Zeuge Walter Löbner

79. Verhandlungstag 20.08.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

79. Verhandlungstag, 20.8.1964

Vernehmung des Zeugen Walter Löbner

Vorsitzender Richter:

[+ Sind Sie damit einverstanden, daß wir Ihre Aussage auf ein Tonband aufnehmen] zum Zweck der Stützung des Gedächtnisses des Gerichts?

Zeuge Walter Löbner:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Herr Doktor Löbner, Sie waren früher als praktischer Arzt und Kurarzt in Marienbad tätig, und bei dem Einrücken der deutschen Truppen sind Sie nach Prag gegangen.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie sind dann am 15. März 1939 nach der Besetzung der Stadt Prag auch verhaftet worden, und zwar einen Monat später, am 13./14.

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Am 13. April.

Vorsitzender Richter:

Am 13. April 1939. Sie hatten zunächst die Auflage, sich täglich zu melden, sind aber bereits nach fünf Tagen, am

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Am 18. April.

Vorsitzender Richter:

Am 18. April festgenommen worden, und zwar warum? Was hat man Ihnen gesagt?

Zeuge Walter Löbner:

Aus dem Schutzhaftbefehl, der mir ausgehändigt wurde später, ging hervor, wegen des Verdachtes des Hochverrates gegen das deutsche Volk.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich habe damals den vernehmenden Kommissar gefragt: »Wie kann ich als tschechoslowakischer Staatsbürger Hochverrat gegen das deutsche Volk begehen?« Das wurde mit Ohrfeigen beantwortet und blieb dabei.

Vorsitzender Richter:

Und blieb dabei. Sie sind dann zunächst nach Prag ins Gefängnis Pankrac gekommen.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und noch mal ins Polizeigefängnis am Karlsplatz.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und schließlich sind Sie nach Dresden überstellt worden.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Kamen von dort nach Sachsenhausen. Und ist es richtig, daß der Schutzhaftbefehl damals von Heydrich unterschrieben war?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie sind dann zunächst in Sachsenhausen geblieben bis zum Oktober 42.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wann sind Sie nach Auschwitz gekommen?

Zeuge Walter Löbner:

Es war im Oktober, wahrscheinlich am 20. oder 22. Oktober. Nach einem viertägigen Transport kam ich nach Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Von Sachsenhausen?

Zeuge Walter Löbner:

Von Sachsenhausen direkt.

Vorsitzender Richter:

Mit wieviel Häftlingen etwa?

Zeuge Walter Löbner:

Es ist damals die ganze Judenschaft aus Sachsenhausen abtransportiert worden, mit Ausnahme weniger, die von Beruf Graveure oder Buchdrucker waren. Später habe ich erfahren, daß die Leute zurückgehalten wurden zum Zweck dieser Pfund-Fälschungen.

Vorsitzender Richter:

Sie sind also – kann es stimmen? – mit 600 Häftlingen etwa zusammen

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Es war ein ganzer Bahntransport, es waren viele Viehwaggons.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

In jedem Waggon waren vielleicht 100 Leute beim Einwaggonieren. Beim Auswaggonieren waren entsprechend weniger drinnen, lebend.

Vorsitzender Richter:

Wie lange dauerte der Transport?

Zeuge Walter Löbner:

Über vier Tage.

Vorsitzender Richter:

Vier Tage. Und Sie haben während dieser vier Tage vermutlich auch keine Verpflegung bekommen?

Zeuge Walter Löbner:

Keine Verpflegung. Und es wurden die Türen nie geöffnet. Die Bedürfnisse wurden in irgendeinem kleinen Gefäß...

Vorsitzender Richter:

Verrichtet.

Zeuge Walter Löbner:

Verrichtet.

Vorsitzender Richter:

Nun, waren in Ihrem Waggon auch tote Menschen drin?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wie viele etwa?

Zeuge Walter Löbner:

Beim Ausladen?

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich schätze, zehn bis 15.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

20 von

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und wie viele Leute waren drin im Waggon?

Zeuge Walter Löbner:

Ich schätze, 80 bis 100.

Vorsitzender Richter:

80 bis 100. Nun, Herr Zeuge, wo sind Sie in Auschwitz ausgeladen worden? War das

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Damals war mir ja die Örtlichkeit nicht bekannt.

Vorsitzender Richter:

Nicht bekannt.

Zeuge Walter Löbner:

Ich wußte nicht einmal, daß ich in Auschwitz bin.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Es war ein normaler Bahnhof, wo wir ausgeladen wurden. Ich weiß es nicht, ob es

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also mit Bahnsteigen?

Zeuge Walter Löbner:

Mit Bahnsteigen, mit Geleisen, mit gedeckter Rampe.

Vorsitzender Richter:

Mit gedeckter Rampe, ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ja, und nach Aufstellen in Viererreihen oder Sechserreihen Fußmarsch von vielleicht 20 oder 30 Minuten, bis wir durch ein Tor geführt wurden, über dem stand: »Arbeit macht frei«. Dann kam ich in einen Ziegelbau. Später wußte ich, es ist der Block 6a im Stammlager oder Hauptlager Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Hauptlager Auschwitz. Und wie lange blieben Sie dort drinnen?

Zeuge Walter Löbner:

Dort blieb ich nur wenige Tage, vielleicht sechs bis zehn Tage, und wurde für einen Transport in ein Nebenlager ausgesucht. Zu meinem Glück.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Und das war Budy.

Vorsitzender Richter:

Budy.

Zeuge Walter Löbner:

Ein kleines Lager, vielleicht fünf Kilometer vom Hauptlager entfernt. Es war ein landwirtschaftliches Kommando, wo vielleicht 500, 600 arbeitende Häftlinge waren, wo ich zuerst zu Betonbau eingesetzt wurde, dann später zum Pferdeknecht avancierte und bei dieser Gelegenheit einem polnischen Kameraden, der vom Pferd skalpiert wurde, mit primitivsten Mitteln diese Wunde vernähte und ihn wieder arbeitsfähig machte. Das war im Jahre 43. Das fiel dem Lagerführer auf, er meldete das in das Hauptlager. Nach wenigen Tagen kam ein SS-Arzt aus dem Lager

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wissen Sie, wie der hieß?

