Zeuge Peter Budan
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess
»Strafsache gegen Mulka u.a.«, 4 Ks 2/63
Landgericht Frankfurt am Main
66. Verhandlungstag, 16.7.1964
Vernehmung des Zeugen Peter Budan
Vorsitzender Richter:
[+ Sind Sie damit einverstanden, daß wir Ihre Aussage auf] Band aufnehmen?
Zeuge Peter Budan:
Bitte.
Vorsitzender Richter:
Zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts, nicht zur Veröffentlichung, ja? Ja, also der Lachmann hat Sie herausgezogen und hat gesagt: »Ich brauche einen Blockschreiber.«
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
»Oder einen Schreiber.«
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Und?
Zeuge Peter Budan:
Das ging folgendermaßen vor, er sagte: »Kommen Sie mal her«, nahm mich in Block 11, und dann setzte er sich auf einen Schemel, ich vis à vis. Und da sagte er: »Lesen Sie mal das.« Das war so ein kleiner Revers, und da stand drauf: »Ich verpflichte mich hiermit, was ich in diesem Block 11«, ja, so ungefähr der Sinn, ja, »sehe und was sich abspielt, keinem Menschen etwas, auch keinem Mithäftling, nichts zu sagen«, ja. Sagt er: »Und das unterschreiben Sie. Und wenn Sie es nicht einhalten«, nimmt er die Pistole raus, hält sie mir auf die Brust und sagt: »Sie wissen, was das bedeutet.« Ich sage: »Jawohl, Herr Obersturmbannführer.“
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und dann kam ich herein. soll ich da weiter schildern jetzt?
Vorsitzender Richter:
Ja, nun, uns interessiert Ihre Tätigkeit im Bunker 11 sehr.
Zeuge Peter Budan:
Ja, da wurde mir dann gesagt: Gut, ich habe hier die einzelnen Häftlinge, bis auf den SS-Bunker, damit hatte ich nichts zu tun, das wurde ja separat geführt, der war auch in dem Gebäude. Ich mußte den Stamm aufnehmen, stets die Meldungen machen und auch die Leute, die in Quarantäne durchgingen. Das waren Leute, die dann weitergeschickt wurden, die noch ein bißchen kräftig waren, in Fabriken also und Rüstungsbetriebe. Die gingen durch. Wenn jetzt eine Exekution kam, also diese Erschießung mit Flobertgewehr, dann wurden die zur Seite getrieben. Wir waren ja abgeriegelt, daß auch die anderen Blocks nichts merken konnten, Sie haben ja nur den Peitschenknall gehört. Und dann wurde ich von Oberscharführer Doering, glaube ich, hieß er
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Oder Gehring?
Zeuge Peter Budan:
Oder Göring
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Gehring.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ich kann mich leider
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Sagt er: »So, jetzt geht es los, jetzt kommen Sie mal her!« Jetzt mußte ich unten in den Keller gehen, da kam der Aumeier, der Lagerführer. Und da habe ich das erste Mal gesehen, wie da Menschen in dunklen Zellen saßen und eine erstickende Luft rauskam. Und da mußte ich mit dem Block stehen, und da wurde mir von dem einen Unterscharführer, ich weiß nicht, wer das war, der war von der Politischen...
Vorsitzender Richter:
Abteilung.
Zeuge Peter Budan:
Abteilung, ja, der sehr bekannte Untersturmführer, glaube ich, war es. Ich komme jetzt auf den Namen nicht.
Vorsitzender Richter:
Der Grabner?
Zeuge Peter Budan:
Grabner, ja. Der war oft da, und dann noch ein Unterscharführer. Und dann mußte ich schnell die Nummern schreiben. Ich wußte zuerst noch nicht, was das bedeutet. Später kriegte ich dann diese Häftlinge in einen Waschraum. Das war damals in der größten Kälte, und da sagte mir der Unterscharführer: »Nun, los, los.« Da mußte ich einen Kopierstift nehmen, den naß machen und diesen nackten Häftlingen auf der Brust die Nummern aufschreiben, die ich auch anhand dieses Buches hatte. Und die zitterten so. Ich selbst wußte noch nicht, was los war. Und dann sagte der Oberscharführer Gehring: »So, nun mal los, jetzt müssen Sie mithelfen.« Da sollte ich dann die Leute anfassen und mit auf den Hof - da waren vorher Sägespäne gestreut - zur Mauer führen. Und da fing ich so an zu zittern, mir brach der Schweiß aus, sage ich: »Herr Oberscharführer, ich kann das nicht.« Da sagt er: »Mach, daß du verschwindest, kommt der Aumeier, der knallt dich nieder.« Dann hat er mich zur Seite gebracht. Aber ich mußte nach dem mit rausgehen. Ich habe es nie fertigbekommen, ich habe geheult wie ein kleines Kind, ich sage: »Lassen Sie mich hier raus«, ich mußte aber trotzdem Wochen drin bleiben. Da kam gleich ein gewisser Hannes, das war, glaube ich, ein Pole, der hat die Leute dann kräftig angefaßt. Die wurden dann zur Mauer geführt, und dann kam der Unterscharführer - habe auch den Namen vergessen -, der legte dann hinten das Flobertgewehr hier ran. [...]
Vorsitzender Richter:
Palitzsch?
Zeuge Peter Budan:
Nein, das war nicht der Palitzsch. Das war ja ein Oberscharführer. Es waren zwei, die die Genehmigung von Himmler, glaube ich, hatten, dort zum Erschießen. Der Tod trat sofort ein, und sie kippten rüber. Ich habe dann in die Augen hineingesehen, und die sind schnell ganz glasig geworden, also ein besserer Tod als den, den die Leute da sonst sterben mußten. Dann fielen sie in die Sägespäne, da lief das Blut, und dann wurden sie gleich in solche großen...
Vorsitzender Richter:
Kisten.
Zeuge Peter Budan:
Ja, also wie wenn man einem Schwein die Borsten [+ abmacht], so längliche Dinger mit zwei Tragen, mußten zwei Häftlinge wegtragen. Also das habe ich nicht machen brauchen. Mich hat dann der Oberscharführer Gehring nach hinten getrieben, und sagt er: »Mensch, geh da an deine Listen, ich sehe, du kannst es nicht, aber laß dich nicht vor Aumeier blicken.« Das war so ziemlich alles. Man hat mich verschont. Ich kannte nun die ganzen Vorgänge, ich kannte auch die Marterinstrumente. Bei uns wurden ja auch die Strafen vollstreckt mit Hängen hinten an den Armen, und diese Art Galgen, ja.
Vorsitzender Richter:
Wo wurde das gemacht? In dem Block, wo?
Zeuge Peter Budan:
Im Block 11 im Hof.
Vorsitzender Richter:
Wo? Im Hof?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ja.
Vorsitzender Richter:
Nicht auf dem Boden oben?
Zeuge Peter Budan:
Na, am Boden, da bin ich nicht mit gewesen, [dahin] ging ein anderer Häftling. Wenn sie unten aufgehängt wurden an diesen Dingern, da habe ich das ja gesehen.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Wie sie dann mit den Beinen da immer zuerst sich versuchten, bis es dann immer schwerer wurde. Manche wurden ohnmächtig, manche haben sich mit den Beinen festgehalten. Aber einen bekannten Häftling, den ich sehr gut leiden konnte, dem haben sie die Schultern ausgekugelt. Und das war, was ich gesehen habe. Nach oben, da durfte ich nicht mit, auf den Boden, da muß es sehr grausig zugegangen sein. Da ist nur ein Unterscharführer mit dem Häftling Hannes raufgegangen. Da sagt er: »Komm lieber nicht mit, da fällst du sowieso um.“
Vorsitzender Richter:
Welcher Unterscharführer war das?
Zeuge Peter Budan:
Ich kann die Namen nicht
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
War das einer von der Politischen Abteilung, oder war das einer vom Haus, ein Hausverwalter?
Zeuge Peter Budan:
Nein, der muß von der Politischen Abteilung [+ gewesen sein]. Der hat doch die Erschießungen vorgenommen. Außer dem Palitzsch war ein Unterscharführer.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Der diese Erschießungen vornahm, der [ging] auch dann mit dem Häftling Hannes nach oben. Ich habe jedenfalls dann so lange gebettelt, ich kriegte da besseres Essen, weil vom SS-Bunker manches abfiel und von den Zivilisten, die da auch erschossen wurden. Da haben sich ja viele bereichert. Ich habe bloß nichts mehr sehen wollen, das war mir alles zuwider, was sich da abspielte. Viel schlimmer waren dort verschiedene Häftlinge, die sich wie Hyänen da drauf stürzten. Und [+ ich] wurde dann abgelöst, mußte dann wieder als einfacher Arbeitshäftling bloß, bis ich später nach Auschwitz II kam, nach Birkenau, weil man da einige ein bißchen kaufmännisch versierte Häftlinge für die DAW brauchte, die dort bei den Abfallarbeiten die Aufstellungen machten, die Abnahmen und das alles registrierten. Da wurde ich [dorthin] versetzt. Da kam ich dann in SK.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und da ist mir nun, ich weiß nicht, ob ich das hier anschneiden darf, etwas aufgefallen. Vor zwei Jahren ungefähr, da waren Polizeibeamte, die uns vernahmen, die nach München gekommen waren.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und da wurde ich auch darüber befragt, und da wurde mir vorgelesen, daß ein gewisser ehemaliger Häftling Scheidel - ich habe das Bild hier noch in der Zeitung abgebildet gesehen -, ich glaube, der ist hier auch als Zeuge aufgetreten. Und da muß ich, so grausam wie es in Auschwitz war, sagen, daß manches Mal gewisse Leute angeben wollen und etwas hervorbringen, was sie gar nicht gesehen haben. Dieser Mann hat angegeben, genau beschrieben, was er da alles gesehen hat, die Marter und Exekutionen. Und als ich dann vernommen war und mir der Beamte das vorgelesen [hat] und ich ihn danach sprach, da habe ich ihm gesagt: »Du Schwein, du hast ja das gar nicht gesehen.« »Natürlich habe ich das.« Und ich sage: »Nein, du warst im Durchgang und in Quarantäne und wurdest zur Seite getrieben. Ich bin zufällig dort Funktionshäftling gewesen.« Jetzt wurde er rot und blaß. Ich sage: »Was du angegeben hast bei deiner Vernehmung, ist ein purer Schwindel.« [+ Er] hat darauf nichts mehr erwidern können. Er hat ja nie geahnt, daß ich ausgerechnet dort die Verhältnisse kannte und dort, während er dort in Quarantäne war, Funktionshäftling war. Aber da sieht man, wie manche Leute bloß aus reiner Angeberei Sachen erbringen. Es ist genug und Grausames geschehen, aber daß Leute sich da schöntun wollen und Sachen angeben, dem muß ich widersprechen. Also da ist es meine Pflicht, daß ich darauf hinweise. Ich habe dann die Abbildung gesehen in den Zeitungen und muß mich wundern, daß so ein Mensch nur aus...
Vorsitzender Richter:
Am 20. März ist er hier vernommen worden.
Zeuge Peter Budan:
Ja, also da kann ich nichts sagen, was er hier ausgesagt hat. Aber das, was er dort bei dieser Polizeikommission sagte, das war ein purer Schwindel. Ein Mensch, der nur dort auf Durchgang und in der Durchgangsquarantäne war, zur Seite getrieben war, der konnte nicht das Geringste sehen. [Pause] Dann soll man schon auch bei der Wahrheit bleiben.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Also der Zeuge Scheidel hat hier gesagt, freitags, manchmal auch mittwochs hätten Exekutionen da stattgefunden. Und es hieß immer, Kaduk und Boger sind im Hause. War der Scheidel zur selben Zeit dort, wie Sie dort waren?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Weil mir das vorgelesen wurde, da
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nein, ich meine nicht zur selben Zeit bei der Vernehmung, sondern in Auschwitz in diesem Block 11.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Das kann ich jetzt nicht [+ sagen]. Aber wir haben es damals auf der Polizei verglichen, und die Daten stimmten überein. Also er war in Quarantäne.
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Er sagt im April 43.
Zeuge Peter Budan:
Ja, das kann so stimmen.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Da ist es unmöglich, daß er was gesehen haben kann. Also außerdem waren Kaduk und...
Vorsitzender Richter:
Boger.
Zeuge Peter Budan:
Die waren ja gar nicht dabei. Die waren nie da. Da war der Gehring. [...] Dann war der Unterscharführer - ach, ich komme nicht drauf. Also zu uns Häftlingen war er sehr nett. Ich habe ihn sogar gesprochen, wie er das so fertigbekommt. Sagt er, ja, er ist von Himmler beziehungsweise seinem Führer verpflichtet, und das muß er ausführen. Sonst war er einer der menschlichsten SS-Leute. Aber er sagt: »Ja, da denke ich an nichts, da sage ich nur, ich tu meine Pflicht.« Wenn er dann ranging hier, hinten das Flobertgewehr an das Genick hinten dran hielt. Es gab dann so einen kleinen Peitschenknall, und der Häftling war erledigt.
Vorsitzender Richter:
Ja, also der Scheidel hat gesagt, es hieß dann immer: »Kaduk und Boger sind im Haus. Und da war wieder was los, und alles mußte verschwinden. Es war dann stets eine große Unruhe.« Und da sagte er, er hätte zwei Exekutionen persönlich mitangesehen.
Zeuge Peter Budan:
Das ist unmöglich, kann er nicht.
Vorsitzender Richter:
An sich hätten sie nicht zuschauen dürfen, sie hätten ihre Stuben räumen müssen, auf die andere Seite hinübergehen müssen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Da er jedoch habe sehen wollen, was los sei, sei er dann heimlich auf die andere Stube zurückgekehrt und habe von dort aus zugesehen.
Zeuge Peter Budan:
Das ist unmöglich. Es wurde abgesperrt. [Dafür] mußten wir schon sorgen. Da waren Funktionshäftlinge dabei, das wurde abgeschlossen. Die konnten niemals rübersehen. Das habe ich ihm ja auch alles erklärt nach der Vernehmung. Sage ich: »Du kannst das nicht gesehen haben. Das ist ein reiner Schwindel, was du erzählst.«[+ Er] hat auch niemals dann widersprochen. Ich habe dann den Beamten das gesagt; ich wurde später vernommen. Sage ich: »Was Ihnen der Scheidel da erzählt hat, das ist Schwindel. Der kann es nicht gesehen haben.« Und der Beamte sagte: »Na ja, ich habe das zu Protokoll genommen, was er mir angegeben hat.« Also das war nur, was ich berichtigen möchte, er kann es nicht
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Na ja, ich meine, das ist uns natürlich sehr interessant.
Zeuge Peter Budan:
[+ Es ist] meine Pflicht, daß ich das sage, denn wenn ein Mensch das nicht gesehen hat, darf er solche Märchen nicht erzählen. Kaduk und Boger waren bei diesen Sachen überhaupt nicht dabei.
Vorsitzender Richter:
Und das war in der Zeit, wo Sie dort waren. Also Sie sind im September 42 nach Auschwitz gekommen, und Sie könnten eventuell um die Jahreswende 42/43 dorthin gekommen sein, in den Block 11?
Zeuge Peter Budan:
Wie, in den Block 11?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Nein, also so im Frühling 43 bin ich da
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Sie haben bei Ihrer Vernehmung gesagt: »Etwa um die Jahreswende 42/43 wurde ich von dem damaligen SS-Unterscharführer Gerhard Lachmann in die Politische Abteilung geholt«[1] und so weiter. Als Blockschreiber da verpflichtet. Sie meinen, es könnte im Frühjahr 43 gewesen sein.
Zeuge Peter Budan:
Ja, es muß schon früher gewesen sein. Ich bin ja nach dem die längste Zeit in Birkenau gewesen. Mein Gedächtnis läßt ja so nach.
