Zeuge Ludwig Holze

86. Verhandlungstag 04.09.1964

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

86. Verhandlungstag, 4.9.1964

Vernehmung des Zeugen Ludwig Holze

Vorsitzender Richter:

Zunächst Ihre Personalien. Sie heißen mit Vornamen?

Zeuge Ludwig Holze:

Ludwig.

Vorsitzender Richter:

Ludwig Holze. Wie alt?

Zeuge Ludwig Holze:

59.

Vorsitzender Richter:

Sind Sie verheiratet?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Von Beruf?

Zeuge Ludwig Holze:

Kaufmännischer Angestellter.

Vorsitzender Richter:

Wohnhaft in Kassel?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sind Sie verwandt oder verschwägert mit einem der Angeklagten?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Herr Holze, Sie sind zur Waffen-SS einberufen worden, nachdem Sie im Jahr 33 der Allgemeinen SS beigetreten waren. Und wann sind Sie nach Auschwitz gekommen?

Zeuge Ludwig Holze:

Ende 40.

Vorsitzender Richter:

Im Oktober?

Zeuge Ludwig Holze:

Oktober 40.

Vorsitzender Richter:

Und sind dort geblieben bis wann?

Zeuge Ludwig Holze:

Bis Ende.

Vorsitzender Richter:

Bis zur Evakuierung des Lagers, das war im Januar 1945.

Zeuge Ludwig Holze:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Wo wurden Sie in Auschwitz eingeteilt?

Zeuge Ludwig Holze:

In die Fahrbereitschaft.

Vorsitzender Richter:

Und zwar, was hatten Sie dort zu tun?

Zeuge Ludwig Holze:

Ich war Tankstellenwart.

Vorsitzender Richter:

Wer war der Leiter der Fahrbereitschaft?

Zeuge Ludwig Holze:

Oberscharführer, nein, Untersturmführer Wiegand.

Vorsitzender Richter:

Untersturmführer Wiegand. Der wurde vertreten durch?

Zeuge Ludwig Holze:

Heger.

Vorsitzender Richter:

Durch den Oberscharführer Heger.

Zeuge Ludwig Holze:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Hatte der Angeklagte Mulka etwas mit der Fahrbereitschaft zu tun?

Zeuge Ludwig Holze:

Glaube nein.

Vorsitzender Richter:

Kannten Sie ihn?

Zeuge Ludwig Holze:

Vom Sehen, ja.

Vorsitzender Richter:

Was war er denn in dem Lager?

Zeuge Ludwig Holze:

Adjutant vom Kommandant Höß.

Vorsitzender Richter:

Adjutant vom Kommandant Höß. Sie kannten ihn vom Sehen her.

Zeuge Ludwig Holze:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Was haben Sie denn gefahren bei der Fahrbereitschaft?

Zeuge Ludwig Holze:

Personenwagen.

Vorsitzender Richter:

Und wer wurde mit den Personenwagen befördert?

Zeuge Ludwig Holze:

Die Offiziere.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie auch einmal einen Sanitätskraftwagen gefahren?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja, einen Truppensanka.

Vorsitzender Richter:

Und wer wurde damit befördert?

Zeuge Ludwig Holze:

Die kranken SS-Angehörigen.

Vorsitzender Richter:

Ist es richtig, daß Sie im Frühjahr 42 einmal infolge eines Unfalls einen Schädelbruch hatten?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja, einen Schädelbasisbruch.

Vorsitzender Richter:

Einen Schädelbasisbruch. Haben Sie auch Fleckfieber gehabt?

Zeuge Ludwig Holze:

Fleckfieber, und anschließend habe ich die Niere verloren.

Vorsitzender Richter:

Ja. Nach dieser Behandlung, wurden Sie da auch noch zum Fahren eingeteilt oder

Zeuge Ludwig Holze [unterbricht]:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Dann waren Sie nur noch Tankwart?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie etwas davon, ob die Kraftwagen der Fahrbereitschaft auch eingeteilt worden sind zum Transportieren von Menschen, die auf der Rampe angekommen waren und die in die Gaskammern gebracht worden sind?

