Zeuge Alfred Korn

63. Verhandlungstag 09.07.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

63. Verhandlungstag, 9.7.1964

Vernehmung des Zeugen Alfred Korn

Zeuge Alfred Korn:

lose Angelegenheit, weil das war in Płaszów, in der Nähe von Krakau. Da konnte man noch ab und zu wieder ins Ghetto hereinkommen.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Aber so richtig eingesperrt, das war im März 1943. Das war dann eine feste Verhaftung, wo man nicht mehr herauskonnte, in das Lager Płaszów, bei Krakau.

Vorsitzender Richter:

Und wann war das?

Zeuge Alfred Korn:

Das war eine Ergänzung sozusagen. Das war, wo das Ghetto Krakau aufgelöst wurde am – wenn ich mich nicht täusche – 13. März 1943.

Vorsitzender Richter:

1943. Herr Zeuge, sind Sie damit einverstanden, daß wir zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts Ihre Aussage auf Tonband aufnehmen?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, natürlich.

Vorsitzender Richter:

Herr Zeuge, Sie sind also dann, sagten Sie, fest eingesperrt gewesen vom März 43 ab. Und wann kamen Sie nach Auschwitz?

Zeuge Alfred Korn:

Ende 43, glaube ich, war es.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ende Dezember 43. Es kann

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Nicht Ende Dezember, ich will das nicht sagen. Vielleicht war es noch im November, aber im Winter 43.

Vorsitzender Richter:

Ja. Weil Sie mal gesagt haben, es könne Dezember 43 oder Anfang des Jahres 44

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Oder Anfang des Jahres. Aber im Winter, das weiß ich bestimmt, daß es war.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Im Winter, sagten Sie. Ja. Also Sie meinen aber, es wäre noch im Jahr 43 gewesen.

Zeuge Alfred Korn:

Ich glaube.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Es kann aber auch im Januar gewesen sein. Ich weiß bestimmt, daß [viel] Schnee war, weil, als ich in Auschwitz eingeliefert wurde, da wurden wir dann nackt ausgezogen und haben einige Stunden vor dem Bad gestanden im Schnee. Das weiß ich bestimmt.

Vorsitzender Richter:

Sie sind dort geblieben bis zum 18. Januar 45?

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Und jetzt sagen Sie uns bitte, in welchen Abteilungen wurden Sie mit der Arbeit beschäftigt?

Zeuge Alfred Korn:

Zunächst war ich in Quarantäne, ich glaube, 14 Tage. Da haben wir auch die Nummer gekriegt. Und dann [kam] ich in die Schmiede-Landwirtschaft, so hat es geheißen, das Kommando. Es war ein großes Kommando. Und vielleicht ein halbes Jahr, ich kann das nicht genau [+ sagen], aber vielleicht fünf Monate, ein halbes Jahr draußen, außerhalb von Auschwitz, im Freien haben wir da Drainierungsarbeiten, also Drainage gemacht, und das war eine sehr furchtbare Zeit. Ich kann es nicht genau sagen, ob es fünf oder sechs oder sieben Monate waren, ungefähr ein halbes Jahr. Und ein Bekannter, den ich dort kennengelernt habe, ich weiß nicht wie, hatte wieder einen Bekannten, der war schon länger in Auschwitz. Da bin ich zugeteilt worden in eine Schreinerei. Das war aber eine Stellmacherei, wir haben da für die Wagen die Räder gemacht, und da brauchten sie zehn Hilfsarbeiter, um das Holz hereinzutragen. Und da war ich auch einige Wochen. Das war schon wesentlich leichter für mich, wenn ich auch meistens draußen beim Holzsortieren gearbeitet habe. Aber es war doch angenehmer. Der Winter war schon vorbei, aber es war immer noch nicht der Sommer da, und es war ziemlich kalt und regnerisch, und da konnte man ab und zu in die Werkstatt

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Sich unterstellen, ja.

Zeuge Alfred Korn:

Das war schon besser gewesen.

Vorsitzender Richter:

Nun, um das zunächst mal zu Ende zu führen. Nachdem Sie am 18. Januar 1945 aus dem Lager heraustransportiert wurden, haben Sie da teilgenommen an diesem Fußmarsch nach Groß-Rosen?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja? Und zwar sind Sie dann zum Schluß nach Buchenwald gekommen. Aber uns interessiert jetzt noch ganz kurz dieser Fußmarsch nach Groß- Rosen. Die Menschen, die da transportiert wurden, waren ja zum Teil ziemlich erschöpft und

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ja, nicht zum Teil, zum größten Teil.

Vorsitzender Richter:

Zum größten Teil.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und waren den Anstrengungen dieses Marsches gar nicht gewachsen.

Zeuge Alfred Korn:

Kaum, kaum. Unmöglich.

Vorsitzender Richter:

Was geschah mit diesen Leuten, die nicht konnten?

Zeuge Alfred Korn:

[+ Die sind] erschossen worden, das hat man auf jedem Schritt und Tritt...

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Ich war auch nicht der Stärkste. Aber ich werde nachher wahrscheinlich noch auf die Zeit in Auschwitz zurückkommen müssen, was Sie hier interessiert. Aber jetzt sind Sie, Herr Vorsitzender, schon einen Schritt weitergegangen, und da bleiben wir zunächst einmal hier bei dem.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Ich war in den letzten Monaten in Auschwitz den Verhältnissen entsprechend – das werde ich nachher erzählen, wie das kam – einigermaßen bessergestellt wie meinetwegen 99 Prozent meiner...

Vorsitzender Richter:

Mitgefangenen.

Zeuge Alfred Korn:

Leidensgenossen, ja. Und dadurch war ich irgendwie einigermaßen besser bei Kräften. Ich weiß noch, daß ich einen Freund, das heißt, ich habe zweien unterwegs geholfen und sie gestützt, aber den einen habe ich fast tragen müssen. Ich selber habe mich kaum getragen, trotz allem, aber ich habe dem geholfen. Was nachher mit ihm geschehen ist, weiß ich nicht, ich habe es nur bis Groß- Rosen [+ verfolgt]. Bis heute habe ich ihn nicht mehr gesehen. Unterwegs hat man auf jedem Schritt und Tritt – das ist vielleicht übertrieben, auf jedem Schritt und Tritt –, aber alle zwei, drei Minuten hat man Schüsse gehört. Gesehen oder gehört, meistens gehört. In dem Umkreis, wo man sehen kann, waren es nur einige Fälle. Aber man hat alle zwei, drei Minuten Schüsse gehört.

