Zeuge Kurt Jurasek

144. Verhandlungstag 18.03.1965

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

144. Verhandlungstag, 18.3.1965

Erneute Vernehmung des Zeugen Kurt Jurasek

Vorsitzender Richter:

[+ Es ist zu klären,] von wem dieses Handzeichen stammt, weil der Angeklagte Klehr, um den es sich hier dreht, bestritten hat, daß er diese Anordnung gegeben hat.

Verteidiger Laternser:

Das wußte ich nicht.

Vorsitzender Richter:

Das ist die einzige Frage. Also es dreht sich doch hier um dieses Zeichen, nicht?

Richter Hotz:

Ja, ja.

Vorsitzender Richter:

Dieses LK. Herr Lanz, wollen Sie mal bitte dem Zeugen diese Anforderungen hier übergeben. Da befindet sich links unten im Eck dieses Zeichen. Ob der Zeuge weiß, von wem dieses Handzeichen stammt.

Zeuge Kurt Jurasek:

Nein. Dieses hier? Nein.

Vorsitzender Richter:

Dieses RE oder RA oder...

Zeuge Kurt Jurasek:

Nein. [Pause] Nein.

Vorsitzender Richter:

Sind Ihre Handzeichen auf dieser Anforderung nicht?

Zeuge Kurt Jurasek:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Die sind auch drauf?

Zeuge Kurt Jurasek:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Würden Sie die mal bezeichnen, wo Sie die sehen?

Zeuge Kurt Jurasek:

Das hier zum Beispiel.

Vorsitzender Richter:

Wie ist das gezeichnet? Das ist die Unterschrift Jurasek

Zeuge Kurt Jurasek [unterbricht]:

Ich glaube, das mindestens das...

Vorsitzender Richter:

Ah, das JA oder JE oder wie das abgekürzt heißt.

Zeuge Kurt Jurasek:

Nein, ich kann das nicht lesen hier. Also ich weiß nicht, wer...

Vorsitzender Richter:

Dieses JE stammt aber von Ihnen?

Zeuge Kurt Jurasek:

Darf ich das bitte noch mal sehen, Herr Präsident?

Vorsitzender Richter:

Ja, bitte schön.

Zeuge Kurt Jurasek:

[Pause] Also das kann ich nicht sagen. Das weiß ich nicht, Herr Präsident, was hier links das zu bedeuten hat.

Sprecher (nicht identifiziert):

Und das?

Zeuge Kurt Jurasek:

Das ist von mir [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Also das LR, oder wie das heißt, das können Sie nicht entziffern, von wem das stammt?

Zeuge Kurt Jurasek:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Nun wollen Sie doch mal die Blätter herauslegen, auf denen sich Ihr persönliches Handzeichen befindet.

Zeuge Kurt Jurasek:

Also das könnte es sein, ja. [...]

Vorsitzender Richter:

Was meinen Sie bitte?

Verteidiger Laternser:

Der Zeuge braucht die Frage ja nicht zu beantworten.

Vorsitzender Richter:

Das weiß er ja, das habe ich ihm ja gesagt. [Pause] [...] Also was hat nun der Zeuge identifiziert? [Pause]

Staatsanwalt Kügler:

Das hier. [Pause]

Vorsitzender Richter:

Nur dieses eine? [Blättern] Ja, hier ist nichts drauf. [Pause] Hier aber, wollen Sie das bitte dem Zeugen noch mal vorlegen. Das scheint mir doch auch von ihm abgezeichnet, das hier auch. Da ist doch ein Namenszug darauf. Und wo sind denn die anderen, mit LR abgezeichnet, die ich ihm eben gegeben habe? [...]

Zeuge Kurt Jurasek:

Das könnte auch von mir sein. [Pause] Ich bin sehr im Zweifel.

Staatsanwalt Kügler:

Es könnte sein?

Zeuge Kurt Jurasek:

Es könnte sein, ja.

Vorsitzender Richter:

Daß das Ihr Namenszeichen ist?

Zeuge Kurt Jurasek:

Ja. [Pause]

Vorsitzender Richter:

Sind das nun alle Zettel, die ich übergeben habe?

Zeuge Kurt Jurasek:

Drei Stück. [Pause]

Vorsitzender Richter:

Und dann waren doch noch welche da mit diesem LR. Ach, das sind die da. Dieses LR können Sie nicht feststellen?

Zeuge Kurt Jurasek:

Nein, Herr Präsident.

Vorsitzender Richter:

Also hier bei dem einen, bei diesen Spritzen, Atota-Spritzen oder wie das heißt, da haben Sie zweifellos Ihr Handzeichen erkannt.

Zeuge Kurt Jurasek:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und bei dem anderen, wo sich es nun um den ganzen Namenszug handelt?

Zeuge Kurt Jurasek:

Es könnte sein, Herr Präsident.

Vorsitzender Richter:

Es könnte sein.

Zeuge Kurt Jurasek:

Also ich...

