Angeklagter Wilhelm Friedrich Boger

145. Verhandlungstag 25.03.1965

1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63

Landgericht Frankfurt am Main

145. Verhandlungstag, 25.3.1965

Einlassung des Angeklagten Boger

Angeklagter Boger:

Die Aufnahme, der Erkennungsdienst

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Mal langsam. Die Aufnahme, war die nur unterstellt der Gestapo oder auch dem Kommandanten?

Angeklagter Boger:

Das war eigentlich eine Dienststelle, die für beide, wenn man das so festlegen will, nach beider Richtung hin zu arbeiten hatte. Sie war zunächst einmal eine Dienststelle der Abteilung II und dem Kommandanten unterstellt. Aber soweit sie eben Aufträge zu erledigen hatte, die auch wieder mit den Transporten zusammenhingen, hatte sie auch für das Reichssicherheitshauptamt Aufgaben zu erfüllen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wenn nun jemand aufgenommen wurde, wurde er ja in doppelter Hinsicht aufgenommen: einmal als Beleg für die Gestapo, daß der Mann im KZ ist entsprechend dem Einweisungsbefehl, und einmal für das Lager, damit er in die Sollstärke reinkam.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wie ging das vor sich? Der Herr Stark hat uns darüber nichts Eingehendes erzählt. Sie müßten es ja wissen.

Angeklagter Boger:

Der kann es aber besser sagen. Es ist ja so: die zum Arbeitseinsatz von den Transporten ausgesonderten Juden, die wurden ja damit praktisch auch dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt arbeitsmäßig unterstellt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Richtig.

Angeklagter Boger:

Und insofern wurden sie dann aufgenommen ins Lager. Sie blieben aber unter dem Begriff als RSHA-Juden im Lager. Das hat rein verwaltungsmäßig eine kleine unterschiedliche Behandlung [bedeutet]. Sie wurden zum Beispiel nicht fotografiert wie die anderen Schutzhäftlinge, die mit Schutzhaftbefehl eingeliefert wurden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also die Juden, die auf der Rampe selektiert wurden

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Zur Arbeit.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Zur Arbeit

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Die blieben RSHA-Juden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Die wurden keine Schutzhäftlinge?

Angeklagter Boger:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie waren also weiter vogelfrei.

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Nein, sie waren keine

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Sie konnten jederzeit weggegriffen werden und konnten getötet werden?

Angeklagter Boger:

So war es praktisch.

Ergänzungsrichter Hummerich:

So war es?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie wurden also praktisch nur vom Tod ausgeborgt zum Arbeiten und wurden nicht registriert?

Angeklagter Boger:

Doch

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ich meine, nicht registriert mit Bild

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Nicht in dem Sinne registriert wie die Schutzhaftgefangenen, daß

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Wurde da ein Aufnahmefragebogen aufgenommen, wie es beim Schutzhafthäftling üblich war, mit drei, vier Seiten?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Ja, so ungefähr. Also über die Einzelheiten, da möchte bitte Stark [+ sprechen].

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, gut.

Angeklagter Boger:

Ich weiß nur, daß Blatt 1 der Akte immer der Fragebogen war, auch bei den RSHA-Juden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Der Fragebogen, ja?

Angeklagter Boger:

Der war immer da.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wurden die erkennungsdienstlich behandelt mit Fingerabdruck und allem?

Angeklagter Boger:

Diese RSHA-Juden nicht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nicht?

Angeklagter Boger:

Nur in besonderen Fällen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also war gar nicht daran gedacht, daß die das Lager überleben sollten?

Angeklagter Boger:

Nein, ich glaube kaum.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und die anderen, die richtigen Schutzhäftlinge

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Die wurden ordnungsgemäß

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Die von Kattowitz eingewiesen wurden oder von Krakau oder

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Ja, mit Schutzhaftbefehl, oder von Berlin, ganz gleich, wo sie herkamen. Die hatten den Schutzhaftbefehl. Der war Bestandteil der Akte, da wurde der Fragebogen ausgefüllt, die wurden fotografiert, wurden erkennungsdienstlich behandelt, normal.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wurde auch aufgenommen, wer im Todesfall zu benachrichtigen sei?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Während das bei den RSHA-Juden nicht geschah.

Angeklagter Boger:

Da stand das nicht drauf. Ich kann mich nicht erinnern, daß das irgendwie

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Dann hätte ich dazu keine Frage mehr. Nun zu Ihrer eigenen Abteilung, Ermittlungs- und Nachrichtendienst.

Angeklagter Boger:

Ermittlungsdienststelle.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nachrichtendienst war ja an sich eine reine SD-Angelegenheit.

Angeklagter Boger:

Ja, die lief aber getrennt, wie draußen im Reich auch. Wir hatten jeder einen Nachrichtendienst in der Abteilung. Ich bin überzeugt, daß im Lager selbst noch reine SD-Leute tätig waren.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Waren Sie nachher, als Sie in der Ermittlungsabteilung waren, wieder Mitarbeiter des SD mit oder ohne Abzeichen?

Angeklagter Boger:

Nein, da war ich Soldat.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie haben aber dort trotzdem auch nachrichtendienstliche Ermittlungen angestellt.

Angeklagter Boger:

Ja, natürlich. Das war ja im Rahmen der Aufgaben der Abteilung II notwendig.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und wer hat nun den Umfang der Ermittlungen und die Art der Vernehmungen bestimmt? Wie ging das vor sich?