Vorsitzender Richter:
Ja. Aber jedenfalls, spätestens war es im Frühjahr 43.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ja.
Vorsitzender Richter:
Es kann vielleicht auch schon früher gewesen sein, wie Sie neulich sagten.
Zeuge Peter Budan:
Ja, es kann auch
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Um die Jahreswende. Aber Sie meinen, es wäre erst etwas später gewesen. Ja. Nun würde uns trotzdem noch da weiter folgendes interessieren: Haben Sie den Jakob gekannt?
Zeuge Peter Budan:
Oberflächlich. Ich habe ihn nur oberflächlich kennengelernt, da sie da einen kräftigen Menschen brauchten, wie ich da nach dem abgeschoben wurde. Wir sind uns flüchtig nur begegnet. Es hieß dann mit einem Mal, der Jakob, der wird jetzt hier Ordnung schaffen, die Funktionen übernehmen, den hat sich Aumeier geholt. Also ich kann mir über den...
Vorsitzender Richter:
Also Sie waren wie lange etwa dort in dem Bunker tätig?
Zeuge Peter Budan:
[Pause] Das können circa zwei Monate gewesen sein.
Vorsitzender Richter:
Circa zwei Monate. War es denn schon Sommer, wie Sie weggekommen sind?
Zeuge Peter Budan:
[Pause] Das kann sein.
Vorsitzender Richter:
Oder war es noch Frühjahr?
Zeuge Peter Budan:
Es muß so zwischen Frühjahr und Sommer gewesen sein, ja.
Vorsitzender Richter:
Wie Sie weggekommen sind?
Zeuge Peter Budan:
Ja, es war schon etwas warm. Aber ich kann mich auf die
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Sie wissen es nicht mehr genau?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Sie haben damals gesagt, Sie wären zwei, höchstens drei Monate in dem Bunker 11 geblieben. Und wie viele Menschen sind da ungefähr in dieser Zeit, wo Sie dort waren, erschossen worden?
Zeuge Peter Budan:
Das kann ich auch nicht sagen.
Vorsitzender Richter:
Das wissen Sie nicht.
Zeuge Peter Budan:
Nein. Denn es wurden ja auch verschiedene Zivilisten beziehungsweise Militärpersonen [+ erschossen], wo wir Häftlinge auch wieder reingetrieben wurden.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Wenn große Tiere da umgelegt wurden, das wurde nur von der SS gemacht. Da durfte kein Häftling dabei sein.
Vorsitzender Richter:
Nun, nachdem Sie also nicht mehr die Häftlinge hinführen mußten an die Wand, mußten Sie trotzdem da noch dabei stehen bleiben?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich mußte dann oft helfen, Sägespäne auszustreuen, ich mußte helfen dort, diese Dinger reinzutragen, diese Kisten, und dann hatte ich hauptsächlich mit dem Rapport zu tun.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nein, ich meine jetzt grade bei den Erschießungen, was Sie da zu tun hatten?
Zeuge Peter Budan:
Ja, da wurde ich nach dem ganz und gar zur Seite geschoben. Als dann der Gehring sah, daß ich nicht das ansehen konnte, sagt er: »Bleib drin, geh in die Schreibstube und kümmere dich nicht drum. Sofern ich dich ablösen lassen kann, werde ich dich ablösen.“
Vorsitzender Richter:
Aha. Sie sagen also, in dieser Zeit, da waren Kaduk und Boger nicht dort?
Zeuge Peter Budan:
Also ich habe ihn nicht gesehen.
Vorsitzender Richter:
Sie haben ihn nicht gesehen.
Zeuge Peter Budan:
Nein. Ich habe ihn im Lager
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Haben Sie noch eine Erinnerung daran, ob jeweils irgendein Urteil oder so was verlesen worden ist, bevor die Leute erschossen worden sind?
Zeuge Peter Budan:
Nein, also wenn ich draußen stand, da ist nie ein Urteil verlesen worden.
Vorsitzender Richter:
Nein. Und wenn die Leute aus den Zellen herausgeholt worden sind, wer hat denn da bestimmt, wer rauskommt und wer nicht, welche Nummern Sie aufschreiben mußten?
Zeuge Peter Budan:
Da stand der Aumeier, das war der...
Vorsitzender Richter:
Lagerführer.
Zeuge Peter Budan:
Der Lagerführer, ja. Und dann war der Unterscharführer, na, wir hatten den Namen eben.
Vorsitzender Richter:
Gehring? Grabner?
Zeuge Peter Budan:
Ja, oder es war ein Unterscharführer dabei. Ich glaube, der Lachmann. Der Lachmann war meistenteils mit dem Aumeier. Und dann hieß es bloß
Zeuge Peter Budan:
Der Hannes, und dann war noch ein anderer da, auch so ein Volksdeutscher.
Vorsitzender Richter:
Ja. Also Sie haben kein Gedächtnis und keine Erinnerung mehr daran, daß eine Urkunde oder ein Urteil oder irgendein Befehl oder so etwas verlesen worden ist?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nein. Haben Sie auch erlebt, daß in diesem Block sogenannte Standgerichtsverfahren durchgeführt wurden?
Zeuge Peter Budan:
Ja, das habe ich gehört. Aber wir Häftlinge wurden zur Seite geführt, der eine Unterscharführer sagt: »So, da habt ihr nichts zu suchen, da ist die SS allein.« Und da kamen jetzt mal höhere Offiziere rein. Wir haben mal durch die Spalte gesehen, da kam ein großer Militärwagen, da saß in der Mitte ein Offizier, links und rechts auch Offiziere. Und wenn der rausfuhr, dann war diese mittlere Person nicht mehr drin. Also durch den Peitschenknall und so weiter [...] haben wir angenommen, daß der dort umgelegt worden war. Aber da haben wir nichts damit zu tun gehabt. Wir haben ihn nicht wegbringen brauchen, nichts, das hat alles die SS gemacht. Also was ich gesehen habe.
Vorsitzender Richter:
Nun, Herr Zeuge, Sie haben vorhin den Namen Boger genannt. Kannten Sie Boger?
Zeuge Peter Budan:
Ja, hauptsächlich von Auschwitz I. Persönlich bin ich mit ihm fast gar nicht in Berührung gekommen. Wenn wir ihn sahen, wurde mir gleich zugeflüstert: »Sieh dich vor Boger vor. Wenn er mal was getrunken hat« und so weiter, »Dann ist er unberechenbar.« Und da haben wir uns wohl nach unten
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Zurückgezogen.
Zeuge Peter Budan:
Verdrückt. Ich war bei den Arbeitskommandos, fiel ja nicht auf, so daß ich wenig mit ihm zu tun hatte. Sein Name ist mir dann ein bißchen mehr ins Gedächtnis gekommen, als er dann in Birkenau ab und zu auftauchte.
Vorsitzender Richter:
Kam er denn öfter in den Block 11?
Zeuge Peter Budan:
Also ich habe ihn in Block 11, glaube ich, ein oder zwei Mal nur gesehen. [...]
Vorsitzender Richter:
Sie haben bei Ihrer Vernehmung gesagt: »Er kam des öfteren in Block 11, wo er mit mir in meiner Funktion als Blockschreiber zu tun hatte.«[2]
Zeuge Peter Budan:
Na, da meine ich Unterscharführer Lachmann.
Vorsitzender Richter:
So, Sie haben
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja, dann ist das eine Verwechslung. Mit mir hat fast ausschließlich Unterscharführer Lachmann...
Vorsitzender Richter:
Ja. Sie haben auch nicht gesehen, das haben Sie ja schon gesagt, daß Boger an Erschießungen teilgenommen hat.
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Was hatte denn Boger im allgemeinen für einen Ruf im Lager?
Zeuge Peter Budan:
Ja, der war gefürchtet als Schläger.
Vorsitzender Richter:
Nun, Ihnen selbst hat er aber niemals etwas getan?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Kannten Sie dann weiterhin den Angeklagten Baretzki?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Wieso kennen Sie ihn?
Zeuge Peter Budan:
Ich kam nach Birkenau zuerst zu diesem Kommando Weberei von der DAW. Da wurden aus Abfällen so Zöpfe gedreht. Ich weiß nicht, wozu sie die für die Wehrmacht brauchten. [...] Und wurde kurze Zeit als Blockschreiber in den deutschen Block genommen. Und bei dem
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
In welchem Lager war das, in Birkenau?
Zeuge Peter Budan:
Ja, wie soll ich den Abschnitt bezeichnen, wo wir... Vorsitzender Richter:
Dora, e, d, e?
Zeuge Peter Budan:
[Pause] Es war ja nur der Block, wo wir Deutschen drin waren, und das Hauptlager.
Vorsitzender Richter:
War das neben dem Zigeunerlager?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ja, ja.
Vorsitzender Richter:
Neben dem Zigeunerlager.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ich vergesse leider die Bezeichnungen dafür. Also das Lager, wo wir Deutschen...
Sprecher (nicht identifiziert):
Das war d.
Vorsitzender Richter:
D, ja. Ja, das war wohl d. Ja. Da ist eine Karte, wenn Sie das da drauf sehen könnten. Also da ist links dieser braune Strich, das ist die Rampe von Birkenau.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Und dann links von der Rampe das Frauenlager. Rechts von der Rampe das Männerlager. Da war unten a, die Quarantäne, nicht.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Dann kamen b, c, da war das Theresienstädter Lager drin und so weiter. Und das Zigeunerlager war, glaube ich, in e, wenn ich mich nicht irre.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja, ja, da ist d.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und gleich in dem ersten rechten Block, da war sozusagen der Deutschenblock, waren auch Polen und so weiter. Und da
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Jetzt in d oder in e?
Zeuge Peter Budan:
Also das neben dem Zigeunerlager ist dann d.
Vorsitzender Richter:
D, ja.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja. Und da war ich kurze Zeit Blockschreiber. Und da waren auch viele Kapos, die da drauf lagen und kommandiert waren. Und da ist mir dann ein Fehler unterlaufen beim Rapport, daß ich, glaube ich, den einen Kommandeur - ich wußte nicht, wo der steckt. Da handelte es sich um einen Häftling, den hatte ich wahrscheinlich nicht abgesetzt, und Baretzki nahm als Blockführer den Rapport ab von unserem angetretenen Block. Wie diese Unstimmigkeit dann zutage trat, hat er mich geschlagen.
Vorsitzender Richter:
Wer war Ihr Blockführer?
Zeuge Peter Budan:
Das war damals Herr Baretzki.
Vorsitzender Richter:
Baretzki.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Also jedenfalls, wie ich da war, wie er den Block abnahm.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Die Blockführer - wer das sonst noch war, die haben ja gewechselt. Aber jedenfalls da, wie der Block abgenommen wurde, war es Baretzki. Und er hatte eine Art, nicht wahr, wenn er zuschlug. Ich hatte eine andere Nase früher, ich habe noch eine Röntgenaufnahme davon. Da hat er mich hier so reingetroffen ins Gesicht, so daß die Nase hier gleich...
Vorsitzender Richter:
Gebrochen war.
Zeuge Peter Budan:
Eingequetscht war und die oberen Zähne. Und ich wurde dann auch abgelöst. Ich kam dann wieder zu irgendeiner Arbeit. Wurde hin und her geschoben, weil man in Block 11 auch nicht viel zu sagen hatte, weil der größte Teil bestand da aus Kapos, die kriminell waren. Und wir paar Politischen mit dem roten Winkel hatten sowieso da nichts zu sagen. Der Lagerälteste war auch ein Krimineller. So wurden wir dann wieder zu verschiedenen Kommandos geschoben. Bis es so zum Schluß, so langsam zum Schluß ging.
Die Monate vor dem Schluß kam ein Lagerführer, der eine sehr menschliche Ader hatte. Der ließ uns politisch Verfolgte antreten und sagte: »Nun kommt mal her, ihr habt ja weiter nichts verbrochen, ich will euch unterstützen - nicht nur die Kriminellen sollen Funktionen bekommen -, ihr sollt auch schließlich mal an die Oberfläche kommen.« Und da wurde ich auch zum Blockältesten von Block 10 bestimmt. Da wird sich Herr Baretzki ja nach dem vielleicht entsinnen, das war hauptsächlich Russenblock. Und ich habe mich gesträubt, diesen Block zu übernehmen, weil ich gleich erklärte, ich kann nicht schlagen. Und da wurde mir gesagt, ich sollte ihn übernehmen, ich werde unterstützt vom Lagerältesten und so weiter.
Es ist nun mal so, Herr Vorsitzender, wenn Sie dort die Ordnung aufrechterhalten wollen, da wollen wir ganz ehrlich sein, kommen Sie ohne Schläge nicht durch. Der Oberhäftling - also wenn er anständig [+ ist], er braucht ja nicht bloß da reinschlagen - muß sich durchsetzen können, sonst geht der ganze Block, wenn so 600 Mann eingepfercht liegen, zugrunde an Krankheiten, Flecktyphus. Und da habe ich gesagt: »Nein, ich mache das nicht.«
Jetzt ging das schon los beim Essen austeilen. Es bleibt ja nur ein einfacher Gang, und da kriegen sie dann also eine Tonne wie für Schweinefütterung. Und ich hatte viele galizische Juden auf meinem Block. Während die Russen und die Polen und die deutschen Juden sehr diszipliniert waren, waren die galizischen Juden sehr undiszipliniert. Jetzt mußte sich der Blockälteste praktisch hinstellen oben, beim Austeilen, und mußte da zuschlagen, sonst haben die das überrannt. Und ich habe gesagt: »Nein, bei mir geht das auch so.« Ich habe mich oben hingestellt - da war so eine Mauer - an den Durchlauf in der Baracke und mit dem Knüppel gedroht. Und da bin ich, wie sie weiter vordringen, vor den Kübel getreten und habe gesagt: »Zurück.« In Kürze war ich überlaufen, in diese ganze Fressenjauche hinein, und die Leute hatten kein Essen. Ich wurde abends auf dem Block auf dem Bock ausgepeitscht dafür noch, weil ich nicht gesorgt hatte. Da haben mir die Stubenältesten, das waren starke polnische Juden, gesagt: »Blokowy, lassen Sie uns das machen. Das wird am nächsten Tag ganz anders gehen.« Die haben sich hingestellt und ihren eigenen Glaubensgenossen immer mit den Knüppeln auf den Schädel [+ gehauen], daß es [nur] so knackte. Dies ist alles schön gegangen, und ich habe mich da nicht mehr drum kümmern müssen, weil ich in der Art nicht hätte schlagen können.
Aber man sieht, wenn man dem Menschen dort seinen Teil geben [+ will], daß er wenigstens am Leben bleibt, das will ich hier nur schildern, muß er sich durchsetzen. Da gibt es ja keine Polizei. Kann er sagen, der Häftling soll für Ordnung sorgen, wie soll er das machen sonst, wenn sechs und sechs, das sind 18, übereinanderliegen, die dann des Nachts sterben, in der Kälte und so weiter. Jedesmal bevor der Häftling stirbt, läuft ja noch so eine Art Durchfall [aus ihm heraus]. Das läuft den anderen auf den Kopf. Also wir sind ja da verdreckt und versaut gewesen und mußten sehen, [unverständlich]. Jede Nacht war ja Lynchjustiz fast, wenn ein Häftling sich sein Stückchen Brot um den Leib geschnürt hatte und wollte es [für den] anderen Tag aufheben, und einer ihm heimlich das geklaut hätte, wurde er gleich nachts erschlagen. Dann hörten Sie schon im Block Geschrei, und dann wurde zugeschlagen. Der war dann morgens eine Leiche. Der lag dann da, bis er zum Rapport abgehängt wurde. Diese Selbstdisziplin, ohne die kamen wir nicht aus. Da ist vielleicht so manches zu verstehen.