Vorsitzender Richter:

Sind Sie ziemlich vorn bei diesem Marsch gegangen, oder waren Sie am Ende des Zugs?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, das ist wieder eine Sache. Ich war in einer Gruppe, das waren Kolonnen, wie soll ich sagen, Blöcke zu 100 Mann. Ein Marsch hat immer aus zehn Blöcken [bestanden], und ich war in einem dieser Blöcke. Ich kann aber nicht sagen, ob ich im ersten oder im dritten oder im sechsten war. Kann ich nicht behaupten.

Vorsitzender Richter:

Aber Sie wissen jedenfalls, daß Leute, die nicht gehen konnten, erschossen wurden?

Zeuge Alfred Korn:

Das habe ich gesehen. Ich

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Haben Sie auch Leichen liegen sehen, wohl

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ja, am Rande, mehrere.

Vorsitzender Richter:

Mehrere.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Ja, das war der Transport nach Groß-Rosen. Und nun wollen wir uns den Vorgängen im Lager zuwenden. Sagen Sie bitte, Sie waren dann nach dieser Stellmacherei doch wohl auch noch irgendwie in der landwirtschaftlichen Abteilung tätig?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, darf ich das jetzt erzählen?

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Von der Stellmacherei ist dann eines Tages der Kapo gekommen und hat gesagt, daß wir in der Stellmacherei direkt nichts mehr zu tun haben, es sind vielleicht andere da überstellt worden, das weiß ich nicht, diese zehn Personen sollen Tankholz machen.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Tankholz, das...

Vorsitzender Richter:

Die Vergaser, diese Holzvergaser, ja.

Zeuge Alfred Korn:

Die Holzvergaser, ja. Und unsere Arbeit bestand darin, daß wir das Rundholz, das draußen sowieso gelegen hat, zuerst einmal auf der Kreissäge zu sägen hatten und dann in kleine Blöcke zu schneiden und dann in Tankholz kleinzuhacken. Und das war – wie soll ich das sagen – eine Scheune ohne Wände, nur bedacht, und dort unter dieser Scheune haben wir gesessen auf kleinen Blöcken und haben das Tankholz gemacht. Und das ging auch einige Monate. Es war inzwischen schon Sommer geworden.

Und da kam eines Tages der Kapo zu mir – das wird wohl im Spätsommer gewesen sein, das war schon ein paar Monate später – und sagte zu mir: »Der Fritz Eder schickt mich zu dir, du sollst in die Fahrradreparaturwerkstätte kommen.« Und vielleicht noch zu dieser Person des Fritz Eders: Der ist jetzt in Frankfurt beziehungsweise in Höchst Ingenieur bei IG Farben. Mit dem habe ich mich in meiner sehr schlimmen Zeit in Auschwitz angefreundet. Und der ist später Schreiber geworden bei irgendeinem Kommando, auch Landwirtschaftskommando. Das ist dem großen Landwirtschaftskommando unterstellt gewesen, aber das war eine Abzweigung dieses Kommandos. Und als diese Stelle in der Fahrradreparaturwerkstätte frei wurde, ist dann der Kapo zu ihm. Er hat es aber abgelehnt, weil er Schreiber war, und hat ihn gebeten, wenn es möglich wäre, daß er mich für diesen [freigewordenen] Posten [+ nehmen soll], weil das wirklich eine gute Sache war. Vielleicht habe ich diesem Umstand zu verdanken, daß ich jetzt hier sitzen kann. Und er hat mir das gesagt: »Also ich bin mit Fritz befreundet, und der Fritz hat mich darum gebeten. Also du kannst morgen früh antreten.« Und da habe ich natürlich sofort ja gesagt.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Gemacht, ja.

Zeuge Alfred Korn:

Aber das war nicht so einfach, weil inzwischen sind die Transporte aus Ungarn nach Auschwitz gekommen. Das habe ich, glaube ich, noch nicht gesagt. Nach zwei oder drei Wochen in diesem Tankholzkommando kam der Kapo und hat gesagt: »Alfred, ab morgen bist du Vorarbeiter hier in diesem Kommando. «

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

In dem Tankholzkommando, ja.

Zeuge Alfred Korn:

»Du bist mir dann verantwortlich.« Und meine Aufgabe war es, jeden Morgen aus dem großen Landwirtschaftskommando mir zehn Leute auszusuchen. Und ich habe immer die Schwächsten mir ausgesucht, weil das eine relativ

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Erträgliche Arbeit war.

Zeuge Alfred Korn:

Leicht erträgliche Arbeit war. Die haben den ganzen Tag sitzen können. Und ich habe sie natürlich auch nicht gejagt und gedrängt, wir haben ganz ruhig den Tag über gearbeitet. Und dann, als die

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ungarn-Transporte.

Zeuge Alfred Korn:

Ungarischen Transporte [+ gekommen sind] – Sie waren noch keinen Kummer gewöhnt, und die waren seelisch vollkommen zermürbt und unten durch –, und da habe ich mir teilweise auch von diesen Ungarn, wo ich gesehen habe, ältere Leute, gebrechliche Leute, [+ welche geholt]. Und dann habe ich eine Sache gemacht, die ich unter Gefahr gemacht habe. Es war in Auschwitz üblich, wenn zehn Leute irgendwo gearbeitet haben, ist einer von diesen zehn Vorarbeiter gewesen. So war das bei mir auch ursprünglich. Und dann, als die Ungarn- Transporte kamen, da habe ich was auf meine Kappe genommen und habe zehn genommen außer mir. Also ich habe mich nicht in die zehn einbezogen. Ich habe mich dumm gestellt und habe gedacht, das nehme ich auf mich. Ich will versuchen, noch einen Häftling da mit in dieses

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Hinüberzuretten, ja.