Angeklagter Boger:

Das kam immer nur auftragsgemäß vom Abteilungsleiter, der ja diese Dienststelle von sich aus in der Hand hatte. Da konnte nun entweder ein Auftrag kommen von irgendeiner Dienststelle von außen. Der wurde einem zugeteilt, und dann wurde bestimmt, der oder der Sachbearbeiter hat das zu erledigen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nun hatte doch nach dem eingehenden Befehl von Müller – der hier auch mal angeschnitten wurde zu einem früheren Zeitpunkt, ich glaube, noch draußen im Römer – Grabner keine Berechtigung, »Verschärfte Vernehmungen« anzuordnen.

Angeklagter Boger:

Die »Verschärfte Vernehmung« als solche anzuordnen hatte ja nur der zuständige Staatspolizeistellenleiter. Zu Grabners Zeiten

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Das war also Mildner oder dieser Zeuge, der mal hier war.

Angeklagter Boger:

Diese Aussagen, die können leicht widerlegt werden. Er war ja zu Grabners Zeiten nicht da. Aber zu seiner Zeit war Schurz da. Und ich war selbst bei mindestens zwei, wenn nicht drei »Verschärften Vernehmungen« unter Schurz' persönlicher Anwesenheit zugegen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wollen Sie damit sagen, daß im Lager, sei es von anderen oder von Ihnen, keine »Verschärfte Vernehmung« durchgeführt worden ist, ohne daß von Kattowitz beziehungsweise von Berlin die Anordnung dazu kam?

Angeklagter Boger:

Ja. Und jede »Verschärfte Vernehmung«, die angeordnet wurde, wurde auch protokollarisch immer vermerkt. Diese Protokolle gingen ja an die Staatspolizei. Also können die Herren nicht sagen, sie hätten davon nichts gewußt, es sei denn, sie hätten die Protokolle auch im Panzerschrank eingeschlossen. Aber jedes Protokoll hat ja irgendwie eine Maßnahme ausgelöst. Also muß das Ding ja auch gelesen worden sein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nun durften aber nach dem Befehl von Müller an sich »Verschärfte Vernehmungen« nicht gegen Beschuldigte durchgeführt werden, sondern nur gegen Zeugen. Wie wurde das bei Ihnen gehandhabt?

Angeklagter Boger:

Es wurden gegen Beschuldigte und gegen Zeugen »Verschärfte Vernehmungen« durchgeführt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und wurde der Gestapoleitstelle mitgeteilt, ob es sich um einen Beschuldigten oder um einen Zeugen handelte?

Angeklagter Boger:

Das ergab sich ja aus den Protokollen und aus dem Bericht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ergab sich aus den Protokollen?

Angeklagter Boger:

Ja natürlich, und dem Abschlußbericht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wurden die Protokolle nur durchgesagt, oder wurden die Protokolle mitgeteilt?

Angeklagter Boger:

Nein, die wurden vorgelegt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wurden in Kattowitz vorgelegt?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Dann mußte ja jeweils die Vernehmung unterbrochen werden.

Angeklagter Boger:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sondern?

Angeklagter Boger:

Das mußte nicht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, haben Sie dann gleich schon im vorhinein »verschärft« vernommen?

Angeklagter Boger:

Nein, nein. Wenn der Zustand erreicht war, daß nichts mehr aus dem Zeugen herauszuholen war, kriegte der Dienststellenleiter den Bericht mündlich vorgetragen. Wie er dann nun zu diesem Befehl gekommen ist – wahrscheinlich telefonisch, das nehme ich an. Und da hat er die »Verschärfte Vernehmung« also telefonisch sich durchgeben lassen vom Stapo-Leiter und hat uns dann den Befehl dazu gegeben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und was geschah nun, wenn ein zu Vernehmender die »Verschärfte Vernehmung« nicht überlebte?

Angeklagter Boger:

Das ist nicht vorgekommen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wir haben es hier verschiedentlich gehört.

Angeklagter Boger:

Nein, das ist nicht vorgekommen. Die »Verschärfte Vernehmung« hatte dann ihren Zweck erfüllt, wenn entweder das Geständnis da war, oder es war eben ein Zustand da, wo absolut nichts mehr aus dem Zeugen herauszuholen war. Aber totgeschlagen wurde da keiner.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und wenn er zwei Tage später daran gestorben ist?

Angeklagter Boger:

Wenn er erschossen worden ist, das ist möglich.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und wenn er im Krankenbau gestorben ist?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Aber nicht aufgrund der »Verschärften Vernehmung«.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie sagten gerade: erschossen worden ist.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie sagten vorher, Sie seien keine Weisungsbehörde wie die Allgemeine Gestapo gewesen, sondern reine Befehlsbehörde.

Angeklagter Boger:

Ja. Damit hatten wir ja dann auch nichts mehr zu tun praktisch.

Ergänzungsrichter Hummerich:

War denn in Auschwitz die Trennung zwischen reiner Exekutivabteilung und dem Ermittlungs- und Nachrichtendienst so scharf durchgeführt wie im übrigen Reich? Sie werden wahrscheinlich als Gestapo-Fachmann wissen, was ich meine?

