gewesen, weil wir ja, wie ich vorhin sagte, Medikamente ins Lager »organisierten« für die Kranken, von den jüdischen Zugängen.

Verteidiger Ivens:

Und da konnten Sie sich außerhalb des Lagerbereichs bewegen, tatsächlich?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, das konnte ich alleine nicht, nur mit dem Lagerältesten. Der Lagerälteste hatte scheinbar Bewegungsfreiheit. Er durfte ja auch ungeschnittenes Haar tragen, und der kam mit und nahm dann mich mit und vielleicht noch zwei oder drei Mann, und dann suchten wir da aus diesen Gepäckstücken die Medikamente heraus, die für uns wichtig erschienen.

Vorsitzender Richter:

Herr Doktor Ivens, in der Zeit, in der der Herr Doktor Lucas im Lager war, da war dieser Zeuge ja schon längst weg, nicht.

Verteidiger Ivens:

Ja, ja. das ist mir bekannt.

Vorsitzender Richter:

So daß also die Zustände, die der Herr Doktor Lucas angetroffen hat, ganz andere waren, als die, die der Zeuge erlebt hat.

Verteidiger Ivens [unterbricht]:

Darüber kann dieser Zeuge [unverständlich] Ja, eine Frage habe ich noch: Herr Zeuge, wie war der Hofraum, der sich zwischen den Blöcken 20 und 21 im Stammlager befand, zur Straße hin abgetrennt? Sie erwähnten dazu vorhin etwas.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, mit einem einfachen Gittertor. Ein eisernes Gittertor.

Verteidiger Ivens:

Ein Gittertor.

Zeuge Emil de Martini:

Zur Lagerstraße.

Verteidiger Ivens:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Von der Verteidigung werden sonst keine Fragen mehr gestellt? Wie ist es mit den Angeklagten? Klehr.

Angeklagter Klehr:

[Pause] Herr Zeuge Martini, Sie haben vorhin ganz richtig gesagt, daß die Injektionen von den Funktionshäftlingen durchgeführt worden sind. Sie sagten zu gleicher Zeit, den Grund wissen Sie nicht, warum das abgestellt wurde, weil ich dann die Injektionen durchführen mußte. Herr Zeuge Martini, Ihnen ist doch bekannt, daß der Krankenbau von den Jahren 40/41 bis Anfang, sagen wir Frühjahr, 42 von den Blockführern zum Zählappell gemeldet worden ist.

Zeuge Emil de Martini:

Verzeihung, ich habe das letzte nicht verstanden.

Angeklagter Klehr:

Daß der HKB zum Zählappell von 40/41 bis Frühjahr 42 von den Blockführern zum Zählappell gemeldet worden ist. Und nach dem habe ich den Krankenbau zum Zählappell melden müssen. Ist das richtig?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, sicher. Ich mußte Ihnen immer die Bestandsmeldung des Krankenbaues auch machen.

Angeklagter Klehr:

Jawohl.

Zeuge Emil de Martini:

Immer beim Frühappell.

Angeklagter Klehr:

Weil Sie sagten, Sie wußten nicht, aus welchem Grunde ich die Injektionen durchführen mußte. Da möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Die Injektionen wurden von den Häftlingen durchgeführt. Da war unter anderem, wie Sie schon genannt haben, Stössel, dann war der Blockälteste von Block 28, ein gewisser Well, Peter Well.[3]

Zeuge Emil de Martini:

Welsch, Welsch.

Angeklagter Klehr:

Well.

Zeuge Emil de Martini:

Welsch.

Angeklagter Klehr:

Ja. Und dann war ein Ambulanzpfleger mit Vornamen Felix, von Block 28 in der Ambulanz, der in der Schreibstube von 28 da tätig war. Der hat das auch eine Zeit gemacht. Ich habe beobachtet, daß der Rapportführer Palitzsch körperschwache Häftlinge in den HKB zurückgeschickt hatte. Und von den Häftlingen »abspritzen« ließ. Das habe ich meinem Vorgesetzen, dem Lagerarzt Doktor Entress, gemeldet. Von diesem Moment an wurde mir der Befehl gegeben, die Injektionen selbst auszuführen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das mag seine Richtigkeit haben, wie Sie das geschildert haben aus der Zeit von Stössel und Pańszczyk. Der Name Felix ist mir bekannt, aber ich habe zu diesem Felix in Block 28 keine weiteren Beziehungen gehabt. Existiert hat dieser Mann. Das weiß ich. Und ich weiß auch genau, daß diese »Abspritzungen« vorher von diesen beiden gemacht wurden.