Zeuge Walter Löbner:

Nein, das weiß ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie nicht.

Zeuge Walter Löbner:

Er fragte mich: »Sie sind Arzt?«»Ja.«»Sie sind Operateur?«»Ja.« Darauf wurde ich in das Hauptlager, in den Krankenbau nach Auschwitz versetzt.

Vorsitzender Richter:

In welchen Krankenbau?

Zeuge Walter Löbner:

Im Hauptlager, in der Ambulanz, Block 39. Dort war ich als Häftlingsarzt tätig.

Vorsitzender Richter:

Ja, wir stutzen da etwas, Herr Zeuge, weil uns bisher bekannt ist, daß der Ambulanzbau der Block 28 gewesen ist in Auschwitz I.

Zeuge Walter Löbner:

Das kann vielleicht ein Irrtum meinerseits sein. Ja, es war auch 28.

Vorsitzender Richter:

Ja?

Zeuge Walter Löbner:

Denn ich habe geschlafen im Block 21, das ist vis- à-vis gewesen.

Vorsitzender Richter:

Ganz recht, ja, der gehörte auch dazu.

Zeuge Walter Löbner:

Pardon. Ja.

Vorsitzender Richter:

Also, im Block 28.

Zeuge Walter Löbner:

28, in der Ambulanz.

Vorsitzender Richter:

In der Ambulanz.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Nun, und dort waren Sie Häftlingsarzt?

Zeuge Walter Löbner:

Dort war ich Häftlingsarzt, habe die Ambulanz versorgt. Mein Chef war der SDG, Sanitätsdienstgrad Nierzwicki.

Vorsitzender Richter:

Nierzwicki.

Zeuge Walter Löbner:

Ich war auch auf einem Krankenzimmer sozusagen Schreiber, der die Statistik geführt hat in diesem. Die Lage in dem Hauptlager war ziemlich unangenehm, bedrohlich. Es ergab sich die Gelegenheit, als Häftlingsarzt nach Budy zurückzukommen, wo ich mal Arbeiter war. Dort hat man mich gekannt, vom Lagerführer angefangen, die Kameraden, und ich wurde Häftlingsarzt in Budy.

Vorsitzender Richter:

Das war aber erst nach einem Jahr etwa?

Zeuge Walter Löbner:

Nein, ich war nur wenige Wochen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Oder zwei bis drei Monate, ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich war wenige Wochen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, ja, ganz recht.

Zeuge Walter Löbner:

Zwei bis drei Monate im Krankenbau in Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

Und dort blieben Sie dann bis zum Sommer 44.

Zeuge Walter Löbner:

Dort blieb ich bis zum Sommer 44, bis ich dann nach Janina, Kohlengrube Gute Hoffnung, wieder als Arzt, als Operateur, versetzt wurde. Bis zur Evakuierung am 18. Januar 45.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, in der Zeit, wo Sie in Auschwitz I waren – das waren also vom Juni 43 etwa zwei bis drei Monate –, haben Sie da auch den Doktor Capesius kennengelernt?

Zeuge Walter Löbner:

In dieser Zeit nicht.

Vorsitzender Richter:

In dieser Zeit nicht. Wann haben Sie ihn denn kennengelernt?

Zeuge Walter Löbner:

Wie ich Häftlingsarzt in Budy war, nachher.

Vorsitzender Richter:

Wie Sie Häftlingsarzt in Budy waren, das war also?

Zeuge Walter Löbner:

Nach dieser Zeit.

Vorsitzender Richter:

Nach dieser Zeit.

Zeuge Walter Löbner:

Das war von Sommer...

Vorsitzender Richter:

43.

Zeuge Walter Löbner:

43

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Bis zum Sommer 44.

Zeuge Walter Löbner:

Bis zum Sommer 44.

Vorsitzender Richter:

Aha.

Zeuge Walter Löbner:

In dieser Zeit wurde ich transportiert einmal mit dem Küchenwagen, der jeden Tag nach Auschwitz fuhr, zur Medikamentenanforderung in die Hauptapotheke nach Auschwitz.

Vorsitzender Richter:

In die Hauptapotheke nach Auschwitz. Und da lernten Sie Doktor Capesius kennen?

Zeuge Walter Löbner:

Und da traf ich den Doktor Capesius.

Vorsitzender Richter:

Sie kannten ihn vorher nicht?

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Und wieso wußten Sie, daß es sich hier um Doktor Capesius handelt, mit dem Sie da sprachen?

Zeuge Walter Löbner:

Eines Tages, als ich mit einer Spezialanforderung in die Hauptapotheke kam, mit einer Anforderung von 1.000 Tabletten Chinin, die ich anläßlich einer Malariaepidemie in Budy angefordert hatte, da sagt mir der Untergebene: »Ja, so eine Riesenmenge, da muß ich den Chef fragen.« Und da kam ich zum Chef. Und da kam diese inkriminierende...

Vorsitzender Richter:

Äußerung.

Zeuge Walter Löbner:

Aussage von ihm: »Wozu brauchen Sie diese Riesenmenge Chinin? Brauchen Sie doch nur für die Huren von Harmense zu Abtreibezwecken.« Und sonderbarerweise hat er sich mit mir in eine Diskussion eingelassen. Ansonsten war man gewöhnt, von den SS-Leuten nur Ohrfeigen zu bekommen und keiner Antwort gewürdigt zu werden. Und da sagte ich: »Entschuldigung, erstens sind diese Frauen seit einigen Jahren inhaftiert, haben keine Möglichkeit, schwanger zu werden. Und außerdem ist Chinin kein Abtreibemittel. Ich brauche das, weil ich viele Erkältungskrankheiten habe, und ich möchte die Leute bald wieder auf die Füße stellen.« Ich habe wohlweislich vermieden, von Malaria zu sprechen, denn es war bekannt, die beste Methode, Epidemien auszuschalten, ist die totale Vernichtung, inklusive des Häftlingsarztes. Also ich habe mich gehütet, von Malaria zu sprechen, sondern habe gesprochen von Bronchitis, von leichten Erkältungskrankheiten, die mit Chinin bald auf die Füße kommen werden. Es wurde gestrichen. Und es ging ein Großteil dieser Leute – ich nehme an, es waren circa 250 bis 300 Malariakranke in diesem Lager – zugrunde.

