Zeugin Viktoria Ley

128. Verhandlungstag 15.01.1965

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

128. Verhandlungstag, 15.1.1965

Vernehmung der Zeugin Viktoria Ley

Vorsitzender Richter:

[+ Sind Sie damit einverstanden,] daß ich Ihre Aussage auf ein Tonband nehme zum Zweck der Stützung des Gedächtnisses des Gerichts?

Zeugin Viktoria Ley:

Soll ich? Darf ich den Herrn Rechtsanwalt fragen? Ist mir egal.

Vorsitzender Richter:

Es ist Ihnen gleichgültig, ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Gleichgültig.

Vorsitzender Richter:

Frau Ley, Sie sind ebenfalls in Auschwitz gewesen.

Zeugin Viktoria Ley:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein. Ah so, jetzt weiß ich es: Sie waren bekannt mit dem verstorbenen Doktor Klein?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Mit dem Doktor Klein waren Sie bekannt. Und wollen Sie uns einmal sagen, seit wann Sie den Doktor Klein kannten und ob Sie ihn schon vor dem Krieg kannten und wann Sie ihn

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nicht.

Zeugin Viktoria Ley:

Das habe ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Wann haben Sie ihn denn kennengelernt?

Zeugin Viktoria Ley:

Ich habe Herrn Doktor Klein kennengelernt anläßlich eines Besuches, als ich in Berlin gewohnt habe, Ende des Jahres 44, also im Herbst 44. [...] Da war er einmal auf Besuch bei mir, also bei uns, mit Herrn Doktor Capesius.

Vorsitzender Richter:

Vorher kannten Sie den Doktor Klein gar nicht?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, habe ich ihn nicht gekannt.

Vorsitzender Richter:

Und kannten Sie denn den Doktor Capesius früher schon?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, Herrn Doktor Capesius kenne ich schon von meiner Kindheit an.

Vorsitzender Richter:

Ja. Dann wollen Sie bitte mal sagen, seit wann Sie den Doktor Capesius etwa kennen.

Zeugin Viktoria Ley:

Also ungefähr 40 oder 42 Jahre. Denn in Hermannstadt bin ich geboren, und Herr Doktor Capesius hat sein Gymnasium in Hermannstadt [beendet]. Und dort war er mit meinem Bruder in einer Klasse und war sehr oft bei uns im Hause, war ein sehr guter Freund von meinem Bruder. Und nachher siedelten wir nach Klausenburg über. Und er studierte in Klausenburg zusammen mit meinem Bruder und mit meinem Schwager und war sehr oft in unserem Haus. Ich kenne ihn sehr gut.

Vorsitzender Richter:

Sie kennen ihn sehr gut.

Zeugin Viktoria Ley:

Sehr gut, ja.

Vorsitzender Richter:

Nun, wann sind Sie denn von Klausenburg, oder wo Sie da gewohnt haben, hier nach Deutschland gekommen?

Zeugin Viktoria Ley:

Ich habe dann geheiratet ins Banat.

Vorsitzender Richter:

Wann?

Zeugin Viktoria Ley:

38. Januar 1938.

Vorsitzender Richter:

Im Januar 1938 in Prag geheiratet?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein. Ins Banat, auch in Rumänien.

Vorsitzender Richter:

Ins Banat, ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Ins Banat. Und da habe ich dann gelebt bis zu meiner Flucht nach Berlin.

Vorsitzender Richter:

Und wann sind Sie dort geflohen?

Zeugin Viktoria Ley:

Im September 44 sind wir von da geflüchtet, und so Anfang Oktober war ich dann in Berlin. Weil mein Mann, mein erster Mann, der war der Apotheker Becker. Und mein Mann war in dem Sanitätslager der Waffen-SS in Berlin. Und die beiden Herren, Herr Doktor Capesius und mein Mann, sind zusammen herausgekommen, wurden damals zur SS gezogen – acht Apotheker sind ungefähr damals herausgekommen – und sind zusammen herausgekommen nach Deutschland. Und da wurden sie dann eingeteilt, der eine nach da, der andere nach dort. Und mein Mann hat die Apotheke in Berlin bekommen, und Herr Doktor Capesius wurde eben nach Auschwitz eingeteilt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und würden Sie mir noch mal den Namen Ihres ersten Mannes nennen.

Zeugin Viktoria Ley:

Josef Becker.

Vorsitzender Richter:

Becker.

Zeugin Viktoria Ley:

Becker, richtig Becker, mit C-K.

Vorsitzender Richter:

Und bei welcher Dienststelle war er in Berlin?

Zeugin Viktoria Ley:

Sanitätslager der Waffen-SS in Berlin.

Vorsitzender Richter:

Sanitätslager der Waffen-SS in Berlin. Und seit wann war er dort?