Angeklagter Boger:

Ja. Also zu meiner Zeit war das bestimmt so. Da sind im allgemeinen die Angehörigen des Ermittlungsdienstes nicht zu Exekutionen herangezogen worden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nun aber folgendes: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Verbindung mit den Einlassungen von Ihnen und den anderen Angeklagten muß man doch davon ausgehen, wenn an der Schwarzen Wand eine Exekution durchgeführt wurde, daß zunächst einmal die einzelnen Sachbearbeiter Ihrer Abteilung, der Ermittlungsabteilung, den Stand der Ermittlungen vortrugen, ich will es dahingestellt sein lassen, unter Umständen ja auf Vordruck: Hier ist jetzt das Todesurteil bestätigt, was vorstellbar wäre, und daß dann die Erschießungen durchgeführt wurden.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Dann waren Sie doch als Sachbearbeiter zunächst noch da. Ist es da nie vorgekommen, daß der Grabner einfach befohlen hat, jetzt muß der einfach die Erschießung vornehmen?

Angeklagter Boger:

Das ist wohl vorgekommen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das ist wohl vorgekommen?

Angeklagter Boger:

Ja, ich möchte das als Mut- und Gehorsamsproben [+ bezeichnen], die er dem einzelnen oder anderen auferlegt hat.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Schließen Sie sich dabei aus, oder müssen Sie sich dabei einschließen?

Angeklagter Boger:

Ich schließe mich dabei ein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

In wie vielen Fällen haben Sie Erschießungen durchgeführt?

Angeklagter Boger:

In einem einzigen Fall, zweimal.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Schildern Sie das mal.

Angeklagter Boger:

Ich habe in dieser Angelegenheit meinem Verteidiger Herrn Doktor Aschenauer eine Erklärung abgegeben und habe dort ausführlich den Fall geschildert. Ich glaube nicht

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Aber wir haben hier Hauptverhandlungsprinzip, und da müßten Sie das schon mündlich darstellen.

Angeklagter Boger:

Es ist ja auch eine Erklärung von mir verlesen worden in der Hauptverhandlung, auf die ich mich bezogen habe.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, das ist die alte bei den Amerikanern.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber wir haben hier Hauptverhandlung, und das müssen Sie schon tun, Boger.

Angeklagter Boger:

[Pause] Es dürfte im März gewesen sein 1943, als ich bereits wiederholt bei den Bunkerräumungen zugegen war, einmal [Pause] von Grabner bei einer [Pause] Es wurde eine »Bunkerentleerung« durchgeführt, bei der das Merkwürdige war, daß sie plötzlich abgebrochen wurde. Grabner wurde von unten – wir waren alle unten, wie das so üblich war – nach oben gerufen, kam nach einiger Zeit wieder in den unteren Kellerraum und sagte: »Wir müssen abbrechen.«

Wir hatten etwa die Hälfte der Zellen durchgegangen. Es wurden dann nur die nach oben gebracht, die zum Tod bestimmt waren, während alle anderen, die sonst für eine Bestrafung nach Lagerordnung oder zur Entlassung vorgesehen waren, wieder in die Zelle eingeschlossen wurden. Wir gingen nach oben. Wie ich nach oben kam, [Pause] waren Höß und ein mir unbekannter SS-Führer mit Grabner aus dem Arrestaufseherzimmer gekommen. Wir gingen dann raus, die Exekutionen begannen.

Es hatten Palitzsch und Quakernack zunächst die Vorgeführten an der Schwarzen Wand erschossen. Und nach etwa zwei oder drei Erschießungen sagte Grabner: »Quakernack, geben Sie Ihr Gewehr ab, es schießt weiter Oberscharführer Boger.« Daraufhin habe ich zwei Häftlinge erschossen.

Alsdann hat Grabner wieder eine Ablösung befohlen, [Pause] und es wurden nach mir noch zwei- oder dreimal ebenfalls in diesem Ablöseverfahren von Angehörigen der Abteilung II Erschießungen durchgeführt. Das war der einzige Fall, in dem ich herangezogen wurde, wo ich befehlsgemäß von Grabner Exekutionen durchgeführt habe.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Sie sagen, das sei der einzige Fall. Haben Sie irgend etwas getan, um zu verhindern, daß Sie öfters herangezogen wurden? Oder wollen Sie sagen, Sie seien gar nicht mehr herangezogen worden? Oder sind Sie herangezogen worden und haben dann nein gesagt?

Angeklagter Boger:

Ich bin daraufhin am anderen Tag zu Grabner und habe ihm gesagt: »Entweder bin ich hier und arbeite im Ermittlungsdienst, oder aber ich werde für andere Zwecke von Ihnen verwendet. Beides zusammen ist nicht zu vereinbaren. Ich kann das nicht verkraften.« Entweder ist er mit meiner Arbeit zufrieden auf meinem Sektor oder nicht.

Ja, er hat dann erkennen lassen, daß es ihm selber unangenehm gewesen sei. Aber es ging nicht anders. »Ich werde dafür sorgen«– auch der Kommandant hätte ihm gesagt, er sei mit meiner Arbeit zufrieden –, daß das für mich nicht mehr in Frage kommt. Es ist auch nicht mehr in Frage gekommen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Jetzt etwas anderes: Nun haben wir gehört, daß auch Menschen mit Phenol getötet wurden im Krankenbau. Nun gehörten, wie Sie uns ja sagten, in der Ausgangsposition alle Gefangenen der Geheimen Staatspolizei, ob das nun Juden waren aus dem Eichmann-Vernichtungsprogramm oder Juden als Schutzhäftlinge.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und ich glaube doch kaum, daß die Geheime Staatspolizei sich von Ärzten oder Sanitätern ihre Häftlinge töten ließ. Wie ging das vor sich? Inwieweit hat da Ihre Abteilung, also die Abteilung Grabner, in der Sie tätig waren, mitgewirkt?