Ich hatte vor wenigen Monaten eine interessante Begegnung. Als mein Name in der Zeitung, in der israelischen Presse, erschien, kam zu mir ein mir unbekannter Mensch und sagte mir: »Ich bin ein ehemaliger griechischer Jude, der in Budy zur Zeit gearbeitet hat, als du dort warst. Ich habe auch diese Krankheit gehabt mit diesem hohen Fieber, mit den Schüttelfrosten. Du hast mich gerettet, ich danke dir.« Das war einer der wenigen. Damals habe ich ihn gefragt: »Sage mal, wieviel sind von euch Griechen zurückgekommen, wieviel wart ihr in Budy?« Sagt er: »Wir waren 300. Zurückgekommen sind 28.« Und ich erinnere mich, diese griechischen Juden, sie waren meistens Hafenarbeiter, Lastträger aus Saloniki, waren bärenstarke Menschen. Als ich noch nicht avancierter Pferdeknecht war, da habe ich draußen auf dem Feld gearbeitet einmal, und wir mußten Baumstämme roden. Es waren Riesenbäume dort, und es sollte ein Baumstrunk bewegt werden. Den konnten wir sechs, acht Leute nicht bewegen. Und so ein Saloniker Jude allein hat ihn gepackt und getragen. Nach wenigen Wochen war er tot. Verhungert, erschlagen, an Krankheit zugrunde gegangen.

Vorsitzender Richter:

Sie haben damals bei Ihrer Vernehmung geschätzt, es seien ungefähr 30 bis 50 Personen damals aufgrund des hoffnungslosen Zustandes bei dieser Malariaepidemie zu Tode gekommen.[1] Kann das ungefähr stimmen?

Zeuge Walter Löbner:

Ja. Der Grieche hat mich jetzt darauf aufmerksam gemacht, daß es viel mehr waren.

Vorsitzender Richter:

Daß es viel mehr waren.

Zeuge Walter Löbner:

Der Krankenbau, der sogenannte Krankenbau, war klein. Er hat bestanden aus wenigen Betten, acht bis zwölf Betten. Viele sind gelegen in der Baracke auf ihrer Pritsche, bedeckt mit fünf, sechs Decken, wenn sie den Schüttelfrost hatten. Also so habe ich die Zahl nicht in Erinnerung.

Vorsitzender Richter:

Ja. Aber eins steht fest: Also, der Doktor Capesius hatte damals keine Ahnung davon, daß es sich um Malariakranke handelt.

Zeuge Walter Löbner:

Nein, nein.

Vorsitzender Richter:

Und Sie haben, wenn ich Sie recht verstehe, aus diesem Grunde wohl auch kein Atebrin oder sonstige typische

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Nein, nein.

Vorsitzender Richter:

Bekämpfungsmittel für Malaria

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Denn das hätte ja sofort den Verdacht auf Malaria

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Das hätte sofort den Verdacht gehabt auf Malaria. Und deshalb haben Sie nur von

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Nur Chinin, nur von Erkältungskrankheiten gesprochen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun sagen Sie, haben Sie auch, bitte, in dem Lager den Doktor Klein gekannt?

Zeuge Walter Löbner:

Ja, er war mein Lagerarzt.

Vorsitzender Richter:

War Ihr Lagerarzt?

Zeuge Walter Löbner:

Er war mein Lagerarzt eine Zeitlang.

Vorsitzender Richter:

Können Sie uns beschreiben, wie der Mann aussah?

Zeuge Walter Löbner:

Er war ein älterer Herr, klein, so wie sein Name sagt, schmächtig. Ich glaube, weißhaarig. Ich habe den Doktor Klein sehr gut gekannt. Er war auch oft bei mir im Lager Budy.

Vorsitzender Richter:

Sagen Sie, besteht eine Möglichkeit, daß man diesen Doktor Klein verwechselte mit dem Doktor Capesius?

Zeuge Walter Löbner:

Ich glaube, nein. Eine ganz andere Figur, ein ganz anderes Auftreten.

Vorsitzender Richter:

Ich frage Sie deshalb, Herr Doktor: Wir haben heute, und auch schon das letzte Mal, hier Zeugen gehört, die den Doktor Capesius bei allen möglichen Gelegenheiten gesehen haben wollen.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Soweit es sich um den Dienst an der Rampe handelte – da werden Sie vielleicht auch davon gehört haben, das sind also die Selektionen ankommender Transporte.

Zeuge Walter Löbner:

Ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Da würde ein solcher Dienst nach den uns bekannten Befehlen übereinstimmen mit dem damals gegebenen Befehl. Soweit es sich aber um Dienste im Lager handelte, also Selektionen, die im Lager vorgenommen worden sind, wo er angeblich in Gesellschaft von dem Doktor Mengele erschienen sein soll, da haben wir insofern Bedenken, als diese Tätigkeit weder mit der Tätigkeit des Apothekers übereinstimmte noch mit den Befehlen, die uns bisher bekannt sind. Wir können uns also nicht recht vorstellen, daß sich der Doktor Mengele, es sei denn, daß er einen Dolmetscher brauchte, ausgerechnet den Doktor Capesius gewählt hätte, um ihn zu begleiten bei seinen täglichen Selektionen, die er vorgenommen hat.

Zeuge Walter Löbner:

Darüber kann ich nichts aussagen.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich war nicht auf der Rampe und...

Vorsitzender Richter:

Ja, das weiß ich, aber deshalb frage ich Sie, ob nach dem Erscheinungsbild des Doktor Klein und des Doktor Capesius

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Eine Verwechslung – unmöglich!