Zeugin Viktoria Ley:

Also eingezogen wurden sie, ich glaube, im September 43. Und dann haben sie irgendwo einen Lehrgang noch, glaube ich, in Warschau gemacht, das weiß ich nicht mehr ganz genau. Und dann so Ende 43 oder Anfang 44 wurde die Einteilung gemacht, also das kann ich nicht mehr ganz genau sagen.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und wo haben Sie in Berlin gewohnt?

Zeugin Viktoria Ley:

In der Ruschestraße. Aber die Nummer weiß ich nicht mehr ganz genau.

Vorsitzender Richter:

Wie hieß die Straße?

Zeugin Viktoria Ley:

Rusche.

Vorsitzender Richter:

Ruschestraße. [Pause] Und Sie sind, sagten Sie, etwa im September 44 geflüchtet.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, das war damals, als der Umschwung in Rumänien kam und der Russe nach Rumänien kam. Dann konnten wir, die noch im Banat waren, noch über Jugoslawien herausflüchten.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und wann sind Sie in Berlin angekommen?

Zeugin Viktoria Ley:

[Pause] Mitte Oktober ungefähr.

Vorsitzender Richter:

Mitte Oktober. Und bekamen Sie da die Wohnung sofort zugewiesen?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, mein Mann wohnte ja schon da.

Vorsitzender Richter:

Ach, der Mann wohnte schon da.

Zeugin Viktoria Ley:

Mein Mann, der war ja doch in Berlin, und darum bin ich ja nach Berlin gekommen.

Vorsitzender Richter:

Aha. Hatten Sie auch Kinder?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein. Nun wohnten Sie also seit Oktober dort, seit Mitte Oktober.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und bei dieser Gelegenheit haben Sie auch noch im Jahr 1944 den Besuch des Doktor Capesius und des Doktor Klein empfangen.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja. Herr Doktor Capesius kam [zu jeder] Gelegenheit, wenn er die Möglichkeit hatte und irgendeinen freien Tag hatte, zu uns auf Besuch.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ich meine, das taten auch die anderen Kollegen, die aus der Heimat waren, weil ich ja so mit die einzige Ehefrau war, ja. Und dann die Landsleute, die kamen, die kamen immer in Berlin zu uns.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, bei diesen Besuchen, haben da diese Männer auch von Auschwitz Ihnen etwas erzählt?

Zeugin Viktoria Ley:

Also wenn wir so unter uns waren, Details nicht. Aber als Herr Doktor Klein und Herr Doktor Capesius alleine bei uns waren, dann haben sie mal davon gesprochen.

Vorsitzender Richter:

Was haben Sie Ihnen denn da ungefähr erzählt?

Zeugin Viktoria Ley:

Gott, große Details haben sie nie erzählt. Das war immer zu gefährlich.

Vorsitzender Richter:

Eben.

Zeugin Viktoria Ley:

Davor hat sich ein jeder gehütet, irgend etwas...

Vorsitzender Richter:

Eben.

Zeugin Viktoria Ley:

Aber Herr Doktor Klein hat mir ausdrücklich gesagt, daß er Herrn Doktor Capesius von allerlei schwierigeren Aufgaben, so zum Beispiel

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Unangenehmen.

Zeugin Viktoria Ley:

Unangenehmen Sachen hat er sie alle entlastet. Hat er alles [auf] sich genommen, weil ihm sowieso nicht mehr viel zu helfen wäre. Das hat er mir gesagt.

Vorsitzender Richter:

Wem wäre nicht mehr viel zu helfen?

Zeugin Viktoria Ley:

Also wenn irgend etwas passieren sollte, dann könnte er sich sowieso nicht aus der Affäre herausziehen irgendwie. Und er möchte nicht, daß Herr Doktor Capesius sich auch mit irgendwelchen Sachen belastet, die ihn dann nachträglich belasten würden.

Vorsitzender Richter:

[Pause] Na ja. Frau Zeugin, Sie müssen sich natürlich sehr genau überlegen, was Sie hier sagen. Denn es ist ja doch merkwürdig, daß auf der einen Seite die Herren Ihnen gar nicht erzählt haben, was eigentlich in Auschwitz los war, und auf der anderen Seite aber sagen

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, also daß sie nicht Details erzählt haben, wollen wir so sagen. Aber daß sich da schlimme Sachen abspielen, das haben sie wohl gesagt. Und ich muß sagen, Herr Doktor Capesius hat auch sehr unter diesen Sachen gelitten.

Vorsitzender Richter:

Nun, was verstehen Sie denn unter schlimmen Sachen? Was hat man Ihnen denn erzählt? Hat man Ihnen erzählt, daß dort Leute umgebracht werden?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Daß die Leute, die umgebracht wurden, vergast worden sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, das haben sie gesagt.