Vorsitzender Richter:

Ja. Was ist das, Atota?

Zeuge Kurt Jurasek:

Das weiß ich nicht mehr, Herr Präsident.

Vorsitzender Richter:

Bitte?

Sprecher (nicht identifiziert):

Ist genau dasselbe wie Flick oder [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Aha, also ein Desinfektionsmittel. [...] [Pause] Die Anforderungen, die Sie selbst eben als eventuell mit Ihrem Namenszeichen versehen bezeichnet haben, die beziehen sich nur auf Lysol, Atota, Salzsäure, Taschenlampenbatterien, auf die Spritzen und sonst nichts – also nicht auf die Phenolanforderungen. Ja, da hätte ich keine Fragen mehr an den Zeugen.

Staatsanwalt Kügler:

Ich habe noch eine Frage. Herr Jurasek, wenn Phenol angefordert wurde, mußte das dann der Arzt machen, oder konnte das auch der Sanitätsdienstgrad ohne Genehmigung, Zustimmung oder Unterschrift des Arztes machen? Oder können Sie dazu nichts sagen?

Zeuge Kurt Jurasek:

Also soweit ich mich erinnere, war es so, daß nichts ausgegeben wurde ohne ärztliche Unterschrift.

Staatsanwalt Kügler:

Ja, aber gerade die Anforderungen, die wir Ihnen eben vorgezeigt haben, enthalten die Unterschrift eines Sanitätsdienstgrades und Ihr Handzeichen und aus. Jedenfalls in der Apotheke waren Ihnen doch noch der Herr Krömer oder der Herr Doktor Capesius vorgesetzt.

Zeuge Kurt Jurasek:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

Und die Anforderungen sind gekommen, unterschrieben von Sanitätsdienstgraden, ohne, daß da noch ein Arzt unterschrieben hat?

Zeuge Kurt Jurasek:

Ich konnte darauf nicht erkennen, auf diesen Anforderungen, daß irgendwelche Medikamente daraufstanden.

Staatsanwalt Kügler:

Ja, sind auch dabei.

Vorsitzender Richter:

Also Herr Staatsanwalt, das muß ich insofern richtigstellen. Was der Zeuge eben anerkannt hat, bezieht sich, wie ich bereits gesagt habe, nur auf Atota, Salzsäure, Taschenlampenbatterien, Brennspiritus, Ammoniak, Formalin und noch mal Atota und diese Spritzen.

Staatsanwalt Kügler:

Na ja. Das

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Von Medikamenten ist nichts darauf zu sehen.

Staatsanwalt Kügler:

Ich will mich da nicht festlegen auf Medikamente, sondern auf das, was von der Apotheke ausgegeben wurde an die Sanitätsdienstgrade.

Vorsitzender Richter:

Die Frage des Herrn Staatsanwalts geht, wenn ich Sie recht verstanden habe, dahin: War es möglich, auf eine Anforderung eines Sanitätsdienstgrades, ohne daß ein Arzt eingeschaltet worden ist, irgendwelche Dinge aus der Apotheke herauszugeben?

Zeuge Kurt Jurasek:

Darauf kann ich heute keine klare Antwort mehr geben, Herr Präsident. Aber ich glaube nicht. Ich glaube wohl, daß man vielleicht gerade diese Dinge hier so ausgeben konnte, aber Medikamente nicht.

Vorsitzender Richter:

Und Phenol gehörte doch wohl auch nicht zu den Medikamenten.

Zeuge Kurt Jurasek:

Ich habe es nicht erlebt, daß jemand zu mir kam. Mit einer Ausnahme, das habe ich bei meiner letzten Vernehmung hier gesagt, daß einmal der Herr Nierzwicki, so glaube ich, hieß er, ein Sanitätsdienstgrad im Lager Auschwitz, kam und wollte Phenol haben.

Diese Anforderung trug keine Unterschrift des Arztes. Herr Doktor Capesius hat es abgelehnt, es auszugeben, und den Sanitätsdienstgrad aufgefordert, er solle sich um eine Arztunterschrift bemühen. Ich glaube, der Lagerarzt war damals nicht da. Und dann hat Herr Doktor Capesius gesagt, er soll es sich eben beim Standortarzt holen.

Vorsitzender Richter:

Keine Frage mehr. Herr Staatsanwalt?

Staatsanwalt Kügler:

Keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Von seiten der Nebenklage nicht, von seiten der Verteidiger nicht, von seiten der Angeklagten auch nicht. Es bleibt bei der Entscheidung bezüglich der Beeidigung des Zeugen vom letzten Mal. Also nehmen Sie das ins Protokoll auf: Gegen die Entlassung des Zeugen ist nichts einzuwenden. Sie können dann gehen, Herr Jurasek. Ich danke schön.[1]

  1. Der Zeuge Jurasek blieb gemäß § 60, Abs. 3 StPO unbeeidigt. Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 18.03.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 109, Bl. 1.258.
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