Angeklagter Boger:

Zu diesem Programm kann ich keine konkreten Angaben machen. Mir ist in der Hinsicht nichts Konkretes bekanntgeworden. Daß Grabner hier irgendwie Einfluß hatte, das konnte ich aus verschiedenen Wahrnehmungen wohl vermuten, und es dürfte auch

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Bedeutet das, daß diese Tötungen erfolgten ohne irgendwelche Gestapo-Voraussetzungen?

Angeklagter Boger:

Das möchte ich nicht

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Rein sicherheitsdienstliche Voraussetzungen, wollen wir mal sagen.

Angeklagter Boger:

Das könnte sehr wohl sein. Denn ich kann das nur wieder aus Vermutungen, die mir dann im Lauf des Verfahrens mit der »Aktion Morgen« bekanntgeworden sind

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Das würde also bedeuten, daß diese Tötungen geschahen allein aus Zweckmäßigkeitsvoraussetzungen des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts heraus,daß unnütze Esser weg sollten?

Angeklagter Boger:

Des Reichssicherheitshauptamts, soweit es sich um RSHA-Juden handelte.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und bezüglich der anderen, die krank waren und nicht mehr arbeiten konnten?

Angeklagter Boger:

Da wird ja auch irgendwie eine Regelung vom Reichssicherheitshauptamt zugrunde gelegen haben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

War da nun Kattowitz dann wieder dafür zuständig oder in diesem Fall direkt Berlin?

Angeklagter Boger:

Nein, das wird direkt Berlin gewesen sein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das Standesamt, unterstand das nun dem Lagerkommandanten oder der Gestapo?

Angeklagter Boger:

Das war reine Kommandantursache. Obwohl es da vielleicht auch mal möglich gewesen sein kann, daß die Stapo irgendwelche Anfragen daran gerichtet hat. Das ist durchaus möglich.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also soweit staatspolizeiliches Interesse gegeben war?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber an sich war das Standesamt eine reine

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Eine reine Kommandanturdienststelle.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Während die Meldungen der Abwicklung, also der Vernichtung der Transporte, aber Sache der Aufnahmeabteilung waren?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

RSHA, ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und innerhalb der Regie der Gestapo?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Die Krematorien, wem unterstanden die?

Angeklagter Boger:

Die Krematoriumsverwaltung unterstand zunächst einmal auch dem Leiter der Abteilung II.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also nicht dem Kommandanten?

Angeklagter Boger:

Damit auch wieder dem Kommandanten natürlich.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also indirekt.

Angeklagter Boger:

Indirekt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber zunächst einmal Abteilung II, Reichssicherheitshauptamt.

Angeklagter Boger:

Zunächst Abteilung II, ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das bedeutet, daß sämtliche Tötungen, die bei den Krematorien durchgeführt wurden, auch Reichssicherheitshauptamts-Angelegenheit waren?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wobei Sie ausschließen, daß der Kommandant in gewissem Umfange direkt vom Reichssicherheitshauptamt Befehle bekam.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und insgesamt

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Ich habe auch angenommen, daß zum Beispiel der Kommandant eine gewisse Standrechtsbefugnis in diesem Lager hatte. Und aufgrund dieser Standrechtsbefugnis – so hatte mir wenigstens Grabner zu verstehen gegeben gleich am Anfang – habe ich auch angenommen, daß die »Bunkerentleerungen« als solche im Rahmen der Standrechtsbefugnis des Kommandanten ihre Rechtmäßigkeit hatten.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das kann man ja von den Juden-Transporten nicht behaupten, daß das mit Standrecht zusammengehängt hat.

Angeklagter Boger:

Das hat damit nichts zu tun. Nein, ich spreche jetzt von den »Bunkerentleerungen« in diesem Zusammenhang.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Von den »Bunkerentleerungen«.

Angeklagter Boger:

Und für die Transporte war es ganz klar.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Boger, nun waren Sie ja doch lange genug im Polizeidienst tätig, in der Staatspolizei, Bereich Stuttgart, Grenzkommissariat, und Sie wußten doch, was Standrecht war.

Angeklagter Boger:

Ja sicher.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Standrecht hatte, wenn ich mich da [+ nicht] irre, doch zur Voraussetzung, daß unmittelbar zuvor ein die Sicherheit bedrohendes Ereignis eingetreten war.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das war die Voraussetzung.

Angeklagter Boger:

Ja, ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Akut mußte die Sicherheit [+ bedroht sein]. So haben Sie es doch gelernt. Sie waren doch auf der Schule gewesen.

Angeklagter Boger:

Das war zweifellos auch im Lager durch die Tätigkeit der Widerstandsbewegung hinreichend gegeben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Na, die hatten doch höchstens ein Küchenmesser. Und Sie waren gut bewaffnet.

Angeklagter Boger:

Ich glaube, die Verhandlung hat schon anderes ergeben. Wenn man den kleinen Aufstand im Krematorium draußen berücksichtigt und den geplanten Aufstand in Birkenau, der rechtzeitig verhindert werden konnte

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Aber Boger, das ist doch das Risiko derjenigen, die so rücksichtslos Leute umbringen. Das ist doch das Risiko, was drin ist.

Angeklagter Boger:

Ja, rücksichtslos. Ich möchte das also entschieden bestreiten, daß dort rücksichtslos von uns kleinen Leuten Leute umgebracht wurden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber innerhalb der Organisation doch rücksichtslos.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das können Sie doch kaum bestreiten.