Vorsitzender Richter:

Nach Ihrer Meinung unmöglich.

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Nach meiner Meinung eine Verwechslung unmöglich ist.

Vorsitzender Richter:

Denn der Doktor Capesius

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Hat eine ganz andere Statur gehabt wie der Doktor Klein.

Vorsitzender Richter:

Verteidigt sich damit, daß er mit dem Doktor Klein verwechselt worden sei. Der Doktor Klein sei der sogenannte 1. Arzt gewesen nach dem Doktor Mengele dort. Und er sei auch immer in Gesellschaft mit dem Doktor Mengele gewesen. Also davon wissen Sie nichts?

Zeuge Walter Löbner:

Davon weiß ich nichts.

Vorsitzender Richter:

Davon können Sie nichts wissen.

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Aber ich will nur wissen, die Erscheinungsform und das äußere Bild der Persönlichkeit

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Doktor Klein war viel kleiner, viel schmächtiger als Doktor Capesius, der ein robuster, breitschultriger Mann war.

Vorsitzender Richter:

Robust und breitschultrig.

Zeuge Walter Löbner:

Und wahrscheinlich auch größer war.

Vorsitzender Richter:

Nun, also so groß ist der Doktor Capesius nun auch wieder nicht.

Zeuge Walter Löbner:

Er ist auch mittlerer Statur.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Aber der Klein war noch kleiner.

Vorsitzender Richter:

So. Haben Sie bitte

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Und der Doktor Klein war mir bekannt, weil ich habe mit ihm einige Male persönlichen Kontakt gehabt. Er war SS-Arzt für Budy, Frauenlager, Männerlager, und für Harmense.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Und er ist oft zur Kontrolle dorthin gekommen, und ich habe ihn oft gesehen.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Und in dieser Zeit kam ich auch in den Hauptkrankenbau, und da stand ihm Doktor Capesius gegenüber. Also für mich war ein großer Unterschied zwischen den beiden.

Vorsitzender Richter:

Ja. Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich glaube, daß auch ein anderer, der die Leute nicht so gut gekannt hat, sie auch nicht verwechseln kann.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie dort auch den Doktor Lucas angetroffen?

Zeuge Walter Löbner:

Ich weiß es nicht.

Vorsitzender Richter:

Sie wissen es nicht mehr.

Zeuge Walter Löbner:

Aber in meinen Aufzeichnungen, die ich schon im Mai 45, kurz nach meiner Befreiung, der russischen Besatzungsbehörde in Kremmen bei Oranienburg übergeben habe, da steht unter den Leuten, die ich als Hauptkriegsverbrecher angegeben habe – zu denen ich in erster Linie die Ärzte zähle –, auch der Doktor Lucas. Ich kann mich aber heute nicht mehr erinnern, warum ich ihn dort angegeben habe.[2] Dort steht Doktor Mengele, Doktor Schumann, Clauberg, Entress, Thilo, Fischer, Wirths und auch Doktor Lucas.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Aber ich weiß heute nicht mehr, warum ich ihn dort eingefügt habe.

Vorsitzender Richter:

Ja. Wissen Sie, ob Sie ihn persönlich überhaupt gekannt haben?

Zeuge Walter Löbner:

Ich weiß es nicht.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht mehr.

Zeuge Walter Löbner:

Vielleicht war es der Mann, der mich nach Auschwitz geholt hat. Vor mir stand ein SS-Arzt.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich wußte seinen Namen nicht.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, wie Sie von Auschwitz weggebracht worden sind, da haben Sie doch einen Marsch machen müssen, einen Fußmarsch.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Da sind doch verschiedene Kolonnen abmarschiert in Auschwitz.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Waren Sie in der mittleren, der ersten oder in der letzten, oder?

Zeuge Walter Löbner:

Das kann ich nicht sagen, welche Kolonne.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht.

Zeuge Walter Löbner:

Ich bin evakuiert worden um circa elf Uhr vormittags am 18. Januar aus Janina.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Und wir wurden ins Hauptlager Auschwitz gebracht. Und dort ist man kolonnenweise abmarschiert, [...] nachdem man ein Stück Brot bekommen hat. Und wir wurden in Marsch gesetzt, und wir marschierten die ganze Nacht. Aber wo ich war, ob am Anfang, in der Mitte, hinten, das weiß ich nicht. Wir marschierten die ganze Nacht und den ganzen Tag. Und am späten Abend wurden wir – ein Teil, einige tausend Leute – in einer offenen Ziegelhütte in Nikolai untergebracht.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Am nächsten Tag ging es weiter, und wir kamen über Rybnik nach Gleiwitz. In Gleiwitz versuchte man uns in einen Bahntransport zu bringen. Dabei versuchte ich mich im Leichenwagen zu verstecken, bin aber abgekommen von der Idee, als man durchsuchte, genau, und bin wieder in den normalen Waggon zurückgekehrt. Und dann wurden wir in Fußmarsch gesetzt. Scheinbar hat die Lokomotive keinen Dampf gehabt. Und da war eine sehr lange Kolonne. Und plötzlich gab es einen Feuerüberfall, einen Kilometer vor mir, ich weiß nicht, woher. Hat die SS begonnen zu schießen, war es ein Partisanenüberfall? Ich weiß es nicht. Kurz, und die Gruppe, in der ich war, mit ein paar bekannten SS-Leuten um uns, wir haben uns abgesondert, bis wir eine Gruppe waren von circa 250 Mann. Und wir sind separiert, auf anderen Wegen wie die anderen Kolonnen, weitermarschiert. Die SS-Leute hatten scheinbar selber...

Vorsitzender Richter:

Interesse dran.

Zeuge Walter Löbner:

Das Interesse, so langsam als möglich ans Ziel zu kommen. Sie waren nicht sehr, sehr interessiert, den Transport zu beenden und an die Front eventuell noch zu kommen. Und wir kamen über Niederschlesien, Neiße, nach Groß-Rosen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun würde mich von diesem Marsch hauptsächlich interessieren, ob Sie gesehen oder gehört haben, daß Menschen bei diesem Marsch erschossen worden sind.