Vorsitzender Richter:

Daß die Leute, die dort umgebracht und vergast worden sind, in der Hauptsache Juden waren?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, das haben sie gesagt.

Vorsitzender Richter:

Und daß es auch viele Ausländer waren, Ungarn, Polen?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, ja, davon sprach man.

Vorsitzender Richter:

Und daß diese Leute dort, wenn sie nicht umgebracht wurden, ohnehin gewissermaßen todgeweiht waren, weil sie verhungert sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, das haben sie nicht gesagt.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Oder in Krankheit verkommen sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Das haben Sie nicht gesagt, das nicht.

Vorsitzender Richter:

Das nicht. Und daß man den Kranken nicht helfen konnte, weil keine Medikamente da waren?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, an solche Details haben sie nicht – da haben wir nicht davon gesprochen.

Vorsitzender Richter:

Hat man Ihnen denn erzählt, wie dieser Vorgang war in den Gaskammern, wie die Leute in den Gaskammern umgekommen sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, das haben sie mir nicht erzählt.

Vorsitzender Richter:

Hat man denn Ihnen erzählt, wie die Leute in die Gaskammern gekommen sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Das

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nein?

Zeugin Viktoria Ley:

Das haben sie mir nicht erzählt. Nein.

Vorsitzender Richter:

Hat man Ihnen denn erzählt, wie die Leute ins Lager gekommen sind?

Zeugin Viktoria Ley:

Wie meinen Sie denn das: wie sie ins Lager gekommen sind?

Vorsitzender Richter:

Ja nun, ob sie an dem Bahnhof Auschwitz ausgeladen worden sind.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, das haben sie gesagt.

Vorsitzender Richter:

Sie wurden am Bahnhof Auschwitz ausgeladen.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, ausgeladen. Und grade das sagte Herr Doktor Klein, daß er das nicht möchte, daß Doktor Capesius da dabei ist. Das hat er selbst übernommen.

Vorsitzender Richter:

Wieso sollte denn der Doktor Capesius – war der denn an der Bahn beschäftigt oder

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Nein, eben nicht.

Vorsitzender Richter:

Was sollte der denn in Auschwitz am Bahnhof zu tun haben?

Zeugin Viktoria Ley:

Da sollten ja welche aussortiert werden oder so irgendwie.

Vorsitzender Richter:

Da sollten welche aussortiert werden. Wonach denn?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, nach dem Gesundheitszustand oder so.

Vorsitzender Richter:

Und was sollte denn mit den Aussortierten geschehen?

Zeugin Viktoria Ley:

Na ja, das wissen Sie ja selber auch. Das wird ja auch überall geschrieben.

Vorsitzender Richter:

Ja, wir wissen das schon. Ich will aber von Ihnen wissen, was damals Ihnen erzählt worden ist.

Zeugin Viktoria Ley:

Na ja, daß die eben nicht mehr am Leben bleiben oder irgendwie zu schweren Arbeiten oder so etwas zugezogen werden.

Vorsitzender Richter:

Und das sollte ein Apotheker machen?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, eben nicht.

Vorsitzender Richter:

Ja, aber wieso sollte denn der Doktor Capesius überhaupt dazu kommen, das zu tun? Wenn das doch wirklich, ich will mal sagen, einen Sinn haben sollte, die ganze Untersuchung, dann wäre es doch nur eine ärztliche Prüfung, ob nämlich der Gesundheitszustand so ist, daß die Leute arbeiten können, oder ob der Gesundheitszustand so wäre, daß sie nicht arbeiten können.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, wie die Herren das damals da gemacht haben, das kann ich nicht wissen.

Vorsitzender Richter:

Frau Zeugin, das haben Ihnen die Leute erzählt?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Kennen Sie einen Herrn Eisler?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, kenne ich.

Vorsitzender Richter:

War der bei Ihnen?

Zeugin Viktoria Ley:

Ich kenne Herrn Eisler seit 1956.

Vorsitzender Richter:

Seit 1956. Und wieso haben Sie ihn kennengelernt? Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Oder 55, so etwas.

Vorsitzender Richter:

Oder 55. Und wieso haben Sie ihn kennengelernt?

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, das kann sein. Wir haben einmal anläßlich einer Reise hier nach Süddeutschland Herrn Doktor Capesius besucht, weil wir auch sonst in Korrespondenz standen schon von früher her, und ich wollte mal sehen – er hat uns eingeladen – daß er uns seine Apotheke zeigt, weil mich das interessierte, da ich ja auch eine Apotheke verloren habe, und da haben wir ihn mal besucht. Und da er Junggeselle war damals, alleinstehend, hat er uns bei Familie Eisler mit Abendessen empfangen. Und da haben wir Eislers kennengelernt. Und Herr Eisler hat mich dann nachher auch noch besucht.