Ich habe SS-Leute gesehen, die dorthin gekommen sind. Ich muß zu ihrer Entschuldigung sagen, daß die mit angesteckt wurden, direkt auch hysterisch geworden sind, weil sie sich nicht anders [+ durchsetzen konnten]. Und die von den Kapos, Oberkapos angesteckt wurden. Die Masse war so verroht. Und war es ein anständiger Häftling, oder der hatte was zu sagen, dem blieb nichts anderes übrig, als daß er sich mit Gewalt durchsetzen mußte. Daß nun vieles entartete, verrohte und besonders so kriminelle Häftlinge, die dann mit der SS zusammen gesoffen haben, die ja das Geld von den vergasten Juden da hintenrum - das ist ja bekannt - bekommen hatten, wie die Maden im Speck gelebt haben und sich gefreut, wenn sie die Menschen zu Tode foltern konnten, martern konnten, noch besser als die SS. Die haben ja die besten Beispiele gegeben. Ich bin ja selbst dabeigewesen, wie der August, ich weiß nicht, in einem Block - das war ein Deutscher -, da habe ich mich schämen müssen, wie der die Menschen in den Leib getreten hat mit den Füßen und so weiter, daß die Därme rauskamen - das war selbst ein Häftling und Blockältester -, wenn der besoffen war. Also das war ja alles so infiziert, und die Menschen sind ja keine Menschen mehr gewesen, sind ja alle Bestien geworden. Ich selbst habe mich eines Tages nicht mehr [zurückhalten] können. Ein galizischer Häftling, der ist gekommen und hat da seinen Speichel einem anderen ins Gesicht gespuckt und so weiter. Ich bin zu ihm gegangen, wie ich da kam, wie ich die Leute habe antreten lassen, wie ich Blockältester war, und habe ihn links und rechts ins Gesicht geschlagen. Ja, ich habe gesagt: »Du Schwein, willst du deine Mithäftlinge anstecken« und so weiter. Also, man ist hysterisch geworden.
Vorsitzender Richter:
Nun, Sie haben also eben gesagt, Sie wären von Baretzki geschlagen worden, und haben Anzeichen gemacht, als ob Ihnen dabei Nasenbein oder Kiefer zerschlagen worden sei.
Zeuge Peter Budan:
Ich habe keine Anzeige gemacht, ich erwähne das
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nein, ich meine, Sie haben eben so eine Bewegung gemacht mit Zähnen und Nase, so daß ich daraus geschlossen habe, daß Ihnen Kiefer und Nase zerschlagen worden sind.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich habe sogar ein Röntgenbild darüber. Aber das möchte ich nicht hervorbringen, denn ich muß jetzt etwas erklären. Ich verdanke dem früheren SS-Mann Baretzki noch, daß ich lebe, so sehr er mich geschlagen hat. Und wie dann alles zum Ende ging und ich den Block hatte, ja, Block 10, da wurden dann die Russen aufsässig und wußten, das geht jetzt alles schon drunter und drüber. Baretzki kam oft dann auf den Block 10 hin, mit noch einem SS-Mann, und die Russen waren angetreten zum Abmarsch, und mit einem Mal hatten sie mich eingepfercht, umringt. Und da hieß es: »Den erledigen wir.« Und da kam Baretzki mit noch einem SS- Mann und hat mich rausgehauen. Wenn er nicht gekommen wäre, lebte ich heute nicht mehr. Da hat er sich wohl doch verpflichtet gefühlt als Deutscher - wenn er auch Volksdeutscher war -, einem Deutschen zu helfen. Der hat mich rausgeschlagen. Wenn er das nicht getan hätte, säße ich heute nicht mehr hier. Denn die Russen waren jetzt außer Rand und Band. Die waren kräftig, die hatten ihre Verbindungen, die kriegten auch mehr zu essen wie unsereins. Und ich hatte ja als Blockältester - muß ich ehrlich zugeben - auch ein bißchen besseres Essen. Man schob mir mal was von der Küche zu. Da hatte ja jeder Blockälteste etwas. Was ich übrig hatte, verteilte ich auf meine Häftlinge. Denn ich brauchte ja nur für mich das Nötigste, und das war schon meine Pflicht, auch meinen Mithäftlingen zu helfen. Also, so paradox das klingt, der Mann hat mich geschlagen, aber ich mache gegen ihn keine Anzeige
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nein, nein, das wollte ich auch nicht fragen. Also ich habe jedenfalls den Eindruck gehabt, und das haben Sie auch eben noch einmal bestätigt, daß er Ihnen den Kiefer zerschlagen hat. War denn das eine besondere Art von Schlag, die er da angewandt hat?
Zeuge Peter Budan:
Ja, also Baretzki, so hat man es im Lager allgemein gesagt, hatte einen besonderen Schlag. Wo er hinschlug, da blieb was.
Vorsitzender Richter:
Womit schlug er denn, mit der Faust?
Zeuge Peter Budan:
Meistenteils mit Hand und Faust. [...]
Vorsitzender Richter:
Hat er mit dem Handrücken geschlagen, oder hat er mit der Faust geschlagen?
Zeuge Peter Budan:
Ja, wissen Sie, Herr Vorsitzender, das ging so schnell, ich lag am Boden und blutete da. Er lief gleich wieder nach vorne zum Rapportführer, ja, und mußte das berichtigen.
Vorsitzender Richter:
Mit dem Häftling, der da versehentlich nicht aufgeführt war?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja, ja, das. Der Blockälteste kam gleich und zog mich dann nach hinten. Ich habe mir dann die Nase gehalten, und er sagte: »Sei froh, daß du noch lebst. Wenn Baretzki richtig zuschlägt, dann bist du meistenteils erledigt.“
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und dann hat er es auch gar nicht mehr gewußt, als ich danach in Block 10 der Blockälteste war, glaube ich. Und ich hätte es auch nicht gewagt, ihm zu sagen daß er mich damals zerschlagen hatte.
Vorsitzender Richter:
Nun sagen Sie, hat er denn diesen besonderen Schlag auch manchmal Kameraden vorgeführt, anderen SS-Leuten? Daß er denen zeigen wollte, was er kann und so?
Zeuge Peter Budan:
Ja, also ich hab es nicht gesehen, das kann ich nicht sagen. Mir haben es nur andere Häftlinge gesagt: Baretzki hatte eine Art Genickschlag mit der Hand.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Daß, wenn er hinten ins Genick haute, er den Häftling gleich ins Jenseits beförderte.
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ja, totgeschlagen hat.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Und die sagten mir noch, das ist sogar für manchen Menschen eine angenehmere Lösung, als wenn er da in den Bauch getreten wird, so zu Tode gemartert, wie es manche Leute, Kapos und SS- Leute, taten.
Vorsitzender Richter:
Ja. Selbst haben Sie das nie erlebt?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Haben Sie einmal erlebt, daß er überhaupt einen Menschen geschlagen hat, der dann anschließend in dem Block verstorben ist?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Sie haben bei Ihrer Vernehmung ausgesagt: »Einige Häftlinge sind dabei getötet worden, das heißt, sie sind anschließend im Block verstorben. Ich habe das mehrmals selbst erlebt.«[3]
Zeuge Peter Budan:
Von Baretzki?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Das verstehe ich nicht, daß ich so was ausgesagt habe.
Vorsitzender Richter:
Soll ich es Ihnen vorzeigen?
Zeuge Peter Budan:
[+ Dann] muß ich das berichtigen. Ich weiß nur, daß ich von verschiedenen Seiten hörte, daß Baretzki verschiedene Häftlinge gleich mit seinem Schlag getötet hat.
Vorsitzender Richter:
Ja, das habe Sie eben erzählt.
Zeuge Peter Budan:
Aber in meinem Block selbst, auf Block 10, habe ich nicht gesehen, daß Baretzki einen totgeschlagen hat.
Vorsitzender Richter:
Also ich habe Ihnen
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Das muß ich dann berichtigen.
Vorsitzender Richter:
Wörtlich vorgelesen, was Sie gesagt haben. Bezüglich Boger haben Sie uns schon gesagt, was Sie zu sagen hatten. Bezüglich Broad, wissen Sie Nachteiliges gegen ihn nicht auszusagen? [...]
Zeuge Peter Budan:
[+ Über] Broad kann ich auch nichts Schlechtes sagen, im Gegenteil. Ich war in einer sehr verzwickten Lage mal von der Politischen Abteilung vorgeladen, und da hat Broad mir geholfen, wie der Vorgesetzte von ihm aus dem Zimmer ging. Ich war von einem SS-Mann [+ angezeigt worden], der mich aus seinem Kommando raushaben wollte, und ich kam auch danach später in die SK, und da hat Broad das so gedreht, daß ich glimpflich wegkam. Wie der SS-Mann rausging, sagte er: »Komm her«, nein, Broad siezte sogar die Häftlinge und sagte: »Kommen Sie her, ich bin selbst Jurist und kann Sie verstehen.« Das war ein Blockältester, das war so eine Frauengeschichte aus dem Lager von der Weberei, halt so eine verzwickte Geschichte. Und da wollte man mich in eine Geschichte reinziehen, und Broad hatte das wahrscheinlich gleich erfaßt und hat diesen Blockältesten - ob er ihn geschlagen hatte, weiß ich nicht, jedenfalls hat er erfaßt, daß da eine Intrige gegen mich gespielt wurde, daß ich aus diesem Kommando raus sollte. Und er hat gesagt: »Lassen Sie, ich bringe das in Ordnung.« Wie der andere, sein Vorgesetzter, rausging. Also wie gesagt, er hat mir nur geholfen. Soweit kenne ich Broad, sonst kenne ich ihn nicht. Ich kenne ihn nur durch diese Vorladung.
Vorsitzender Richter:
Nun, wie Sie damals in dem Birkenauer Block waren, haben Sie da auch erlebt, wie das Zigeunerlager vergast worden ist?
Zeuge Peter Budan:
Ja, weil wir ja daneben lagen. Ich war ja auch abkommandiert zur Hilfe, weil die Blockältesten waren da. Da habe ich mich geweigert, und man hat darauf auch Rücksicht genommen. Ich mußte nur am Stacheldraht da stehen, daß aus unseren Blocks nicht Häftlinge sich da
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Hinüberliefen.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Nahe ranrückten an den Draht. Und die sollten das nicht, die sollten im Block bleiben. Aber das war ja unmöglich, die Türen waren ja hinten, da waren die Klostellen, wir haben ja alles gesehen, das war ja alles erleuchtet. Das Geschrei ging ja die ganze Nacht.
Vorsitzender Richter:
Das war alles erleuchtet, sagten Sie.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Und es war in der Nacht?
Zeuge Peter Budan:
Ja, in der Nacht.
Vorsitzender Richter:
Wann ungefähr?
Zeuge Peter Budan:
Es fing abends an.
Vorsitzender Richter:
Kann es im Sommer gewesen sein?
Zeuge Peter Budan:
Ja, es war
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
44? 44?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Ja?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ja.
Vorsitzender Richter:
Im Sommer 44.
Zeuge Peter Budan:
Das kann sein, 44, ja, ich bringe das so durcheinander jetzt, das muß so 44 gewesen sein.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nun, Sie mußten also da gewissermaßen Wache stehen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Und es war alles erleuchtet in dem Zigeunerlager?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Haben Sie denn da auch gesehen, was da passiert ist?
Zeuge Peter Budan:
Ja, das war solch ein Durcheinander und solch ein Geschrei. Das ist stundenlang gegangen, bis das dann alles abflaute, bis dann die letzten raus waren. Also da wurde da reingedroschen, und das Geschrei der Kinder, die sich unter den Röcken der Frauen verkrochen hatten, und so weiter. Also wir haben uns die Ohren zugehalten, weil das die ganze Nacht so ging. Da ich ja nicht mit drin war, konnte ich ja die einzelnen...
Vorsitzender Richter:
Konnten Sie Gestalten erkennen, die da tätig waren?
Zeuge Peter Budan:
Nein, das konnte ich nicht. Da waren so viele SS-Leute. Und welche da drin waren, die hätte ich jetzt nach so langer Zeit sowieso nicht mehr wiedererkannt.
Vorsitzender Richter:
Haben Sie etwas davon gehört, daß auch Leute erschossen worden sind dabei? Oder gesehen?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nicht.
Zeuge Peter Budan:
Schüsse habe ich ein paarmal gehört. Aber ob die da nun mit Erschießungen zu tun hatten, oder ob die nur als Schreckschüsse abgegeben wurden, das kann ich nicht beurteilen.
Vorsitzender Richter:
Ja. Ja, ich habe an den Zeugen keine Frage mehr.
Richter Hotz:
[unverständlich] Frage.
Vorsitzender Richter:
Ja, bitte schön.
Richter Hotz:
Herr Budan, wissen Sie noch, wer zu Ihrer Zeit Arrestaufseher in Block 11 war? Als Sie dort als Schreiber tätig waren?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Wie hieß der
Richter Hotz [unterbricht]:
Außer Gehring.
Zeuge Peter Budan:
Nein, da war dieser Unterscharführer. Ich kann den Namen nicht mehr sagen, vielleicht kann einer von den früheren...
Richter Hotz:
Kennen Sie einen ehemaligen Unterscharführer Schlage? Schlage, ist Ihnen das ein Begriff, dieser Name?
Zeuge Peter Budan:
Nein, der hieß anders, der dort die Genickschüsse abgab neben Palitzsch.
Vorsitzender Richter:
Ja. Der Herr Richter meint nicht, wer die Genickschüsse abgegeben hat, sondern wer Arrestaufseher in dem Block war.
Zeuge Peter Budan:
Kann ich mich leider an den Namen nicht entsinnen. Ich würde die Leute wohl kennen, wenn ich sie sehen würde - aber jetzt nach so vielen Jahren. Durch die Schläge auf den Kopf, die ich bekommen habe, bin ich so vergeßlich, daß ich mich an vieles nicht mehr erinnern kann.
Vorsitzender Richter:
Die Namen nicht mehr erinnern können.
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Na, Schlage, stehen Sie mal auf. Sehen Sie mal, ob Sie ihn erkennen.
Zeuge Peter Budan:
[Pause] Nein, kann ich nicht sagen, ob er es ist.
Vorsitzender Richter:
Danke schön.
Richter Hotz:
Danke schön.
Vorsitzender Richter:
Ja, Herr Landgerichtsrat Hummerich.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Herr Zeuge, Sie waren doch Blockschreiber im Block 11 eine Zeitlang gewesen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Was war da Ihre Aufgabe? Die Stärkemeldungen zusammenstellen wohl.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wie war das nun, wenn da Insassen aus dem Block erschossen wurden. Wohin wurden die abgesetzt von Ihnen?
Zeuge Peter Budan:
Ja, zu der Zeit, wie ich Blockschreiber war, wurde überhaupt keiner erschossen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja, Sie sagten doch grade, daß Sie nicht mit an die Schwarze
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Sie meinten doch, wie ich Blockschreiber war.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja, in Block 11.
Zeuge Peter Budan:
Ach so, in Block 11.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Im Block 11, ja.
Zeuge Peter Budan:
Nicht auf
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Nein, nicht in Birkenau, in Block 11.
Zeuge Peter Budan:
Nein. Wenn die erschossen wurden?
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Die mußten aus der Stärke dann raus.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wurden die direkt zum Standesamt abgesetzt oder erst noch zum Krankenbau?
Zeuge Peter Budan:
Nein, ich hatte eine Liste. Und in diese Liste wurden sie eingetragen. Und die ging von hier aus weiter
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Wo ging die hin?