Zeuge Walter Löbner:

Ja, das habe ich Hunderte Male gesehen. Denn wir, die wir ein bißchen kräftiger waren – ich und einige Kameraden –, haben uns, wo möglich, von dieser kleinen Gruppe nach rückwärts gehalten, um die Leute, die ins Taumeln kamen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Zu stützen.

Zeuge Walter Löbner:

Und die schwach wurden, zu schleppen. Denn wer niederfiel, [den haben] die letzten SS-Leute, die hinter uns gingen, niedergeknallt. Hervorgetan hat sich da ein Sanitätsdienstgrad namens Wohland, ein früherer slowakischer Bergarbeiter, der mein Sanitätsdienstgrad in Budy und in Janina war. Den ich sehr gut gekannt habe und von dem ich nie wieder was gehört habe. Also der hat sehr frisch...

Vorsitzender Richter:

Drauflosgeschossen?

Zeuge Walter Löbner:

Herumgeknallt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, sagen Sie, kannten Sie auch einen Doktor Sperber?

Zeuge Walter Löbner:

Den Doktor Karel Sperber.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Meinen Landsmann, einen Häftlingsarzt, habe ich sehr gut gekannt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Hat er Ihnen

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ich war mit ihm

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, bitte?

Zeuge Walter Löbner:

Er ist Landsmann von mir.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Er stammt aus Dachau in der Nähe von Marienbad.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich habe ihn und seine Familie gut gekannt. Wir waren befreundet.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Eines Tages, als ich im Hauptlager Auschwitz war, wurde er eingeliefert, in prächtiger englischer Seeuniform. Er war Schiffsarzt bei einer englischen Linie, wurde auf einer Fahrt – ich kenne die Geschichte aus seinem Munde direkt – auf der Höhe von Singapur von einem deutschen Hilfskreuzer gekapert.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Das muß gewesen sein im Jahre 41. Wurde um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Bremerhaven gebracht, dort als Jude erkannt und nach Auschwitz transportiert.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Wurde mit dem Marschbefehl »zu lebenserhaltender Tätigkeit einzusetzen« nach Auschwitz gebracht. Die lebenserhaltende Tätigkeit war, er kam ins Entlausungskommando unter Klehr.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Durch ihn weiß ich von der üblen Tätigkeit des Scharführers Klehr.

Vorsitzender Richter:

Und was hat er Ihnen erzählt? Hat er Ihnen auch erzählt, daß Klehr zum Beispiel mit in den Gaskammern oder bei den Gaskammern

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Das erste Mal hörte ich von den intrakardialen Phenolinjektionen, die Klehr verabreicht hat. Er hat die Gasbomben in die Gaskammer geworfen – oder damals hat es noch nicht die großen Gaskammern gegeben, da gab es nur kleine Bauernhäuser, die behelfsmäßig eingerichtet waren für den Zweck. Da hat Klehr sich betätigt.

Vorsitzender Richter:

Das hat Ihnen Sperber erzählt?

Zeuge Walter Löbner:

Das hat mir Doktor Sperber erzählt.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Ich habe Doktor Sperber auch nach dem Krieg wiedergetroffen in unserer Heimat. Selbstverständlich haben wir uns über unsere Erlebnisse unterhalten.

Vorsitzender Richter:

Und das hat Ihnen aber Doktor Sperber schon im Lager erzählt, daß Klehr diese Gasbüchsen da reingeworfen hätte in diese Gaskammern.

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ja, ja, ja. Doktor Sperber kam ein- oder zweimal als Desinfektor zu Entlausungszwecken in das Lager Budy, Männerlager und Frauenlager. Und dabei hat er mich aufmerksam gemacht.

Vorsitzender Richter:

Und den Angeklagten Kaduk, haben Sie den auch gekannt?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und zwar wieso, und was hat er

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ich war ja einige Wochen im Hauptlager, und Kaduk war dort eine...

Vorsitzender Richter:

Bekannte Figur.

Zeuge Walter Löbner:

Berüchtigte Persönlichkeit. Ich habe auch seine Tätigkeit kennengelernt in der Ambulanz, gebrochene Rippen, blaue Hinterteile. Also Kaduk war der Begriff des bösen Schlägers.

Vorsitzender Richter:

Nun, Herr Doktor, noch eine Frage: Kennen Sie den Doktor von Sebestyén?

Zeuge Walter Löbner:

Habe ich jetzt eben draußen vor der Türe kennengelernt.

Vorsitzender Richter:

Aber vorher haben Sie ihn nicht gekannt?

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Kennen Sie einen Herrn Josef Glück?

Zeuge Walter Löbner:

Den habe ich vor zweieinhalb Jahren einmal gesprochen.

Vorsitzender Richter:

Vor zweieinhalb Jahren einmal gesprochen. Aber Sie kannten ihn vor Auschwitz nicht?

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Und in Auschwitz auch nicht.

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Und als Sie ihn gesprochen haben vor zweieinhalb Jahren, wußten Sie da schon, daß Sie in Frankfurt vernommen werden sollten?

Zeuge Walter Löbner:

Ja, es war vor dieser Frankfurter Reise. Da habe ich mich mit ihm über technische Dinge unterhalten, wie die Reise durchgeführt werden soll und so.

Vorsitzender Richter:

Und haben Sie sich auch mit ihm über die Persönlichkeit des Doktor Capesius unterhalten?

Zeuge Walter Löbner:

Ist anzunehmen, denn er hat gesagt, er wird gegen Capesius geführt, und auch ich werde gegen Capesius geführt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Ja. Haben Sie irgendwelche Personenbeschreibungen von Doktor Capesius ausgetauscht

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Nein. Nein.

Vorsitzender Richter:

Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen? Nein?

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein. Ja. Ist eine Frage?

Richter Hotz:

Ja. Herr Doktor Löbner, wissen Sie noch, wer außer Nierzwicki im HKB in Auschwitz I Sanitätsdienstgrad war, als Sie dort, im Sommer 43 wohl, selbst dort waren?