Angeklagter Klehr:

Ja, es waren mehrere. Es waren ja Stössel, es war [Welsch]

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Ich weiß nur von denjenigen, die damals im Block 21 beziehungsweise im Block 20 waren. Pańszczyk lag ja im Block 20, von den beiden weiß ich das. Block 28 kannte ich zwar, ich kam wohl öfter herüber, aber ich hatte sonst keine Beziehung zu 28.

Angeklagter Klehr:

Ich habe dort ständig »abgespritzt«, daß ich die Injektionen auf Befehl machen mußte. Ich wollte ja nur richtigstellen, daß die Injektionen vorher von den Häftlingen gemacht worden sind auf Anordnung des Lagerarztes Doktor Entress und anschließend, weil ich den Fall gemeldet habe, daß der Rapportführer Palitzsch körperschwache Häftlinge in den Krankenbau schickte und sie von den Häftlingen »abspritzen« ließ. Das habe ich dem Doktor Entress gemeldet, und von diesem Zeitpunkt habe ich mir den Befehl eingehandelt, daß ich diese Injektionen durchführen mußte.

Zeuge Emil de Martini:

Es war vielleicht Ihr Fehler, Herr Klehr – Sie haben das ja auch im Brief festgelegt –, daß Ihnen jeder Befehl heilig war. Aber ob diese Befehle so wichtig waren, um geheiligt genommen zu werden, ist eine andere Frage. Das zu beurteilen entzieht sich meiner Kenntnis.

Angeklagter Klehr:

Zeuge Doktor Martini, ich [unverständlich]

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Verzeihung, bin nicht Doktor.

Angeklagter Klehr:

Entschuldigung. Ich komme jetzt noch mal auf den Brief zurück. Ich habe mit Ihnen im Lager auf einem ganz guten Fuß gestanden. Wir haben uns öfters privat unterhalten mit anderen Themen, ob es vom Krieg war oder Ihr persönliches Schicksal und mein Schicksal. Sie haben es ja schon erwähnt, daß ich mich dreimal zur Front gemeldet habe und so weiter. Wir haben uns ja täglich fast gesprochen.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Angeklagter Klehr:

Aber ich muß natürlich sagen, Herr Martini, wie kommen Sie zu meinem Brief? Ich würde das sehr begrüßen, wenn Sie mir geschrieben hätten, und ich hätte Ihnen geantwortet, aber ich kann mich tatsächlich nicht erinnern, daß ich von Ihnen einen Brief erhalten habe und

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Es mag sein. Aber ich nehme an, daß Sie Ihre Unterschrift wiedererkennen, wenn Sie es vielleicht sehen.

Angeklagter Klehr:

Ja.

Zeuge Emil de Martini:

Steht drunter: »Heil Hitler, Klehr«.

Angeklagter Klehr:

Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich keinen Brief geschrieben habe.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, doch.

Vorsitzender Richter:

Na, wir werden den Brief ja sehen.

Angeklagter Klehr:

Danke, ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

[unverständlich]

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Er stammt aus dem Jahre 1943.

Vorsitzender Richter:

Sind sonst noch Fragen oder Erklärungen gewünscht? Nein?

Nebenklagevertreter Kaul:

Herr Vorsitzender, ich bitte doch den Angeklagten Klehr zu fragen, ob er nicht Stellung nehmen will zu den Bekundungen des Zeugen, daß er noch im Februar 43 dort tätig war; daß insofern seine Angaben unrichtig

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Er hat ja Gelegenheit gehabt dazu, Herr Rechtsanwalt.

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Über alles mögliche zu sprechen, nur über das Wichtigste nicht.

Angeklagter Klehr:

Ich möchte auch gern Stellung nehmen, Herr Rechtsanwalt.

Vorsitzender Richter:

Moment, ich habe Sie nicht verstanden, Herr Klehr, was wollten Sie sagen?