Zeuge Peter Budan:
Soviel ich weiß zur Politischen Abteilung.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Zur Politischen Abteilung.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Selbst bei Nacht, wenn alles gesperrt war, hatte ich so einen Ausweis und eine Taschenlampe und konnte dann durchgehen bis vorne zur Häftlingsschreibstube. Und da mußte ich die Meldungen abgeben, die dann für den anderen Tag dort abgesetzt wurden. Beziehungsweise von da aus ging es dann weiter zur Politischen Abteilung, wo die einzelnen Leute dann irgendeinen Tod starben. Wie ich dann Blockältester auf Block 10 war, da mußte ich mehrmals unterschreiben, bevor der SS-Mann unterschrieb, daß der im Block verstorben ist, solche vorgedruckten Formulare.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und mußten Sie das im Block 11 auch so machen, oder war das da anders?
Zeuge Peter Budan:
Nein, da brauchte ich das nicht.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Da brauchten Sie das nicht.
Zeuge Peter Budan:
Nein. Da mußte ich nur die Meldungen wegbringen zur Blockführerstube, vorne zum Häftling.
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Am Tor, ja.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wo wurden die Leichen denn hingebracht?
Zeuge Peter Budan:
Die wurden dann von da abgeholt.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Von wem?
Zeuge Peter Budan:
Auch wieder von einem Häftlingskommando. [...]
Ergänzungsrichter Hummerich:
War das schon da während der Erschießungen, oder kam das erst nachher?
Zeuge Peter Budan:
Nein, das kam nachher. [...]
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wer hat das reingelassen in den Block? Kam das durch das Tor, oder kam
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja, durch das Tor.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ah, nicht durchs Haus?
Zeuge Peter Budan:
Nein, nein. Da war ja ein Tor, das wurde aufgemacht. Da wurden sie abgeholt.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und dann wurden sie abgeholt. Mit dem Wagen oder mit Tragen?
Zeuge Peter Budan:
Ich glaube, da war draußen ein Wagen, da wurden sie raufgeladen. Manchmal wurden sie auch getragen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und die Häftlinge, die kamen dann durch das Tor da rein.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wer hat die reingelassen?
Zeuge Peter Budan:
Ja, da war ein SS-Mann, der dort aufmachte.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Nicht ein Häftling etwa? Haben Sie
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Nein. Nein, ein Häftlinge war ja meistenteils zur Hilfe immer da, der da mit aufschloß das
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Haben Sie auch mal den Schlüssel gehabt?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wo war denn der Schlüssel?
Zeuge Peter Budan:
Soviel ich weiß, hatte den ein SS-Mann.
Ergänzungsrichter Hummerich:
In der Blockführerstube?
Zeuge Peter Budan:
Er hing, glaube ich, in der Schreibstube oder in der Blockführerstube.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wo arbeiteten Sie denn, in der Blockführerstube oder in der Schreibstube?
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Nein, nein, die Blockführerstube war weiter. Ich arbeitete in so einer Häftlingsschreibstube. [...]
Ergänzungsrichter Hummerich:
Haben Sie mal die Stehbunker gesehen unten im Keller?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich war unten.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Sie sagten ja vorhin, Sie waren mal mit unten beim Aufschreiben.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wie die nachher in den Waschraum kamen.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Das waren keine Stehbunker, sondern ganz kleine dunkle Kellerzellen, bis neun, bis zehn Mann. Und da habe ich dann auch einen Stehbunker gesehen. Da war aber keiner drin.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und ist Ihnen auch bekanntgeworden, daß da in den Bunkern auch Menschen waren, die nichts zu essen bekamen, die da verhungerten?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Das müßte an sich zu Ihrer Zeit gewesen sein.
Zeuge Peter Budan:
Die Menschen [waren] so, daß sie, wenn wir die Tür aufschlossen, fast zusammenfielen, weil sie ja fast nichts zu essen bekamen. Und dann hatten wir ja auch leider solche Häftlinge - da war ja ein Verpflegungshäftling. Dem einen gab er was, dem anderen nichts, und es wurde reingeworfen in diese kleine Zelle. Wie die das danach aufteilten, ob sie sich da gegenseitig das wegnahmen, das weiß ich nicht. Jedenfalls waren es solche elenden Gestalten, wenn die Tür aufgemacht wurde, dann kriegte man ein Grausen, daß Sie davon umkippten fast vor...
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ging da ein SS-Mann mit runter, wenn aufgeschlossen wurde, oder gingen da die Häftlinge allein?
Zeuge Peter Budan:
Da ging ein SS-Mann [+ mit].
Ergänzungsrichter Hummerich:
War immer ein SS-Mann dabei.
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja, ja, ja. Beim Essen austeilen war ich nie, das waren andere Häftlinge. Ich war
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Weil Sie ja oben aßen.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ja. Ich mußte nur immer mitgehen, wenn Aumeier und einer von der Politischen Abteilung
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Oder der Grabner oder die kamen.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Dieser Unterscharführer Lachmann, der war meistenteils mit Aumeier zu meiner Zeit mit. Da wurde aufgeschlossen, und dann waren solche elenden Gestalten da, die uns oft vor die Füße fielen. Weil die ja in dem engen Raum einen Kübel hatten, wo sie ihre Notdurft verrichten mußten. Da [+ gab es] so ein paar verlauste Decken und so weiter. Also es war ein Elend drinnen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wie war es denn nachts, wo schliefen Sie denn nachts im Block 11?
Zeuge Peter Budan:
Ich?
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Oben. Wir hatten da gleich
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Im ersten Stock?
Zeuge Peter Budan:
Ja, also nicht im ersten Stock, sondern
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Also im Parterre.
Zeuge Peter Budan:
Im Parterre, ja.
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Wo die Schreibstube auch war.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja, da hatten wir unsere Betten.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Zu wievielt waren Sie denn da, die Funktionshäftlinge?
Zeuge Peter Budan:
In meiner Stube schlief ich mit einem Häftling zusammen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
War das ein Deutscher oder ein Pole?
Zeuge Peter Budan:
Das war zu der Zeit der Hannes. Der schimpfte sich Deutscher, war aber ein Pole.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und wie viele Funktionshäftlinge waren es im ganzen?
Zeuge Peter Budan:
Na, da war der für den SS-Bunker. Dann war der andere. Ich glaube, es waren fünf im ganzen. Ich kann es nicht genau sagen, aber fünf. Der eine ging das Essen holen für den SS-Bunker, der hat fast nur mit dem zu tun gehabt. Der andere, das war der Hannes, der auch mit dem Unterscharführer [+ nach] oben ging, wenn da die einzelnen Martern vollstreckt wurden. Ich glaube, fünf Stück waren wir ungefähr.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Sie machten also die Stärkemeldungen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wurden die Häftlinge auch in einer Liste oder einem Buch eingetragen, die bei Ihnen unten im Bunker einsaßen?
Zeuge Peter Budan:
Nein, da hatte ich keine. Da hatte ich überhaupt
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Wissen Sie, ob jemand sonst das geführt hat, dieses Buch?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Das ging alles so geheimnisvoll zu zu meiner Zeit. Ich mußte nur runtergehen, da wurde eine Nummer genannt, der Betreffende, meist war es der Unterscharführer Lachmann, hatte so eine Liste; die Zahlen, die hatte ich.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Die Zahlen hatten Sie.
Zeuge Peter Budan:
Die hatte ich, die mußte
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Ja, wenn nun ein Häftling frisch eingeliefert wurde in den Bunker 11, fand da ein Aufnahmeverfahren [+ statt]? Sie sind ja doch mal ins Lager gekommen?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Da wurden Sie doch aufgenommen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und hat sich etwas ähnliches abgespielt, wenn ein Häftling in den Block 11 eingeliefert wurde?
Zeuge Peter Budan:
Ja, dann kriegte ich die Nummer, die mußte ich eintragen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Sie bekamen die Nummer.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Und Name und woher, aus welchem Block, welche Staatsangehörigkeit - das machten Sie nicht?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Die da unten waren, nicht. War einer verlegt von der Quarantäne aus und so weiter, da kriegte ich es genau. Denn ich mußte ja die von der Quarantäne auch führen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ja. Da kriegten Sie die Namen und alles.
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Da kriegte ich genaue Namen, Nummer und so.
Ergänzungsrichter Hummerich:
War dann etwa ein anderer Häftling da, der dieses Buch führte?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Denn uns sind hier zwei Bücher[4] gezeigt worden mit einer genauen Aufstellung, wann einer in den Block 11 kam, aus welchem Block er kam, welche Staatsangehörigkeit [+ er] hatte, wer ihn eingewiesen hat.
Zeuge Peter Budan:
Ja, wenn er von einem anderen Block zu uns kam, dann ja. Aber ich spreche jetzt von den Häftlingen, die gar nicht aus den Blocks kamen. Die waren
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Ja, die meine ich nicht. Ich meine die, die aus dem Lager selbst aus irgendeinem Block in Block 11 kamen.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Die wurden geführt von mir.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Die wurden geführt. Und wer machte das?
Zeuge Peter Budan:
Ja, die mußte ich führen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Die mußten Sie führen.
Zeuge Peter Budan:
Die mußte ich eintragen. Da kriegte ich dann die Nummern. Die Namen und die Nummern, die mußte ich eintragen in den Bestand.
Ergänzungsrichter Hummerich:
In eine Liste?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Mit Namen und allem?
Zeuge Peter Budan:
Ja, soviel ich mich besinne, ja. [...] Also jedenfalls jeden Häftling, der zu uns offiziell kam, den mußte ich eintragen, mußte ich melden.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Mußten Sie melden.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Denn ich mußte ja, wenn sich die Stärke verändert hatte, sofort nach vorne melden, zur Blockführer- beziehungsweise zur Häftlingsstube.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Das war die Zahl nur.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Zahlenmäßig.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Aber ich meine jetzt namensmäßig. Waren die auch erfaßt?
Zeuge Peter Budan:
Ja. Soviel ich mich entsinne, ja. Ich hatte ja eine Liste, da mußte ich die Namen aufschreiben und auch die Nummern.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Herr Vorsitzender, da bitte ich doch die Staatsanwaltschaft, einmal die Fotokopie vorzulegen. [...] Vielleicht kann er seine Schrift erkennen.
Vorsitzender Richter:
Herr Erster Staatsanwalt, wo ist die Kopie?
Staatsanwalt Wiese:
Die Bunkerbücher sind beglaubigt durchs Gericht, sind aber noch auf unserem Büro.
Vorsitzender Richter:
Und die Originale, sind die zurückgegeben?
Staatsanwalt Wiese:
Vereinbarungsgemäß zurückgegeben.
Vorsitzender Richter:
Ja, aber dies andere sind ja Fotokopien, so daß der Zeuge ja seine Schrift erkennen könnte.
Staatsanwalt Wiese:
Ohne weiteres.
Vorsitzender Richter:
Ja, könnte man die dann holen lassen?
Staatsanwalt Wiese:
Ja, wenn die Polizei bereit ist, mit dem Wagen schnell rüberzufahren.
Vorsitzender Richter:
Ja. Dann, bitte, veranlassen Sie das.
Staatsanwalt Wiese:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Wir lassen dann den Zeugen noch so lange hier, bis die Fotokopie da ist.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Ich habe dann keine Fragen mehr.
Vorsitzender Richter:
Keine Fragen mehr. Sind noch Fragen von seiten der Staatsanwaltschaft?
Staatsanwalt Vogel:
Herr Budan, Sie sagten vorhin, in Ihrem eigenen Block hätten Sie nie erlebt, daß Baretzki durch Genickschlag einen Häftling getötet habe. Haben Sie es sonst im Lagerbereich gesehen?
Zeuge Peter Budan:
Nein, nur gehört.
Staatsanwalt Vogel:
Und können Sie dann irgendeine Erklärung dafür abgeben, daß Sie bei Ihrer früheren polizeilichen Vernehmung das Gegenteil gesagt haben?
Zeuge Peter Budan:
Ich kann mich gar nicht entsinnen, wie ich zu der...
Staatsanwalt Vogel:
Ich darf es Ihnen noch mal wörtlich vorlesen: [Pause] »Ich habe auch des öfteren gesehen,»- Baretzki - »Daß er andere Häftlinge schwer mißhandelte. Er hatte einen Spezialschlag, den er mit der Hand ausführte und den er anderen SS-Männern gerne vorführte. Einige Häftlinge sind dabei getötet worden, das heißt, sie sind anschließend im Block verstorben. Ich habe das mehrmals selbst erlebt.«[5] Herr Budan, ist es richtig, daß Sie den Angeklagten Baretzki in Ihrer Wiedergutmachungssache als Zeugen benennen wollen? Ist das vielleicht der Grund dafür, daß Sie jetzt andere Angaben machen als früher?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Nein, da denke ich nicht dran.
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Na, Sie hatten mir einen
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja, das stimmt.
Staatsanwalt Vogel:
Einen Brief in dieser Richtung mal geschrieben vor einiger Zeit.
Zeuge Peter Budan:
Ja, aber ich brauche daher einen Menschen nicht in Schutz nehmen. Es hat genügt, daß er mich zerschlagen hat. Ich habe gesehen, daß er in dem Block 10, wo ich Blockältester war, geschlagen hat mit der Faust und so weiter. Das ist Tatsache, und ich habe
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Ja sicher, aber das kann ja heute strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, wenn er Häftlinge mißhandelt hat, ohne daß die Häftlinge an den Folgen der Schläge gestorben sind. Aber früher haben Sie sehr detailliert doch geschildert, Sie hätten selbst gesehen, daß er mit diesem Spezialschlag Mithäftlinge getötet habe.
Verteidiger Gerhardt:
Ich widerspreche dieser Frage, da meines Erachtens der Staatsanwalt Vogel nicht ohne weiteres sagen kann, ob die Schläge nicht verfolgt werden können. Das ist immerhin eine rechtliche Annahme, die durch nichts [unverständlich]
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Wie, ob die Schläge nicht, wie war das?
Verteidiger Gerhardt:
Ob die möglicherweise nicht doch rechtlich, strafrechtlich verfolgt werden können. Ich weiß nicht, ob man das als unstreitig in der Frage unterstellen kann.
Staatsanwalt Vogel:
Also, um bei Ihrer Ausdrucksweise zu bleiben, die Schläge allein, die der Baretzki erteilt hat, ohne daß der Häftling zu Tode kam, die können sicherlich strafrechtlich nicht mehr erfaßt werden.
Verteidiger Gerhardt:
Moment, Herr Staatsanwalt, es könnte ja ein Mordversuch sein. Der wäre ohne Zweifel nicht verjährt.
Staatsanwalt Vogel:
Na, es wäre schön, wenn Sie auch in anderem Zusammenhang diese Rechtsauffassung vertreten würden.
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Nun, darüber werden wir uns später unterhalten. Aber ich widerspreche dieser Frage.
Vorsitzender Richter:
Ja, also
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Es war ja ein Vorhalt, ich versuche klarzustellen, weshalb er früher den Angeklagten Baretzki des Mordes beschuldigt hat und heute sagt, er könne sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, daß er früher etwas Derartiges gesagt habe, und zwar nicht nur des Mordversuchs, ja.
Verteidiger Gerhardt:
Herr Staatsanwalt, selbstverständlich, diese Frage ist berechtigt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Nur bin ich der Meinung, daß diese zusätzliche Frage, ob er möglicherweise wegen diesen Schäden Herrn Baretzki als Entlastungszeugen beziehungsweise als Wiedergutmachungszeugen benennen wolle und Sie daran anschließend sagen, daß das ja hier ohne Bedeutung sei, denn das Schlagen sei ja heute strafrechtlich nicht mehr verfolgbar, da bin ich der Meinung, daß Sie diese zusätzliche Ergänzung nicht machen dürfen.
Staatsanwalt Vogel:
Also lasse ich
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Aber ist ja auch nicht wichtig, was [unverständlich].
Staatsanwalt Vogel:
Eben, ich finde es ja auch. Sie hatten mir vor längerer Zeit schon einmal geschrieben, ob es möglich sei, den Angeklagten Baretzki als Zeugen für Ihre Wiedergutmachungssache zu bekommen.