Zeuge Ludwig Holze:

Das weiß ich nur vom Hörensagen, denn wir hatten keine Lastwagen, wir hatten nur Personenwagen. Die Lastwagen waren woanders stationiert.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie, ob Sanitätskraftwagen zu diesem Zweck eingeteilt worden sind?

Zeuge Ludwig Holze:

Sind wohl auch welche gefahren.

Vorsitzender Richter:

Sind wohl auch welche gefahren? Die Sanitätskraftwagen standen doch bei Ihnen.

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

War das in der Praga-Halle?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Wo denn?

Zeuge Ludwig Holze:

Vorne, in der Fahrbereitschaft.

Vorsitzender Richter:

Dann müßten Sie doch eigentlich wissen, ob auch solche Sankas eingesetzt worden sind, wenn Truppentransporte kamen?

Zeuge Ludwig Holze:

Das kann man nicht sagen, weil die Truppentransporte ja meistens nachts kamen und ich am Tage Dienst hatte. Und am Tage sind keine gefahren.

Vorsitzender Richter:

Na, soviel wir bisher hier festgestellt haben, sind auch am Tag Transporte angekommen.

Zeuge Ludwig Holze:

Ja, dann sind die Sankas rausgefahren, ohne daß man das weiß. Denn wenn ein Sanka rausfuhr, dann konnte man nie wissen, wo der hinfuhr, ob in die Stadt oder zum Lager.

Vorsitzender Richter:

Mußten Sie einen Fahrbefehl haben, wenn Wagen gefahren sind?

Zeuge Ludwig Holze:

Innerhalb des Lagerbereiches nicht.

Vorsitzender Richter:

Nicht? Und außerhalb des Lagerbereiches?

Zeuge Ludwig Holze:

Mußte jedes Fahrzeug einen Fahrbefehl haben.

Vorsitzender Richter:

Und wer hat die Fahrbefehle ausgestellt?

Zeuge Ludwig Holze:

Die Standortkommandantur.

Vorsitzender Richter:

Und wer hat sie unterschrieben?

Zeuge Ludwig Holze:

Der Kommandant Höß.

Vorsitzender Richter:

Persönlich?

Zeuge Ludwig Holze:

Persönlich.

Vorsitzender Richter:

Haben Sie solche Fahrbefehle gesehen, die Höß persönlich unterschrieben hat?

Zeuge Ludwig Holze:

Jawohl.

Vorsitzender Richter:

Wissen Sie etwas davon, ob die Sankas auch Giftgas mitbefördert haben, also diese Dosen mit Zyklon B?

Zeuge Ludwig Holze:

Davon ist mir nichts bekannt.

Vorsitzender Richter:

Und die Leute, die diese Sankas gefahren haben, haben Ihnen davon auch nichts gesagt?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Wußten Sie denn, daß dort Vergasungen und Verbrennungen im Krematorium vor sich gingen?

Zeuge Ludwig Holze:

Vom Hörensagen.

Vorsitzender Richter:

[Pause] Ich habe keine Frage mehr an den Zeugen. Herr Doktor Stolting, Sie haben den Zeugen benannt.

Verteidiger Stolting II:

Herr Holze, wenn Sie eben auf die Frage des Herrn Vorsitzenden davon sprachen, daß Sie Fahrbefehle nur brauchten außerhalb des Lagerbereichs, dann möchte ich Sie fragen: Gehörte Birkenau zum Lagerbereich?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Verteidiger Stolting II:

Dazu brauchten Sie dann also nach Ihrer Aussage keinen besonderen Fahrbefehl?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Verteidiger Stolting II:

Waren Sie selbst einmal an der Rampe gewesen?

Zeuge Ludwig Holze:

Innerhalb des Lagers an der Rampe.

Verteidiger Stolting II:

An der Rampe in Birkenau?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein. Innerhalb des Lagers.

Vorsitzender Richter:

Ja, verzeihen Sie, daß ich da eine Zwischenfrage stelle.

Verteidiger Stolting II:

Bitte schön.

Vorsitzender Richter:

Was verstehen Sie darunter: »innerhalb des Lagers«?