Angeklagter Klehr:

Ich bin herausgefordert vom Herrn Rechtsanwalt, ich sollte Stellung nehmen wegen meiner Abwesenheit.

Vorsitzender Richter:

Ja, wenn Sie wollen, können Sie das tun.

Angeklagter Klehr:

Ich wollte nur dann Herrn Martini fragen: Ist Ihnen bekannt, wann in Auschwitz die Lagersperre von der Seuchenepidemie verhängt wurde?

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Angeklagter Klehr:

Wann wurde die verhängt?

Zeuge Emil de Martini:

Ich glaube, ich habe auch einen Brief von Herrn Scherpe, und dort steht etwas von der Lagersperre drin. Weil Herr Scherpe nämlich – das war das Eigenartige damals – Nachrichten übermittelt hat an Häftlinge, die dort waren; an den Szary in der Schreibstube, den werden Sie ja kennen.

Angeklagter Klehr:

[unverständlich]

Zeuge Emil de Martini [unterbricht]:

Der Brief datiert vom Sommer 43, und da ist von einer Lagersperre schon die Rede.

Angeklagter Klehr:

Die Lagersperre war erstmals von Höß angeordnet am 23.7.42.

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das kann stimmen.

Angeklagter Klehr:

Und anschließend wurde sie verlängert. Das war am 10. Oktober 42. Dann wurde die Verlängerung noch verschärft, indem der ganze Lagerbereich zum Seuchensperrgebiet erklärt worden ist. Die Lagersperre wurde schon 42 verhängt, da habe ich die Desinfektion schon durchgeführt. Ob das jetzt im Juli oder August oder September war, das kann ich natürlich nach so vielen Jahren nicht mehr feststellen. Ich weiß nur, daß die Lagersperre 42 ja verhängt wurde und daß ich die Desinfektion schon durchgeführt habe.

Zeuge Emil de Martini:

Aber Herr Klehr, ich bin doch 43 aus meiner Funktion als Blockältester entlassen worden, im Februar. Und Sie haben ja selbst vorhin noch sich erinnert, daß ich jeden Morgen beim Appell die Pfleger unten als Kommandierte antreten lassen mußte, den Bestand melden mußte: soundso viele Pfleger angetreten, soundso viele Tote oder irgend etwas. Und diese Meldung mußte ich Ihnen doch machen bis zum letzten Tag meiner Arbeit.

Angeklagter Klehr:

Herr Martini, das ist richtig. Sie haben als Blockältester mir den Block gemeldet, soundso viel Soll und Haben. Sie standen vor den Blocks.

Zeuge Emil de Martini:

Genau, genau.

Angeklagter Klehr:

Daraufhin bin ich zum Zählappell gegangen, und ich habe den gesamten HKB zum Appell gemeldet.

Zeuge Emil de Martini:

Ja.

Angeklagter Klehr:

Aber Sie könnten sich doch eventuell irren, Herr Martini. Ich schwindele nicht. Ich will hier nur die reine Wahrheit feststellen. Ich bin im Sommer – ob das, wie ich schon gesagt habe, August oder Juli oder September war – abgelöst worden zu der Seuchenbekämpfung. Und von dieser Zeit habe ich keine Stunde mehr Dienst gemacht im HKB.

Vorsitzender Richter:

Also, Sie hören, Klehr, daß der Zeuge uns eben gesagt hat, »bis zu meinem letzten Tag« in Auschwitz hat er Ihnen die Meldung gemacht.

Angeklagter Klehr:

[unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Gut.

Zeuge Emil de Martini:

Vielleicht haben Sie die Meldung entgegengenommen als so eine Art Blockführer, das weiß ich nicht. Aber ich habe die Meldung jeden Tag machen müssen.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, Sie sind so liebenswürdig und holen uns jetzt diesen Brief. Wir selbst machen zu diesem Zweck eine Pause bis 20 Minuten nach zehn.

Zeuge Emil de Martini:

Herr Rat, ich hätte aber noch eine Bitte – ich werde die Briefe gerne vorlegen –, wenn sie nicht mehr benötigt werden, mir sie zu retournieren. Ich möchte sie als Kuriosum aufheben.

Vorsitzender Richter:

Ja, wir werden eine beglaubigte Fotokopie anfertigen und werden Ihnen die Briefe dann wiedergeben.