Angeklagter Boger:

Im Gegenteil. Ganz im Gegenteil. Aber wir waren als kleine Leute

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Das kann man ja nicht mehr mit unmenschlich bezeichnen, das war ja doch

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Bitte?

Ergänzungsrichter Hummerich:

Unmenschlich wäre zu wenig gesagt.

Angeklagter Boger:

Ja, aber für uns kleine Leute war hier keine Möglichkeit gegeben, irgendwie etwas zu tun, was diese Sache verhindert hätte.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber die Standrecht-Möglichkeiten zu forcieren, war auch nicht notwendig.

Angeklagter Boger:

Das war wiederum Sache der Vorgesetzten, auf die wir kleinen Leute keinen Einfluß hatten.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Boger, Sie waren einmal Hauptsturmführer gewesen.

Angeklagter Boger:

Ja. Und ich habe mich mit Erfolg

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Sie hatten die Fähigkeit zu einem Kriminalkommissar mitgebracht. Und wenn wir jetzt mal auf die Sache von Scharfenwiese eingehen, dieses Umlegensollen dieses Ic-Hauptmanns

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Nein, das ist kein SD-Hauptmann, das war ein

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ic-Hauptmanns, dieses Wehrmachtsmanns.

Angeklagter Boger:

Jawohl.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das war doch eine reine SD-Angelegenheit. Hat doch mit Gestapo nichts zu tun gehabt im Zweifel.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Stimmt doch, eine reine SD-Geschichte?

Angeklagter Boger:

Ja. Das war eine reine SD-Geschichte.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Eine ungesetzliche SD-Geschichte, die völlig nebendran lief.

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Natürlich, und die habe ich auch abgelehnt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Da haben Sie doch gewußt, wie es zugeht.

Angeklagter Boger:

Ja sicher habe ich das gewußt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und Sie kannten auch Ihre Möglichkeiten.

Angeklagter Boger:

Ja, dort hatte ich die Möglichkeit

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ich halte Sie nicht für dumm.

Angeklagter Boger:

Aber ich hatte die nicht nach meinem Einsatz bei der Bewährungseinheit und nach meiner Ankunft in Auschwitz, wo ich vom Reichsführer SS

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Da saßen Sie doch zunächst mal im Wachbataillon.

Angeklagter Boger:

Ja, und dann kam ich

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Und da konnte ja der Boger mal im Wachbataillon die Stellung halten.

Angeklagter Boger:

Das konnte ich nicht. Auch mein Kompanieführer war hier und hat als Zeuge ausgesagt. Er konnte sich wahrscheinlich, wie auch der Zugführer, der hier ausgesagt hat, nicht mehr an den Boger erinnern. Das hat auch wieder natürlich verständliche Gründe. Aber für mich war keine Möglichkeit. Ich habe ja dem Grabner gesagt, entweder

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Warum haben Sie damals, Herr Boger, warum haben Sie damals die Zeugen nicht so angesprochen, wie Sie heute hier reden?

Angeklagter Boger:

Ich habe das bei dem einen versucht. Das hat ja keinen Erfolg gehabt.

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Das ist falsche Kameradschaft, ist das.

Angeklagter Boger:

Und beim andern hätte es wahrscheinlich auch keinen Erfolg gehabt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also Sie wollen sagen, Sie hatten keine Möglichkeit, sich wenigstens im Wachsturmbannn zu halten?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Nein, ich wurde nach Auschwitz geschickt auf Befehl des Reichsführers SS bis zum Kriegsende. Und Grabner hat mir unmißverständlich im Zusammenhang mit der ersten Ermittlungssache gegen Kral bedeutet: »Wenn Sie nicht wollen, dann kommen Sie dahin, wo Sie hingehören. Aber glauben Sie nicht, daß Sie an die Front kommen. Dann gehen Sie in ein Straflager.« Und das war für mich das einzige, was mir bevorstand, nicht an die Front. Die Front war viel einfacher. Für mich hat die Front, selbst bei der Bewährungseinheit, nicht die Nerven gekostet wie dort in Auschwitz. Das dürfen Sie mir glauben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und warum haben Sie dann die »Verschärften Vernehmungen« bis zum Letzten getrieben?

Angeklagter Boger:

Die haben wir nicht bis zum Letzten getrieben. Die »Verschärften Vernehmungen«, die der Boger durchgeführt hat, die sind jederzeit zu verantworten. Aber was geschehen ist von anderen, die nicht der Abteilung II angehörten, das steht auf einem anderen Blatt. Das mögen die Herren verantworten. Ich glaube, ein Prozeß, der zur Zeit in Freiburg läuft, der hat das genügend gezeigt.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Boger, nun folgendes: Es waren doch eine ganze Serie Zeugen hier, die von dem bösen Boger gesprochen haben. [Pause] Ich habe nichts über

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Der ist nun der einzige. Ja natürlich, der Boger ist der einzige, an dem es natürlich hängenbleibt. Der Boger wurde geschnappt im Jahr 45, sollte nach Polen gehen. Da hat sich natürlich alles gefreut gehabt. Der Boger ist eben nicht in Polen gelandet. Daß sich natürlich hier die Haßwelle auf dem Boger auslädt, das ist ganz klar.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Boger, aber was anderes: Es wurde gesagt von einem Zeugen, daß es vorkam, daß sie bei dem Antreten beim Appell irgendwelche Leute rausziehen mußten

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Niemals, ich hatte mit dem Appell überhaupt nichts zu tun. Ich habe niemals einen Früh- oder einen Abendappell mitgemacht. Das

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ja, jetzt warten Sie mal. Es ist ja durchaus denkbar, daß Sie einen Befehl hatten, irgendwelche Leute für die Abteilung II sicherzustellen, [...] die benötigt wurden. Soll das auch nicht wahr sein?