Zeuge Alfred Korn:

In dieses verhältnismäßig gute Kommando zu retten. Es ist aber die ganze Zeit gutgegangen. Das ist irgendwie nicht aufgefallen. Ich möchte den Faden nicht verlieren. Da war ich in diesem Kommando, und wir haben auf Block 16 gewohnt. Und ich habe dann an dem Abend, wo der Kapo bei mir war – ja, das habe ich noch nicht gesagt: In der ersten Zeit habe ich jeden Tag oder jeden zweiten Tag mir neue Leute ausgesucht, von denen ich gedacht habe, die sind schwach auf den Beinen, die nehme ich. Und nachdem die Ungarn-Transporte kamen – das waren so Gebrechliche und so seelisch Zermürbte, daß ich nicht das Herz hatte zu wechseln –, da habe ich paar Wochen lang die gleichen Leute immer gehabt. Und als dieser Kapo zu mir kam und mir gesagt hat: »Ab morgen gehst du mit mir in das andere Kommando«, da habe ich denen das abends – wir waren im gleichen Block – mitgeteilt, und da haben sie mich dann umstürmt und mich gebeten, ich soll das nicht tun. »Du bist zu uns wie ein Bruder, wie ein Vater, wie ein Freund, und wir können das nicht machen, wir wollen dich nicht verlieren«, und haben mich darum gebeten, ich soll das rückgängig machen. Es war mir selber unangenehm, aber ich habe gesagt: »Ich bin jetzt schon über zwei Jahre hier drin und in anderen Lagern.« Ich habe mir in den Lagern zum Prinzip gemacht, vielleicht kommt das aus meiner Erziehung, aus meinem Studium heraus: Man weiß nie, was gut ist, ich habe nie etwas dazugetan, mich irgendwo vorzudrängeln oder hinzudrängeln. Ich habe mich halt einfach mit dem Strom mitlaufen lassen, und es ist gegen mein Prinzip, jetzt zum Kapo zu gehen und zu sagen: »Ich will nicht.« Ich habe mich nicht darum bemüht, wirklich nicht, und das kann ich auch wirklich jetzt sagen. Und wenn der Kapo mir das angeboten hat, und ich weiß, ich war damals schon ziemlich lange drin, daß ich wußte, daß dieses Kommando eines der besten war im Verhältnis, den Umständen entsprechend eines der besten. »Und es wäre Selbstmord«, habe ich mich wortwörtlich ausgedrückt, »wenn ich jetzt nein sage.« Und die haben mich wieder bedrängt, und da habe ich gesagt: »Ich gehe von meinem Prinzip nicht ab, aber wenn ihr das erreicht, ich erlaube es euch, dann werde ich mich beugen.«

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Jedenfalls kam zu mir eine halbe Stunde später ein Schneider aus Belgien, der dort schon ein alter Häftling war, mit dem ich gut befreundet war. Und das haben die gewußt. Und der kam zu mir auf den Block abends und hat mir das erzählt: »Es waren bei mir einige Leute«, wer, weiß ich auch nicht, also ich weiß es nicht, er hat es wahrscheinlich gewußt, »und haben mich gebeten, ich soll auf dich einwirken, du sollst nicht weggehen von dem Tankholzkommando«, hat das geheißen. Und ich habe ihm die Geschichte erzählt und habe ihm gesagt: »Ich von mir aus werde nicht den Finger rühren. Ich gehe von meinem Prinzip nicht ab.« Und dann ist er dann weg und hat gesagt, er wird zum Kapo gehen, ob er darf. Habe ich ihm gesagt: »Ich habe dich nicht zum Kapo geschickt, und wenn du das beim Kapo erreichst, ich beuge mich, ich habe es den Leuten versprochen, daß ich nichts dazu tun will.« Und am nächsten Morgen, um fünf Uhr morgens, kam der Kapo zu mir und hat gesagt: »Das kommt gar nicht in Frage, ich habe Dich dafür bestimmt, der Leibisch «, das war der Schneider, »war bei mir, ich habe ihm aber abgesagt, mich hat der Fritz darum gebeten, ich soll dich nehmen. Ich habe es ihm versprochen, und du gehst mit mir mit.« Und so kam ich in dieses Fahrradkommando. Und da war ich bis zum Schluß. Das hat mir sehr viel geholfen. Erstens war es in der Arbeit erträglicher. Und zweitens, nachher bei den Segregationen, die alle paar Tage oder alle 14 Tage oder alle zwei Wochen morgens schon beim Antreten stattgefunden haben, da war ich fast sicher, daß ich nicht...

Vorsitzender Richter:

Ausgewählt werde.

Zeuge Alfred Korn:

Herausgenommen werde, weil wenn man gehört hat Fahrräder...

Vorsitzender Richter:

Dauernd gebraucht wurden.

Zeuge Alfred Korn:

Weil die SS-Leute und die Leute, die die Segregationen gemacht haben, unser Kommando gebraucht haben. Die haben uns auch ab und zu was mitgebracht. Jeder wollte das: »Mein Fahrrad muß morgen fertig sein.« Da hat er mal ein Stück Margarine oder ein halbes Brot mitgebracht. Ich sage es so, wie es ist.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ja, ich bin noch nicht fertig.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

[Pause] Dann bin ich dann in dieses Kommando gekommen. Und wir haben jetzt gesagt Segregationen. Ich habe gesagt, ich war in diesem Kommando einigermaßen sicher. Das hat sich auch herausgestellt, wenn man gehört hat, ich arbeite im [+ Fahrradkommando]. Man hat immer gefragt, bei der Segregation, morgens beim Antreten: »Welches Kommando?« Dann habe ich gesagt: »Fahrrad, Schmiede-Landwirtschaft.« Dann ist man von mir abgegangen, das habe ich ein paarmal gemerkt.

Ein einziges Mal, das muß ich hier in diesem Zusammenhang erwähnen, war das nicht der Fall. Also ich kann die Zeit nicht angeben, ob es im Herbst oder schon im Spätherbst oder Winteranfang 1945 [sic!] war. Ich muß noch hier etwas einflechten zum [besseren Verständnis]. Ich bin ein gutes Jahr lang, als ich noch bei der schweren Arbeit war, einmal aufgefordert worden, für die russischen und polnischen Häftlinge, die nicht Deutsch schreiben konnten, [+ Briefe zu schreiben]. Alle 14 Tage durften die Briefe schreiben nach Hause, die mußten aber in Deutsch schreiben, und ich bin gebeten worden, ich soll dann die Briefe für die Leute schreiben. Und das habe ich auch getan, am Sonntag. Damals noch, als das angefangen hat, habe ich sonntags auch noch gearbeitet. Aber an dem Sonntag, wo ich schreiben mußte, bin ich [freigestellt] worden von der Arbeit, bin auf dem Block geblieben. Später, als ich bei den Fahrrädern gearbeitet hatte, hatte ich sowieso sonntags frei. Also in den früheren Zeiten bin ich für die Schreibsonntage dann freigestellt worden von der Arbeit. Das war bloß so nebenbei, damit ich das hier jetzt einflechten kann, wieso ich das erfahren habe. Dadurch, daß ich diese Briefe jeden zweiten Sonntag geschrieben habe, bin ich bei den Stubenkommandanten, Stubenältesten, Blockältesten ein bißchen...