Zeuge Emil de Martini:

Danke.

Vorsitzender Richter:

Bis viertel nach, zwanzig nach zehn, habe ich gesagt.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, würden Sie uns bitte mal den Brief vorlegen. [Pause] Danke schön. Bestehen Bedenken dagegen, daß dieser Brief verlesen wird?

Zeuge Emil de Martini:

Nein, von mir aus nicht.

Vorsitzender Richter:

Im allseitigen Einverständnis der Prozeßbeteiligten ergeht Beschluß: Der Brief des Angeklagten Klehr vom 29.4.1943 wird verlesen. Außerdem sind mir hier noch überreicht worden – Moment, das ist ein Brief von Scherpe, darüber haben wir noch nicht beschlossen. Der Brief von Klehr trägt das Datum vom 15.4.43 und ein weiterer Brief vom 3. Dezember 43. Auch gegen die Verlesung dieses Briefes erhebt sich kein Einwand. Schließlich ist hier noch ein Brief von Scherpe. Ich weiß nicht, was in dem Brief drinsteht. Vielleicht sieht die Staatsanwaltschaft sich den

Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:

Ich kenne den Brief. Ich beantrage die Verlesung dieses Briefes zum Beweis dafür, daß sich der Angeklagte Scherpe auch in dem Nebenlager Golleschau befunden hat.

Sprecher (nicht identifiziert):

Ich habe keine Bedenken.

Vorsitzender Richter:

Einverstanden? Dann wird auch die Verlesung des Briefes des Angeklagten Scherpe vom 29.4.43 angeordnet. Dann wollen wir also zunächst mal anfangen mit Klehr, vom 15.4.43. Bitte schön.

Richter Hotz:

»Auschwitz den 15.4.43. Werter Herr Martini, nun muß ich endlich mal an Ihnen denken, sonst denken Sie tatsächlich, Sie beleidigen mich mit Ihren Schreiben. Ich danke Ihnen für Ihr Scheiben, hab mich sehr gefreut darüber, daß Sie mich noch in Erinnerung haben. Daß ich Ihnen so lange warten ließ, das war keine böse Absicht, ich habe nämlich sehr viel zu tun auf meinem neuen Posten, wäre lieber im Krankenbau geblieben. Aber jeder Befehl ist mir heilig, muß auch ausgeführt werden, solange wir Soldaten sind. Es freut mich sehr, daß Sie den grauen Soldatenrock tragen und Soldat sind. Also, Herr Martini, werden Sie ein zackiger Soldat, und das glaube ich schon, daß Sie das werden. Etwas Menschenkenner bin ich ja auch schon, wenn es auch manchmal rund geht, es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Ich wünsche Ihnen viel Glück in Ihrer militärischen Laufbahn und Hals- und Beinbruch, also ran an den Feind. Hoffentlich geht mein Wunsch noch in Erfüllung, daß ich auch mal ran an den Feind kann. Sie wissen doch, daß das schon immer mein Wunsch war. Ich hoffe ja immer noch. Nun komme ich zum Schluß in der Hoffnung, daß Sie wieder was hören lassen, mit den besten Grüßen und Wünschen zum kommenden Osterfest verbleibe ich mit Heil Hitler, Klehr.«[4]

Vorsitzender Richter:

Dazu ein Briefumschlag, in Auschwitz abgestempelt am 15.4.1943, mit Feldpost.[5] Ist zu diesem Brief eine Erklärung abzugeben? Nein. Dann, bitte schön, den nächsten Brief vom 3. Dezember.

Richter Hotz:

»Josef Klehr, SS-Oberscharführer, Auschwitz, den 3. Dezember 1943. Kamerad Martini, endlich habe ich wieder etwas Zeit, um Ihr Schreiben vom 21. November zu beantworten. Sie dürfen es mir nicht verübeln, wenn ich nicht gleich geschrieben habe, denn ich bin dienstlich wirklich sehr in Anspruch genommen. Aus dem gleichen Grunde schreibe ich auch nicht eigenhändig, sondern diktiere diese Zeilen meinem Schreiber. Zu Ihrer Beförderung zum Oberfunker gratuliere ich Ihnen herzlichst und wünsche Ihnen auch weiter recht viel Soldatenglück. Der Marschallstab ist für jeden zu erreichen. Es freut mich sehr, daß Sie sich meiner erinnern, trotzdem es manchmal härter zugegangen ist. Das ist eben Dienst. Aber auch ich denke gern an Sie. Also nochmals alles Gute, Klehr.«[6]

Vorsitzender Richter:

Ist dazu eine Erklärung abzugeben? Nein. Dann bitte noch den Brief vom Angeklagten Scherpe.