Angeklagter Boger:

Nein, da war gar keine Voraussetzung dafür gegeben. Wenn wir Leute zur Vernehmung brauchten

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Dann sagen Sie mal, wie die Leute geholt wurden, zum Beispiel wenn große Erschießungen waren von Leuten. Wir wissen ja, daß auch Leute im Lager waren, die schon zum Tode verurteilt waren.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wenn nun die Urteilsbestätigung kam, wie wurden die rausgezogen zur Exekution?

Angeklagter Boger:

Dazu hatte ich also persönlich gar nichts zu tun. Das wurde alles veranlaßt von der Geschäftsstelle, von Kirschner. Und [+ von] Kirschner, da gingen dann die Zettel für den einzelnen rüber an das Schutzhaftlager.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Also Zettel gingen rüber?

Angeklagter Boger:

Ja, oder Listen, ich weiß ja nicht, wie das war, zum Schutzhaftlagerführer. Die Leute wurden bestellt, die wurden am Tor morgens aufgehalten. Und dann wurden sie wahrscheinlich von da aus rübergeführt in den Bunker. Das war ungefähr der [unverständlich]

Vorsitzender Richter:

Kaduk, Sie wollten was dazu sagen.

Angeklagter Kaduk:

Wir bekamen den Bescheid von der Politischen Abteilung nach dem Appell. Wir bekamen ihn von der Politischen Abteilung vom Oberscharführer Kirschner, oder wer es gewesen war, der kam und sagte uns: »Morgen früh um 8.30 Uhr müssen Häftlinge am Block 24 oder an der Glocke [+ sein].« Die Häftlinge, die rückten nicht aus und die wurden durchgesagt. Und dann wurden sie erschossen am Schwarzen Brett.

Gegen neun Uhr oder halb zehn wurde dann der Arzt bestellt, ist der Schutzhaftlagerführer gegangen. Und von der Politischen Abteilung ist immer jemand dabei gegangen. Die Politische Abteilung aber hatte mit den Häftlingen gar nichts zu tun. Nur wir hatten zu tun mit den Häftlingen, und die wurden dann von der Stärke abgezogen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Ja, Boger, nun weiter.

Angeklagter Boger:

Mit dieser Aktion hatte ich also absolut gar nichts zu tun.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Etwas ganz anderes jetzt noch. Welchen Einblick hatten die übrigen Lagerangehörigen, SS-Personal, also erstens die Schutzhaftlagerführung, bis zum Blockführer runter, und zweitens der medizinische Sektor, der hier auch vertreten ist?

Welchen Einblick hatten diese Leute in die Gesamtorganisation, die Sie uns eben geschildert haben: den Einfluß der Gestapo, daß also die eigentliche Leitung, die entscheidende Leitung des Lagers, soweit die Häftlinge davon betroffen wurden, nicht beim Kommandanten lag, sondern in Wirklichkeit bei der Abteilung II, daß also die Abteilung II praktisch die Macht im Lager ausübte?

Angeklagter Boger:

Die Angehörigen der Abteilung III, das medizinische Personal, soweit es sich nicht um den Standortarzt selber handelte, hatten dort

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Gehörte übrigens der Standortarzt dem SD an?

Angeklagter Boger:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Nicht?

Angeklagter Boger:

Nein.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wer gehörte dem SD an im Lager? Damit ich das nicht vergesse.

Angeklagter Boger:

Dem SD gehörten offiziell nur der Leiter der Abteilung II und sein Vertreter an.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Der Schurz?

Angeklagter Boger:

Ja, als Angehöriger der Geheimen Staatspolizei. Ob aber, und ich vermute das sehr stark, der eine oder der andere SS-Führer dem SD als solcher, nicht der Gestapo, angehört hat

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Also nur dem SD?

Angeklagter Boger:

Nur dem SD, ohne aber die SD-Raute zu tragen

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Also nicht dem staatlichen, sondern dem parteimäßigen Nachrichtendienst.

Angeklagter Boger:

Ja. Denn es gab ja auch SD-Mitarbeiter, die

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Die nicht zur Gestapo gehörten.

Angeklagter Boger:

Die nicht zur Gestapo gehörten, die aber der SS angehörten und keine SD-Raute trugen. Das waren solche, die nicht hauptamtlich beim SD tätig waren, sondern die das mehr oder weniger nebenbei ehrenamtlich gemacht haben, und so war zweifellos auch

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Ehrenamtliche Zuträger?

Angeklagter Boger:

Ja, also nebenbei.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und? War da sonst niemand, der offiziell dort war?

Angeklagter Boger:

Nein, nein, niemand.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Auch der Standortarzt nicht?

Angeklagter Boger:

Auch der Standortarzt

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Nun sagen Sie, was wußte der Standortarzt vom Ganzen, was wußten die Ärzte, Apotheker und sonstige, Zahnärzte, alle, die da waren? Sanitäter, Hilfssanitäter?