Vorsitzender Richter:

Bekanntgeworden.

Zeuge Alfred Korn:

Bekanntgeworden. Ich will sagen, vielleicht ein bißchen prominent. Beim Essen hat man nicht viel machen können, aber bei der Wäscheausteilung hat er mir gesagt: »Hier hast ein gutes Hemd, das nimmst du dir mal«, oder so. Das waren die

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Hat einige Vorteile gehabt.

Zeuge Alfred Korn:

Die kleinen Vorteile, ja. Und das war auch der Vorteil, daß ich dadurch erfahren habe, daß heute nacht im Bad eine Segregation ist. Und alle Blöcke gehen Block nach Block hin. Ich war damals auf Block 16. Block 2 war da nicht, das war Quarantäne. Block 10, glaube ich, [kam] auch nicht in Frage. Also jedenfalls bin ich dann morgens um drei oder um halb drei drangekommen mit meinem Block. Und da habe ich, gleich wie ich reingekommen bin – wir sind nackt ins Bad gekommen, im Gänsemarsch –, gemerkt, daß nicht gefragt wird, wo man arbeitet. Und da war schon jeder gefährdet. Also die Segregationen morgens am Appell, da wurde man vorher gefragt, wo jeder arbeitet. Und da habe ich aus Erfahrung gesehen, daß man meine Arbeitskommandos irgendwie respektiert. Und dort im Bad ist das nicht der Fall gewesen. Und da saßen auf zwei Schemeln rittlings der Herr Kaduk und noch einer. Mir ist der Name entfallen, ein großer Blonder, den habe ich gut gekannt, das war auch ein Blockführer. Aber ich weiß den Namen nicht. Vielleicht weiß es der Herr Vorsitzender, es wird aus den Akten irgendwo auch hervorgehen, ein großer Blonder, auch ein Rapportführer, aber ich weiß nicht mehr, es ist mir der Namen entfallen. Die beiden sind gesessen

Sprecher (nicht identifiziert) [unterbricht]:

Clausen vielleicht?

Vorsitzender Richter:

Clausen?

Zeuge Alfred Korn:

Bitte?

Vorsitzender Richter:

Hieß der Clausen?

Zeuge Alfred Korn:

Clausen, ja, ja, ja. Bitte schön, ich wußte den Namen, aber er ist mir im Moment jetzt entfallen. Die sind beide auf zwei Schemeln rittlings gesessen und haben solche kleinen – wie soll ich sagen – Dirigentenstäbe, etwas größer

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Stöckchen.

Zeuge Alfred Korn:

Stöckchen gehabt. Also ich spreche von dem Block, als ich drin war, ich kann nicht von anderen Blöcken [sprechen], aber wahrscheinlich war es auch bei den anderen so. Und wir sind im Gänsemarsch vorbeigelaufen, zwei Gänsemärsche, beim Kaduk und bei dem Clausen, das ist der richtige Name. Und die haben im Vorbeimarsch nicht gefragt, keinen Menschen was gefragt. Also ich persönlich habe den Eindruck gehabt, daß beide besoffen waren, vielleicht täusche ich mich. Ich muß alles sagen, was auch meine eigene Überzeugung war, ich kann mich auch getäuscht haben. Und die haben keinen Menschen was gefragt. Sondern im Vorbeimarsch haben sie mit dem Stöckchen auf einen gezeigt. An der Seite standen, hier rechts und hier links, einige Blockschreiber mit Blöcken und haben nur die Nummer aufgeschrieben. Und das wußten wir vorher schon und hat sich auch nachher herausgestellt: Die waren schon tot, als ihre Nummer...

Vorsitzender Richter:

Aufgeschrieben war.

Zeuge Alfred Korn:

Aufgeschrieben war. Also bei mir, wenn ich hier sitze, ist das Stöckchen irgendwie – warum, weiß ich nicht – nicht gefallen. Also nicht, weil ich da gearbeitet habe, weil ich nicht gefragt war. Ich glaube bestimmt, daß es wahllos war, man hat niemanden was gefragt, nur aus Laune irgendwo. Hat jemandem die Nase oder das Gesicht nicht gefallen, hat er mit dem Stöckchen gezeigt, und das war dann der Tod, wo man

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Ja, hat da jeder von den beiden selbständig Leute bestimmt? Oder hat nur der Clausen bestimmt?

Zeuge Alfred Korn:

Beide, beide selbständig, ja.

Vorsitzender Richter:

Beide selbständig bestimmt.

Zeuge Alfred Korn:

Jeder in seinem Gänsemarsch, wo an seinem Schemel vorbeigegangen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also das waren zwei Reihen?

Zeuge Alfred Korn:

Zwei Reihen, jawohl. [...]

Vorsitzender Richter:

Ja. Bei dieser Gelegenheit sind Sie nicht ausgewählt worden?

Zeuge Alfred Korn:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Wie viele Menschen mögen in dieser Nacht ausgewählt worden sein?

Zeuge Alfred Korn:

Also ich bin hier überfragt. Ich weiß nicht. Sie fragen mich jetzt nicht über diesen Block? Es ist zweierlei.

Vorsitzender Richter:

Nein, von der Gesamtheit.

Zeuge Alfred Korn:

Von [der Gesamtheit] kann ich nur den Eindruck [geben]: Die sind ein paar Tage im Lager geblieben, warum weiß ich nicht. Was da hinter den Kulissen [+ vorgegangen ist], weiß ich nicht, was da passiert, das wird wahrscheinlich irgendwo aus den Akten hervorgehen. Wir haben nur gesehen, daß vielleicht acht oder 14 oder zehn, zwölf Tage, ich weiß nicht mehr, wie lange, die Leute im Lager nicht mehr zur Arbeit gegangen sind. Es können 80, es können auch 120 oder 150 gewesen sein. Ich weiß nicht.

Vorsitzender Richter:

Sie wissen es nicht.

Zeuge Alfred Korn:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Ja, und nun würde mich interessieren, was Sie eben gesagt haben, diese Leute sind nicht mehr zur Arbeit gegangen.

Zeuge Alfred Korn:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Wieso wissen Sie das?

Zeuge Alfred Korn:

Weil das allgemein bekannt war. Man hat sie auch gesehen. Wir sind ausgerückt, und die sind dringeblieben.

Vorsitzender Richter:

Die sind dringeblieben.