Vorsitzender Richter:

War er mit dem Herrn Eisler irgendwie verschwägert oder verwandt?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, das nicht.

Vorsitzender Richter:

Nein.

Zeugin Viktoria Ley:

Kann er ja doch gar nicht.

Vorsitzender Richter:

Kann er nicht.

Zeugin Viktoria Ley:

Nein. Ich kenne doch Herrn Capesius' Frau sehr gut, aus Rumänien.

Vorsitzender Richter:

Da waren Sie bei Herrn Eisler eingeladen.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und hat der Herr Eisler Sie dann auch in – wo wohnen Sie jetzt?

Zeugin Viktoria Ley:

In Uelzen.

Vorsitzender Richter:

In Uelzen. Hat er Sie da auch mal besucht?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, er hat mich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wann denn?

Zeugin Viktoria Ley:

Gott, er hat mich zweimal mit seiner Frau besucht. Das war so auf der Durchreise. Ich habe nämlich ein Geschäft, und da guckten sie ganz kurz herein. Und einmal vor vielleicht zwei, drei Jahren, auch so auf der Durchreise.

Vorsitzender Richter:

Vor zwei, drei Jahren. War das das letzte Mal?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, das letzte Mal war er mit seiner Frau vor Weihnachten oder so irgendeine Zeit, ich weiß nicht

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Diesen Jahres?

Zeugin Viktoria Ley:

Dieses Jahres.

Vorsitzender Richter:

Also im Jahr 64?

Zeugin Viktoria Ley:

64, ja. Es kann November gewesen sein oder Oktober, ich kann es nicht mehr genau sagen.

Vorsitzender Richter:

Und wurde da auch über diesen Prozeß gesprochen?

Zeugin Viktoria Ley:

Ach Gott, unwillkürlich wird ja darüber gesprochen, aber keine Details.

Vorsitzender Richter:

Keine Details.

Zeugin Viktoria Ley:

Ich habe ja immer gefragt, wie es ginge und wie es ihm ginge. Das interessiert ja, nicht.

Vorsitzender Richter:

Und sind Sie auch in Kenntnis gesetzt worden, was dem Doktor Capesius zur Last gelegt wird?

Zeugin Viktoria Ley:

Gott, direkt [Pause] – wie soll man das – selbstverständlich, Kleinigkeiten, Details wußte er ja auch nicht. Man weiß ja auch aus den Zeitungen manches, aber ansonsten wußte ich nicht genau.

Vorsitzender Richter:

Wußten Sie nicht genau.

Zeugin Viktoria Ley:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Und wem haben Sie denn gesagt, daß der Herr Doktor Klein und der Doktor Capesius sich bei Ihnen unterhalten hätten darüber, daß der Doktor Klein dem Herrn Capesius verschiedenes abgenommen habe, unangenehme Sachen abgenommen habe? Wem haben Sie denn das erzählt?

Zeugin Viktoria Ley:

Gott, wenn wir uns darüber unterhalten haben, dann habe ich es vielleicht, ich weiß es auch nicht genau, auch Herrn Eisler gesagt. Aber das weiß ich nicht mehr ganz genau.

Vorsitzender Richter:

Dem Herrn Eisler?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja, Sie sind doch hier benannt worden. Es muß doch zur Kenntnis von dem Herrn Doktor Capesius gekommen sein.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Moment mal. Haben Sie mit dem Anwalt des Herrn Doktor Capesius gesprochen?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, den habe ich gestern gesprochen, Herrn Doktor Steinacker.

Vorsitzender Richter:

Nein, es muß etwas vorher gewesen sein. Denn der Beweisantrag[1], der ist ja immerhin vom Oktober. Haben Sie früher schon mal mit dem Anwalt des Angeklagten Capesius gesprochen?

Zeugin Viktoria Ley:

Vor ein paar Jahren vielleicht.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Gucken Sie mich bloß hier an, Sie brauchen sich da keinen Rat zu suchen.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Vor ein paar Jahren. Ja, ich muß mich ein bißchen konzentrieren. Ich weiß es nicht mehr ganz genau.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, ja, ja, Vor ein paar Jahren.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, gleich nachdem Herr Doktor Capesius inhaftiert wurde. Dann habe ich ja hier in Offenbach immer sehr viel zu tun. Und da mir das sehr naheging, wollte ich ihn mal gerne besuchen. Und dann habe ich mich mit Herrn Doktor Steinacker in Verbindung gesetzt und habe einen Besuch – also nicht angefragt, sondern ich habe ihn gefragt, ob ich Herrn Doktor Capesius besuchen könnte. Und Herr Doktor Steinacker hat gemeint, ich könnte ohne weiteres. Und dann bin ich mit meinem Mann hergekommen am nächsten Tag, und das hat man uns dann verweigert. Und bei dieser Gelegenheit habe ich Herrn Doktor Steinacker kennengelernt und habe da mit ihm gesprochen.