Zeuge Peter Budan:
Stimmt, ja.
Staatsanwalt Vogel:
Ja. Und ich frage Sie nun, war das der Grund dafür, daß Sie heute andere Angaben machen als bei Ihrer polizeilichen Vernehmung?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Wenn in der [...] Vernehmung zum Ausdruck gekommen ist, daß ich gesehen habe, daß die verstorben sind - ich weiß von Leuten, die in meinem Block waren oder in anderen Blocks, die von Baretzki so geschlagen worden sind, daß sie tot waren. Das habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht ist in dieser Beziehung da eine Verwechslung entstanden bei der Vernehmung. Daß er geschlagen hat und daß er gefährliche Schläge austeilte, das ist mir vollkommen bewußt, ja.
Staatsanwalt Vogel:
Und Sie wissen auch heute noch, daß Sie gehört haben von anderen Häftlingen, an den Folgen dieser Schläge seien Häftlinge gestorben.
Zeuge Peter Budan:
Das habe ich von anderen Häftlingen, ja.
Staatsanwalt Vogel:
Und haben Sie auch von anderen Häftlingen gehört, daß Baretzki seinen SS-Kameraden diesen Spezialschlag vorgeführt hat, um sich damit zu brüsten?
Sprecher (nicht identifiziert):
Ist beantwortet, die Frage.
Staatsanwalt Vogel:
Ja?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Staatsanwalt Vogel:
Das wissen Sie auch heute noch. Aber Sie bleiben dabei, daß Sie aus eigener Wahrnehmung in dieser Richtung nichts sagen können.
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Staatsanwalt Vogel:
Gut, danke.
Vorsitzender Richter:
Herr Rechtsanwalt Raabe.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, zunächst mal möchte ich bitten, daß die Staatsanwaltschaft vor Entlassung dieses Zeugen diesen Brief vorlegt. Ich glaube, es dürfte interessant sein für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen. Dann hätte ich eine Frage an den Zeugen. Herr Zeuge, haben Sie nach dem Krieg mit einem der hier unter Anklage Stehenden Kontakt aufgenommen beziehungsweise Kontakt gehabt, sei es, daß Sie sich an diese Angeklagten gewandt haben oder daß diese Angeklagten, sei es persönlich oder durch Mittelsmänner, sich an Sie gewandt haben?
Zeuge Peter Budan:
Nein. [Pause] Mit niemandem und kenne auch keinen davon. Wenn ich heute die Angeklagten sehe, würde ich sie gar nicht mehr erkennen nach so vielen Jahren.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Zeuge, wie erklären Sie es, daß Sie bei Ihrer Vernehmung zum Angeklagten Baretzki zwar ausgesagt haben, daß Sie mehrere Morde gesehen haben von ihm, auf der anderen Seite aber nicht gesagt haben, daß er Ihnen das Leben gerettet hat?
Verteidiger Steinacker:
Ich widerspreche dieser Frage. Das hat er nicht gesagt. Ein solcher Vorhalt ist unbegründet.
Nebenklagevertreter Raabe:
Doch, natürlich, dann lesen Sie es
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nein, von Mord hat er nicht gesprochen.
Verteidiger Steinacker [unterbricht]:
[unverständlich] hat er nicht gesagt. Das hat er nicht gesagt, dann halten Sie bitte richtig vor.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, also ich kann auch den ersten Teil weglassen. Wie erklären Sie es sich, daß Sie früher nicht gesagt haben - Sie wußten doch, daß hier dem Angeklagten Baretzki schwere Vorwürfe gemacht werden -, daß er auf der anderen Seite so etwas Gutes getan hat, Ihnen das Leben gerettet hat?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich gebe ja auch zu, daß er mich so zerschlagen hat. Ich meine, ich habe ja noch die Beweise da in meinem Gesicht. Es ist aber meine Pflicht, auch zu sagen, daß ich schließlich durch ihn gerettet worden bin.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, aber diese Pflicht hätten Sie doch schon früher bei der Polizei auch gehabt.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich weiß nicht, weshalb ich da [+ nichts gesagt habe]. Ich habe mich sogar geweigert, bei der Polizei überhaupt - die sind zu mir ins Büro gekommen, ich bin nicht hingegangen zur Polizei. Ich sage: »Meine Herren, ich möchte damit nichts zu tun haben.« Die Polizei kann bestätigen, daß ich gar nicht darauf reagiert hatte, auf die Vorladung. Ich war so verärgert, daß die zu mir ins Büro kamen.
Nebenklagevertreter Raabe:
Können Sie mir bitte erklären, warum Sie damit nichts zu tun haben wollten und so verärgert waren?
Zeuge Peter Budan:
Ja, weil ich mir sagte, was das für einen Zweck hat jetzt nach so vielen Jahren. Ich meine, es ist grausam genug gewesen, und ich habe es zur Genüge in der Presse und habe es zur Genüge durch andere Zeugen bestätigt gefunden, die mehr wußten als ich. Denn ich war ja nur ein ganz kleiner Häftling, nicht so wie Ludwig Wörl oder andere, die als Funktionshäftling vieles gesehen hatten.
Nebenklagevertreter Raabe:
Na, immerhin waren Sie doch Blockältester. Herr Zeuge, ich darf daran gleich die nächste Anfrage anschließen: Waren Sie auch Kapo?
Zeuge Peter Budan:
Nein, noch nie. Nur die letzten Tage war ich Blockältester. Weil wir diesen Lagerführer hatten, der durchaus uns politisch Verfolgten einen Vorzugsposten verschaffen wollte. Und das waren die letzten Tage vor Toresschluß. Sonst habe ich wie jeder gewöhnliche Häftling schwer schuften müssen.
Nebenklagevertreter Raabe:
Wann haben Sie den Zeugen Scheidel das erste Mal kennengelernt?
Zeuge Peter Budan:
Den Zeugen Scheidel habe ich erst jetzt kennengelernt, nach der Befreiung, hier in München. Und wie er dann kam und
Nebenklagevertreter Raabe [unterbricht]:
Wann haben Sie ihn kennengelernt?
Zeuge Peter Budan:
Bei einer Versammlung, wo wir Auschwitzer zusammengekommen waren.
Nebenklagevertreter Raabe:
Wann war das? Etwa?
Zeuge Peter Budan:
Vor zwei, drei Jahren, glaube ich, waren wir mit Ludwig Wörl zusammen. Und da ist er mit Wörl, glaube ich, zusammengegangen, weil er nämlich sich so wichtig tat. Und dann später habe ich gemerkt, daß er gerne sehr viel erzählte, was er gar nicht gesehen hatte.
Nebenklagevertreter Raabe:
Vor zwei, drei Jahren haben Sie also den Zeugen Scheidel kennengelernt.
Zeuge Peter Budan:
Es kann auch noch früher gewesen sein, ich kann es heute nicht mehr genau sagen. Es wird wohl noch länger her sein, wie wir damals zusammenkamen. Jetzt haben wir 64. Es kann schon acht Jahre her sein.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, Herr Zeuge, nehmen Sie sich ruhig Zeit, versuchen Sie sich da doch etwas genauer zu erinnern.
Zeuge Peter Budan:
[Pause] Ja, es sind bestimmt schon acht Jahre, da sind wir zusammengekommen. [...] Also ich kann es nicht mehr genau sagen. Aber jedenfalls ist es schon mehrere Jahre her. Und da hat Scheidel sich sehr wichtig getan, hat oft Sachen erzählt. Da hörte ich schon von Ludwig Wörl, der ihm schon übern Schnabel gefahren ist, sagt er: »Du redest so viel und willst dich hier wichtig tun.« Und dann, wie ich dann Verschiedenes hörte, daß er da also Sachen erzählte, die er gar nicht gesehen haben konnte, da wurde mir der Mann unsympathisch.
Nebenklagevertreter Raabe:
Haben Sie persönlichen Streit oder noch weitergehend irgendeinen Rechtsstreit mit Herrn Scheidel gehabt?
Zeuge Peter Budan:
Nie. Nie, im Gegenteil, er kam mich oft besuchen, trotzdem ich ihm meine Meinung gesagt hatte.
Nebenklagevertreter Raabe:
Was wissen Sie über die Aussagen des Zeugen Scheidel? Wissen Sie, was der Zeuge Scheidel hier in der Hauptverhandlung ausgesagt hat?
Zeuge Peter Budan:
Nein, nur das, was er dort bei der polizeilichen Vernehmung gesagt hat.
Nebenklagevertreter Raabe:
Was hat er bei der polizeilichen Vernehmung ausgesagt?
Zeuge Peter Budan:
Daß er in Block 11 alles gesehen hat, was sich dort abgespielt hat bei den Exekutionen. Daß ich ihm dann auf den Kopf zusagte, daß er das nicht gesehen haben kann, weil die vollkommen abgeriegelt waren.
Nebenklagevertreter Raabe:
Und das hat Ihnen der Vernehmungsbeamte vorgehalten, oder hat er Ihnen das erzählt?
Zeuge Peter Budan:
Na, das ergab sich im Laufe der Vernehmung, wie er sagte: »Na ja, der Scheidel hat ja das da auch gesehen alles« Sage ich: »Der Scheidel ist ja niemals da Funktionshäftling gewesen. Wie soll der das wissen?« Und da sage ich: »Na, dem werde ich meine Meinung sagen.« Als wir dann zusammenkamen, habe ich es ihm auch glatt ins Gesicht gesagt.
Nebenklagevertreter Raabe:
Wie erklären Sie sich, daß über diese Äußerung nichts hier in dem Protokoll auftaucht, Herr Zeuge?
Zeuge Peter Budan:
Na, das weiß ich ja nicht.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ist Ihnen ein direkter Vorhalt gemacht worden? Sind Ihnen die Aussagen des Zeugen direkt vorgehalten worden? Das heißt also, der Vernehmungsbeamte sagt: »Herr Zeuge, ich halte Ihnen jetzt vor, der Herr Scheidel hat dann und dann das und das gesagt.« Ist Ihnen das so vorgehalten worden?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Wie er dann aufnahm, daß ich auf dem Block 11 gewesen war, sagte er: »Na, der Scheidel ist ja auch da gewesen.« Und da habe ich gleich drauf erklärt, daß das nicht stimmen kann. Denn ich weiß von Scheidel, daß er nur als Durchgangshäftling da war. Daß er gar nicht das hätte sehen können. Das war alles, was ich dem Beamten sagte. Und der hat dazu auch gar nichts aufgenommen. Meine Vernehmung war ja schon beendet, da haben wir uns darüber nur ausgesprochen.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja. Aber was er im einzelnen gesagt hat, das wissen Sie nicht?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Nebenklagevertreter Raabe:
Aha. Und Sie kennen ihn auch nicht aus dem Block 11? Sie haben ihn also erst nach dem Krieg kennengelernt?
Zeuge Peter Budan:
Erst nach dem Krieg.
Nebenklagevertreter Raabe:
Aha. Ja, woher wissen Sie denn dann eigentlich, was er dort machen konnte und was er sehen konnte, wenn Sie gar nicht mit ihm zusammen waren im Block 11?
Zeuge Peter Budan:
Weil er es mir ja ausdrücklich erklärte. Ich sage, er kann nicht da gewesen sein, dann muß er Durchgangshäftling gewesen sein. Denn das hat er ja dann auch zugegeben. Ich sage: »Ja, dann kannst du doch nichts gesehen haben.«
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, aber ist Ihnen nicht bekannt, daß Durchgangshäftlinge in Block 11 eine Zeitlang inhaftiert waren?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Die Durchgangshäftlinge lagen auf einer Seite. Die konnten das niemals sehen. Wir wurden ja vollkommen abgeriegelt. Es war unmöglich, das hat er ja auch schließlich gar nicht abgestritten. Wir haben uns ja darüber auseinandergesetzt. Ich sage: »Du kannst ja gar nichts gesehen haben.« Das gab er ja auch zu. Dann fing er da mit dem Spalt an. Ich sage: »Das ist Schwindel, der Block war so abgesperrt, daß du gar nichts gesehen haben kannst.«
Nebenklagevertreter Raabe:
Aber jedenfalls, Sie waren nicht mit ihm zusammen im Block 11?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Nebenklagevertreter Raabe:
Gut. Dann eine weitere Frage. Schildern Sie doch bitte mal etwas ausführlicher diese Geschichte, die Sie im Protokoll[6] eine Zivilangelegenheit genannt haben, bei der Ihnen dann der Angeklagte Broad geholfen hat. Das ist nicht klar geworden hier.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ich bin zur Politischen Abteilung, Broad war Angestellter der Politischen Abteilung. Und da hatten die ein Zimmer in Auschwitz, da war ich schon in Birkenau. Und da war irgendeine Differenz [mit] einem Häftling, den ich vom Hauptlager kannte. Und da war noch ein Mädchen von dem Arbeitskommando in die ganze Geschichte verwickelt. [+ Es] entstand eine Streitigkeit. Ich möchte darüber nichts näher erwähnen, dazu bin ich ja auch nicht verpflichtet. Ich bin dann mit dem Häftling zusammengeraten. Und der stand mit den SS-Leuten unter einer Decke, und ich sollte von diesem Kommando abgelöst werden.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, und was meinten Sie mit dem Ausdruck Zivilangelegenheit?
Zeuge Peter Budan:
Ja, weil es sich um dieses Mädchen handelte.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Zeuge, sind Sie nach dem Krieg bestraft worden?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Nebenklagevertreter Raabe:
Sind Sie ganz sicher, ja?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Nebenklagevertreter Raabe:
Danke, ich habe keine weitere Frage.
Vorsitzender Richter:
Herr Zeuge, mir fällt noch etwas auf. Sind Sie verschiedentlich bei der Polizei vernommen worden?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Nein? Sie sind nach dem Protokoll, was mir hier vorliegt, am 7. Oktober 1959 vernommen worden in München, und zwar im Polizeipräsidium.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Nein, nein.
Staatsanwalt Vogel:
Herr Vorsitzender, das ist ein Versehen Ihrerseits. Er wurde am 7. Oktober zum Polizeipräsidium vorgeladen, dann wurde die Vernehmung - auf Blatt 2 befindet sich ein Vermerk, glaube ich - unterbrochen und am 8. Dezember fortgesetzt, in den Geschäftsräumen des Zeugen.
Verteidiger Gerhardt:
Wegen Krankheit [unverständlich].
Vorsitzender Richter:
Ja, das ist richtig.
Staatsanwalt Vogel:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Gut. Also am 7. Oktober, aha, und am 8. Dezember haben Sie dann die eigentlichen Aussagen gemacht. Und da war allerdings am 1. Dezember der Zeuge
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Am 1. Dezember der Zeuge Scheidel.[7]
Vorsitzender Richter:
Der Zeuge Scheidel schon vernommen. So daß also das möglich wäre. Denn nach diesen Datierungen, 7. Oktober, 1. Dezember wäre es gar nicht möglich gewesen. Aber so war es gewesen, daß Sie bei der ersten Vernehmung gar nichts Näheres ausgesagt haben. Sondern die Vernehmung ist abgebrochen worden, und Sie sind am 1. Dezember in Ihren Geschäftsräumen vernommen worden.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Vorsitzender, darf ich bitten, die Aussage des Zeugen, daß er nach dem Krieg nicht bestraft worden ist, ins Protokoll aufzunehmen.
Verteidiger Steinacker:
Warum denn?
Vorsitzender Richter:
Ja, ich sehe auch keine
Verteidiger Steinacker [unterbricht]:
Aus welchem Anlaß?
Vorsitzender Richter:
Veranlassung dazu. Der Zeuge hat den Vorhalt gemacht bekommen, die Frage beantwortet.