Zeuge Alfred Korn:

Später, wie wir gekommen sind, hat man die gesehen, und dann war es auch allgemein bekannt. Man hat auch unter uns Häftlingen gesagt: »Die sind tot.« Die sind zwar noch im Lager marschiert. Aber man hat sie als tote Leute angesehen.

Vorsitzender Richter:

Ja. [Pause] Ja, Herr Zeuge. Und das Gerede ging im Lager allgemein dahin, daß die Leute vergast würden oder vergast worden seien?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, warum diese Verzögerung eintrat, das können Sie uns natürlich nicht sagen.

Zeuge Alfred Korn:

Nein, nein.

Vorsitzender Richter:

Aber man hat darüber wohl auch gesprochen, was der Grund dafür gewesen sein könnte.

Zeuge Alfred Korn:

Das liegt in der Natur des Menschen, daß man immer versucht, Hoffnung zu hegen. Und vielleicht war man in der Zeit auch optimistisch. Man hat gesagt: »Hoffentlich, und wenn es so lange dauert, vielleicht sind da Kräfte im Gange, die versuchen, die Leute wieder einzureihen.« Und deswegen sind vielleicht zwei Parteien da. Die einen wollen sie vergasen oder verschicken, die anderen wollen, daß sie hierbleiben, die dritten wollen, daß man sie gleich fertigmacht. Also wir haben da verschiedene Hypothesen aufgestellt, von denen wir nicht wissen, inwiefern [+ sie zutreffen]. Ich habe es nicht gesehen, weil ich damals bei der Arbeit war. Als ich zurückkam zum Appell, hat man gesagt: »Heute sind die anderen abgeführt worden, die sind inzwischen bestimmt schon tot.«

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie, wer damals Lagerkommandant war?

Zeuge Alfred Korn:

[Pause] Ich kann es nicht sagen. Ich muß ehrlich sagen, daß ich, wie ich schon vorhin erwähnt habe, mich während meiner ganzen Inhaftierungszeit nicht [+ darum gekümmert habe]. Das [kam] aus meiner Einstellung heraus, die ich [eingenommen] habe am ersten Tage, wo ich eingeliefert wurde, daß ich mir gesagt habe, ich werde mich nirgends vordrängeln. Ich werde nicht versuchen, da raus und da rein. Ich weiß nicht, ob das Herein besser wird oder das Herein besser wie das Heraus. Ich lasse es so, wie es ist. Das ist ein Schicksal, und man muß es über sich ergehen lassen und kann nichts dagegen tun. Es hat keinen Zweck, irgendwie zu versuchen, Protektion da zu suchen, das ist ein besseres Kommando, das ist ein schlechteres. Deswegen weiß ich nicht

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Na ja. Also jedenfalls Sie haben sich nicht um Sachen gekümmert.

Zeuge Alfred Korn:

Moment, ich darf, Herr Vorsitzender, nur [versuchen,] Ihre Frage einigermaßen zu beantworten. Als ich ins Lager kam und auf der Quarantäne saß, hat man gesagt, daß heute ein guter Lagerkommandant drin ist. Ich glaube, Liebehenschel hat er geheißen, wenn ich mich nicht täusche.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

Und dem hat man, den Verhältnissen entsprechend, Gutes nachgesagt im Verhältnis zu den anderen, die vorher da waren. Ich habe aber später gehört, daß der weg ist. Ich weiß aber nicht, wer nachher gekommen ist. Also ich kann nur sagen, was ich weiß, und ich will keine Hypothesen und keine Vermutungen

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Und meinen Sie, daß diese Selektion im November noch unter dem guten Lagerkommandanten

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Nein, nein, bestimmt nicht.

Vorsitzender Richter:

Nein, nicht mehr?

Zeuge Alfred Korn:

Da war er bestimmt schon weg.

Vorsitzender Richter:

Da war er schon weg?

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Gut. Nun, Sie haben uns eben den Namen Kaduk genannt in dem Zusammenhang mit dieser Selektion.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wieso wußten Sie, daß dieser Mann Kaduk war?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, das war allgemein bekannt. Das war bekannt, das war das Schreckenswort vom Lager.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie auch persönlich einmal einen Vorfall mit Kaduk erlebt?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ich werde gleich darauf kommen. Weil Sie fragen über Kaduk, will ich Ihnen sagen, das hat mit der Sache direkt nichts zu tun. Mir wurde bekannt im Spätsommer 1945 [sic!], daß eine Cousine von mir in das Frauenlager eingeliefert wurde, von irgendeinem Lager, ich weiß nicht woher. Das hat mir der Friseur gesagt, der Friseur, der auch aus Krakau, aus meiner Stadt war. Und der wußte, daß es meine Cousine war. Da hat er gesagt: »Du, ich habe gestern die und die getroffen.« Die haben eine sehr große Druckerei in Krakau gehabt. »Und sie ist jetzt Kapo, seit gestern Kapo in der Druckerei im Frauenlager.« Und ich war ganz erschüttert, und ich bin dann zu meinem – wie soll ich sagen, ich weiß nicht, was er war – Hauptscharführer oder was, der bei mir, meine Werkstätte, das ganze Magazin...

Vorsitzender Richter:

Geleitet hat.

Zeuge Alfred Korn:

Henschel hat er geheißen, ist sehr anständig gewesen. Ich wäre bereit, für ihn mich einzusetzen, wenn er irgendwie vor ein Gericht kommen würde. Aber ich habe leider nichts von ihm gehört. [...] Und ich bin dann zu ihm rein in sein Büro und habe ihm erzählt, daß meine Cousine gestern in...

Vorsitzender Richter:

In der Druckerei.

Zeuge Alfred Korn:

In der Druckerei als Kapo gestern eingeliefert worden ist. Ob ich nicht einen Passierschein kriegen könnte, um dahin zu gehen, daß ich sie sehe. »Da sie Kapo ist, ist es relativ einfach.« Sagt er: »Gut, ich mache es für dich«, und hat mir einen Passierschein ausgeschrieben. Hat mir aber gesagt, ich soll mir Werkzeuge mitnehmen. Er kann mir nur einen Passierschein schreiben – weil ich war doch in einer mechanischen, also Autoreparatur –, daß

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Sie eine Reparatur dort zu machen hätten, ja.