Außerdem möchte ich ganz aufrichtig sagen: Die Angelegenheit des Herrn Doktor Capesius ging mir von vornherein sehr nahe. Und da habe ich mich fast freiwillig, nicht unter Zwang, dazu angeboten: Wenn ich etwas weiß oder kann, dann stehe ich ihm gerne zur Verfügung. Also es hat mich niemand dazu überredet oder mir irgend etwas...

Selbstverständlich, wenn man dann so wie mit Herrn Eisler, den man kennt und der den Doktor Capesius auch gekannt hat, zusammenkommt, da fragt man sich, wie das überhaupt passieren konnte und warum und wieso. Und in diesem Zuge ergeben sich dann manche Gespräche. Aber das ist nicht irgendeine

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, das ist ganz verständlich.

Zeugin Viktoria Ley:

Das ist doch selbstverständlich.

Vorsitzender Richter:

Das ist ganz verständlich, ja. Nur ist mir nicht ganz verständlich, wenn man Ihnen also weder gesagt hat, wie die Leute in die Gaskammern gekommen sind, noch, wie und wo sie ausgeladen worden sind, daß man Ihnen aber dann trotzdem gesagt hat, der Herr Doktor Klein habe dem Herrn Doktor Capesius es abgenommen, die Einteilungen am Bahnhof in Auschwitz zu machen.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ich möchte Ihnen etwas sagen: Diese ganzen Angelegenheiten waren damals für uns derart frappant und derart unglaublich, daß man sich unwillkürlich darüber unterhalten hat, weil das einfach unfaßbar war.

Vorsitzender Richter:

Sehe ich ein.

Zeugin Viktoria Ley:

Und im Laufe dieser Gespräche wurde dann erzählt: »Kannst du dir denn das vorstellen, die werden dann hingebracht und werden ausgeladen, und dann wird gesagt, also einer geht nach rechts, einer geht nach links, und die werden«– das kann man sich einfach nicht vorstellen, so etwas, nicht.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Und dann wird das gefragt. Und dann, im Laufe dieses Gespräches, hat sich dann ergeben: Um Gottes Willen, war vielleicht [+ Doktor Capesius dabei], hast du so etwas gesehen? Und da hat eventuell oder wahrscheinlich Herr Doktor Klein gesagt: »Nein, der Herr hat damit gar nichts zu tun. Das ist meine Sache.« Also so ungefähr, so hat sich das ergeben. Nun sind das ja auch 20 Jahre her. Wörtlich kann man das ja nicht mehr sagen, wie sich das entwickelt hat, solche Gespräche. [Pause]

Vorsitzender Richter:

Also der Herr Doktor Klein hat Ihnen gegenüber dem Sinne nach erklärt, der Doktor Capesius habe mit der Aussortierung oder Einteilung der ankommenden Menschen, die für den Gastod bestimmt waren, nichts zu tun?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, genau. So war es. [Pause]

Vorsitzender Richter:

Und hat der Doktor Capesius Ihren Mann auch schon einmal besucht gehabt in Berlin?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, öfter, öfter.

Vorsitzender Richter:

Öfter.

Zeugin Viktoria Ley:

Ich sage, so oft er nur konnte, weil sie ja auch alle beide alleine waren und aus der Heimat weg. Dann kommt man ja öfter zusammen.

Vorsitzender Richter:

Auch schon in der Zeit, bevor Sie in Berlin waren?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wissen Sie da etwas Näheres von seinen Besuchen, wann die stattfanden und wie oft und wo?

Zeugin Viktoria Ley:

Er kam direkt nach Hause zu meinem Mann, also direkt in die Wohnung.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und wann? In welcher Zeit, wann ungefähr?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, mein Gott

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Wann das erste Mal und wann

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Da kann ich

Vorsitzender Richter:

Wenn Sie das nicht wissen, kann ich Ihnen das nicht übelnehmen, denn man kann nicht alles wissen.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ich war ja nicht dabei. Das kann ich ja nicht wissen.

Vorsitzender Richter:

Das können Sie nicht wissen.