Verteidiger Gerhardt:
Ich nehme doch außerdem an, wenn der Herr Nebenkläger begründeten Anlaß hat, daß möglicherweise der Zeuge vorbestraft ist, daß er es ihm hier vorhält. Das erfordert an sich die Fairneß
Nebenklagevertreter Raabe [unterbricht]:
Ich kann dazu
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Einem Zeugen gegenüber.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Kollege
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Ansonsten besteht keine Veranlassung, das zu protokollieren.
Vorsitzender Richter:
Herr Zeuge, sollten Sie tatsächlich bestraft worden sein, dann können Sie die Antwort darauf verweigern. Dann sagen Sie lieber: »Die Frage möchte ich nicht beantworten«, als daß Sie etwas sagen, was nicht stimmt. Denn Sie müssen das nachher beschwören.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Dazu gebe ich folgende Erklärung ab: Ich bin in Deutschland, wie ich zurückkam, nicht bestraft worden. Ich bin in Österreich, da läuft jetzt wieder eine Sache, bestraft worden. Aber sonst verweigere ich jede Auskunft darüber.
Vorsitzender Richter:
Ja. Also Sie sagen, nach dem Krieg sind Sie in Deutschland nicht bestraft worden.
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Deutschland, nein.
Vorsitzender Richter:
Ja. Das können wir dann vielleicht aufnehmen.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Der Zeuge erklärt auf Befragen des Rechtsanwalts Raabe: »Nach dem Krieg bin ich in Deutschland nicht bestraft worden. In Österreich allerdings läuft ein Verfahren, ich bin dort auch bestraft worden, ich möchte aber insoweit weitere Auskünfte nicht geben.«[8]
Nebenklagevertreter Raabe:
Verzeihen Sie, Herr Vorsitzender, mir ist nur nicht ganz klar Ihre Belehrung eben, die Sie dem Zeugen gegeben haben. Aufgrund welcher Rechtsvorschrift sollte der Zeuge die Fragen über die Bestrafung verweigern können?
Vorsitzender Richter:
Weil der Zeuge das Recht hat, die Aussage zu verweigern, wenn er sich selbst bloßstellen müßte, nicht.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, wenn er sich einer
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Das wissen wir seit Montag.
Nebenklagevertreter Raabe:
Wenn er sich einer strafrechtlichen Verfolgung durch seine Aussage hier aussetzen würde.
Richter Perseke [unterbricht]:
[unverständlich] Unehre gereichen, gilt nur fürs Zivilrecht.
Nebenklagevertreter Raabe:
Aber ich frage ja nicht nach seinen Taten, sondern ich frage, ob ein Strafverfahren läuft und weswegen dieses Strafverfahren läuft. Ich bin der Ansicht, das wird durch 55[9] nicht gedeckt.
Richter Perseke:
Das soll nur gestellt werden, aber er kann die Aussage nicht verweigern.
Vorsitzender Richter:
Also, in § 68a der Strafprozeßordnung steht drin: »Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einer Person, die im Sinn des § 52 Absatz 1 ein Angehöriger ist, zur Unehre gereichen können, sollten nur gestellt werden, wenn es unerläßlich ist.«
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, und es scheint mir in diesem Falle unerläßlich zu sein. Wir haben
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Warum?
Nebenklagevertreter Raabe:
Das wäre zwar nicht das entscheidende Argument. Wir haben gerade vor kurzem erlebt, daß sehr intensiv gefragt worden ist nach den Vorstrafen von Zeugen. Und ich glaube, schon aus Gründen der Gleichbehandlung, aber das wäre nicht das entscheidende Argument, müßte eine solche Frage zulässig sein. Und zum anderen interessiert es mich. Und ich glaube, es ist außerordentlich wichtig, um die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen beurteilen zu können, der erheblich abweichende Äußerungen vor der Polizei und jetzt hier in der Hauptverhandlung gemacht hat, welches die Gründe für dieses Strafverfahren in Österreich sind und weswegen er bestraft worden ist. Wenn er zum Beispiel wegen eines Eidesdeliktes bestraft worden wäre, wäre das von äußerstem Interesse für das Schwurgericht. Ich will hier nicht den Katalog ausführen, was hier noch von Interesse sein könnte. Und deshalb bitte ich, diese Frage zuzulassen und den Zeugen
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Also, Herr Rechtsanwalt Raabe, zunächst einmal, was die Gründe der Gleichbehandlung anbelangt, habe ich bei einer der letzten Verhandlungen allen Grund gehabt, den Zeugen sehr genau zu fragen, weil er mich nämlich angelogen hatte und weil ich wußte, daß er mich angelogen hatte, weil ich nämlich die Vorstrafenliste vor mir liegen hatte. Und deshalb habe ich den Zeugen so genau befragt und habe ihm schließlich auch die Vorstrafenliste vorgelesen. Bei diesem Zeugen habe ich gar keine Anhaltspunkte, daß dieser Mann bestraft worden ist. Woher Sie die Anhaltspunkte haben, weiß ich nicht. Aber anscheinend scheinen Sie welche zu haben, weil Sie so intensiv danach fragen. Da brauchen Sie ja nur zu sagen, ist es richtig, daß Sie am soundsovielten in Österreich da und da bestraft worden sind, genau wie ich das bei dem anderen Zeugen auch getan habe. Dann wäre die Gleichbehandlung sichergestellt.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Vorsitzender, wenn ich das so genau wüßte, wie Sie es damals gewußt haben, hätte ich das schon längst getan. Aber genau das weiß ich nicht. Sondern ich weiß es ziemlich vage, und der Zeuge
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
[unverständlich] keine bloße Behauptungen aufstellen.
Nebenklagevertreter Kaul:
[unverständlich] gar keine bloßen Behauptungen.
Nebenklagevertreter Raabe:
Der Zeuge hat es eben bestätigt. Und ich bitte nun, die Frage zuzulassen, weswegen der Zeuge in Österreich bestraft worden ist und weswegen momentan ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft. Wenn ich [...] die Bestrafung gewußt hätte, genau, hätte ich es ganz sicher hier schon längst vorgehalten. Denn es ist nicht meine Art, einen Zeugen hier etwa unsicher zu machen. Sondern ich muß tatsächlich die Wahrheit von diesem Zeugen erfragen.
Verteidiger Steinacker:
Ja, ich widerspreche der Frage.
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Moment, einen kleinen Moment, meine Herren, doch nicht so eilig. Wir haben es ja doch hier so eilig nun wiederum auch nicht. Also zunächst einmal die Frage des Herrn Rechtsanwalt Raabe, nämlich, erstens, warum ist der Zeuge in Österreich bestraft worden?
Nebenklagevertreter Raabe:
Nach dem Krieg.
Vorsitzender Richter:
Nach dem Krieg bestraft worden? Und warum läuft ein Strafverfahren gegen ihn?
Zeuge Peter Budan:
Nein, da muß ich widersprechen. Ich habe das nicht behauptet. Ich habe nur gegen die damalige Verurteilung ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt, das noch ewig läuft.
Vorsitzender Richter:
Ach so, das ist also nicht rechtskräftig?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Es handelt sich um ein Verfahren, das in der ersten Instanz
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ich bin rechtskräftig in Wien verurteilt worden.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Und dagegen habe ich ein Wiederaufnahmeverfahren [+ beantragt]. Da ist noch nicht entschieden darüber, seit Jahren nicht.
Vorsitzender Richter:
Aha. Also genügt es Ihnen dann, wenn ich lediglich über die Frage entscheiden lasse, warum der Zeuge in Österreich nach dem Krieg bestraft worden sei?
Nebenklagevertreter Raabe:
Ja, ja.
Vorsitzender Richter:
Ja. Also diese Frage wird gestellt, von dem Vorsitzenden nicht zugelassen. Der Herr Rechtsanwalt Steinacker wollte sich dazu
Verteidiger Steinacker [unterbricht]:
Ich widerspreche, das ist eine Ausforschungsfrage. Der Herr Vertreter des Nebenklägers hat klar zum Ausdruck gebracht, daß er überhaupt keine Anhaltspunkte dafür hat, daß der Zeuge irgendwie bestraft worden ist. [...] Er hat die Frage einfach in den blauen Dunst hinein gestellt. Und der Zeuge hat dann der Wahrheit entsprechend gesagt: »Jawohl, gegen mich läuft ein Strafverfahren.«
Nebenklagevertreter Kaul:
Nein [unverständlich]
Verteidiger Steinacker [unterbricht]:
Im übrigen
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Moment!
Verteidiger Steinacker:
Herr Doktor Kaul, unterbrechen Sie mich bitte nicht. Im übrigen ergibt sich aus 68a Absatz 2[10], daß nur dann der Zeuge nach Vorstrafen gefragt werden soll, wenn ihre Feststellung notwendig ist, um über das Vorliegen der Voraussetzungen des 60 Nummer 2 oder 3 zu entscheiden oder um seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Aber auch hier sind überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß eine solche Möglichkeit vorliegen würde. Auch hier ist die Frage wieder in den blauen Dunst hinein gestellt worden. Und es läuft auf einen reinen Ausforschungsbeweis hinaus, und deshalb widerspreche ich.
Nebenklagevertreter Raabe:
Herr Kollege Steinacker, ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich Anhaltspunkte hatte, aber daß ich nicht die Gewißheit hatte. Diese Anhaltspunkte sind nunmehr mir bestätigt worden. Ich möchte ausdrücklich auch darauf aufmerksam machen, daß der Zeuge zunächst auf meine Frage: »Sind Sie nach dem Krieg bestraft worden?« die Unwahrheit gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: »Ich bin nach dem Krieg nicht bestraft worden.« Er hat dann später einschränkend gesagt: »Ich bin nach dem Krieg nicht in Deutschland bestraft worden.“
Vorsitzender Richter:
Genau so war es.
Nebenklagevertreter Raabe:
Und ich glaube, um so mehr scheint mir das ein Anlaß zu sein, nunmehr diese Frage zuzulassen.
Vorsitzender Richter:
Will noch jemand? Herr Rechtsanwalt Gerhardt.
Verteidiger Gerhardt:
[unverständlich] dieser Frage. Wenn der Nebenkläger sagt, er hätte Anhaltspunkte gehabt, dann stimmt das ja nicht. Er hat, wie der Herr Doktor Steinacker sagt, die Frage mal so gestellt, um mal zu hören, was der Zeuge sagt. Erst dann hat er es etwas konkretisiert, nachdem der Zeuge sagte: »Zwar in Deutschland nicht, aber in Österreich.« Ich widerspreche der Frage. Ich bin lediglich der Meinung, wenn der Herr Nebenkläger Raabe die Frage dahingehend formulieren will, ob der Zeuge wegen eines Meineidsdelikts vorbestraft ist. Das wäre eine sachliche Frage, die man ohne weiteres stellen kann. Im übrigen widerspreche ich.
Vorsitzender Richter:
Ja. Sie haben das ins Protokoll[11] aufgenommen? Daß also die Frage gestellt wird, ja, und daß widersprochen wird der Fragestellung durch Rechtsanwalt Steinacker und Gerhardt, ja? Wünscht sonst noch jemand das Wort? Nein. Darüber wird das Gericht nachher beschließen. Sind noch Fragen zu stellen?
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich werde keine Fragen an den Zeugen stellen, ich bitte aber auf folgendes aufmerksam machen zu dürfen. Ich werde der Entlassung des Zeugen widersprechen müssen, weil mir scheint, daß im Interesse der wirklichen Erforschung der Wahrheit eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen Scheidel erforderlich sein wird, die ich bereits jetzt, falls das Gericht, was mir dankenswert wäre, es [+ nicht] von selbst beschließt, beantragen würde.
Vorsitzender Richter:
Ja. Herr Rechtsanwalt, einen kleinen Moment. Der Zeuge ist in München wohnhaft, der Zeuge Scheidel ist auch in München wohnhaft. Also wenn wir den einen Zeugen kommen lassen müßten, dann müßten wir den anderen Zeugen auch noch mal kommen lassen. Das braucht also heute nicht zu passieren.
Nebenklagevertreter Kaul:
Nein. Ich meine nur, wir können ihn dann nicht endgültig entlassen.
Vorsitzender Richter:
Nicht endgültig entlassen.
Nebenklagevertreter Kaul:
Das meine ich.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nun, da werden wir nachher
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Selbstverständlich braucht er nicht zu warten, bis Scheidel hierher kommt.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Nebenklagevertreter Kaul:
Aber ich mache nur darauf aufmerksam, daß wir nicht weiterkommen, bevor wir die beiden nicht in einem Saal [unverständlich]
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Gegenübergestellt haben.
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich verzichte bis dahin auf...
Vorsitzender Richter:
Ist keine Fragen mehr? Von seiten der Verteidigung?
Verteidiger Gerhardt:
Eine Frage habe ich lediglich.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Verteidiger Gerhardt:
Herr Zeuge, Sie sagten im Zusammenhang mit dem hier gehörten Zeugen Scheidel wörtlich: »Gewisse Leute übertreiben.« Meine Frage an Sie: Sind Sie der Meinung, daß außer dem Zeugen Scheidel auch noch andere hier gehörte Zeugen übertreiben?
Staatsanwalt Vogel:
Ich widerspreche dieser Frage.
Verteidiger Gerhardt:
Bitte.
Staatsanwalt Vogel:
Der Zeuge ist Zeuge. Was er für Meinungen hat über menschliche Schwächen im allgemeinen ist völlig uninteressant in dem Zusammenhang.
Vorsitzender Richter:
Nein, aber man könnte die Frage vielleicht so zulassen, daß der Rechtsanwalt Gerhardt fragt: Wissen Sie von Zeugenaussagen, die der Wahrheit nicht entsprechen?
Staatsanwalt Vogel:
Ja, dann soll er aber auch Namen nennen, denn sonst ist das
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Ja, das ist ja
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Dann ist dann
Verteidiger Gerhardt [unterbricht]:
Meine Frage an den Zeugen, dann. [...]
Staatsanwalt Vogel:
Nein, dann soll der Herr Rechtsanwalt Gerhardt Zeugen nennen. Denn sonst ist das, wie vorhin der Herr Rechtsanwalt Steinacker in anderem Zusammenhang, wie ich glaube, zu Unrecht meinte, ein typischer Fall eines Ausforschungsbeweises.
Verteidiger Gerhardt:
Ja, das Gericht bitte ich darüber zu entscheiden. Ich stelle die Frage in der Formulierung, wie sie der Vorsitzende eben dem Zeugen vorgehalten hat. Sonst habe ich keine Fragen.
Vorsitzender Richter:
Ja. [Pause] Also soll die Formulierung so lauten: Wissen Sie von Zeugenaussagen, die nach Ihrer Kenntnis der Wahrheit nicht entsprochen haben?
Verteidiger Gerhardt:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Und dagegen widerspricht der Staatsanwalt?
Staatsanwalt Vogel:
Jawohl. Weil ich das für eine Beweisermittlungsfrage halte.
Vorsitzender Richter:
Sind sonst noch Fragen von seiten der Verteidigung zu stellen an diesen Zeugen?
Verteidiger Aschenauer:
Ich habe keine Frage, aber auch ich beantrage die Gegenüberstellung des Zeugen mit dem Zeugen Scheidel.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Verteidiger Steinacker:
Ich bin der Meinung von Herrn Doktor Kaul.
Verteidiger Jugl:
Ich wollte mich ebenfalls anschließen.
Vorsitzender Richter:
Ja. [Pause] So. Das Gericht wird darüber entscheiden, und zwar jetzt gleich. Wir benutzen das gleich, um in die Pause einzutreten bis 11.35 Uhr. Ich bitte Sie dann, 11.35 Uhr wieder hier zu sein.