Richter Hotz:

»Golleschau, den 29.4.43. Lieber Kamerad Martini, vor allem herzlichen Dank für die Karten und Briefe, über die ich mich sehr gefreut habe. Ich freue mich auch, daß Sie als brauchbarer Mensch wieder dort eingesetzt sind, wo Sie hingehören, und Sie werden sicher diesen Rock lieber tragen als einen andern. Im HKB hat sich inzwischen vieles geändert. Herr Bock ist jetzt in Buna als Pfleger, weil er zuviel Medikamente auf dem Boden gelagert hatte. Deswegen konnten wir Szary von einer Versetzung nicht zurückhalten. Es gingen 600 Mann nach verschiedenen Stellen, da war Szary auch dabei. Am Ostersamstag hat mich der Leo vorübergehend, als ich gerade zu Hause war, aufgesucht. Er ist in Laurahütte, und es geht ihm sehr gut. Sonst hat sich weiter nichts geändert. Die in der Schreibstube sagten, der Emil ist der einzige, der mal geschrieben hat. Ich bin jetzt seit 14 Tagen in Golleschau als Erholungs-SDG und fühle mich sehr wohl. Habe mir den rechten Zeigefinger gestaucht, aber es ist schon einigermaßen. Nur noch ein Pflaster habe ich drauf. Das ist auch der Grund, daß ich nicht früher geschrieben habe, da müssen Sie schon entschuldigen. Sonst geht es mir aber gut. Die Lagersperre ist wieder gelockert. Da gibt es wieder Urlaub. Wann werden Sie Ihren ersten Urlaub bekommen? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir ab und zu mal etwas schreiben. Hoffentlich war bei Ihnen zu Hause alles in Ordnung, als Sie heimkamen. Für heute will ich nun schließen in der Hoffnung, daß es Ihnen und Ihrer Familie gutgeht, und verbleibe mit den besten Grüßen, Ihr Kamerad Herbert Scherpe, Heil Hitler.«[7]

Vorsitzender Richter:

Sind dazu Erklärungen abzugeben? Nein. Zunächst möchte ich den Angeklagten Klehr doch noch mal hinweisen auf diesen Brief. Da steht jetzt drin: »Daß ich ihn so lange warten ließ, das war keine böse Absicht, habe nämlich sehr viel zu tun auf meinem neuen Posten, wäre lieber im Krankenbau geblieben.« Das sieht doch so aus, als ob Sie nach dem Weggang dieses Zeugen den neuen Posten angetreten hätten.

Angeklagter Klehr:

Herr Direktor, das ist unmöglich. Der Zeuge kann doch nicht eventuell sagen, daß ich gerade auf dem neuen Posten nach dem Weggang ihm geschrieben habe. Das kann ja schon längere Zeit zurückliegen. [unverständlich]

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Aber Herr Klehr, wenn Sie im September 1942 dort weggekommen wären, dann wäre es zunächst einmal nicht ganz erklärlich, daß der Zeuge Ihnen dann noch geschrieben hat, nachdem er im Februar 43 entlassen worden ist. Aber selbst wenn er Ihnen dann geschrieben hätte, wäre es doch unverständlich, daß Sie von einem neuen Posten sprechen, den Sie immerhin doch schon ein halbes Jahr nach Ihrer Darstellung innegehabt hätten.

Angeklagter Klehr:

In dem Brief betont doch Herr Martini selbst, ich habe längere Zeit ihn warten lassen. Herr Direktor, was ich gemacht habe, bestehe ich hier, bin ich nicht zu feige dazu. Ich bin aber im Sommer 42 abgelöst worden. Das kann ich nur betonen, und ich kann davon nicht abgehen.

Vorsitzender Richter:

Gut.