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ich glaube, zu dieser Zeit, wo ich dort war, war nur Nierzwicki SDG.

Richter Hotz:

Nur Nierzwicki. Ja. Dann noch etwas anderes. Können Sie sich an die Haarfarbe von Doktor Capesius im Jahre 44 erinnern?

Zeuge Walter Löbner:

Lichtes Haar.

Richter Hotz:

Die Farbe?

Zeuge Walter Löbner:

Lichtes Haar.

Richter Hotz:

Also hell, meinen Sie?

Zeuge Walter Löbner:

Hell.

Richter Hotz:

Grau, weiß, blond?

Zeuge Walter Löbner:

Kann ich nicht sagen, denn mir ist nur aufgefallen sein breites Gesicht.

Richter Hotz:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Breite Backenknochen und eine stämmige Figur. Haarfarbe?

Richter Hotz:

Mich interessiert im Augenblick speziell die Haarfarbe.

Zeuge Walter Löbner:

Kann ich nicht sagen.

Richter Hotz:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Keine Frage mehr von seiten des Gerichts? Bitte schön.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Herr Doktor Löbner, hatten Sie in Auschwitz eine Häftlingsnummer bekommen?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Welche, bitte?

Zeuge Walter Löbner:

70.096

Ergänzungsrichter Hummerich:

70.096.

Zeuge Walter Löbner:

In meinen linken Vorderarm eintätowiert.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja. Und dann noch eine Frage: Sie sagten, daß Sie seinerzeit, 1945, eine Liste zusammengestellt haben von Ärzten aus Auschwitz.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Stand Doktor Klein auch auf dieser Liste drauf?

Zeuge Walter Löbner:

Darf ich nachschauen in meiner Liste?

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, bitte schön.

Zeuge Walter Löbner:

[Pause] »Daselbige, folgende sogenannte Ärzte der SS haben durch persönliche Auswahl nicht arbeitsfähiger oder auch völlig gesunder Menschen für die Tötung durch intrakardiale Phenolinjektion, durch Vergasung, durch lebendige Verbrennung, durch operative Experimente als medizinische Versuchstiere et cetera vieler Hunderttausender veranlaßt: Standortarzt Sturmbannführer Doktor Wirths, Hauptsturmführer Doktor Fischer, Sturmführer Doktor Rohde, Sturmführer Doktor Klein, Sturmführer Doktor König, Doktor Lucas, Doktor Thilo.«[3]

Ergänzungsrichter Hummerich:

Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Von seiten der Staatsanwaltschaft?

Staatsanwalt Kügler:

Herr Doktor Löbner, Sie sprachen davon, daß der Doktor Klein älter gewesen sei, ein älteres Aussehen gehabt habe. Bestand zwischen Doktor Klein und Doktor Capesius ein sichtbarer Altersunterschied?

Zeuge Walter Löbner:

Das kann ich nicht sagen.

Staatsanwalt Kügler:

Das können Sie nicht sagen. Bestand ein sichtbarer Unterschied hinsichtlich der äußeren Form des Gesichts? [...] Sie schilderten also das Gesicht des Doktor Capesius breit.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

Können Sie es näher erläutern?

Zeuge Walter Löbner:

Auffallend breite Backenknochen.

Staatsanwalt Kügler:

Bei Doktor Capesius?

Zeuge Walter Löbner:

Bei Doktor Capesius. Doktor Klein hat ein schmächtiges, schmales Gesicht gehabt und meiner Ansicht nach auch einen dunklen Bart, der mir bei Doktor Capesius nicht aufgefallen ist. Der hat eher eine helle Gesichtsfarbe oder rötliche Gesichtsfarbe, frische Gesichtsfarbe gehabt, während Doktor Klein eine fahle Gesichtsfarbe mit schwarzem Bart gehabt hat.

Staatsanwalt Kügler:

Ja. Damit wir uns richtig verstehen, Herr Doktor Löbner, Sie wollen mit dem Bart nicht zum Ausdruck bringen, daß das ein langer Bart war.

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Nein, nein, nein.

Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:

Sondern nur, daß die Stoppeln

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Die Rasur war dunkel.

Staatsanwalt Kügler:

Ja, die Rasur war dunkel. Danke sehr.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Ormond.

Nebenklagevertreter Ormond:

Nur noch eine Frage, Herr Zeuge: Auf den Rückmarsch – erinnern Sie sich daran, daß teilweise von der Bevölkerung Ihnen Milch oder dergleichen

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ja, ja. Ja.

Nebenklagevertreter Ormond:

Gegeben wurde und können Sie sich da an eine Episode erinnern?

Zeuge Walter Löbner:

Daran erinnere ich mich sehr gut, denn wir haben den ganzen Marsch keine Verköstigung bekommen. Doch in diesen oberschlesischen polnischen Orten waren auf der Straße vorbereitet große Milchkannen. Frauen standen dort und gaben den Häftlingen ein Stück Käse, ein Stück Brot vielleicht, Brot war aber schon eine Seltenheit, und auch Milch. Aber es gab viele SS-Leute, die die Milchkannen böswilligerweise umgestoßen haben und die Milch in den Schnee fließen ließen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Ich habe keine weiteren

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Hätten wir diese Verpflegung nicht gehabt von dieser Bevölkerung, es wären noch viel weniger nach Groß-Rosen [...] gekommen.

Nebenklagevertreter Ormond:

Danke sehr, keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Herr Raabe?

Nebenklagevertreter Raabe:

Keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Herr Strodt? Nicht. Herr Rechtsanwalt Doktor Laternser.

Verteidiger Laternser:

Herr Zeuge, Sie sagten, daß Sie einmal in der Hauptapotheke gewesen seien und daß derjenige, mit dem Sie dort gesprochen haben, wegen der Menge der angeforderten Medikamente den Doktor Capesius gerufen hätte.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Laternser:

Gut. Das war einmal, daß Sie ihn gesehen haben. Bei welchen Gelegenheiten haben Sie ihn noch gesehen?