Zeuge Alfred Korn:

Ja, zur Reparatur. Und ich bin dann hingegangen, ich habe sie auch gesprochen, bin eine halbe Stunde vielleicht dort gewesen. Ich habe aber natürlich so getan, als wenn ich was repariere. Und das ging gut. Und wie ich rausging, habe ich grade den anderen Blockführer getroffen, beim Rausgehen, mit meinem Werkzeugkasten. Und da fragt er: »Was machen Sie hier?« Und da habe ich gesagt: »Ich habe einen Passierschein, ich habe eine Maschine repariert.« Gut. Wie ich heimkomme, habe ich das im Lager erzählt. »Du hast ein Glück gehabt, daß der Kaduk dich nicht getroffen hat.« Ich wollte [das nur erzählen], um die Meinung zu [verdeutlichen].

Vorsitzender Richter:

Ja.

Zeuge Alfred Korn:

»Du hast Glück gehabt, daß der Kaduk dich da nicht getroffen hat im Frauenlager.«

Vorsitzender Richter:

Ja. Nun, hatten Sie auch persönlich einmal einen Zusammenstoß mit Kaduk oder er mit Ihnen?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Ja?

Zeuge Alfred Korn:

Also ich persönlich zweimal. Aber persönlich verstehe ich, daß Sie meinen, ich persönlich mit meinem eigenen Leib und Körper. Es war so: Als ich schon in dem verhältnismäßig guten Fahrradkommando gearbeitet habe, da bin ich in das Lager gekommen und bin dann auf meinen Block, und wie dann der – wie hat es geheißen – Appell gekommen ist, bin ich dann raus, mit in der dritten oder vierten Reihe gestanden und habe irgendwie vergessen, meinen obersten Knopf zuzuknöpfen. Die gestreiften Anzüge haben die Knöpfe bis oben hoch gehabt, und mein oberster Knopf war auf. Und das hat er scheinbar bei dem Appell irgendwie gesehen, wenn ich auch nicht vorne gestanden bin. Wahrscheinlich hat er es irgendwie gesehen und ist dann rein zwischen den Reihen und hat mich am Kragen rausgezogen, hat mir mit dem Fuß in den Bauch einen Tritt gegeben, ich bin gleich umgefallen, und dann ist er auf mir rumgetrampelt. Und dann hat er mich so liegen lassen bis nach dem Appell. Ich habe natürlich gestöhnt. Und dann kam der Blockälteste von meinem Block 16 her mit noch einem. Und dann hat er zwei gebeten, sie sollen mich auf meinen Block führen. Und am nächsten Tag sollte ich ins Krankenhaus. Ich habe es abgelehnt und habe ihn gebeten, ob er mich nicht irgendwie [+ davor bewahren kann]. Ich will nicht ins Krankenhaus, weil das war...

Vorsitzender Richter:

Gefährlich.

Zeuge Alfred Korn:

Höchst gefährlich. Und dann hat mich der Blockälteste einige Tage im Block gedeckt, bis ich wieder einigermaßen zur Arbeit [+ gehen konnte]. Die Arbeit war doch, wie gesagt, damals...

Vorsitzender Richter:

Erträglich.

Zeuge Alfred Korn:

Um diese Zeit schon erträglich. Und so bin ich der Sache entkommen.

Vorsitzender Richter:

Nun, waren Sie auch mal Zeuge einer öffentlichen Exekution?

Zeuge Alfred Korn:

Ja. Ja. Das will ich auch erzählen. Also ich weiß nicht, wann das war. Ich vermute, daß es schon in der späteren Zeit war, als ich schon die Briefe für die russischen und polnischen Häftlinge geschrieben habe. Es könnte auch sein, vielleicht war es auch Zufall, ich weiß nicht, vielleicht war es kein Zufall, sondern durch diese Briefe bin ich vielleicht in irgendeinem Block vorne gestanden. Aber jedenfalls war es Tatsache, daß ich ganz vorne direkt am Exekutionsplatz gestanden habe. Ich habe genau alles mit angesehen, fast so wie hier vom Tisch, also ein bißchen weiter, aber ich habe alles mit angesehen. Da stand ein langer Tisch und auf dem Tisch zwei Häftlinge. Ich weiß aber nicht mehr, wo die Schlingen runterkamen, wahrscheinlich war da eine Vorrichtung. Aber ich habe zwei Schlingen gesehen und zwei Häftlinge. Und da standen mehrere SS-Leute. Ich muß sagen, wenn nicht der Vorfall [+ gewesen wäre], den ich jetzt erzählen werde, hätte ich nicht sagen können, ob der Kaduk auch dabei war. Es waren mehrere, ich könnte jetzt nicht sagen, wer es war. Aber bevor man den zwei Häftlingen die Schlingen um den Hals [gelegt] hat, hat einer sehr geschimpft, über Hitler und über »euch SSler, eure Zeit kommt auch noch, und es wird noch Rache geübt werden«, irgendwie so. Und da ist der Kaduk rauf auf den Tisch und hat dem zwei Ohrfeigen gegeben, und dann ist er wieder runter. Ich kann aber nicht sagen, ob der Kaduk selbst die Schlinge ihnen umgelegt hat oder andere. Das weiß ich nicht. Aber die Ohrfeige hat der Kaduk ihm verabreicht. Das weiß ich bestimmt.

Vorsitzender Richter:

Tja. Von den übrigen Angeklagten kennen Sie persönlich wohl keinen, nicht?

Zeuge Alfred Korn:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Mit der Politischen Abteilung haben Sie nichts zu tun gehabt?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, einmal war ich da. Aber es [hatte] keine Folgen. [...]

Vorsitzender Richter:

Ja, ja, ja. Weshalb waren Sie da? Sind Sie vernommen worden oder?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, bei meiner Cousine hat man einen Brief von mir vorgefunden. Ich habe ihr natürlich ab und zu geschrieben. Durch die Häftlinge, die in der Druckerei gearbeitet haben. Man hat bei ihr einen Brief gefunden, ja. Und sie hat nichts gesagt, das war mein Glück. Sie hat nichts gesagt, man hat sie auch furchtbar geschlagen, man hat ihr auch die Kapo- Binde abgenommen, und man wollte wissen...

Vorsitzender Richter:

Wer den Brief geschrieben hat.

Zeuge Alfred Korn:

Wer den Brief geschrieben hat. Und dadurch, daß ich einmal einen Passierschein bei ihr hatte und man gesagt hat, ich habe eine Maschine repariert, da hat irgend jemand gesagt, daß sie an der Maschine gestanden hat, und da hat man mich gefragt, ob ich einen Brief geschrieben habe. Habe ich gesagt: »Ich weiß nichts davon.« Und man hat mich freigelassen. Ich habe aber bis zum 18. Januar tagtäglich, das weiß ich hundertprozentig, tagtäglich gezittert, ob nicht irgendwie herauskommt, daß ich den Brief geschrieben habe. Das ist aber nicht der Fall gewesen.