Vorsitzender Richter:
»Die Frage des Rechtsanwalts Raabe, weshalb der Zeuge in Österreich rechtskräftig verurteilt wurde, wird zugelassen, da diese Frage zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen notwendig ist. 2.) Ebenso wird die Frage zugelassen, ob dem Zeugen Aussagen anderer Zeugen in diesem Prozeß bekannt sind, die nach seiner Kenntnis der Wahrheit nicht entsprechen.«[12] So. Also zunächst müssen wir Sie doch bitten, uns zu sagen, warum Sie rechtskräftig verurteilt worden sind in Österreich.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Da muß ich jetzt noch gleich folgendes vorausschicken. Ich bin nach Auschwitz nicht als Peter Budan, sondern als Emil Budan, weil ich mich getarnt, die ganze Zeit verdrückt hatte vor der Gestapo. Da habe ich verschiedene Namen angenommen. Dann [kam] ich auf der Politischen Abteilung vor Unterscharführer Lachmann, der dann auch meine wahren Personalien erfuhr. Da wurden dann die Personalien des Peter Budan festgestellt. Ich habe dadurch Nachteile gehabt in Österreich, heute noch mit dem Identitätsverfahren. Also ich laufe einmal unter Emil Budan, einmal unter Peter Budan, das möchte ich gleich betonen. Und da bin ich dann in Österreich durch eine Affäre mit einer Frau verurteilt worden wegen Betruges. Ich habe das Wiederaufnahmeverfahren dann beantragt. Die Frau ist inzwischen in anderen Sachen als unglaubwürdig festgestellt worden, daß sie auch bestraft worden ist. Aber ich habe bis heute nicht die Geldmittel gehabt für das Wiederaufnahmeverfahren. Darüber ist noch nicht entschieden, und das ist die Erklärung, die ich dazu abzugeben habe. In Deutschland bin ich nicht bestraft.
Vorsitzender Richter:
Ja. Dann die andere Frage, ob Ihnen bekannt ist, daß andere Zeugen in diesem Prozeß ebenfalls Dinge ausgesagt haben, die nach Ihrer Kenntnis nicht der Wahrheit entsprechen können.
Zeuge Peter Budan:
Ich kann dafür leider keine Namen
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Keine weiteren Beispiele geben.
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Nein, keine Namen. Wenn wir zusammengekommen sind, sind dann oft so viele Märchen erzählt worden, also manches Mal Märchen, daß wir gesagt haben: »Menschenskind, du bist ja gar nicht da gewesen, du bist ja bloß noch kurz vor Toresschluß hinzugekommen, und jetzt spielt ihr euch mit den Sachen auf.« Schon an den Dingen, also an den Verhältnissen, wenn man darüber Verschiedenes hörte, wie es sich in Auschwitz zugetragen hatte, wußte man gleich, daß es gelogen war, weil wir ja von vorne, von A bis Z alles selbst seelisch und körperlich durchgemacht haben. Was das heißt, brauche ich ja nicht zu erzählen. Ich habe noch ein Bild da. Darf ich eine Frage richten, eine Bitte. Ich hätte gerne die beiden, den Broad und den Baretzki, einmal gesehen, wie sie jetzt aussehen. Darf ich das?
Vorsitzender Richter:
Bitte schön. Würden Sie mal aufstehen, Herr Broad und Baretzki.
Zeuge Peter Budan:
Das ist Herr Broad, ja?
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Das Gesicht erinnere ich noch.
Vorsitzender Richter:
Das ist Baretzki.
Zeuge Peter Budan:
Danke schön. Da ist an den Augen eine Partie, da sehe ich noch etwas. Das war damals ein junger Bursche, unter uns gesagt.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Peter Budan:
Danke schön, Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Nun, sind sonst noch Fragen zu stellen oder Erklärungen abzugeben? Nein. Ach, verzeihen Sie. Bitte?
Sprecher (nicht identifiziert):
Baretzki will noch eine Frage stellen.
Vorsitzender Richter:
Ja, das Bunkerbuch. Ja, wir haben inzwischen die Fotokopie des Bunkerbuchs kommen lassen. Würden Sie mal reingehen, es liegt drin auf dem Tisch, oder Sie können das geben. Und Sie sollen einmal uns sagen, ob Sie das geführt haben, ob das Ihre Handschrift ist. Nein, dem Zeugen geben.
Zeuge Peter Budan:
Nein. [...] Nicht. Das ist nicht meine Handschrift. Das auch nicht. Das auch nicht.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Ist das die Zeit vom Frühjahr bis zum Sommer?
Ergänzungsrichter Hummerich:
Nein, das ist von Februar, März, April. [unverständlich]
Vorsitzender Richter:
Ja, er ist ja später erst hingekommen. [...] Ja, da ist
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
[unverständlich] polizeilichen Vernehmung, Herr Direktor, er ist zum Jahreswechsel gekommen.
Vorsitzender Richter:
Hingekommen, aber dann
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Nein, in den Bunker gekommen. In 11.
Vorsitzender Richter:
Augenblick.
Nebenklagevertreter Kaul:
Nach 11 gekommen. [...]
Zeuge Peter Budan:
Na ja, ich glaube, ich bin etwas
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Darf ich vorlesen: »Etwa um die Jahreswende 1942/43«[13] - 32, 31 unten - »wurde ich von dem damaligen SS-Unterscharführer Gerhard Lachmann in die Politische Abteilung geholt und bekam eine Funktion im Block 11, Bunker, als Blockschreiber.«[14]
Vorsitzender Richter:
Ja, Herr Rechtsanwalt, das habe ich ihm ja schon vorgehalten, dem Zeugen. Daraufhin hat er mir gesagt, er wisse das heute nicht mehr genau, es könne auch gewesen sein im Frühjahr beziehungsweise bis zum Frühsommer.
Nebenklagevertreter Kaul:
Deswegen wäre es mir interessant, gerade für die Gegenüberstellung später mit Scheidel, wenn sie beschlossen wird, ob festgestellt werden kann, zu welcher Zeit seine Handschrift einsetzt. Weil er es ja eben offenläßt. Dann hat er Frühjahr gesagt, dann hat er bis Sommer gesagt, ich
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Also wir haben jetzt hier ihm vorgelegt die Zeit Februar.
Ergänzungsrichter Hummerich:
März.
Vorsitzender Richter:
März. Februar, März.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wir können nur vorlegen bis 30. März einschließlich, weil das Bunkerbuch II mit dem 31. März anfängt, und das ist von polnischen Offizieren abgeschrieben worden.
Nebenklagevertreter Kaul:
Aha, und vorher, aber das
Ergänzungsrichter Hummerich [unterbricht]:
Das geht vorher bis zum Anfang. Er blättert augenblicklich gerade zurück. [...]
Vorsitzender Richter:
[Pause] Haben Sie denn so eine Art Liste oder Buch überhaupt geführt, Herr Zeuge?
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Vorsitzender Richter:
So was haben Sie geführt?
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja.
Vorsitzender Richter:
[Pause] Also wenn es nach März gewesen wäre, was er uns heute gesagt hat, kann es nicht mehr in dem Buch drin stehen.
Zeuge Peter Budan:
Also bis jetzt habe ich hier von meiner Handschrift noch nichts gesehen.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Erinnern Sie sich denn an ein ähnlich geführtes Buch? [...]
Vorsitzender Richter:
Ja, hat er eben ja gesagt.
Zeuge Peter Budan:
Von wann ist das hier jetzt? [Pause] Das ist meine Handschrift.
Sprecher (nicht identifiziert):
Das ist Ihre Handschrift?
Ergänzungsrichter Hummerich:
Wann ist das?
Zeuge Peter Budan:
19.12.42. [...] Das ist auch meine Handschrift.
Nebenklagevertreter Kaul:
Am 19.12.42.
Vorsitzender Richter:
42, ja.
Nebenklagevertreter Kaul:
Dann stimmt die erste [unverständlich] mehr.
Vorsitzender Richter:
Um die Jahreswende.
Nebenklagevertreter Kaul:
Um die Jahreswende.
Zeuge Peter Budan:
Ist auch meine
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Er war sechs Wochen [unverständlich] Er kann also gar nicht dagewesen sein, als Scheidel dagewesen ist.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Behauptet er ja auch nicht.
Sprecher (nicht identifiziert):
Behauptet er gar nicht
Nebenklagevertreter Kaul:
Aber natürlich hat er das behauptet.
Sprecher (nicht identifiziert):
Nein.
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Sprecher (nicht identifiziert):
Nein.
Zeuge Peter Budan:
Das ist ja ein Irrtum. Ich habe nur gesagt, nach seiner Erklärung kann er nicht dagewesen sein, wo ich selbst Funktionshäftling...
Nebenklagevertreter Raabe:
Er hat vorhin gesagt, daß er im Frühjahr oder Frühsommer oder Anfang des Jahres
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja, brauchen wir ja gar nicht mehr weiter zu
Nebenklagevertreter Raabe [unterbricht]:
Jedenfalls zwei bis drei Monate da war. Da würde der März sicherlich darunterfallen.
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Nein, hier das, das war meine Handschrift, die anderen nicht, wie dies hier.
Nebenklagevertreter Raabe:
Und im März war der Zeuge Scheidel da und das
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Ja. Das hier, wo ich da zeigte, im Dezember.
Nebenklagevertreter Raabe [unterbricht]:
Da Sie ihm vorgehalten hatten, daß der Zeuge Scheidel da war, im März, ist doch nicht richtig?
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Das hier, das ist hier meine Handschrift.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Das ist Ihre Handschrift.
Staatsanwalt Kügler:
Wo fängt Ihre Handschrift an?
Zeuge Peter Budan:
Hier ist sie, hier ist sie, da, das ist sie.
Ergänzungsrichter Hummerich:
Von wann bis wann bitte?
Zeuge Peter Budan:
Das ist sie nicht mehr, dies hier bitte
Staatsanwalt Kügler [unterbricht]:
Also am 4.12. ist die erste Eintragung [unverständlich]
Zeuge Peter Budan:
Ja. Nun haben wir uns gegenseitig abgewechselt da. Da war noch zur Hilfe jemanden. Ob ich da nun noch welche finde? Das ist meine Handschrift.
Staatsanwalt Kügler:
Am 4.12.42.
Nebenklagevertreter Kaul:
Am 4.12. beginnt sie.
Zeuge Peter Budan:
Ja. Ob ich nun vorher [+ schon die Liste geführt habe], das kann ich nicht mehr sagen. Früher brauche ich nicht [+ zu schauen]. Vor dem 12. brauche ich nicht, denn ich bin nur noch später.
Nebenklagevertreter Kaul:
4.12.42.
Zeuge Peter Budan:
Und da haben wir uns abgewechselt, da hat mal der eine und mal der andere die Liste geführt.
Vorsitzender Richter:
Und Sie sagen, Sie waren dann ungefähr zwei bis drei Monate dort.
Zeuge Peter Budan:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Das heißt also, Sie können allenfalls bis Februar, März dort gewesen sein.
Zeuge Peter Budan:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Und haben Sie in dieser Zeit den Zeugen Scheidel dort selbst erlebt?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Sie haben ihn nicht erlebt dort?
Zeuge Peter Budan:
Nein. Erst als er mir erklärt hat, er ist dort in Durchgangsquarantäne gewesen, da habe ich ihm vorgehalten, daß das unmöglich ist, daß er eine Exekution sehen konnte, weil da kein Mensch von der Durchgangsquarantäne hinzukommen und sehen konnte. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Vorsitzender Richter:
Aber Sie selbst haben damals nicht die Aufsicht gehabt. Es war Ihnen also nicht möglich, für die Zeit, wo der Scheidel dort war, persönlich, aus eigener Wahrnehmung festzustellen, ob der da [+ etwas] gesehen hat oder nicht.
Zeuge Peter Budan:
Nein, das kann ich nicht. [...]
Vorsitzender Richter:
Sie haben nur ganz allgemein, aus den Vorschriften und aus dem Brauch, der sich in Ihrer Zeit abge zeichnet hatte, das geschlossen.
Zeuge Peter Budan:
Ja, ja. Wir mußten
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Ich ziehe den Antrag auf Gegenüberstellung des Zeugen mit dem Zeugen Scheidel zurück. Weil sich aus den Eintragungen des Bunkerbuches eindeutig ergibt, daß der Zeuge nicht zur gleichen Zeit im Bunker tätig gewesen sein kann.
Vorsitzender Richter:
Sagt er ja auch aus.
Nebenklagevertreter Kaul:
Jetzt.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Sprecher (nicht identifiziert):
Das hat er schon immer gesagt!
Zeuge Peter Budan:
Ich bin ja
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Nein, er hat es nicht immer gesagt.
Sprecher (nicht identifiziert) [unterbricht]:
[unverständlich] interessante Reaktion.
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich habe keine Veranlassung, mich hier herumzustreiten. Außerdem ist es leider nicht protokolliert. Er hat es nicht immer gesagt. Sondern er hat sofort gewechselt, als der Herr Vorsitzende ihm sagte, Scheidel wäre im Frühjahr - da verschob sich plötzlich seine Tätigkeit bis ins Frühjahr hinein. Es könne sogar - das habe ich wörtlich notiert - Sommer sein. Da ich aber ungern jemanden der Unwahrheit bezichtige, bevor ich genau Bescheid weiß, habe ich keine Frage gestellt, sondern die Gegenüberstellung von Scheidel haben wollen. Nachdem es jetzt feststeht, daß es nicht etwa Sommer sein kann, auch nicht Frühjahr sein kann, ist es völlig überflüssig. Es stimmt nicht, daß er zu einer Zeitspanne dort gewesen ist, wo Scheidel [+ dort] gewesen ist. Er kann also in keiner Weise sagen, ob Scheidel die Wahrheit oder die Unwahrheit gesagt hat. Ich ziehe deswegen meinen Antrag zurück.
Zeuge Peter Budan:
Na, Gott sei Dank, daß ich nicht noch mal hierherkommen brauche jetzt.
Vorsitzender Richter:
Nehmen Sie bitte ins Protokoll auf: »Der Zeuge erklärte auf Befragen: Zu der Zeit, als Scheidel in Block 11 war, bin ich nicht mehr dort gewesen. Aufgrund der Einsichtnahme im Bunkerbuch habe ich feststellen können, daß ich bereits« - wann war das, am? [...]
Nebenklagevertreter Kaul:
4.12.
Vorsitzender Richter:
»Am 4.12.1942 in Block 11 tätig war. Meine Tätigkeit erstreckte sich, wie ich bereits gesagt habe, auf zwei bis drei Monate.« Dann lesen Sie es bitte vor.
Protokollführer Hüllen:
»Der Zeuge erklärte auf Befragen: Zu der Zeit, als Scheidel in Block 11 war, bin ich nicht mehr dort gewesen. Aufgrund der Einsichtnahme ins Bunkerbuch habe ich feststellen können, daß ich bereits am 4.12.1942 im Block 11 tätig war. Meine Tätigkeit erstreckte sich, wie ich bereits gesagt habe, auf zwei bis drei Monate.«[15]
Vorsitzender Richter:
Ja. Wird dann der Antrag ebenfalls zurückgezogen?
Verteidiger Aschenauer:
Bei der Stellung meines Antrages ging ich davon aus, daß der Zeuge den Herrn Scheidel nicht erlebt hat. Ich halte meinen Antrag aufrecht, da der Zeuge gesagt hat, er hätte in München Vorhaltungen gemacht, daß der Zeuge das, was er in der polizeilichen Vernehmung [+ gehört hat], soweit es diesem Zeugen bekannt geworden ist, nicht der Wirklichkeit entsprochen habe. Daraufhin hätte Scheidel nichts zu entgegnen gewußt und sozusagen mindestens stillschweigend zum Ausdruck gebracht, daß der Zeuge hier Recht hat. Aus diesem Grunde halte ich meinen Antrag aufrecht.
Verteidiger Steinacker:
Ich schließe mich diesem Antrag an.