Angeklagter Boger:

Ich nehme an, daß die Ärzte mindestens insoweit informiert waren, als sie aus diesen Transporten eben die Arbeitsfähigen herauszusuchen hatten. Inwieweit den Ärzten aber die Einzelheiten der damit zusammenhängenden Erlasse des Reichssicherheitshauptamtes bekannt waren, das weiß ich nicht. Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Jetzt mal langsam, Boger, mal langsam. Sie sagen: Arbeitsfähige heraussuchen. Wir haben von Lagerselektionen gehört, wo die Kranken und Schwachen herausgesucht wurden.

Angeklagter Boger:

Ja, praktisch doch dasselbe.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Oh nein.

Angeklagter Boger:

Nicht mehr arbeitsfähig, nicht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Oh nein.

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wo wurden denn die Arbeitsfähigen

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Weil diese Erlasse, die habe ich selber nicht zur Kenntnis bekommen. Ob die der einzelne Arzt [+ gesehen hat], das weiß ich auch nicht. Der Standortarzt hat sie mindestens gehabt.

Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:

Aber das Ergebnis wurde Ihnen bekannt.

Angeklagter Boger:

Bitte?

Ergänzungsrichter Hummerich:

Das Ergebnis wurde Ihnen bekannt.

Angeklagter Boger:

Das habe ich hinreichend kennengelernt, wer hat das nicht kennengelernt. Jeder einzelne praktisch, der mindestens mit dem Schutzhaftlager oder mit der Abteilung II zu tun hatte. Es sind ja auch lange nicht alle Erlasse in die Hände der Angehörigen der Abteilung II gekommen, bei weitem nicht.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wie war denn das mit so einem Blockführer? Was wußte der vom Lagergeschehen?

Angeklagter Boger:

Gar nichts. Praktisch gar nichts von den Erlassen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Er wußte etwas davon, welche Macht der einzelne Vorgesetzte hatte, was der eine konnte, was der andere?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Nein, das konnte der niemals übersehen. Der konnte auch den Lauf und die Zuständigkeit nicht erkennen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Konnte er übersehen, wenn einer sagte, das geht nicht oder das geht? Alles nicht?

Angeklagter Boger:

Soweit es seinen persönlichen Rahmen [+ betraf], also bis zum Schutzhaftlagerführer, da konnte er es vielleicht übersehen. Aber was die größeren Aktionen [+ betraf], da konnte er nicht erkennen, woher der Befehl kam.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und die Befehle, die kamen auch ohne Erklärung, wo sie herkamen?

Angeklagter Boger:

Für die Leute also nicht erkennbar.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Der Befehlsgeber gab den Befehl immer so, als ob es sein eigener Befehl wäre?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Wie es in der SS befohlen war?

Angeklagter Boger:

Ja, wie es befohlen war. In besonderen [+ Fällen], bei Hinrichtungen zum Beispiel, konnte ja auch ein Exekutionsbefehl daliegen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Dann wurde gesagt, von wem er kommt?

Angeklagter Boger:

Ja, das wurde dann mit verlesen.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Aber sonst der einzelne Befehl, die Herkunft, über wie viele Männer der Befehl oder Führerbefehl [+ gelaufen war], wurde nie gesagt?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Das konnte keiner erkennen. [+ Einen Befehl], der mündlich gegeben wurde, konnte keiner erkennen von uns.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Der wurde immer als Direktbefehl gegeben?

Angeklagter Boger:

Ja, der wurde als direkter Befehl gegeben.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Diese Vorschrift wurde immer streng eingehalten?

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Der war klar und bestimmt gehalten, hat in seiner Ausführung keinen Zweifel gelassen und mußte ausgeführt werden.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Und Sie wollen also abschließend sagen, Sie haben nur einmal an Erschießungen teilgenommen?

Angeklagter Boger:

Ja.

Ergänzungsrichter Hummerich:

Dann habe ich keine Fragen mehr.

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Und ich möchte auch sagen, daß ich sonst niemals irgendwie eigenmächtig, aus Willkür, irgendwelche Erschießungen durchgeführt habe und auch niemals gezwungen war, aufgrund eigenen Entschlusses bei irgendeiner Lage die Schußwaffe zu gebrauchen.

Vorsitzender Richter:

Moment, Boger. Wann ist denn das gewesen mit den zwei Erschießungen?

Angeklagter Boger:

Ja, der genaue Zeitpunkt – das dürfte etwa im März gewesen sein. Das liegt zwischen den beiden Ermittlungen in der Sache gegen einen Hauptscharführer und gegen die Langefeld, 1943.

Vorsitzender Richter:

1943.

Angeklagter Boger:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Und wie hießen die zwei?

Angeklagter Boger:

Das ist mir unmöglich zu sagen.

Vorsitzender Richter:

Das wissen Sie nicht mehr. Aber bisher haben Sie doch immer gesagt, Sie hätten keinen einzigen Menschen in Auschwitz umgebracht.

Angeklagter Boger:

Soweit es eigenmächtige, willkürliche Aktionen waren

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Danach hat man Sie nicht gefragt. Sie haben hier immer wieder versichert: »Kein einziger Mensch in Auschwitz ist durch mich zu Tode gekommen.«

Angeklagter Boger:

Herr Präsident, wenn eine solche Fülle auf einen zukommt, wie mir vom Jahr 1958 an, dann ist es unmöglich, hier von vornherein sich festzulegen auf eine Sache, die dann nachher Folgen gebracht hätte, mit denen ich einfach nicht mehr fertig geworden wäre.