Zeugin Viktoria Ley:

Aber so an Feiertagen für gewöhnlich, wenn sie frei gehabt haben, selbstverständlich, dann. Sonst haben sie sich ja

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, haben Sie sich das gedacht, oder haben Sie das gehört?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein, das weiß ich ganz genau.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie ganz

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ich weiß, weil mein Mann gesundheitlich gar nicht auf der Höhe war, dann freute er sich immer sehr, wenn Herr Doktor Capesius kam. Der hat ihn immer so ein bißchen aufgemöbelt oder so. Und der kam dann immer und

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und wissen Sie, daß er an Pfingsten 1944 bei Ihrem Mann war?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, es ist mehr oder weniger mit Sicherheit anzunehmen, weil es ja immer solche Feiertage waren, wenn er kam. Mitten in der Woche konnte man ja nicht wegkommen. Und an Pfingsten oder so was war dann immer – oder Weihnachten. Weihnachten kann es ja nicht gewesen sein. Auch kann es... Denn an Feiertagen war ja mein... Die konnten ja nicht wegkommen von da.

Vorsitzender Richter:

Ich habe keine Fragen mehr. Bitte schön.

Richter Hotz:

Frau Ley, können Sie uns mal ein ungefähres Bild des Äußeren des Herrn Doktor Klein geben – wie er aussah, wie er sich gab, wie er sprach?

Zeugin Viktoria Ley:

Gott, das kann ich schlecht, weil ich ihn ja nur ein einziges Mal gesehen habe. Und ich habe grade zu der Zeit sehr viele Leute bei mir gehabt. Also ich könnte nicht jetzt, wenn mir drei Herren vorgestellt werden würden, sagen, das ist Doktor Klein. Da müßte ich sehr überlegen.

Richter Hotz:

Er war nur ein einziges Mal

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ein einziges Mal

Richter Hotz [unterbricht]:

Da und hat Ihnen

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Wenn ich da war, also während meiner Zeit.

Richter Hotz:

Und hat da diese Dinge erzählt, wie bei der Ankunft von Transporten die Gefangenen

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Gott, es war ja ein Abend

Richter Hotz [unterbricht]:

Ausgesucht wurden.

Zeugin Viktoria Ley:

Den die Herren immer bei mir verbracht haben. Und dann kochte ich ihnen so ein bißchen heimatlich, und dann wurde zusammengesessen, und es wurde über das und jenes und über alles mögliche gesprochen.

Richter Hotz:

Über alles mögliche. Aber das war doch nicht, was man unter dem Begriff »alles mögliche« eingruppieren konnte.

Zeugin Viktoria Ley:

Na ja.

Richter Hotz:

Frau Ley.

Zeugin Viktoria Ley:

Ich kann so einen Abend wortwörtlich Ihnen nicht wiederholen. Das ist auch schwierig. Ich möchte auch ein bißchen bitten, Rücksicht darauf zu nehmen, daß ich die deutsche Sprache als Fremdsprache spreche, nicht jedes Wort ganz auf die Goldwaage zu legen. Vielleicht ändern sich Begriffe.

Richter Hotz [unterbricht]:

Ist denn damals Deutsch gesprochen worden oder Ungarisch?

Zeugin Viktoria Ley:

Wie?

Richter Hotz:

Ist damals

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Auch. Durcheinander.

Richter Hotz:

Durcheinander.

Zeugin Viktoria Ley:

Da wurde auch Ungarisch und auch Deutsch gesprochen, wenn wir Landsleute zusammen sind.

Richter Hotz:

Konnte man den Doktor Klein mit dem Doktor Capesius, wenn man sie nicht zusammen sah, verwechseln? Nach Aussehen, Statur?

Zeugin Viktoria Ley:

Ob sie stark waren alle beide? Waren sie ein bißchen – das kann ich nicht mehr ganz genau sagen. Kann ich nicht.

Richter Hotz:

Nicht mehr ganz genau. Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Frau Zeugin, der Herr Beisitzer hat eben mit Recht darauf hingewiesen, daß das, was da gesprochen worden ist, doch ein sehr heißes Eisen war und ein sehr prekäres Kapitel war und daß über diese Dinge ja damals bei Androhung schwerster Strafe nicht gesprochen werden durfte.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, genau, ja.

Vorsitzender Richter:

Und den Doktor Klein kannten Sie überhaupt nicht bis dahin?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, aber Doktor Klein kannte doch meinen Mann wahrscheinlich vorher. Ja, das kann man auch sagen, ganz bestimmt hat er ihn gekannt. Und er wußte durch Herrn Doktor Capesius, mit wem er es zu tun hat.

Vorsitzender Richter:

Ja, das mag ja schon sein. Aber wenn Sie sich mal erinnern, wie ungeheuer vorsichtig die Leute damals sein mußten bei derartigen Gesprächen, waren Sie doch für ihn immerhin eine Frau, die er zum ersten Mal sah. Und ob er da gleich über diese sehr heiklen Dinge

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Gott, es war damals auch vollkommen verboten, ausländische Sender zu hören.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Und die habe ich trotzdem gehört, jedesmal.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, das glaube ich Ihnen schon.