Zeuge Walter Löbner:

Ich war vielleicht zwei-, dreimal in der Apotheke für Anforderungen in dieser Zeit, habe aber ihn weiter nicht mehr gesehen. Die anderen Anforderungen wurden ja glatt gegeben oder geringfügig reduziert ausgefolgt.

Verteidiger Laternser:

Ja, gut. Sie waren

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Gesprochen habe ich oder ihm vis-à-vis gestanden bin ich nur einmal.

Verteidiger Laternser:

Einmal sind Sie ihm gegenübergestanden?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Laternser:

Gut. Nun, folgendes noch: Sie waren ja selbst Häftlingsarzt. Kannten Sie die Häftlingsärztin Doktor Ella Lingens?

Zeuge Walter Löbner:

Nein.

Verteidiger Laternser:

Die kannten Sie nicht. Ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Steinacker.

Verteidiger Steinacker:

Ja. Herr Zeuge, Sie haben dem Gericht geschildert, daß Sie mehrfach mit Herrn Doktor Klein zusammengetroffen seien und daß Sie an ihn sogar eine persönliche Erinnerung hätten.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Steinacker:

Sie haben ja auch jetzt auf die Fragen des Herrn Staatsanwalts eine bestimmte Schilderung über sein Aussehen im Gesicht gegeben.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Steinacker:

Können Sie sich daran erinnern, daß Herr Doktor Klein im Gesicht irgendein auffälliges Merkmal gehabt hat?

Zeuge Walter Löbner:

Ich kann mich nicht daran erinnern.

Verteidiger Steinacker:

Herr Zeuge, ich bitte Sie, versuchen Sie doch mal, so wie Sie eben bei der Staatsanwaltschaft das mit dem dunklen Bart gesagt haben, sich zurückzuerinnern, ob Ihnen sonst irgend etwas im Gesicht bei Herrn Doktor Klein aufgefallen ist.

Zeuge Walter Löbner:

Ich kann mich nicht daran erinnern.

Verteidiger Steinacker:

Können sich nicht erinnern. Wenn ich Ihnen vorhalte, daß Herr Doktor Klein im Gesicht, in der Nähe der Nase oder am Mund eine Warze gehabt haben soll, ist das für Sie eine Erinnerungsstütze?

Zeuge Walter Löbner:

Ich kann mich daran nicht erinnern.

Verteidiger Steinacker:

Können sich nicht erinnern.

Zeuge Walter Löbner:

Denn Sie müssen bedenken, es war uns Häftlingen untersagt, die SS-Leute, mit denen man sprach, direkt anzusehen. Man ist also vor ihnen immer gestanden mit gesenktem Blick. Also deshalb [...] habe ich die Physiognomie nicht derartig in mich aufgenommen.

Verteidiger Steinacker:

Nicht derart in sich aufgenommen. Dann eine weitere Frage: Sie haben auf Blatt 11.609 Ihrer früheren Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter geschildert, daß Sie Herrn Doktor Mengele persönlich kennengelernt haben, und haben ausgeführt, ich zitiere wörtlich: »Er kam zweimal dorthin in Begleitung eines anderen SS-Arztes.«[4] War dies Herr Doktor Klein?

Zeuge Walter Löbner:

Das war nicht Doktor Klein.

Verteidiger Steinacker:

Wissen Sie, wer es war?

Zeuge Walter Löbner:

Ich vermute, das eine Mal war es Doktor Rohde. Und es kann das zweite Mal Doktor König gewesen sein, der auch mein Lagerarzt war.

Verteidiger Steinacker:

Ja. Haben Sie bei Ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter aus dem Ihnen vorgelegten Bildmaterial Herrn Doktor Capesius wiedererkannt?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Steinacker:

Ist das auch ins Protokoll aufgenommen worden?

Zeuge Walter Löbner:

Ich glaube ja.

Verteidiger Steinacker:

Darf ich Ihnen vorhalten, Blatt 11.609 unten und 11.610 oben. Dort haben Sie nach der Protokollierung erkannt: »müßte Doktor Capesius sein«, haben Sie gesagt. »Blatt 2087/60 müßte Doktor Capesius sein.«[5] Wissen Sie es

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Das ist auch schon zweieinhalb Jahre zurück, ich weiß nicht genau den Wortlaut.

Verteidiger Steinacker:

Sie wissen es nicht mehr.

Zeuge Walter Löbner:

Aber als er in das...

Verteidiger Steinacker:

Als er Ihnen dann vorgestellt wurde, persönlich, da

Zeuge Walter Löbner [unterbricht]:

Ja, ja, da wußte ich es. Da habe ich ihn sofort erkannt, ja.

Verteidiger Steinacker [unterbricht]:

Da haben Sie ihn erkannt. Das ist auch hier auf Blatt 6.606.

Zeuge Walter Löbner:

Als mir die Fotografien in bezug auf Mengele vorgelegt wurden – vielleicht 30 Fotografien –, da habe ich sechs ausgesondert und habe gesagt, einer von diesen müßte es sein.

Verteidiger Steinacker:

Müßte Mengele sein.

Zeuge Walter Löbner:

Von Mengele. Er war tatsächlich unter diesen sechs, das kann ich mit Bestimmtheit sagen.

Verteidiger Steinacker:

Unter den sechs. Aber Sie konnten nicht...

Zeuge Walter Löbner:

Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.

Verteidiger Steinacker:

Ja.

Zeuge Walter Löbner:

Aber ich glaube nicht, daß da ein Zweifel ist, daß sich diese Episode abgespielt hat mit Capesius, weil ich wurde [...] zum Chef gebracht.

Verteidiger Steinacker:

Zum Chef wurden Sie gebracht, das haben Sie gesagt.

Zeuge Walter Löbner:

Zum Chef.

Verteidiger Steinacker:

Nun darf ich Ihnen noch einen weiteren Vorhalt machen: Sie haben heute gesagt – und zwar auf ausdrückliche Frage –, einmal seien Sie mit Doktor Capesius persönlich zusammengekommen, zwar mehrmals in der Apotheke gewesen, aber ihn nicht gesehen.