Zeuge Ludwig Holze:

Die lag noch innerhalb der Postenkette.

Vorsitzender Richter:

Der Großen Postenkette?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Aber eben haben Sie auf die Frage des Herrn Doktor Stolting gesagt: »Auch Birkenau lag innerhalb der Großen Postenkette.« Und nun will ich wissen, wo Ihrer Meinung nach diese Rampe gewesen ist. Vielleicht können Sie uns

Zeuge Ludwig Holze [unterbricht]:

Gleich hinter dem Wirtschaftsgebäude.

Vorsitzender Richter:

Hinter dem Wirtschaftsgebäude vom Stammlager?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Also er meint offensichtlich die Alte Rampe.

Verteidiger Stolting II:

Ja. Haben Sie an der Alten Rampe mal den Angeklagten Mulka gesehen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein. Ich selbst bin bloß einmal dagewesen.

Verteidiger Stolting II:

Und an dem einen Mal ist er nicht dagewesen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Verteidiger Stolting II:

Haben Sie damals etwas davon gehört, daß der Adjutant des Lagerkommandanten auf der Rampe irgendeinen Dienst versehen hat?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Verteidiger Stolting II:

Dann noch eine andere Frage, ein anderer Komplex: Sind Sie auch mal in Birkenau gewesen mit dem Wagen oder ohne Wagen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Verteidiger Stolting II:

Nie?

Zeuge Ludwig Holze:

Nie.

Verteidiger Stolting II:

Danke sehr, dann habe ich keine Frage.

Vorsitzender Richter:

Keine Frage mehr. Hat die Staatsanwaltschaft Fragen? Bitte schön, Herr Staatsanwalt.

Staatsanwalt Kügler:

Wer war der Fahrer des Kommandanten?

Zeuge Ludwig Holze:

Heger, Oberscharführer Heger.

Staatsanwalt Kügler:

Bezieht sich Ihre Erinnerung auf die gesamte Zeit, während derer Sie in Auschwitz waren, oder können Sie das nur für einen bestimmten Zeitpunkt angeben, daß Heger Fahrer des Kommandanten war?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja, das war eine bestimmte Zeit, so genau kann ich mich nicht entsinnen. Ich weiß nur, daß Heger der Fahrer vom Kommandant war.

Staatsanwalt Kügler:

Heger war der Fahrer vom Kommandant. Wer war Ihr Vorgesetzter, wenn wir mal von dem Herrn Wiegand absehen wollen?

Zeuge Ludwig Holze:

[Pause] Höß.

Staatsanwalt Kügler:

Können Sie sich erinnern, daß Sie mal ein Heiratsgesuch gemacht haben in Auschwitz?

Zeuge Ludwig Holze:

Ich?

Staatsanwalt Kügler:

Ja.

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

In diesem Heiratsgesuch, das ich Ihnen vorlegen möchte, werden also verschiedene Angaben verlangt. Da steht unter anderem auch Name und genaue Anschrift des Vorgesetzten.

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

Da steht »Obersturmführer Höcker, KL Auschwitz, Kommandantur«.

Zeuge Ludwig Holze:

Den kenne ich aber nicht persönlich.

Staatsanwalt Kügler:

Den kennen Sie persönlich nicht?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Staatsanwalt Kügler:

Haben Sie dessen Namen dort gehört?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

War er Ihnen als Adjutant bekannt? Also nicht persönlich, sondern wußten Sie, daß er dort als Adjutant war?

Zeuge Ludwig Holze:

Das weiß ich nicht.

Staatsanwalt Kügler:

Das wissen Sie nicht.

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Staatsanwalt Kügler:

Wollen Sie sich das bitte mal ansehen, ob Sie das damals ausgefüllt haben? [Pause] Die nächste Seite noch. [Pause] Ist das Ihre Unterschrift?

Zeuge Ludwig Holze:

Jawohl.

Staatsanwalt Kügler:

Ja. Können Sie sich daran erinnern?

Zeuge Ludwig Holze:

Ja, ja.

Staatsanwalt Kügler:

Können sich daran erinnern. Danke schön. Geben Sie es bitte dem Herrn Vorsitzenden.