Vorsitzender Richter:

Aber gerade wenn es nur zwei Fälle waren und man legt Ihnen eine solche Fülle zur Last, wäre es da nicht besser gewesen, Sie hätten von Anfang an gesagt, nur in diesen zwei Fällen. Denn sehen Sie mal, Sie waren doch hier bei der Verhandlung dabei. Sie wissen doch, wie viele Menschen hier aufgetreten sind und gesagt haben: »Der Boger war der Teufel.« »Der Boger war der Tod von Auschwitz.« »Der Boger war der Schreckensmann.« »Den haben wir immer mit einem Gewehr zum Bunker fahren sehen.«Das haben Sie doch gehört.

Angeklagter Boger [unterbricht]:

Der Boger hatte nie ein Gewehr. Ja, das habe ich gehört. Ich habe ja zu jedem einzelnen Fall im Lauf der Hauptverhandlung Stellung genommen.

Vorsitzender Richter:

Ja, und Sie haben immer gesagt: »Durch meine Hand ist keiner zu Tode gekommen.« Genau wie Sie heute sagen: »Es ist keine ›Verschärfte Vernehmung‹ gewesen, nach der ein Mensch gestorben ist«, von Ihnen aus. Das sagen Sie doch heute noch, nicht?

Angeklagter Boger:

Ja.

Vorsitzender Richter:

Sehen Sie. Und Sie wissen doch, was uns die Zeugen hier erzählt haben.

Also Sie bleiben dabei, daß [+ Sie nur] in diesem einzigen Fall [+ Menschen erschossen] haben und daß Sie sonst auch kein Gewehr gehabt haben, wenn Sie durchs Lager gegangen sind?

Angeklagter Boger:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Na ja. Bitte schön.

Richter Perseke:

Boger, ich habe auch noch eine Frage an Sie. Als Sie vorhin den Fall schilderten, in dem Sie selbst zweimal geschossen haben, sagten Sie, daß Grabner dann Ihre Ablösung befohlen hätte und daß dann andere Angehörige der Politischen Abteilung weitergeschossen hätten.

Angeklagter Boger:

Ja, ja.

Richter Perseke:

Wer waren diese Angehörigen der Politischen Abteilung?

Angeklagter Boger:

Darüber mache ich keine Angaben.

Richter Perseke:

Darüber machen Sie keine Angaben.

Angeklagter Boger:

Nein.

Vorsitzender Richter:

Herr Rechtsanwalt Raabe.

Nebenklagevertreter Raabe:

Herr Präsident, darf ich mir die Frage erlauben, ob dem Gericht ein schriftliches Geständnis des Angeklagten Boger etwa vorliegt. Denn der Angeklagte Boger hat hier immer auf irgendwas Bezug genommen, und ich hatte das Gefühl, daß der Herr Ergänzungsrichter das schon kannte. Deshalb meine Frage, ob da etwas vorliegt.

Vorsitzender Richter:

Also ich habe gar nichts, Herr Rechtsanwalt.

Nebenklagevertreter Raabe:

Sie haben nichts. Danke schön.

Vorsitzender Richter:

Worauf der Boger Bezug genommen hat, das soll etwas sein, was hier mal verlesen worden ist.

Verteidiger Aschenauer:

Nein, was ich habe.

Vorsitzender Richter:

Was Sie haben, so.

Nebenklagevertreter Raabe:

Der Angeklagte Boger sagte

Verteidiger Aschenauer [unterbricht]:

Ich habe dem Gericht nichts übergeben.

Vorsitzender Richter:

Ja, ich habe auch nichts. Ich weiß von gar nichts. Ich bin heute völlig überrascht über dieses Geständnis.

Verteidiger Gerhardt:

Herr Vorsitzender, ich hätte eine Frage an den Angeklagten Boger.

Vorsitzender Richter:

Bitte schön, ja.

Verteidiger Gerhardt:

Herr Boger, Sie haben ja wiederholt hier im Verlauf des Verfahrens gehört, daß auch öffentlich Exekutionen stattgefunden haben. Wissen Sie, von wem diese öffentlich durchgeführten Exekutionen angeordnet worden sind?

Angeklagter Boger:

Soweit es sich um Erhängungen handelte, ja.

Verteidiger Gerhardt:

Um Erhängungen, ja, das interessiert mich.

Angeklagter Boger:

Vom Reichssicherheitshauptamt.

Verteidiger Gerhardt:

Reichssicherheitshauptamt. Danke.

Vorsitzender Richter:

So. Dann, bitte, rufen Sie die Zeugen herein. Oder sind noch irgendwelche Anträge oder was zu stellen?

Verteidiger Bürger:

Einen kurzen Beweisantrag wollte ich nur stellen.[1]

Vorsitzender Richter:

Ja, aber meine Herren.

Verteidiger Bürger:

Hier ist nur eine kurze Urkunde, die verlesen werden soll.

Vorsitzender Richter:

So.

Verteidiger Bürger:

Ich überreiche mit dem Antrag auf Verlesung die Sterbeurkunde des Musikers Bruno Graf aus Düsseldorf und drei Schreiben der Stadt Düsseldorf an mich. Nach der Sterbeurkunde des Musikers Bruno Graf[2]

  1. Beweisantrag von Verteidiger Bürger vom 05.03.1965, Anlage 4 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 25.03.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 109.
  2. Anlagen zum Beweisantrag von Verteidiger Bürger vom 05.03.1965, Anlage 4 zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 25.03.1965, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 109.
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