Vorsitzender Richter:

Und was geschah mit Ihrer Cousine?

Zeuge Alfred Korn:

Die ist da, die lebt.

Vorsitzender Richter:

Die lebt noch.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sie haben damals bei Ihrer Vernehmung das Bild [vorgelegt] bekommen von dem Doktor Capesius, haben ihn auch erkannt. Aber Näheres von ihm wissen Sie nicht?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ja. Nein.

Vorsitzender Richter:

Nein. Wissen Sie etwas darüber, daß viele Menschen mit Einspritzungen von Phenol getötet worden sind?

Zeuge Alfred Korn:

Ja, vom Hörensagen.

Vorsitzender Richter:

Das war Lagergespräch.

Zeuge Alfred Korn:

Ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Mehr wissen Sie nicht? Einzelheiten nicht?

Zeuge Alfred Korn:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Sie wissen auch nicht, wo das Zyklon B herkam. Das war das Giftgas, mit dem die

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ja, ich weiß, was das ist, aber ich weiß nicht, woher das kam.

Vorsitzender Richter:

Sie wissen es nicht, wo es herkam. Ja, ich hätte keine Fragen mehr. Die Staatsanwaltschaft?

Staatsanwalt Kügler:

Danke, keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Ormond? Herr Doktor Kaul?

Nebenklagevertreter Kaul:

Keine.

Vorsitzender Richter:

Der Herr Jugl.

Verteidiger Jugl:

Ich habe nur eine Frage. Herr Zeuge, diese Selektionen, das habe ich nicht recht verstanden, wo war das? Durch Kaduk und Clausen?

Zeuge Alfred Korn:

Im Bad.

Verteidiger Jugl:

Im Bad?

Zeuge Alfred Korn:

Im Bad, ja.

Verteidiger Jugl:

Und wissen Sie noch die Zeit, wann das war? November 44?

Zeuge Alfred Korn:

Ich kann das nicht genau sagen, auf die Tage. Es war

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Er hat ja lange darüber gesprochen.

Zeuge Alfred Korn:

Es war so im Herbst...

Verteidiger Jugl:

44?

Zeuge Alfred Korn:

Bestimmt 44, es kann auch im November, genauso im Oktober, genauso aber auch Anfang Dezember [+ gewesen sein]. Ich kann das nicht genau sagen.

Verteidiger Jugl:

Ja. Und die Exekutionen von den zwei Häftlingen, wann die waren

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Das war zwischen acht und 14 Tage später.

Verteidiger Jugl:

Also auch um diese Zeit.

Zeuge Alfred Korn:

Exekutionen habe ich nicht gesagt. Man hat nur im Lager [+ darüber] gesprochen, gesehen habe ich es nicht.

Verteidiger Jugl:

Ach, das mit den Ohrfeigen haben Sie nicht gesehen?

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Nein, der Herr Rechtsanwalt meint die Stelle, wo der Kaduk dem auf die Ohren geschlagen hat.

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

[unverständlich] Ach so, ja, ja, ich dachte, die Exekution von diesen Leuten, die aufgeschrieben wurden.

Verteidiger Jugl:

Nein, nein, nein, ich meine

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ach so, die zwei Exekutionen! Das war auch um diese Zeit, vielleicht etwas vorher.

Verteidiger Jugl:

Danke schön.

Zeuge Alfred Korn:

Ich kann das nicht genau sagen.

Vorsitzender Richter:

Bitte schön.

Verteidiger Gerhardt:

Ich hätte da eine Frage. Herr Zeuge, Sie erzählten eben von einem Fall, bei dem der Angeklagte Kaduk Sie getreten hat.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Verteidiger Gerhardt:

Sie fielen um.

Zeuge Alfred Korn:

Ja.

Verteidiger Gerhardt:

Und er trat auf Sie.

Zeuge Alfred Korn:

[+ Er hat] auf mich getrampelt, nicht getreten.

Verteidiger Gerhardt:

Und wies Sie an, liegenzubleiben. Nun, meine Frage, wie lange sind Sie liegengeblieben auf dem Boden?

Zeuge Alfred Korn:

Da bin ich überfragt.

Verteidiger Gerhardt:

Na ja, ich meine, waren es 20 Minuten?

Zeuge Alfred Korn [unterbricht]:

Ich weiß nicht, es können fünf Minuten, zehn Minuten, es kann auch zwölf, 15 Minuten gewesen sein. Ich weiß es nicht.

Verteidiger Gerhardt:

Gut, danke.

Zeuge Alfred Korn:

Ich weiß es nicht.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Doktor Aschenauer? Wird von seiten der Angeklagten eine Erklärung abgegeben oder eine Frage gewünscht? [Pause] Ja, nun, Kaduk, wie ist das gewesen? Sie hören hier wieder von der Selektion im Spätherbst oder im Winter 1944. Und Sie hören wiederum, daß Sie zusammen mit dem Clausen rittlings auf dem Stuhl gesessen haben und daß Sie mit einem Stöckchen bestimmt haben, wer ausgewählt wurde oder wer nicht. Und Sie hören weiterhin, daß diese Leute tagelang im Lager sich aufhalten mußten und daß man dann später von ihnen sagte, daß sie vergast worden sind.

Angeklagter Kaduk:

Herr Direktor

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Können Sie sich immer noch nicht an diese Selektion erinnern?

Angeklagter Kaduk:

Nein, ich kann mich nicht erinnern. Ich kann nur sagen, Herr Direktor, die letzte Selektion, wo die nach Birkenau gekommen sind, war im Jahre 1944 im Januar gewesen. Der Liebehenschel ist damals Kommandant gewesen. Anfang Januar 1944 hat man die Selektion durchgeführt. Die Häftlinge wurden listenmäßig erfaßt, und so ungefähr am 18. Januar 1944 wurden die nach Birkenau zur Vergasung geschickt. Der Liebehenschel hat sich in Berlin damals eingesetzt, und es blieb dabei, die wurden vergast. Im Spätherbst 44 ist mir von Selektionen, besonders nachts, überhaupt gar nichts [+ bekannt]. Ich kann mich nicht erinnern.

Vorsitzender Richter:

Waren Sie vielleicht so betrunken, daß Sie das heute nicht mehr wissen?