Ich beantrage die Verlesung dieser Fotokopie insoweit, als dort angegeben ist, daß der Angeklagte Höcker der Vorgesetzte des Zeugen war und der Angeklagte Höcker dieses Heiratsgesuch als Vorgesetzter des Zeugen unterschrieben hat.

Verteidiger Stolting II:

Herr Direktor, da bitte ich, vor einer Beschlußfassung mir diese Urkunde erst einmal zu geben, damit ich darin Einsicht nehmen kann.

Staatsanwalt Kügler:

Bitte schön.

Vorsitzender Richter:

Wird von seiten der Staatsanwaltschaft sonst keine Frage mehr gestellt? Rechtsanwalt Ormond?

Nebenklagevertreter Ormond:

Keine Frage, danke.

Vorsitzender Richter:

Raabe? Doktor Kaul.

Nebenklagevertreter Kaul:

Haben Sie Fahrbefehle des Angeklagten Mulka gesehen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Verteidiger Gerhardt:

Das ist doch ein SS-Mann, Herr Kaul.

Nebenklagevertreter Kaul:

Haben Sie

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Meine Herren

Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:

Würden Sie den Herrn Anwalt darauf aufmerksam machen, daß Privatgespräche

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Keine Unterhaltungen.

Nebenklagevertreter Kaul:

Außerdem würde ich mit ihm keine Privatgespräche führen.

Vorsitzender Richter:

Ja, der Rechtsanwalt Gerhardt sollte das nicht tun. Aber ich erinnere mich, daß Sie einmal gesagt haben, Sie wollten an SS-Leute keine Fragen stellen.

Nebenklagevertreter Kaul:

Sehen Sie, man soll niemals »niemals« sagen, nicht.

Vorsitzender Richter:

Eben.

Nebenklagevertreter Kaul:

Aber es steht nicht in der Prozeßordnung drin, daß diese

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Daß Sie das Recht haben dazu.

Nebenklagevertreter Kaul:

Eben.

Vorsitzender Richter:

Natürlich, ja.

Nebenklagevertreter Kaul:

Und von diesem Rechte mache ich Gebrauch, Herr Direktor, und [unverständlich]

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Deshalb habe ich Ihnen ja auch das Wort erteilt.

Nebenklagevertreter Kaul:

Schön. Was ich sonst weiterhin von der Oualifikation halte, werde ich zu gegebener Zeit schon zum Ausdruck bringen, Herr Direktor, da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Also nun möchte ich wissen: Haben Sie Fahrbefehle des Angeklagten Mulka gesehen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Nebenklagevertreter Kaul:

Haben Sie Fahrbefehle des Angeklagten Höcker gesehen?

Zeuge Ludwig Holze:

Nein.

Nebenklagevertreter Kaul:

Haben Sie in dieser Urkunde, die Ihnen eben vorgelegt wurde, die Dienstbezeichnung des Angeklagten Höcker als Vorgesetzten selbst eingesetzt?

Zeuge Ludwig Holze:

Ich? Nein, ich habe doch den Namen Höcker nicht da hingeschrieben.

Nebenklagevertreter Kaul:

Ich habe keine weiteren Fragen.

Vorsitzender Richter:

Von seiten der Verteidigung? Rechtsanwalt Stolting hat keine Frage mehr. Haben die übrigen Verteidiger noch eine Frage? Nein. Der Angeklagte Mulka, haben Sie eine Erklärung abzugeben? Welche Anträge werden bezüglich der Beeidigung gestellt?

Nebenklagevertreter Kaul:

60, Ziffer 3.

Vorsitzender Richter:

60, Ziffer 3. Sonst niemand? Dann nehmen Sie bitte mal Platz, wir werden Sie nachher noch einmal vorrufen.[1]

  1. Der Zeuge Holze blieb gemäß § 60, Ziff. 3 StPO unvereidigt, »da er der Beteiligung an Taten, die den Angeklagten dieses Verfahrens zur Last gelegt werden, verdächtig ist«. Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 04.09.1964, 4 Ks 2/63, Bd. 102, Bl. 667.
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