Angeklagter Klehr:

Ich bin nicht ein Feigling, der heute sich hinstellt und kneifen tut, das gemacht zu haben, und ich habe es nicht gemacht.

Vorsitzender Richter:

Nun ja, es ist Ihre Sache. Wir wollen von diesen Briefen Fotokopien anfertigen und dem Zeugen diese Briefe wieder zurückgeben. Herr Hüllen, wollen Sie sich dafür interessieren. [...] – Herr Klehr, haben Sie denn diese Briefe geschrieben? Oder wollen Sie sich Ihre Unterschrift hier ansehen?

Angeklagter Klehr:

Ja, ich möchte sie gerne mal ansehen.

Vorsitzender Richter:

Bitte sehr. [...]

Angeklagter Klehr:

[Pause] Die Unterschrift erkenne ich an.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun ja. Natürlich haben Sie es nicht selbst auf der Maschine geschrieben, sondern Sie haben das von irgend jemandem schreiben lassen. Außerdem ist hier auch der Briefumschlag noch dabei. Wieso schreibt er »Emil de Martini«?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das ist der Name, richtig so.

Vorsitzender Richter:

Sie heißen also nicht Martini, sondern de Martini?

Zeuge Emil de Martini:

De, ja, als Zwischentitel.

Vorsitzender Richter:

Das müssen wir uns aber auch im Protokoll vermerken: de Martini.

Sprecher (nicht identifiziert):

Das hat er aber gesagt.

Vorsitzender Richter:

So, das habe ich nicht mitbekommen, ich bitte um Entschuldigung.

Sprecher (nicht identifiziert):

[unverständlich]

Vorsitzender Richter:

So, und nun geben Sie bitte die Briefe weiter, daß die fotokopiert werden und dem Zeugen wieder zurückgeschickt werden. Herr Rechtsanwalt Fertig, Sie hatten noch eine Frage an den Zeugen?

Verteidiger Fertig:

Ja. Herr Martini, in diesem Zusammenhang noch eine Frage: Hat Ihnen der Herr Klehr vor dem 15. April 1943 schon einmal geschrieben gehabt?

Zeuge Emil de Martini:

Das ist jetzt schwer zu sagen. Ich weiß auch nicht, ob das der letzte Brief war. Ich habe nur die beiden mir aufgehoben seinerzeit, und es könnte möglich sein, aber ich kann darauf weder mit ja noch mit nein antworten, weil mir auch nicht mehr die Zeit bewußt ist, wann ich meinen ersten Brief geschrieben hatte – jedenfalls nach meiner Ausbildungszeit in Schwabach

Verteidiger Fertig [unterbricht]:

Ich frage Sie deshalb, Herr Martini: In diesem Brief vom 15.4.1943 spricht der Angeklagte Klehr von seinem neuen Posten, mehr sagt er dazu nicht. Das setzt doch voraus, daß Sie schon von diesem neuen Posten wußten. Haben Sie vorher von dem Angeklagten Klehr von diesem neuen Posten gehört? Ist es möglich, daß schon bei Ihrem Weggang im Februar 1943 Klehr da schon den neuen Posten vielleicht doch hatte, daß Sie es von daher wußten?

Zeuge Emil de Martini:

Da kann ich mich nicht entsinnen. Mir ist nur noch in Erinnerung, daß ich damals als Blockältester jeden Tag zum Morgenappell den Krankenstand und die Pfleger melden mußte. Und dieser Rapport wurde immer von Oberscharführer Klehr abgenommen, der ihn dann weitergab nach vorn zum Hauptscharführer oder zum Rapportführer.

Verteidiger Fertig:

Haben Sie diesen Rapport nicht auch mal dem Angeklagten Scherpe gegeben?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, das kann sein. Der Scharführer Scherpe war einmal kurze Zeit da. Da kam er natürlich auch nach Block 21, und ich nehme an, daß in dieser Zeit vielleicht Oberscharführer Klehr in Urlaub oder krank gewesen ist. Scherpe kenne ich aus dieser Zeit heraus. Er war kurze Zeit im Block 21, kam herein auch, hat dieses Dienstzimmer benutzt, das sonst Oberscharführer Klehr zur Verfügung stand.