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Nein, so betrunken war ich ja nicht, Herr Direktor.

Vorsitzender Richter:

Also es wird uns doch von allen Zeugen bisher bestätigt, daß Sie sehr viel betrunken gewesen sind.

Angeklagter Kaduk:

Ja, ich habe ja von vornherein gesagt, ich konnte ja nur [+ so] meinen Dienst in Auschwitz ertragen. Ich war öfter angetrunken. Das gebe ich selber zu. Das habe ich auch den

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Also jedenfalls, Sie hören hier erneut einen Zeugen, der ja sehr zurückhaltend ist mit seinen Aussagen und der uns ja nichts erzählt hat von Dingen, die er nur vom Hörensagen hat wissen können, sondern [+ er] erzählt uns nur ganz Weniges. Was sollte er für einen Grund haben, nun gerade das von Ihnen zu behaupten, wenn es nicht wahr wäre?

Angeklagter Kaduk:

Ich kann nur sagen, Herr Direktor, ich persönlich habe nicht entschieden über Leben und Tod, wie im Stammlager, so auch in Birkenau.

Vorsitzender Richter:

Können Sie sich denn an diesen Zeugen noch erinnern?

Angeklagter Kaduk:

Ich kann mich nicht erinnern, das ist so lange her.

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Können sich nicht erinnern, es waren zu viele.

Angeklagter Kaduk:

Es waren zu viele. Es war ein Kommando, angeblich so 18 Häftlinge haben gearbeitet im Fahrradkommando.

Vorsitzender Richter:

Aber diese Selektion haben wir doch jetzt wiederholt hier geschildert bekommen. Zu wiederholten Malen und genau dieselbe Situation. Mit den zwei Reihen, die da vorbeigegangen sind, und daß Sie damals mit dem Stöckchen dagesessen haben und mit dem Stöckchen gedeutet haben, wer und wer nicht. Und das ist doch etwas, was sich sämtliche Zeugen doch nicht aus den Fingern gesogen haben können. Ich meine, was hat der Mann für ein Interesse daran, Sie zu belasten, wenn er das nicht erlebt hätte? Ich meine, dann könnte er ja auch sagen, er hätte gesehen, wie Sie einen totgeschlagen hätten, wenn er lügen wollte.

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Herr, Herr Direktor, ich kann heute nicht

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Bitte?

Angeklagter Kaduk:

Ich lüge nicht, Herr Direktor. Wenn ich das tatsächlich gemacht hätte, dann stehe ich auch heute [+ dazu] und würde sagen: »Jawohl, Herr Direktor, ich habe Selektionen persönlich durchgeführt.«

Vorsitzender Richter:

Das wäre durchaus was anderes.

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Dafür stehe ich auch gerade für die Sache. Was ich persönlich gemacht habe, bitte, bin ich bereit, ist egal. Aber sonst, ich persönlich habe nicht entschieden, Herr Direktor. Das kann ich Ihnen sagen.

Vorsitzender Richter:

Ich habe den Zeugen eben ausdrücklich gefragt: »War es der Clausen, der allein entschieden hat, oder haben beide entschieden?« Und er hat uns gesagt: »Es waren zwei Reihen. Über die eine hat der Clausen entschieden, über die andere hat der Kaduk entschieden.«

Angeklagter Kaduk:

Herr Direktor, nachts waren überhaupt keine Selektionen gewesen, nachts überhaupt nicht. Meistens war es nach dem Abendappell gewesen. Dann kam das. Aber nachts haben wir überhaupt keine Selektionen durchgeführt.

Vorsitzender Richter:

Na!

Staatsanwalt Vogel:

Kann sich der Angeklagte Kaduk vielleicht noch an die Mißhandlung dieses Zeugen erinnern, die er hier geschildert hat?

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Nein, kann ich mich nicht! Herr Staatsanwalt, kann ich mich nicht erinnern. Wenn ein Häftling vielleicht den Kragen nicht zugeknöpft hat, deswegen habe ich ihn nicht totgeschlagen und auch nicht mißhandelt. Das ist nicht wahr. Da mußte was anderes passiert sein, das ist mir zu lange her. Herr Direktor, der Zeuge kommt mir bekannt vor, aus der Fahrbereitschaft. Ich kann mich bloß nicht erinnern, weil es mir zu lange her ist.

Staatsanwalt Vogel:

Oder liegt es daran, daß es zu viele Mißhandlungen durch Sie gegeben hat? Daß Sie sich nicht mehr an Einzelfälle erinnern können?

Angeklagter Kaduk:

Daran kann ich mich auch nicht erinnern. Sie wissen, Herr Staatsanwalt, es waren 17.000 Häftlinge in Auschwitz gewesen. Und wir mußten sie in Schach halten, kurz halten.

Staatsanwalt Vogel:

Na, wie oft

Angeklagter Kaduk [unterbricht]:

Es ging gar nicht anders, Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Vogel:

Ja, wie oft haben Sie denn Häftlinge zusammengeschlagen, so auf die Art, wie der Zeuge eben geschildert hat?

Angeklagter Kaduk:

Ich habe sie nicht zusammengeschlagen. Ich meine, wer sich an die Lagerordnung gehalten hat, den habe ich nicht geschlagen.

Staatsanwalt Vogel:

Und was wurde mit den anderen?

Angeklagter Kaduk:

Wenn einer – ein Beispiel – sich entfernt hat, vom Arbeitskommando zu einem anderen Arbeitskommando, und ich habe ihn dabei erwischt, dann habe ich ihn bestraft.

Staatsanwalt Vogel:

Wie?

Angeklagter Kaduk:

Habe ihm vielleicht eine Ohrfeige gegeben, das erste Mal.

Staatsanwalt Vogel:

Davon fällt niemand so schnell um.

Angeklagter Kaduk:

Nein, nein, fällt nicht. Wenn ich die Hand gehoben habe, ist mancher umgefallen. Die haben vorgetäuscht. Das gab es auch.

Staatsanwalt Vogel:

Und sind Sie auf den Menschen dann herumgetrampelt?

Angeklagter Kaduk:

Nein, also da bin ich gar nicht herumgetrampelt, Herr Staatsanwalt. Das ist nicht wahr.

Vorsitzender Richter:

Na. Wenn keine Fragen mehr sind, Herr Zeuge, können Sie das, was Sie gesagt haben, mit gutem Gewissen beeiden?

Zeuge Alfred Korn:

Selbstverständlich.

Vorsitzender Richter:

Wollen Sie den Eid in

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