Zeugin Viktoria Ley:

Und es hat immer geheißen, mein Mann hat mir immer gesagt: »Du kommst ins KZ, mach die Türen zu«, und ich bin unter die Decke gekrochen und habe es trotzdem gehört.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Sie dürfen nicht vergessen, das war Ende 44, wo normale Menschen schon damit gerechnet haben, daß die ganze Geschichte schiefgehen kann, und manche Bedenken hatten, nicht.

Vorsitzender Richter:

Ja. Aber Frau Zeugin, Frau Ley, hätten Sie denn diese Tatsache des Abhörens ausländischer Sender einem anderen Menschen, den Sie zum ersten Mal gesehen hätten, gleich erzählt? Auch wenn Sie wußten, das war ein guter Bekannter vom Herrn Doktor Capesius?

Zeugin Viktoria Ley:

Ach ja, ich glaube, ja.

Vorsitzender Richter:

Hätten Sie ihm erzählt?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, hätte ich.

Nebenklagevertreter Kaul:

Herr Direktor, ich beobachte jetzt seit 15 Minuten, wie die beiden Verteidiger des Angeklagten Capesius wechselnd zustimmen, bevor die Zeugin redet, oder den Kopf schütteln, zunicken, und ich halte das für eine nicht mögliche Beeinflussung dieser an sich schon ohnedies sehr subtil aufzufassenden Vernehmung.

Verteidiger Laternser:

Das ist eine Unverschämtheit

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Na, Herr Rechtsanwalt

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Die der Herr Nebenklägervertreter sich dabei leistet. Das soll er mal drüben in Ostberlin machen, aber nicht bei uns. Herr Vorsitzender, ich habe

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Herr Rechtsanwalt Doktor

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Die Zeugin noch niemals in meinem Leben gesehen.

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

[unverständlich] fortgesetzt die Würde des Gerichts in einer widerwärtigen Weise in den Dreck ziehen mit diesen Bemerkungen.

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Ich habe diese Zeugin in meinem Leben noch nie gesehen. Und von meinem Platz aus kann ich der Zeugin nicht in das Gesicht sehen. Ich habe keinerlei Gesten gemacht

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Das stimmt nicht

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Die für die Zeugin bestimmt waren.

Nebenklagevertreter Kaul:

Das ist gelogen.

Verteidiger Laternser:

Ich bitte, diese unglaubliche Art

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Meine Herren, ich werde jetzt Ihnen beiden das Wort entziehen

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ich glaube, die Herren hier vorne haben gesehen, daß ich nur sie hier vorne angeguckt habe.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nachdem derartige beleidigende Worte – Sie, bitte, schweigen auch einmal einen Moment, damit wir uns wieder hier zurechtfinden. Ich bitte, derartige beleidigende Vorwürfe beiderseits zu unterlassen. Bitte nehmen Sie Platz, Herr Rechtsanwalt. Es sind keine Fragen meinerseits mehr an die Zeugin zu stellen. Hat das Gericht noch Fragen? Bitte schön, Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Kügler:

An diese Zeugin habe ich keine Frage zu stellen.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Ormond?

Nebenklagevertreter Ormond:

Frau Zeugin, diese Gespräche, von denen Sie erzählen, haben auch, wie Sie vorhin sagten, in Gegenwart Ihres Mannes stattgefunden?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Nebenklagevertreter Ormond:

Welchen Rang hat Ihr Mann gehabt?

Zeugin Viktoria Ley:

Was war er? Sturmbannführer, Major.

Nebenklagevertreter Ormond:

Sturmbannführer.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Nebenklagevertreter Ormond:

Und Sie haben Ihre Unterhaltung vorhin oder vielmehr Ihre Aussage am Anfang damit begonnen, daß Sie sagten: »Es wurden keine Details erzählt. Große Details haben sie nicht erzählt, das war zu gefährlich.« Wie stimmt das überein nun mit dem späteren Teil Ihrer Aussage, wo ja doch die ganzen Dinge von Auschwitz erörtert worden sind? Stimmt nun der erste Teil, oder stimmt nun der zweite Teil?

Zeugin Viktoria Ley:

Wenn Sie global sagen: die ganzen Dinge, das ist ein bißchen übertrieben, nicht. Es werden im Laufe eines Gespräches, grade zu der Zeit, mal Andeutungen gemacht, und der andere hakt dahinter und fragt: »Um Gottes Willen, wie ist denn das möglich?« Und dann wird nicht gesagt, der und der war da, und der und der war da und soundso und soundso. Das finde ich ganze Dinge, wenn man sich ganze Tage lang darüber unterhält, nicht.