Vorsitzender Richter:
Also nehmen Sie zu Protokoll: »Rechtsanwalt Doktor Kaul nimmt seinen Antrag zurück auf Gegenüberstellung mit dem Zeugen Scheidel. Rechtsanwalt Doktor Aschenauer und Steinacker bleiben bei ihrem Antrag, um festzustellen, ob es richtig sei, daß der Zeuge Scheidel auf die Vorhaltungen des Zeugen Budan nichts erwidert habe und infolgedessen stillschweigend die Auffassung des Zeugen Budan gutgeheißen habe.«[16] So.
Nebenklagevertreter Kaul:
Herr Direktor, wäre es eine Überbelastung des Protokolls, wenn ganz kurz meine Begründung, warum ich den Antrag zurücknehme, mit ins Protokoll käme, nachdem die andere
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Weil Sie festgestellt haben, daß Scheidel nicht zur selben Zeit dort gewesen sein kann wie der
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Weil aus dem Bunkerbuch festgestellt wurde, durch Vergleichung auch der Handschriften, daß er nicht zur gleichen Zeit mit Scheidel dagewesen sei.
Vorsitzender Richter:
Können wir aufnehmen. Also: »Rechtsanwalt Doktor Kaul nimmt seinen Antrag zurück, weil der Zeuge aufgrund des Bunkerbuchs festgestellt habe, daß er nicht gleichzeitig mit dem Zeugen Scheidel in Block 11 gewesen sei.« So.
Verteidiger Erhard:
Ich habe noch eine Frage an den Zeugen.
Vorsitzender Richter:
Bitte schön, natürlich, ja.
Verteidiger Erhard:
[unverständlich] nunmehr die Zeit feststeht, in der er auf jeden Fall im Bunker war. Herr Zeuge, erinnern Sie sich daran, daß lange Zeit ein Häftling in der Stehzelle war und im Januar 1943 dort verstorben ist?
Nebenklagevertreter Kaul:
Ich widerspreche der Frage. Die Frage ist schon beantwortet. Er hat erklärt, zu seiner Zeit hat nie jemand in einer Stehzelle
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Er hat in der Stehzelle niemanden gesehen. Nun, haben Sie davon gehört, daß in der Stehzelle ein Mensch verhungert sein soll, der lange Zeit dort drin gewesen sein soll?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Vorsitzender Richter:
Haben Sie nicht gehört?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Verteidiger Erhard:
Haben Sie gehört, daß dort ein Häftling die Sohlen seines Schuhes aufgegessen habe?
Zeuge Peter Budan:
Nein.
Verteidiger Erhard:
Danke.
Vorsitzender Richter:
Baretzki, wollten Sie noch eine Erklärung abgeben? Bitte? Ja.
Angeklagter Baretzki:
[Pause] Herr Zeuge, Sie waren der Schreiber im Block 3, stimmt das? Das war der zweite Block auf der linken Seite, bei dem Kapoblock.
Zeuge Peter Budan:
Im Deutschenblock.
Angeklagter Baretzki:
Im d-Lager, beim Reichsdeutschenblock.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Angeklagter Baretzki:
Und beim Appell, wenn Sie links vom Block sehen, ungefähr 20 Meter weg, da steht das Pult, wo der Rapportführer die Rapporte abholte und der Lagerführer.
Zeuge Peter Budan:
Ja.
Angeklagter Baretzki:
Wo Sie mir den Block gemeldet haben, da hat der Lagerführer doch zugeschaut und der Rapportführer. Ich hatte doch keinen anderen Ausweg gehabt, wie ihnen ein paar zu schmieren. Was sollte ich da sagen, konnte ich nicht sagen: »Das haben Sie gut gemacht.“
Vorsitzender Richter:
Na. Können Sie sich jedenfalls an diesen Vorfall erinnern?
Angeklagter Baretzki:
Jawohl.
Vorsitzender Richter:
Daß Sie dem Zeugen Nasenbein und Kiefer zusammengeschlagen haben?
Angeklagter Baretzki:
Das weiß ich nicht, ich habe ihm ja nur zwei geschmiert.
Vorsitzender Richter:
So. Stimmt das, daß da der Rapportführer und der Lagerführer dabei waren, bei diesem Appell?
Zeuge Peter Budan:
Der Lagerführer war noch nicht da, war erst nur der Rapportführer. Der Lagerführer kam dann meistenteils etwas später. Aber das, was Herr Baretzki sagt, trifft zu.
Angeklagter Baretzki:
Darf ich noch eine Frage stellen an den Zeugen?
Vorsitzender Richter:
Ja, bitte schön.
Angeklagter Baretzki:
Herr Zeuge, Sie waren doch lange genug in Birkenau. Wenn die Blockführer nicht dazwischengegangen wären, hätten die anderen Häftlinge alle zu essen bekommen? Dann hätten die Polen doch und die Reichsdeutschen das Essen weggeholt und hätten sich alle zehn Liter Suppe oder fünf Liter Suppe [unverständlich] Und die letzten, die Juden, hätten überhaupt nichts bekommen. Stimmt das oder stimmt das nicht?
Zeuge Peter Budan:
Ja, das muß ich zugeben.
Angeklagter Baretzki:
Die hätten allein sich satt gegessen, und die Juden hätten überhaupt nichts zu Essen bekommen.
Zeuge Peter Budan:
Na ja, zu meiner Zeit, als ich dann Blockältester war, blieb mir ja nichts anderes übrig, als euch Blockführer zu holen, um mir zu helfen. Da kam ja noch der Lagerälteste - ich weiß nicht, vielleicht wissen Sie noch, wie der hieß -, der...
Angeklagter Baretzki:
Danisch.
Zeuge Peter Budan:
Danisch. Euch habe ich ja geholt, damit ich überhaupt mit dem Block zurechtkam. Sonst war ich ja aufgeschmissen.
Angeklagter Baretzki:
Herr Vorsitzender, das ist nicht so: Wenn heute ein Kommando ist - ich werde das noch einem anderen Zeugen auch vorhalten. Heute rückt ein Kommando aus und hat 100 Häftlinge, zur Arbeit. Die kriegen ja mittags das Essen auf dem Kommando. Da sind zum Beispiel 30 Polen und 70 Juden. Die 30 Polen, die arbeiten überhaupt gar nichts. Die sitzen da herum, im Gelände. Die Juden müssen für die arbeiten, und wenn das Mittagessen kommt, da essen erst die Polen, die essen sich satt, soviel sie wollen. Und was übrigbleibt, das bleibt für die letzten Juden, die am meisten gearbeitet haben. Die [Polen] waren immer dafür, daß man die Juden allein arbeiten lassen soll. Wenn 100 Juden da sind, hätten die für 100 gearbeitet und hätten für 100 Essen bekommen. So waren 70 Juden bei 100 Häftlingen, und 30 waren Polen. Die Polen haben gar nichts gearbeitet. Der Jude mußte für die alle arbeiten und hat dann nichts zu essen bekommen. So war das. Wenn man da nicht dazwischengegangen wäre, dann hätten die Leute überhaupt nichts bekommen. Und wenn Sie was gesagt haben vorne zum Lagerführer oder zum Arbeitseinsatz, dann haben sie gesagt: »Baretzki, Sie scheinen gar nicht zu merken, daß es sich um Juden handelt. Die sind doch hier zum Verrecken da.« Sie durften ja gar nichts mehr sagen. So war es in Auschwitz gewesen. Die Juden sollen also anständig sein und sollen jetzt die Wahrheit sagen. So und so ist das uns gegangen da in Auschwitz. Aber heute sagen die Juden das nicht. Entweder dürfen sie das nicht sagen, oder wollen sie das nicht sagen. Das verstehe ich nicht.
Vorsitzender Richter:
So. Nun nehmen Sie wieder Platz.
Staatsanwalt Vogel:
Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Bitte schön.
Staatsanwalt Vogel:
Ich habe noch eine Frage im Anschluß an die Frage von Herrn Rechtsanwalt Erhard. Ich hatte mir vorhin bei der Vernehmung notiert, der Zeuge hat erklärt, er habe die Stehbunker gesehen, und dort seien auch Häftlinge verhungert. Ist das
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Nein, das hat er nicht gesagt. Nein, er hat gesagt: »Ich habe die Stehbunker gesehen, und wenn wir die aufschlossen, waren die Leute derart entkräftet, daß sie«
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Nein, Entschuldigung
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
[unverständlich] ganz richtig.
Verteidiger Steinacker:
»Im Stehbunker war keiner drin, als ich ihn sah«, als er
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ach so, ja. Und bei den allgemeinen Bunkern
Zeuge Peter Budan [unterbricht]:
Und bei den anderen, wo sie zusammengepfercht waren in dunklen Kellerzellen, da waren neun bis zehn Menschen. Ich weiß nicht, meine Herren, ob Sie eine Polizeiarrestzelle kennen, die so schmal ist, wo ein Mann [+ untergebracht wird]. Da waren neun bis zehn. Kein Klappbett, nichts, sondern so ein, zwei Decken, das war verfault und verdreckt. Und da haben sie ihr Fressen reingeschmissen bekommen und einen Kübel. Da mußten sie Notdurft verrichten. Und wenn wir die Tür aufmachten, fielen die Leute um. Das war kein Stehbunker, sondern das war eine dunkle Kellerzelle mit einem kleinen vergitterten, verdreckten Fenster.
Staatsanwalt Vogel:
Ach so.
Nebenklagevertreter Kaul:
Die Stehbunker sind ja gar nicht aufzuschließen gewesen. Die liegen ja auf der anderen Seite.
Staatsanwalt Vogel:
Ja sicher. Sind in diesen Dunkelzellen Häftlinge verhungert?
Zeuge Peter Budan:
Ja, also einmal haben wir einen Toten rausgeschleift. Da mußte ich die Nummer gleich aufschreiben, und andere haben wir halb ohnmächtig herausgeschleppt bis vorne zur Erschießungsmauer. Das ist auch passiert. Die Leute sind wieder munter geworden, da hat der Hannes ihnen einen Kübel Wasser über den Kopf gegossen, da konnten sie wieder stehen. Sie wurden ja splitternackt ausgezogen. Ich hab es nicht machen können, denn ich zitterte selbst am ganzen Körper und muß mich heut noch aufregen, wenn ich daran denke.
Vorsitzender Richter:
Ja. Nun können wir Sie leider nicht endgültig hier entlassen, weil hier widersprochen worden ist der Entlassung. Sie können aber heute wieder nach Hause fahren und bekommen dann von uns noch Nachricht, ob Sie und wann Sie noch mal wiederkommen müssen.
Zeuge Peter Budan:
Hoffentlich nicht.
Vorsitzender Richter:
Ja, ich glaube doch.
Zeuge Peter Budan:
Die Fahrt möchte ich nicht mehr...
Vorsitzender Richter:
Ja. Wir möchten es Ihnen auch gern ersparen, aber es wird sich wohl nicht machen lassen. Denn es ist hier ein Antrag gestellt worden, und die Verteidigung hat damit gegen Ihre Entlassung remonstriert. Wir müssen Sie jedenfalls noch einmal zurückbitten.
Staatsanwalt Vogel:
Herr Vorsitzender.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Staatsanwalt Vogel:
Könnte nicht in der Mittagspause oder in der Nachmittagssitzung darüber entschieden werden? Denn wenn heute nicht entschieden wird, muß der Zeuge ja auf jeden Fall kommen, schon wegen der Frage der Vereidigung. Aber wenn entschieden wird, daß keine Gegenüberstellung stattfinden sollte, dann wäre es auf jeden Fall
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ja, aber Herr Rechtsanwalt, die Entlassung ist doch nicht
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Staatsanwalt, wenn ich bitte dürfte.
Vorsitzender Richter:
Verzeihen Sie, Herr Staatsanwalt. Es ist doch gegen die Entlassung remonstriert worden.
Staatsanwalt Vogel:
Ja, sicher, aber nur wegen der beabsichtigten Gegenüberstellung.
Vorsitzender Richter:
Ja, das ist egal. Aber jedenfalls die Verteidigung ist mit einer Entlassung des Zeugen nicht einverstanden. Folglich kann er auch nicht
Nebenklagevertreter Kaul [unterbricht]:
Aber das gilt doch nicht mehr in dem Moment, in dem das Gericht zum Beispiel beschließt
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Daß keine Gegenüberstellung stattfindet.
Nebenklagevertreter Kaul:
Dem Antrag nicht stattzugeben, keine Gegenüberstellung. Soweit hat ja Herr Staatsanwalt Vogel recht.
Vorsitzender Richter:
Tatsächlich?
Staatsanwalt Vogel:
Ja.
Vorsitzender Richter:
Ja. Also, Herr Zeuge, treten Sie jetzt einmal zurück. Gehen Sie aber noch nicht weg, sondern bleiben Sie noch da, falls wir Sie noch brauchen. Sie können hier Platz nehmen. Wo Sie wollen. Sie können auch außerhalb des Sitzungssaals sich aufhalten. [...]
Zeuge Peter Budan:
Dann brauche ich nur zu warten, bis Sie
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
Ja, also kommen Sie um 13.30 Uhr noch mal in diesen Saal.
Zeuge Peter Budan:
In meinem Hotel müßte ich bis zwölf Uhr das Zimmer aufgeben, hier in dem Hotel Nova [unverständlich]
Staatsanwalt Vogel [unterbricht]:
Das kann er ja aufgeben.
Vorsitzender Richter:
Ja, das Zimmer können Sie auf jeden Fall aufgeben.
Zeuge Peter Budan:
Kann ich jetzt hingehen, und 13.30 Uhr
Vorsitzender Richter [unterbricht]:
13:30 Uhr wieder hier sein. Ja?
Zeuge Peter Budan:
Gut. Danke schön.
Nebenklagevertreter Raabe:
Ich wollte dem Antrag der Herren Verteidiger entgegentreten auf Gegenüberstellung. Es ist ja an sich ein neuer Beweisantrag auf Vernehmung auch des Zeugen Scheidel. Ich möchte dem entgegentreten, da sich nach den Aussagen des jetzt eben vernommenen Zeugen ergibt, daß die zu beweisenden Tatsachen beweisunerheblich sind.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Staatsanwalt Kügler:
Herr Vorsitzender, ich habe in diesem Zusammenhang noch eine Frage an den Angeklagten Höcker.
Vorsitzender Richter:
Höcker.
Staatsanwalt Kügler:
Der Zeuge hat geschildert, welche Verhältnisse im Jahre 1944 in Birkenau herrschten, insbesondere bei der Essensverteilung. Nach dem Bild, das der Zeuge gibt, ist es so gewesen, daß die SS drumherum gestanden hat und die Häftlinge haben sich also um das Essen geprügelt und haben sich gegenseitig, man kann schon sagen, totgeschlagen. Nun waren Sie Adjutant des Standortältesten und des Lagerkommandanten. Haben Sie sich denn um diese Dinge nie gekümmert?
Angeklagter Höcker:
Herr Staatsanwalt
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.231.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.234.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.234.
- Bunkerbuch. Vgl. Franciszek Brol, Gerard Wloch, Jan Pilecki, Das Bunkerbuch, in: Hefte von Auschwitz 1, 1959, S. 7-42.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.234.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.235.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 01.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.187-3.194.
- Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100, Bl. 503.
- StPO § 55: »1. Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. 2. Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.«.
- StPO § 68a: »1. Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einer Person, die im Sinne des § 52 Abs. 1 sein Angehöriger ist, zur Unehre gereichen können, sollen nur gestellt werden, wenn es unerläßlich ist. 2. Der Zeuge soll nach Vorstrafen nur gefragt werden, wenn ihre Feststellung notwendig ist, um über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Nr. 2 oder 3 zu entscheiden oder um seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen.«.
- Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100, Bl. 503.
- Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100, Bl. 504.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.231.
- Vgl. polizeiliche Vernehmung vom 08.12.1959 in München, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 20, Bl. 3.231.
- Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100, Bl. 505.
- Vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.07.1964, 4 Ks 2/63, Hauptakten, Bd. 100, Bl. 504.