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Steinacker:

Nun mache ich Ihnen einen Vorhalt, Blatt 6.606: »Während meiner Tätigkeit als Häftlingsarzt in Budy hatte ich zu wiederholtem Male mit dem Hauptapotheker Doktor Capesius im Stammlager zu tun.«[6]

Zeuge Walter Löbner:

Ich hatte mit der Hauptapotheke zu tun.

Verteidiger Steinacker:

Sie wollten sagen: »mit der Hauptapotheke«.

Zeuge Walter Löbner:

Ich habe mit der Hauptapotheke zu tun gehabt, nicht mit ihm persönlich.

Verteidiger Steinacker:

Nicht mit ihm selbst. Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Na ja, bitte schön, fragen Sie erst noch.

Verteidiger Gerhardt:

Eine kleine Frage: Herr Zeuge, Sie sagten, bevor Sie nach Budy kamen, in das Nebenlager, seien Sie zu einem Transport zusammengestellt worden. Können Sie heute noch sagen, wie das im einzelnen vor sich gegangen ist, also die Zusammenstellung dieses Transportes? Ist das eventuell nach dem Appell erfolgt?

Zeuge Walter Löbner:

Nein, das war früh, ich glaube noch vor dem Frühappell, da ruft der Stubendienst oder der Blockälteste: »30 starke Männer mit Lederschuhen antreten!« Wir sind aus Sachsenhausen mit Holzpantinen dort hingekommen, die ein schwerer Nachteil für unsere Bewegungsfähigkeit waren. Durch Glück und mit Hilfe eines Kameraden kam ich zu Lederschuhen. Und als an diesem Morgen angefordert wurden 30 kräftige Männer mit Lederschuhen, da lief ich vor zu dem Blockältesten, und ich wurde in diesen Transport eingeteilt. Und wir kamen in dieses kleine Nebenlager Budy, was gewisse Vorteile bot gegenüber dem Stammlager.

Verteidiger Gerhardt:

Das war also kein SS-Mann, der diese Aufforderung herausgab?

Zeuge Walter Löbner:

Der Blockälteste hat den Befehl bekommen

Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:

Das war also ein Häftling, ja?

Zeuge Walter Löbner:

Ja.

Verteidiger Gerhardt:

Danke.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, würden Sie vielleicht mal hier vortreten und sich mal dieses Bild ansehen. Hier oben das, rechts. Das ist ein Bild von dem Herrn Doktor Klein, Sie würden ihn nach dieser Fotografie nicht erkennen? Das ist also ein Bild kurz vor seiner Hinrichtung.

Zeuge Walter Löbner:

[unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Also der Zeuge sagt: Damals war er gut genährt und in Uniform und sah deshalb anders aus als auf diesem Bild. Er würde ihn auf diesem Bild nicht erkennen. Ich danke schön.

Verteidiger Steinacker:

Den Doktor Klein?

Vorsitzender Richter:

Den Doktor Klein. Herr Rechtsanwalt Doktor Eggert.

Verteidiger Eggert:

Herr Zeuge, darf ich noch mal auf diese Liste aus dem Mai 1945 zurückkommen? Sind Ihnen die Namen von Lagerärzten aus Auschwitz in Erinnerung, die nicht in dieser Liste enthalten sind?

Zeuge Walter Löbner:

Ja. Die Liste ist nicht vollständig, denn ich war in begreiflicher Erregung damals und habe so manchen dort vergessen. Zum Beispiel habe ich auch vergessen den Doktor König, glaube ich, mit dem ich sehr viel zusammen war, und...

Richter Perseke:

Mengele.

Zeuge Walter Löbner:

Ich glaube ja.

Vorsitzender Richter:

Steht der nicht drauf?

Zeuge Walter Löbner:

Die Liste ist nicht vollständig.

Verteidiger Eggert:

Gut, danke. Ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Ist von seiten der Angeklagten... Doktor Capesius, wollen Sie eine Erklärung abgeben?

Angeklagter Capesius:

Nein. Ich verweise nur auf meine Aussage bei der Gegenüberstellung. Ich muß meine Aussage nicht ändern.

Vorsitzender Richter:

Inwiefern?

Angeklagter Capesius:

In keiner Beziehung.

Vorsitzender Richter:

Ja, und inwiefern hat sie der Zeuge geändert? Der Zeuge hat lediglich etwas richtiggestellt, indem er gesagt hat: »Ich hatte zu wiederholten Malen in der Hauptapotheke zu tun«, während hier drinsteht: »mit dem Hauptapotheker Doktor Capesius zu tun«. Das war die einzige Änderung, die er gegeben hat.

Angeklagter Capesius:

Er hat damals behauptet, daß ich alles gemacht hätte. Mir hätte er es vorgelegt, ich hätte die Medikamente zusammengestrichen, davon ist nicht die Rede.

Zeuge Walter Löbner:

Es war nur dieses eine Mal.

Vorsitzender Richter:

Nur dieses eine Mal. Wenn keine Fragen mehr zu stellen sind, Herr Doktor, können Sie das, was Sie uns gesagt haben, mit gutem Gewissen beschwören?

Zeuge Walter Löbner:

Jawohl.

  1. Vgl. richterliche Vernehmung vom 26.02.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.607.
  2. Vgl. »Zeugenaussage des Herrn Dr. Walter Löbner, Med. Univ. gegen verschiedene Kriegsverbrecher«, Kremmen, 14.05.1945, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 29, Bl. 4.967-4.969.
  3. Vgl. »Zeugenaussage des Herrn Dr. Walter Löbner, Med. Univ. gegen verschiedene Kriegsverbrecher«, Kremmen, 14.05.1945, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 29, Bl. 4.968.
  4. Vgl. richterliche Vernehmung vom 26.02.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.609.
  5. Vgl. richterliche Vernehmung vom 26.02.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.609.
  6. Vgl. richterliche Vernehmung vom 26.02.1962 in Frankfurt am Main, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 62, Bl. 11.606.
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