Verteidiger Fertig:

Noch eine letzte Frage, die vielleicht etwas schwierig ist, die Ihr Erinnerungsvermögen vielleicht etwas sehr strapaziert: Hatten Sie damals, als Sie den Brief vom 15. April 43 erhielten, eine Vorstellung davon, was der Angeklagte Klehr unter diesem neuen Posten versteht?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, eine gewisse Vorstellung hatte ich schon. Ich habe damals angenommen, daß er von dieser Tätigkeit des »Abspritzens« versetzt sein könnte. Aber was er natürlich machte – es gab ja viele Tätigkeiten für die SS-Leute – das kann ich nicht sagen, daß ich eine bestimmte Vorstellung hatte. Ich nahm nur an, daß er nicht mehr auf diesem Posten ist und diese Tätigkeit ausübt.

Verteidiger Fertig:

Ja, keine Frage mehr.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich habe eine Frage noch.

Vorsitzender Richter:

Bitte schön.

Nebenklagevertreter Kaul:

Herr Zeuge, können Sie uns ungefähr sagen, wieviel Zeit dazwischen lag, zwischen den Geschehnissen, die Sie uns geschildert hatten, wie Sie durch die offenstehende Tür des Ambulanzraumes die Ermordung durch die Phenolspritzen mit ansahen, und Ihrer Entlassung? War das eine kurze Zeit, ist die nach Wochen zu berechnen, oder war es eine lange Zeit, die etwa nach Monaten zu berechnen wäre?

Zeuge Emil de Martini:

Das ist schwer zu sagen. Ich wurde entlassen im Februar. Das könnte vielleicht Herbst oder Sommer 42 gewesen sein. Jedenfalls fiel es in eine Zeit, wo ich schon Blockältester war. Sonst hätte ich ja die Bewegungsfreiheit nicht gehabt innerhalb des Lagers.

Nebenklagevertreter Kaul:

Wann wurden Sie Blockältester, etwa?

Zeuge Emil de Martini:

42, aber ich kann jetzt nicht sagen, war das Sommer oder war das Herbst. In das Jahr 42 ist das gefallen.

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Und Sie können uns auch nicht sagen, ob es näher zu Ihrer Entlassung Februar 43 lag oder näher zu Ihrer Ernennung zum Blockältesten Sommer 42?

Zeuge Emil de Martini:

Leider, das kann ich eben nicht. Da kann ich mich zeitlich nicht festlegen. Ich sage nur, es ist in dem Zeitraum gewesen, als ich Blockältester wurde, bis zu meiner Entlassung. Das kann also vielleicht im Frühherbst oder Spätherbst 42, es könnte genauso gut auch Winter 42 gewesen sein.

Nebenklagevertreter Kaul:

Aha. Aber da können Sie uns nichts Näheres sagen.

Zeuge Emil de Martini:

Tut mir leid, ich kann da keine Zeit angeben.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich danke schön.

Vorsitzender Richter:

Es sind keine Fragen mehr an den Zeugen, keine Erklärungen mehr abzugeben? Herr Zeuge, Sie müssen das, was Sie uns gesagt haben, beeidigen. Wollen Sie noch etwas verbessern oder hinzufügen? Entspricht es der reinen Wahrheit?

Zeuge Emil de Martini:

Ja, es entspricht der Wahrheit. Ich kann mich nur, wie gesagt, zeitlich nicht auf bestimmte Termine festlegen, denn das ist unmöglich, daß ich mich nach 20 Jahren daran noch erinnern kann.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das [unverständlich] . Wollen Sie den Eid in religiöser oder in bürgerlicher Form leisten?

Zeuge Emil de Martini:

Das ist mir gleich, Herr Rat.

  1. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 16.02.1960 in Nürnberg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 25, Bl. 4.283.
  2. Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 16.02.1960 in Nürnberg, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 25, Bl. 4.288.
  3. Phonetisch geschrieben; gemeint ist Peter Welsch.
  4. Vgl. Anlage 1 zum Protokoll vom 04.06.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 99.
  5. Vgl. Anlage 2 und 3 zum Protokoll vom 04.06.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 99.
  6. Vgl. Anlage 4 zum Protokoll vom 04.06.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 99.
  7. Vgl. Anlage 5 zum Protokoll vom 04.06.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 99.
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