Nebenklagevertreter Ormond:

Verzeihen Sie, es war ja nicht von ganzen Tagen die Rede, sondern es war von dem Abend die Rede.

Zeugin Viktoria Ley:

Es war auch nicht davon die Rede, daß der ganze Abend nur mit diesem Gespräch ausgefüllt war. Das habe ich grade vorher betont.

Nebenklagevertreter Ormond:

Nein, Sie haben erklärt: »Große Details wurden nicht erzählt, das war zu gefährlich.« Und zehn Minuten drauf berichten

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, das waren die Details, die ich eben gesagt habe. Das waren die Details, die ich gesagt habe.

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Das hat die Zeugin gar nicht gesagt, Herr Vorsitzender.

Vorsitzender Richter:

Was denn?

Verteidiger Laternser:

Man habe über Details nicht gesprochen, das sei zu gefährlich gewesen.

Vorsitzender Richter:

Doch.

Verteidiger Laternser:

Das hat die Zeugin nicht gesagt.

Nebenklagevertreter Ormond:

Die Zeugin hat wörtlich erklärt: »Große Details wurden nicht... Keine Details wurden erzählt.«

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeugin Viktoria Ley:

Große, habe ich gesagt.

Nebenklagevertreter Ormond:

Dann hat sie gesagt

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Aber nicht, weil es zu gefährlich sei, daß hat sie nicht gesagt.

Nebenklagevertreter Ormond [unterbricht]:

Große Details habe sie nicht erzählt. Das war zu gefährlich.

Nebenklagevertreter Kaul:

Wörtlich

Verteidiger Laternser [unterbricht]:

Nein, das hat sie nicht gesagt.

Nebenklagevertreter Kaul:

Wörtlich.

Vorsitzender Richter:

»Das war zu gefährlich.«

Nebenklagevertreter Kaul:

Ja, hat sie wörtlich gesagt.

Vorsitzender Richter:

Ja. Also ich glaube, es ist

Nebenklagevertreter Ormond [unterbricht]:

Es hat wenig Sinne bei dieser Zeugin. Lediglich die eine Frage: Lebt Ihr Mann, Ihr erster Mann, noch?

Zeugin Viktoria Ley:

Nein.

Nebenklagevertreter Ormond:

Nicht mehr. Danke.

Vorsitzender Richter:

Herr Raabe. Herr Doktor Kaul.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich habe keine Fragen.

Vorsitzender Richter:

Die Verteidiger.

Verteidiger Steinacker:

Frau Zeugin, schildern Sie bitte dem Gericht noch eine Tatsache, die Sie mir gestern bei unserem Zusammentreffen im Büro erzählt haben, anläßlich dieser Zusammenkunft in Berlin im Jahr 44.

Zeugin Viktoria Ley:

Ja.

Verteidiger Steinacker:

Darf ich Ihnen einen Stichpunkt geben, Sie haben erklärt, Doktor Capesius habe Ihren Mann mehrfach gebeten, ihm zu helfen, daß er aus Auschwitz wegkommt.

Zeugin Viktoria Ley [unterbricht]:

Ja, daß er aus Auschwitz herauskäme. Herr Doktor Capesius war überhaupt immer in einem Nervenzustand, den man kaum schildern kann, wenn er so unerwartet kam, und hat furchtbar darunter gelitten, daß er diese Dinge da gesehen hat, die sich da abspielten. Und er hat immer darum gebeten, daß man ihm hilft, daß er von da herauskommt. Und das war leider nicht zu machen.

Vorsitzender Richter:

Ist noch eine Frage sonst?

Verteidiger Laternser:

Ich habe keine.

Vorsitzender Richter:

Keine Fragen mehr. Von seiten der Verteidigung? Der Angeklagte Capesius?

Angeklagter Capesius:

Ich habe keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Wollen Sie

Angeklagter Capesius [unterbricht]:

Obwohl ich sagen kann, daß der Abend sich in etwa so abgespielt hat und daß eben Wein getrunken wurde und daß der Herr Klein in vorgerückter Stunde darüber gesprochen hat, nicht am Abend gleich, sondern eben erst, nachdem er sich eine gewisse Hemmung abgetrunken hatte.

Vorsitzender Richter:

Ja. Bezüglich der Vereidigung der Zeugin: Werden Anträge gestellt? Keine Anträge. Frau Zeugin, können Sie mit gutem Gewissen das beschwören, was Sie gesagt haben?

Zeugin Viktoria Ley:

Ja, kann ich.

  1. Beweisantrag der Verteidiger Laternser und Steinacker vom 14.10.1964, Anlage 2 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 26.11.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 104.
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